Warum haben wir immer die Tendenz, andere verantwortlich zu machen?

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Es scheint mehr als menschlich, auf andere zu zeigen, wenn es darum geht, einen Schuldigen zu benennen.

Ich brauchte um die 40 Jahre um mir einzugestehen, dass vielleicht auch und gerade mein Verhalten Ursache des aktuellen Dilemmas ist. Ich bin Teil dieser Welt, actio = reactio, von nix kommt nix. Ich bin somit Teil des Problems und vielleicht auch Teil der Lösung.

Fühlen wir uns schuldig, aber wollen vermeiden, dass ein Urteil über uns gesprochen wird?

Woher kommt dieser unbändige Drang von Massen, martialische Hinrichtungen durchzuführen und zu genießen? Der letzte war wohl Gaddafi, der medial und real so ermordet wurde. Man sah es auch bei dem Bild, wie Hillary Clinton, die geheime Exekution von Bin Laden mit Genuss verfolgt.

Es jagt mir Schauer über den Rücken, wenn sich Massen an Exekutionen weiden, sie gar als Volksfest zelebrieren. Egal ob in früherer oder späterer Vergangenheit. Der Tod ist etwas Endgültiges. Und er sollte, soweit möglich schnell erfolgen und mit Respekt für das gelebte Leben. Wer sich an Qual weidet, der kann sich mit Katzen auf eine Stufe stellen, die haben eine wahre Obsession ihre Opfer so lange als möglich zu quälen. Um ihre Jagdstrategien zu optimieren. Kann man so machen, aber kann man sich dann noch Mensch nennen?

Abgründe

Man muss sich doch fast fragen, wieviel Leid, wieviel persönliche Schuld, wird hier auf ein Opferlamm projiziert? Und warum sind die Massen in solchen Situationen so unmenschlich? Sind sie keine Menschen? Oder sollten sie sich anders nennen?

Und vor allem, wer von denen, die eine Exekution feiern (Hängt ihn höher!, Vierteilen!) ist frei von Schuld?

Monty Python hat das recht witzig mit dem Verkauf von Steinen an bärtige Frauen für die Steinigung dargestellt.

Welche Abgründe haben sich in diesen Menschen angesammelt und vor allem, warum hat niemand etwas bemerkt oder dagegen unternommen?

Abgesehen davon, wirkliches Leid kann nur durch Leben erfahren werden. Der Tod verkürzt den Prozess.

Auch ich, Primat der ich bin, sehe mich, in letzter Zeit öfter, von Gewaltphantasien geplagt. Gegen jene, die den Menschen zur Ware machen. Die dem Menschen alles nehmen, was noch menschlich genannt werden kann. Und dann werde ich noch brutaler und wünsche ihnen ein Leben, in dem sie ihre Schuld abarbeiten, und sei es bei der Spargelernte. Weit weg von Macht sollen sie erfahren, wie es ist zu leben. Freundliche Menschen um sie herum, die sie vielleicht insgeheim bedauern, aber hilfsbereit bleiben. Menschen, die das Gegenteil von dem verkörpern, was diese Personen dargestellt haben. Die sie den Wert und die Tragik des Lebens zu schätzen lernen.

Ich, IT-Edelnutte

Und dann spiele ich Games in denen ich der faschistische Diktator bin, weil es einfach billiger ist, Arbeitskräfte in den Tod zu schicken, als teure Kämpfer (Spellforce) – zum Beispiel. Gibt wenig Spiele und noch weniger Optionen in den Spielen, ein interessantes Ende herbeizuführen. Es kommt immer erst Töten und Plündern vor miteinander Reden. Kenne kein Spiel, in dem man einen entbehrlichen NPC, eine virtuelle Human Ressource, danach fragen könnte, ob er das will oder was er will.

Aber das lenkt nur ab. Denn, wenn man es genau nimmt, wer hat eigentlich ermöglicht, dass Personen an die Macht kamen, die nicht damit umgehen können? Wer hat durch Stillschweigen mit dazu beigetragen, dass die Situation so ist wie sie ist? Wer hat durch blinde Hoffnung blanken Hass ermöglicht? Das waren doch nicht die Witzfiguren und Statthalter, heute sagt man Politiker, die jetzt an den Hebeln der Macht sitzen?

Wer hat zum Wohl der Kinder oder des eigenen Wohls nicht in den sauren Apfel gebissen und ist nicht Kompromisse eingegangen, die er eigentlich nie eingehen wollte? Wer ist frei von Schuld?

Wenn wir von Exekution sprechen, der ultima ratio, dem willentlich herbeigeführten Ende einer Existenz, müssen wir auch von Schuld sprechen, so wie Kapitalismus ohne Faschismus nicht gedacht werden kann.

Wenn der Tod einer Person nur der Befriedigung von Sühnebedürfnissen dient, ist Schuld das einzige Kriterium. Müssten wir dann nicht alle auf dem Scheiterhaufen brennen, ohne Garotte oder Gift?

Und wer macht sich schuldiger? Der, der zulässt, dass ein Mensch, der nicht geeignet ist, an die Schaltstellen von Macht kommt oder die Witzfigur, die dann sagt, naja, ihr habt es doch so gewollt? Wer mag sich hier zum Richter aufschwingen? Mit der Gefahr selbst gerichtet zu werden?

Doch was wären jene die Unrecht befehlen, ohne jene die Unrecht ausführen? Oder zulassen?

In diesem Sinne bekenne ich mich schuldig. IT-Edelnutte herzloser Konzerne. Mehr ist nicht zu sagen.

Michael Lindenau

Michael Lindenau ist zuerst Mensch und vielseitig interessierter Erdenbürger. Auf dieser Grundlage versucht er die Welt zu verstehen. Seine Websites: https://toent.ch/ sowie https://soundcloud.com/trash-and-the-can/sets/trash-the-can-and-friends.
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7 Kommentare

  1. „Michael Lindenau ist zuerst Mensch und vielseitig interessierter Erdenbürger. In diesem Sinne bekenne ich mich schuldig. IT-Edelnutte herzloser Konzerne. Mehr ist nicht zu sagen.“

    Und für Ihre Menschlichkeit finden Sie neben Ihren Projekten noch genügend Zeit ? Wird Ihnen dabei als ausgewiesner Erdbürger nicht schwindelig? Schon meine Oma pflegte zu sagen: Schweizer sind und bleiben die anständigsten Gutmenschen.

    Intersys AG:

    Oracle Consulting RAC, DBA, 19i

    Swisscom AG:

    E+ FR Adapter Financial Risk (Wartung und Weiterentwicklung des ETL Financial Risk Adapters)

    PTA GmbH (im Auftrag von Roche AG):

    Projekt cobas IT middleware (cITm) (Wartung und Weiterentwicklung eines Roche Laborinformationssystems)

    Projekt HAS (High Availibility Service) (Wartung und Weiterentwicklung des High Availibility Services für Roche Laborinformationssysteme)

    Projekt cobas IT 5000 (Wartung und Weiterentwicklung eines Roche Laborinformationssystems)

    Aargauische Kantonalbank:

    Fokus (Umstellung der Kernbankensoftware auf Avaloq und des IT-Dienstleisters)
    Data Warehouse (Erstellung und Pflege von DWH Reports), Fachzenter Enterprise Management (Leitung des Fachzenters Enterprise Managements)

    Credit Suisse:

    Credit MIS (Datawarehouse zu Kreditrisiken im Private Banking)

    Swisscom AG:

    SBB Opus (Automatische Hardware-Administration, Konfiguration und Installation für SBB Verkaufstellen)

    DHL Information Services:

    NPS Factory (Generalisiertes Neues Produktions System für Logistik-Terminals)
    NPS Integration (Schnittstellen und Service Design und Implementierung – EAI)

    Deutsche Post:

    DP IDED (Ist-Daten-Erfassung der Depots im Logistikbereich)
    DP STELN (Dispositionssystem für den Express-Logistikbereich)
    DP KOSTEN (Datawarehouse zur Kostenerfassung des Express-Logistik-Netzes)

    1. Nett, die Zusammenstellung, findet man aber auch auf meiner Website. Abgesehen davon, was möchten sie damit sagen?

      Mit den Jobs habe ich grössere WGs über die Runden gebracht, von denen mancher oft nicht das Geld für Miete hatte, meinen Kindern Ausbildung ermöglicht, nebenbei noch Musik gemacht, als es mir gesundheitlich noch möglich war, wie auch andere Kunstprojekte. Menschlichkeit gibt es übrigens auch im Job, im Miteinander der IT-Nutten und anderer die sich prostituieren für Geld.

      Insofern, weiss immer noch nicht, was sie damit sagen wollen.

      Lieber Gruss

      P.S.: Bin Urdeutscher, schlag von Lindenau in Wikipedia nach. Hab mittlerweile noch ne extra Schweizer Staatsbürgerschaft.

  2. Ob es nicht einfach diese moralische Denke ist? Schuld verteilen zu wollen (ob an andere oder an sich selbst, scheint mir zweitrangig), anstatt nach Ursachen/Mechaniken/Wirkungen zu fragen?
    Wenn man sich hat erzählen lassen, man wäre wer weiß wie aufgeklärt, fallen einem die eigenen Varianten des Teufelsglaubens eben nicht mehr auf.

    1. Naja, das ist ja eigentlich mein Conclusio, durch offene Fragen formuliert, nicht durch Antworten. Wenn alle schuldig sind, ist Schuld nebensächlich, genauso wie Schuldzuweisungen. Verantwortung ist etwas anderes. Bedeutet sich über Ursachen, Mechaniken und Wirkungen zu verständigen.

      Lieber Gruss

      1. Ich hatte auch eher auf die Frage in der Überschrift reagiert und den Text dann quergelesen … meine Schuld (scnr).

        Wenn alle schuldig sind, ist Schuld nebensächlich, genauso wie Schuldzuweisungen

        Na ja, die moralische Denke erfüllt ja durchaus einen Zweck (wenn auch keinen schönen). Erstens kann man sich mit diesen Schuldfragen endlos beschäftigen, während „der Laden“ läuft wie geschmiert. Und wie sich zweitens in den letzten Jahren zeigt, kann man mit diesem praktischen Konzept sogar nach Herzenslust morden: Dass UNSCHULDIGE zu Tode gekommen sind, findet noch jeder ganz empörend, anstatt sich über das Konzept zu empören, irgendein Mensch bräuchte irgendeine Zusatzqualifikation, um nicht zum Abschuss freigegeben zu sein. Falls mein Gedanke da verständlich ist. Die Rede von den Unschuldigen bedeutet nichts anderes als: Schuldige können a) frei definiert werden und b) weg.

  3. Ich brauchte um die 40 Jahre um mir einzugestehen, dass vielleicht auch und gerade mein Verhalten Ursache des aktuellen Dilemmas ist.

    Sie haben ja durchaus interessante Beiträge, Herr Lindenau, aber diese Selbstgeißelung schmeckt mir überhaupt nicht. Sie ziehen sich meines Erachtens immer zu viel runter. Das stieß mir schon in Ihrem April-Beitrag „Bekenntnisse eines Feiglings“ auf. Bitte nicht falsch verstehen oder als Angriff sehen – ich mag das bloß einfach nicht.

    Und für mich ist es schlicht so: Derjenige, der „Nein!“ zu diesem ganzen Irrsinn sagt, derjenige der aufsteht und gegen die Masse, gegen das System, stellt und – selbst im kleinsten Rahmen, selbst durch bloßes Armeverschränken – widersetzt… derjenige ist der allerletzte, der hier feig ist. Sie sind nicht feig. Feig ist derjenige, der mittrottet und mitschießt. Feig und ausgesprochen dumm ist der Soldat, der im Bunker mitsitzt, wenn die Granaten und Kartätschen einschlagen. Setzte sich ein Löwe freiwillig in den Bunker? Ein Hund? Ein Schaf? Ein Delfin? Nein – jedes Lebewesen würde doch sofort versuchen diesem Irrsinn zu entkommen und ausbrechen. Was denken Sie, warum Tiere, wenn sie ein Erdbeben oder ähnliche Katastrophen nahen spüren, sich sofort in Sicherheit zu begeben suchen? Weil sie feige sind? Nein, weil sie schlau sind. Weil sie etwas bemerkt und verstanden haben. Nur der Mehrheitsmensch, der Massenmensch, der lebensunwillige, lebensverneinende Habenwill-Mensch und zugehörige Priester-Ideologien, die glauben noch immer, dass Mittrotten die beste Lösung ist. Und das Blut mit Blut abgewaschen werden könne. Aber es gibt eben noch genug andere – Kollektivgeißelung ist daher fehl am Platz.

    Aber ich schweife ab – ich wollte das bloß mal noch als Antwort geben. Eigentlich wollte und sollte ich einen Artikel draus machen, aber das ging sich einstweilen noch nicht aus.

    Fühlen wir uns schuldig, aber wollen vermeiden, dass ein Urteil über uns gesprochen wird?

    Schuldigfühlen ist moralisches Anpatschen, Anschwärzen. Das mag man in der Gesellschaft früh – von Eltern, Kirche, Schule, Staat… – eingetrichtert bekommen. Aber das braucht keiner. Schuld ist ein moralisches Konstrukt, das in Hierarchien verankert ist: Wer Schuld zuschreibt, erhebt sich über andere. Die Lehrer, Eltern, Bürokraten… versuchen Ihnen Schuld zuzuschieben, versuchen Sie zu beschämen, wenn Sie mal ein Jota abwichen und für einen Moment zu sein versuchten. Sie selbst, der Michael Lindenau, zu sein versuchten. Doch wer ist denn Ihr (moralischer) Richter? Wer setzte ihn in Amt und Würden? Haben Sie ihn legitimiert – und mit was? Oder ist das eine äußere Instanz, die meint, sie könne über Sie bestimmen? Wer hat die legitimiert? Und wieso lassen Sie (noch immer) zu, dass die in Ihrem Leben herumfuhrwerkt und versucht Sie nach irgendwelchen kruden Maßstäben und Glaubenssätzen zu erziehen? Warum lassen Sie zu, dass diese Type sich über Sie erhebt? Lesen Sie bitte Mark Aurel oder Epiktet – und machen Sie sich frei von den Worten und Geboten anderer. Das sind nur Worte, Lautäußerungen oder gedruckte beziehungsweise auf flimmernden Bildschirmen erscheinende Striche. Was kümmert das Ihr Selbst?

    Wenn Sie finden, dass Sie irgendwo einen Fehler gemacht oder falsch gelebt haben – dann meldet sich ein Nervenzellbündel in Ihrem Kopf und eröffnet Ihnen eben eine andere Perspektive. Die können Sie abwägen und vielleicht die Auffassung teilen, dass Sie da und dort daneben lagen – oder auch nicht. Dann können Sie feststellen, dass das doch nicht so war und diesen Gedanken wieder verwerfen. Machen Sie sich nicht selbst zum Richter und Henker Ihrerselbst. Hängen Sie sich keinen Mühlstein um den Hals, wo es nicht notwendig ist.

    Und – selbstverständlich können Sie das auch auf meinen Sabbel anwenden. Ich bin auch nicht Ihr Richter, schon gar nicht Ihr moralischer. Ich stelle bloß meine Meinung und Beobachtung ein, da Ihr Text ein fragender in meinen Augen ist und ich mir daher die Erlaubnis rausnehme Antworten einzustellen. Ob Sie mit denen etwas anfangen können, ist Ihnen überlassen.

    Woher kommt dieser unbändige Drang von Massen, martialische Hinrichtungen durchzuführen und zu genießen?

    Das kann man heute kurz abhandeln. Lektüretipps:

    Fromm, Erich:

    Die Furcht vor der Freiheit

    Anatomie der menschlichen Destruktivität

    Haben oder Sein

    Gerne auch noch Gruen – etwa Der Wahnsinn der Normalität – und andere. Aber für den Anfang muss man es ja nicht gleich übertreiben, sind schon vier Schinken für den Nachttisch.

    Auch ich, Primat der ich bin, sehe mich, in letzter Zeit öfter, von Gewaltphantasien geplagt.

    Sie sind ein Mensch, Herr Lindenau, kein Primat. Und Gewaltphantasien mögen aufkommen – dann machen Sie sich diese bewusst, lassen Sie sie die Gedanken zu. Hat jeder mal. Und legen Sie sie dann in die geistige Ablage P. Auch das nur als Ratschlag – nicht als Gebot. Verzeihen Sie bitte, wenn ich heute etwas übergriffig-touchy bin.

    Und dann werde ich noch brutaler und wünsche ihnen ein Leben, in dem sie ihre Schuld abarbeiten, und sei es bei der Spargelernte.

    Sühnejustiz statt Strafjustiz. Die Diskussion gab es unter meinem Artikel letztes Jahr hier.

    Weit weg von Macht sollen sie erfahren, wie es ist zu leben.

    Macht gehört überwunden. Und Überwachen und Strafen bringt nichts – befriedigt nur atavistische Reflexe und Rachegelüste. Die sind freilich auch nur Ausdruck von Habenwill. Nämlich: Will Rache haben. Braucht’s nicht.

    Gibt wenig Spiele und noch weniger Optionen in den Spielen, ein interessantes Ende herbeizuführen. Es kommt immer erst Töten und Plündern vor miteinander reden. Kenne kein Spiel, in dem man einen entbehrlichen NPC, eine virtuelle Human Ressource, danach fragen könnte, ob er das will oder was er will.

    Wie wäre es mit dem „freies Bauen“-Modus in Stronghold (2001)? Ambiente: hier

    „Guten Morgen, eure Lordschaft. Keine Steuern sind gute Steuern, das ist meine Devise.“

    „Der Kornspeicher ist voll, eure Lordschaft.“

    „Ihr werdet als der gütigste Mann des ganzen Königreichs verehrt, Euer Gnaden.“

    Und natürlich:

    „Schlagt die Trommel, blast das Horn! Altlandrebell ist im Anmarsch, direkt von vorn.“

    Denn, wenn man es genau nimmt, wer hat eigentlich ermöglicht, dass Personen an die Macht kamen, die nicht damit umgehen können? Wer hat durch Stillschweigen mit dazu beigetragen, dass die Situation so ist wie sie ist? Wer hat durch blinde Hoffnung blanken Hass ermöglicht? Das waren doch nicht die Witzfiguren und Statthalter, heute sagt man Politiker, die jetzt an den Hebeln der Macht sitzen?

    Nein, das waren die Leute, die freiwillig sogenannte „Bürger“ geworden sind und für ihren geliebten Staat ebenso freiwillig Kopf und Kragen riskieren, ihr letztes Hemd geben und sich an jeder x-beliebigen Front – ob Kriegsfront, Pflegefront, was auch immer – verheizen lassen. Diejenigen, die durch Wählengehen zur Legitimierung der Verhältnisse beitragen. Diejenigen, die lieber ihre Nachbarn bepöbelten und bespuckten, als jene das Sakrament der Impfung ablehnten.

    Diejenigen, die zu feige waren und die schlicht Furcht vor der Freiheit kennzeichnet.

    Diejenigen, die sich stolz „Deutsche“ nennen – und die lieber einen „Stolzmonat“ haben anstelle auch nur fünf Minuten zu sein.

    Die Liste ist lang. Und die darauf stehen haben es ermöglicht, Herr Lindenau, und die ermöglichen es weiterhin. Lesen Sie es bitte bei Olga Misař nach:

    Das Volk selbst ist ja der Faktor, der die Kriege wirklich führt, und daher hat es auch die Macht in der Hand, diesen Dienst zu verweigern. Die Diplomaten können nur Kriege beschließen, die militärischen Machthaber können Marschbefehle erteilen – wenn aber das Volk den Gehorsam versagt so wird nicht gekämpft und die Diplomaten hätten höchstens die Möglichkeit, ihre Kriege untereinander auszukämpfen.

    Aber sind die deshalb „schuld“? Das ist moralischer Sabbel. Besser ist eine praktische Lösung, die die Verhältnisse adressiert. Und deshalb – @ Monotoner passen Sie gut auf – jetzt noch eine weitere starke Frau. Nämlich Henriëtte Roland Holst:

    Streikende Masen trachten ihren sozialen [!] Gegnern nicht nach dem Leben. Sie wollen diese weder verwunden noch verstümmeln, auch wollen sie nicht – allenfalls als Ausnahme – das Eigentum dieser Gegner beschädigen oder vernichten. Der Angriff richtet sich nicht physisch gegen die Mitglieder der besitzenden Klasse, sondern ausschließlich gegen ihre gesellschaftlichen Einrichtungen, gegen ihre gesellschaftlichen Institutionen. (…) Je mehr es dem Proletariat gelingt, die staatliche und ökonomische Organisation des Kapitals zu lähmen, desto mehr wird es dessen frühere ökonomische und politische Funktionen übernehmen.

    Und noch extra für @ Two Moon:

    Ein wirklich leistungsfähiger totalitärer Staat wäre ein Staat, in dem die allmächtige Exekutive politischer Machthaber und ihre Armeen von Managern eine Bevölkerung von Zwangsarbeitern beherrscht, die zu gar nicht gezwungen zu werden brauchen, weil sie ihre Sklaverei lieben.

    Er wird wissen, von wem das stammt. 😉

    Wenn der Tod einer Person nur der Befriedigung von Sühnebedürfnissen dient, ist Schuld das einzige Kriterium. Müssten wir dann nicht alle auf dem Scheiterhaufen brennen, ohne Garotte oder Gift?

    Nein, müssen „wir“ nicht. „Wir“ schon gar nicht – wer ist denn dieses ominöse „wir“? Ich fühle mich da überhaupt nicht von angesprochen. Und ich lasse mich hier auch von niemanden in irgendein krudes Zwangskollektiv eingemeinden.

    Ansonsten ist Ihre „Exekution als „ultima ratio““ ebenso wie das Schuld-Konstrukt ein grundlegend falscher Ansatz. Der reproduziert einfach nur die gewaltsamen Strukturen, aus denen der ganze Schlamassel hervorgeht. Ich sage es nochmals: Schuld und Strafe sind Werkzeuge zur Herrschaftssicherung der Mächtigen und ganz sicher keine Wege zur Befreiung oder Heilung einer Gesellschaft.

    Es kann ergo nicht darum gehen irgendeine „Schuld“ zu verteilen, sondern einzig darum. Bedingungen zu schaffen, in denen keine Gewalt, keine Herrschaft und keine „richterliche Instanz“ – ob innerlich oder äußerlich – mehr nötig sind. „Keine Herren, keine Sklaven!“ wie @ Monotoner zu sagen pflegt.

    Statt also zu fragen, wer Schuld trägt und sich mit der neunschwänzigen Katze zu geißeln, muss es darum gehen wie man aus diesen Denk- wie Gewaltspiralen herauszukommt. Es gilt Selbstverantwortung wahrzunehmen und den Ausgang aus der Unmündigkeit und Unfreiheit zu finden. Und diese Befreiung findet man ganz sicher weder in moralischer noch in blutig-physischer Abrechnung, sondern nur im Aufeinanderzugehen, -zuhören und der Schaffung jener Bedingungen, die ich heute Nacht unter dem anderen Artikel ausgewälzt habe.

    Ansonsten bleibt Ihr „Sind wir nicht alle schuldig“ eine pseudo-philosophische Schlaufe, die Resignation befördert und die tatsächlichen Probleme ignoriert. Sie suggerieren da so eine Art „symmetrische Verantwortung“ – statt einer systemischen! – und setzten die Unterdrückten mit den Unterdrückern und ihren Helferhelfern gleich. Das ist victim-blaming ist und obendrein ignoriert es die systemische Komponente bei der Gewalt. Ich bin kein Unterdrücker, ich laufe nicht mit und andere tun es auch nicht. Diese binäre oder alle kollektivierende Schuldzuweisung ist einfach zu ignorieren – an die Strukturen muss man ran! Jeder kann durch Verweigerung die Kette des Unrechts unterbrechen! Niemand muss mitlaufen, schon gar nicht freiwillig. Und die Kollektivschuld kann in die Ablage P.

    so wie Kapitalismus ohne Faschismus nicht gedacht werden kann.

    Da kann Ihnen der Mitforist @ Krim mehr dazu sagen, warum dieses Gleichnis nicht sonderlich taugt. Den Diskurs muss ich nicht nochmals abtippen.

    Kapitalismus wie Faschismus sind schlicht beides Unterdrückungssysteme aber sie können sehr wohl ohne einander existieren. Was sie eint, ist, dass sie Gewalt zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz benötigen. Ich konzediere freilich, dass Kapitalismus durchaus in faschistoide Kontrollmechanismen münden kann. Auf jeden Fall liegt aber die Lösung liegt nicht in der Akzeptanz irgendeiner „ultima ratio“, sondern in der gewaltfreien Abschaffung der bestehenden Verhältnisse. Ob sie kapitalistisch, faschistisch oder feudal oder was auch immer sind.

    Mehr ist nicht zu sagen.

    Nun – ich habe aufzuzeigen versucht, dass es da noch jede Menge mehr dazu zu sagen gab und gibt. Jetzt muss ich mich aber noch um anderes kümmern und dann vielleicht, wenn’s sich zeitlich ausgeht, den Leuten unter dem anderen Artikel zurückschreiben.

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