
Gegen alle Formen des Rechtsextremismus? Diese Floskel findet man nun häufig. Dahinter steckt eine Begriffsverschiebung.
Neulich im Kino: Der beste Film des Jahres lief – die Wiederaufführung von »Das Schweigen der Lämmer«. OmU – Original mit Untertiteln. Der Saal war voll, als ahnte niemand, wie die Geschichte um Clarice Starling und den charmanten Kannibalen ausgehen würde – Klassiker sind eben zeitlos. Der wirkliche Horror fand allerdings vor dem Hauptfilm statt. Zwischen Werbung ein Bekennervideo – also einer dieser Clips, in dem jemand Bekenntnis zu allem ablegt, was dem Bürger heute wichtig zu sein hat. Bekenner in diesem Falle: Die Arthouse-Kinos. Sie stehen für Vielfalt, für Offenheit, natürlich für Demokratie – und Rechtsextremismus habe keinen Platz in diesem Kino. Ja, man sei regelrecht gegen »alle Formen des Rechtsextremismus«.
Da war sie wieder, die Formel, die mir neulich schon aufgefallen war: Gegen alle Formen des Rechtsextremismus zu sein, ist nun das neue Mantra. Früher war man gegen den Rechtsextremismus. Im Singular! Nun hat er sich offenbar vermehrt, er ist – man muss es so verstehen – vielfältig und divers geworden, er kann ganz offenkundig verschieden aussehen und es gibt eine gewisse Artenvielfalt in diesem Spektrum. Ja, vielleicht ist der Rechtsextremismus sogar ins Bunte chargiert – jedenfalls lässt dieses Wording, das einem nun immer häufiger begegnet, eine solche Einschätzung zu.
Sortenvielfalt?
Diese Floskel begegnet einem recht häufig in jener Echokammer namens X: Organisationen und Einzelpersonen bemühen diese Formulierung von der Sortenvielfalt des Rechtsextremismus nahezu reflexhaft. Mir ist sie früher nicht aufgefallen – wohl auch deshalb, weil sie nicht so häufig gebräuchlich war. Sichtet man mittels Suchmaschine die Neunzigerjahre, so findet sich nicht ein Eintrag. Im Jahrzehnt bis 2010 gibt es zu »alle Formen des Rechtsextremismus« ganze drei Einträge, einer davon bei einer örtlichen Juso-Truppe. Bis 2015 nur eine weitere Nennung: Ein Kirchenkreis der evangelischen Kirche erklärte, »entschieden gegen alle Formen des Rechtsextremismus« vorzugehen. In den weiteren fünf Jahren bis 2020 dann schon vier Einträge, unter anderem bei der SPD und bei den Linken. Ab dann häufen sich die Einträge, wenn man auch attestieren muss, dass der Gebrauch dieses Wordings nicht gerade explodierte – jedenfalls nicht in der Google-Suche.
Gleichwohl stehen die Chancen recht gut, wenn man durch ein deutsches Stadtbild mäandert, dass man an dieser oder jener Ecke einen Aushang, ein Banner, irgendein bedruckbares Bekenntnisstück eben, erblicken kann, auf dem die eigene Haltung dargelegt wird – und eben genau unter Gebrauch dieser Phrase. »Alle Formen des Rechtsextremismus«: Gibt es so viele Spielarten? Im Grunde gelingt es kaum jemanden, den einen Faschismus befriedigend zu erklären und auszuloten, was denn nun ein faschistisches Regime ausmacht und was nicht. Aber ob nun Kinos oder irgendein Seifenladen um die Ecke: Sie durchblicken gleich sämtliche Formen, die glücklicherweise aufzuzählen nicht notwendig sind, um den Kunden den eigenen Standpunkt noch vor Aushändigung der Ware aufzunötigen.
Spannend wäre indes schon, welche Rechtsextremismen es denn so gibt. Zählen die Christdemokraten dazu? Die Kirche etwa? Sind solche rechtsextrem, die Fleisch vertilgen, das aus einem Betrieb der industriellen Massentierhaltung stammt? Ist der Automobilclub etwa ein Sammelbecken von rechtsextremer Form? Es gab Momente in dieser Republik, da hätte man das annehmen können, so stigmatisiert waren die Genannten in der öffentlichen Wahrnehmung. Aber im Ernst: Tag für Tag erklärt man den Rezipienten, dass die Glatzen von einst, die sich im unmittelbaren Umfeld der NPD sammelten, nun in feinem Zwirn gewandet seien – Perlenkette steht für Plötzensee und Hinrichtung! – und sich im AfD-Umfeld tummelten. Sind das jetzt zwei Formen des Rechtsextremismus? Oder gilt die Transformation als eine Spielart? Dass es da gravierende Unterschiedlichkeiten gibt, war bis dato gar kein Thema, die Parole war eher: Kennste ein‘ Nazi, kennste alle. Global betrachtet gibt es sicherlich unterschiedliche Phänomene, nehmen wir nur den Hindu-Nationalismus Narendra Modis: Auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung liest man, dass der zumindest »rechtspopulistisch« sei. Welches Anliegen sollte aber ein Kino in Frankfurt-Sachsenhausen haben, auch diese Form des Rechtsextremismus zu ächten? Was weiß man hierzulande über Modis Nationalismus denn überhaupt, um zu einer Haltungsmitteilung schreiten zu können?
Alle Formen von Widerreden
Im Duden liest man, dass der Rechtsextremismus keinen Plural habe – es gäbe ihn nur in der Einzahl. Das ist kurios, denn wie kann etwas mehrere Formen haben, das ohne eine Mehrzahlform gebraucht werden muss? Leidig ist es zudem, wenn man auf die Begrifflichkeit rechts abzielt: Wie kommt man denn drauf, dass der Nationalsozialismus rechts war? Götz Aly beschäftigt sich in seinem aktuellen Buch »Wie konnte das geschehen?« auch damit – immerhin glaubten die Schergen damals, dass der Feind auch rechts stehe. Rechtsextremismus tauchte als Begriff erstmals Ende der Sechzigerjahre in politwissenschaftlichen Publikationen auf, in den Siebzigern hat der Verfassungsschutz sich dieses Begriffs bedient. War es dem linken Esprit jener Jahre geschuldet, der besonders unter Politologen zu finden war, dass man »faschistische Momente« innerhalb von Weltbildern mit rechts labelte? War das der erste Versuch, das eigentlich Rechte, das Konservative und Traditionalistische nämlich, in eine Ecke zu drängen, aus der der politische Kontrahent nicht mehr herauszutreten vermag, ohne einen deutlichen Gesichtsverlust?
Alle Formen des Rechtsextremismus: Das ist einer dieser Satzbausteine geworden, die man immer wieder bemüht. Es ist NGO-Sprech, der um sich greift und die spontanen Spracheingebungen des Einzelnen kanalisiert und so eine Form von Soziolekt befördert, der in seiner ganzen Langeweile und Ödnis, Menschen zu Sprechautomaten herabwürdigt. Vorgestanzte Passagen wie jene sind ein Generalangriff auf das Sprachvermögen der Bürger – sie sind vorgefertigte Bausteine, auf die man sich verständigt hat und die man für bewährt erklärt hat. Wer sie nutzt geht auf Nummer sicher und zeigt obendrauf noch etwas an: Er gehört dazu. Kennt den Diskurs – und jene, die den Diskurs forcieren. Es dient der Initiation. Und der Kenntlichmachung. Andere Satzbausteine aus der Sprachschmiede des Zeitgeistes: »Völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands« oder »gegen Hass und Hetze« – und zwar genau so, exakt in dieser Reihenfolge muss man letzteres zur Sprache bringen. Verdrehungen gelten nicht – jeder Kämpfer für das Gute und Gerechte soll exakt genauso klingen: Die Aufrechten im Lande verstehen sich als Abziehbilder einer unantastbaren Moral. Dieselben Leute erzählen einem was von Individualismus, klingen aber wie die Borg im Star-Trek-Universum: Immer dieselben Phrasen, derselbe Tonfall, dieselbe Leichenbittermiene.
Diese Sache mit dieser Formenvielfalt des Rechtsextremismus sollte man dringend als Begriffsverschiebung begreifen. Es geht denen, die diese starren Phrasenkörper im Munde führen, doch nicht um Rechtsextremismen – die es laut Duden so nicht gibt –, sie wenden diese Simulation von rechtsextremer Vielfalt aus einem ganz bestimmten Grund an: Dieser Satzbaustein erlaubt es, dass man allerlei störende Weltbilder und Weltanschauungen, lästige Widerstände und Widerworte mit in die Litanei vermeintlich vielfältiger Rechtsextremismen einbauen kann. So wird aus dem Bürger, der die Corona-Maßnahmen kritisierte, eine Form des Rechtsextremismus, genauso wie aus einem politischen Kabarett, das gegen die liebgewonnenen Lebenslügen einer Generation stichelt, die noch nicht mal mehr dazu in der Lage ist, einen Witz zu begreifen. Wer sich plakativ von allen Formen des Rechtsextremismus distanziert, der will ausdrücken: Ich meide all diejenigen, die ich persönlich für Nazis halte – ob sie es objektiv sind, spielt in dieser Zeit voller Emotion, Betroffenheit und Gefühlsseligkeit keine große Rolle. Insofern kann es freilich sein, dass auch dieser kurze Text als eine der vielen Formen des Rechtsextremismus gelten könnte. Wenn da draußen es auch nur einer »der Guten« so fühlt, muss es wohl so sein …
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wie Kommunis und auch Sozialismus …
Für Sozialismus gibt es keine Wissenschaftlichen Modell , und Kommunismus gab es noch niemals, und ist auch nicht auf absehbare Zeit zu erwarten.
Mainstream dreht sich halt alles wie Sie es brauchen..
Und das stört mich an der AFD primär, alles Grüne als „Sozialismus “ hinzustellen, obwohl Grün doch eher für das Gegenteil davon steht .
Sie verblöden die Menschen..
Das Problem mit dem CO2 und dessen Auswirkungen aufs Klima passt halt zu keiner klassischen politischen Ideologie.
Wahrscheinlich gehen deswegen die ganzen Ideologen so steil, bis hin zur Physikleugnung, auf dieses Thema.
Dass es eine Floskel ist – geschenkt.
Das Unverständnis ist allerdings albern. Prügelnde Nazis, brüllende Demonstranten, Opa auf dem Familienfest, Forderung nach Remigration von allen Nichtdeutschen – alles ein Rechtsextremismus in unterschiedlichen Formen. Eigentlich ganz einfach.
Bemerkenswert ist, was alles unter „Rechtsextremismus“ fallen soll und dass die Sprecher offensichtlich auch gegen völlig legale Formen von Rechtsextremismus sind.
Es ist doch ganz einfach, rechtsextrem ist, was Nationalisten und dem Kapital dient und der Masse der Bevölkerungen schadet. Und nun überlegen wir mal, wie sich unsere letzten Regierungen positionierten und positionieren.
FdH statt RDL.
Schätze, „rechtsextrem“ ist das aktuelle Wording für: „irgendwie böse“.
Wie genau, darauf will man sich dann lieber gar nicht so konkret drauf festlegen.
Das korrespondiert ganz gut mit dem neulinken „irgendwie-gut-sein“, die auch nicht so genau wissen wollen, inwiefern konkret sie denn wohl besser sind.
Links, dass war mal Interessenpolitik für die Unterprivilegierten,
so wie rechts das Beharren der Privilegierten war, verbunden mit der Rechtfertigung dieser Privilegien.
Gegen alle Formen des Lapuentismus!
👍
*****
Ich habe immer öfter den Eindruck, Herr De Lapuente übt hier schon mal für eine Fortsetzung seiner beruflichen Laufbahn bei Tichys, Kontrafunk etc.
Von der offensichtlich autotherapeutischen Intention dieser Art Artikel mal ganz abgesehen.