Nancys Lächeln

Series: Reagan White House Photographs, 1/20/1981 – 1/20/1989Collection: White House Photographic Collection, 1/20/1981 – 1/20/1989, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Nancy Faeser und Hubertus Heil haben gelacht. Auf einem Balkon in Kiew. Mitten im Kriegsgebiet. Hat irgendwer den Aufschrei der Medien vernommen? So wie damals bei Armin Laschet?

Da standen sie nun vor einigen Tagen, die beiden Minister der Zeitenwendeampel. Auf dem Balkon der deutsche Botschaft in Kiew nämlich. Neben ihnen einer der Klitschkos und eine Dame, die sich als deutsche Botschafter*in herausstellte. Alle sieht man sie mit einem Gläschen Sekt in der Hand. Faeser lacht ausgelassen. Heil für seine Verhältnisse auch. Dürfen die das, so mitten im Kriegsgebiet? Muss man dort nicht durchweg ein betroffenes Gesicht machen?

Genau das war vor ziemlich exakt einem Jahr Thema in diesem Lande. Das Kriegsgebiet lag damals im Ahrtal. Gelacht hat damals Armin Laschet. Nicht auf einem Balkon. Und auch ohne ein Glas Perlwein in der Hand. Er lachte nicht mal so, dass alle Welt ihn sehen konnte – nur im Hintergrund. Dummerweise hielten Journalisten drauf, der Kanzlerkandidat wurde nicht aus den Augen gelassen. Laschet postete seine Ausgelassenheit auch nicht in den Netzwerken – das übernahmen andere für ihn. Leuten, die ihm seinen Fehler darlegen wollten. Ausgelassen in dem Sinne war er auch nicht – er hat nur einfach nur gelacht.

Quintessenz des Menschseins

Aber schon das war zu viel für den neuen schicken Moralismus im Lande. Also regte man sich landauf landab auf. In den Netzwerken sowieso. Aber auch die Medien stiegen mit ein. Damals habe ich an anderer Stelle festgehalten, dass so ein Lachen im Krisengebiet nun gar nicht ganz so verwerflich ist. Die menschliche Natur sei schließlich irrational. Wie viele Beerdigungen gäbe es schließlich, wo man danach zusammensitzt, es sich gut gehen lässt und lacht?

Seinerzeit schrieb ich, dass man als Mensch beides zugleich sein könne: Traurig und belustigt. Das sei gewissermaßen die Grundlage der menschlichen Tragödie. Das Zusammenspiel dieser beiden Extremregungen mache nicht nur dem menschlichen Reiz aus, sondern sei eben auch als die Quintessenz des Menschseins anzusehen. Laschet könne man vieles zum Vorwurf machen: Aber dafür, dass er auch nur Vertreter dieser schrecklich irrationalen Gattung namens Mensch sei, könne man ihn nun wirklich nicht tadeln.

Gelacht wird überall wo Menschen sind. Selbst in den schlimmsten Stunden. Es gibt Berichte von Witzen in Gefangenschaft und Unterdrückung. Persönlich erinnere ich mich an Szenen am Sterbebett eines Verwandten, an dem wir auch lachten. Wir schlugen uns nicht auf die Schenkel vor Freude, aber der Drang, etwas zu belachen, was es verdient: Der war nicht einfach abgeschaltet. Waren wir deshalb schlechte und unsensible Menschen?

Das Lachen wirkt in solche Situationen sicher unterschiedlich. Bei manchen ist es eine Übersprungshandlung. Bei anderen ein Ventil, um der Ausweglosigkeit des Augenblicks zu entfliehen. Aber menschenverachtend oder gar teuflisch ist es selten gemeint, wenn Menschen in solchen Momenten lachen.

Moralistische Mucker

Als ich nun Faeser und Heil in Kiew sah, lachend auf diesem Balkon, spürte ich einen Moment lang auch ein dumpfes Gefühl: Da ist Krieg, nach eigenen Angaben der schrecklichste Krieg seit mindestens 1945, ein Vernichtungskrieg geradezu – und die lachen. Soll man da nicht wütend werden? Aber andererseits: Ich dachte an Laschet – und die kleinkarierte Stimmung, die seinerzeit herrschte.

Damals waren es mal wieder die Pietisten und Puritaner, die ihre große Stunde feiern durften. Das Muckertum hatte Konjunktur. Sie beäugen ja stets alles ganz genau, betrachten die Mimik, hören dem Gesagten fünf-, sechs-, achtzigmal zu, ob da nicht was war, was man beanstanden könnte. Gibt es was, woran man sich hochziehen kann? Social Justice Warriors nennt man diese Form des nerdigen Muckers in den Vereinigten Staaten. Mit sozialer Gerechtigkeit haben sie aber nichts zu tun.

Diese Menschlichkeitskrieger haben keinen Schimmer von dem, was Menschsein ausmacht. Nämlich nicht perfekt zu sein, Fehler zu machen, unscharfe Konturen zu haben und eben auch mal dann zu lachen, wenn es einem zu weinen zumute ist. Es sind Moralisten, durch die Omnipräsenz der Mediokratie zu Frömmler gewordene Teile einer Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft. Sie berauschen sich an der Wiederholung von Szenen und an Ausschnitten und richten ihren moralisch verbissenen und streng manichäischen Blickwinkel darauf.

»Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.« Dieser Satz stammt aus einer Komödie von Terenz: Die Sentenz ist dazu geeignet, von vorschneller Moralisierung abzusehen. Und im Falle unserer zwei Superminister, die sich mitten ins Herz des Krieges aufmachten, sollte diese Einsicht auch Geltung haben.

Die Minister in Kiew haben gut lachen

Eigentlich. Wer einem Laschet Nachsicht erteilt, der muss auch in diesem Falle Abstriche an seiner Kritik machen. Und ich war wirklich gewillt dazu. Nur gab es gar keine große Aufregung. Klar, in den sozialen Medien gab es ein Shitstürmchen. Mehr aber nicht. Aber im Spiegel, beim ZDF oder etwa im grünen Heeresblatt, in der GröTaz: So gut wie nichts, bestenfalls zögerliches Nachfragen, was da los gewesen sei. Was haben die sich damals doch am Kanzlerkandidat abgestrampelt. Und jetzt tut es kaum was zu Sache?

Dass das vor einem Jahr eine Kampagne gegen den CDU-Kandidaten Laschet war, vernahm man dazumal gelegentlich. Schon seit Wochen hatte man seinerzeit den Eindruck, dass die Massenmedien Annalena Baerbock und im Schlepptau Olaf Scholz hochschrieben. Jede Marginalie, die sich um die Person Laschets ergab und die auch nur ein bisschen Erfolg auf Skandalisierung versprach, wurde aufgeblasen. Laschets Lacher war der ganz heiße Shit vor der Bundestagswahl, die Laschet ins Hintertreffen geraten ließ.

Wie gesagt, auch Frau Faeser oder Herrn Heil hätte man das zugestehen müssen. Denn kleinlicher als die Regungen anderer einzuordnen, kann man eigentlich nicht sein. Aber es klang ja oben schon an: Laschet lachte irgendwo im Hintergrund. Er stieß mit niemanden an. Und er posierte damit auch nicht im Internet. Bei den beiden Ministerimitaten war die Szenerie durchaus kritischer zu betrachten. In einen Krieg einzureisen, von dem es heißt, er sei der schlimmste seit Menschengedenken, von dem der Eindruck vermittelt wird, dass die Russen auf alles schießen, was sich bewegt, um sich dann dort telegen zuzuprosten und anzubiedern: Das ist echt eine ganz andere Nummer.

Eine, die Beobachtung und Kritik verdiente. Die aber geflissentlich übergangen wurde. Wer an der Existenz von Doppelstandards zweifelt – und es gibt tatsächliche Naivlinge, die das tun -, kann sich diese kleine Geschichte des deplatzierten Lachens zu Gemüte führen, um vielleicht doch zur Erkenntnis zu gelangen: Okay, ja vielleicht gibt es tatsächlich zweierlei Maß. Wenn einem bei dieser Erkenntnis ein Lächeln über die Lippen huscht, sollte man lieber die Hand vor dem Mund nehmen. Denn Lachen ist in dieser Muckerrepublik nur im Keller oder auf Kiewer Balkonen genehmigt – und vielleicht noch, wenn Herr Lauterbach Stand-Up macht.

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16 Kommentare

  1. Warum sollten die da oben nicht lachen und saufen , wenn die da unten sich gegenseitig fleißig erschießen, obgleich die sich gar nicht kennen, und das zum Vorteil derer, die sich zwar kennen, aber sich nicht gegenseitig erschießen?

  2. Interessanter die Frage: was machen eigentlich die deutsche Innenministerin und der deutsche Arbeitsminister in der Ukraine?

    OK, letzterer freut sich vielleicht, dass wieder viele billige Arbeitskräfte – aus der Ukraine relativ gut ausgebildet – nach D-land migrieren, um weiterhin die Entgelte niedrig zu halten, schließlich will Olaf ja „Genosse der Bosse 2.0“ werden.

    Bei Frau Faeser mag es nur die allgemeine Freude sein, dass es endlich wieder total gegen Russland geht, und man noch nicht mal deutsche Bundesbürger ins Feld schicken muss…

    Einfach nur zynisch.

    1. Sieht man doch auf den Bild. Nichts anderes als jeder anständige deutsche Bauarbeiter (eine aussterbende Rasse – wird die von den Olivgrünen geschützt?) während seiner Arbeit auch macht – SAUFEN.

      Bloß der Bauarbeiter bezahlt sein Getränk selber. Deshalb habe ich ihn auch mit „anständig“ beschrieben.

  3. Eigentlich ein guter Text, dem ich vollumfänglich zustimmen kann . Aber ist es wirklich notwendig, immer noch darüber zu schreiben? Über die Schein- und Doppelmoral von Politikern ist schon so viel geschrieben worden. Macht korrumpiert. Sieht man ja auch an den Grünen von heute (im Vergleich zu den Idealen in ihrer Anfangszeit). Die LINKE ist leider auf dem selben Weg. Schlimm, das Ganze. Lisa Fitz hat schon 1990 ein Album veröffentlicht mit dem Titel: Geld Macht Geil. Nix Neues unter der Sonne also.

    Dazu fällt mir noch ein Gedicht von Bertolt Brecht ein.

    In den finsteren Zeiten
    Wird da auch gesungen werden?

    Da wird auch gesungen werden
    Von den finsteren Zeiten.

    Menschlich-Allzumenschlich. Was ich immer noch nicht weiß : WORÜBER haben die auf dem Balkon da denn eigentlich so gelacht?

  4. Ich weiß gar nicht, was der Artikel soll. Da wird bei Funktionsträgern was Menschliches entdeckt?
    Die Funktionen bzw. Funktionsträger sind, wenn sie nicht gerade angegriffen werden (als Menschen)selbst diejenigen, die über andere herfallen.
    Bei allen Spitzenpolitikern ist eine Spur der Verwüstung zu finden, auf ihren Weg an die „Spitze“.
    Ganz abgesehen davon, wer ist es denn, die Kriege gegen die da unten und im Ausland organisieren? Wer tritt denn für Frieden ein? Es ist schon ein bisschen schlicht, die Leute bei den Menschen einzureihen, immer gerade so wie es gebraucht wird. Hierzu: Prof. Dr. Maja Göpel
    https://www.youtube.com/watch?v=sV7DOGD_osg&t=456s

  5. Es ist schon putzig, siehe „Nancy Faeser, rechte Symbolik und ein Glas Sekt: Was zum Aufreger wird – und was nicht“ auf Telepolis.

    Es gibt schließlich auch noch andere Bilder von Faeser und Heil in der Ukraine, z. B. von ihrem Besuch in Irpin.

    Im Online-Portal der Tagesschau wurde folgende „Reportage“ veröffentlicht:

    „Zwischen Mitgefühl und Reformplänen“

    Von Michael Stempfle, ARD-Hauptstadtstudio, Stand: 26.07.2022 09:21 Uhr (… keine Ahnung, warum mein Gehirn dazu den Namen Relotius ausgekramt hat? Manche Sachen passieren einfach unbewusst.)

    Über dem Artikel schwebt ein Bild und die Macht der Bilder sollte man wirklich nicht unterschätzen.

    Was sehen wir auf dem Bild: 4 Personen, 2 mit unterschiedlichen Schutzwesten (Faeser und Heil) und 2 Personen ohne Körperschutz (warum auch immer – über die Gründe kann man letztendlich nur spekulieren). Zwischen Faeser und Heil steht lt. Metatext Anzhela Makeiewa – wie schon erwähnt ohne Weste, aber dafür mit einem durchaus aussagekräftigem T-Shirt mit der Aufschrift „Black Rifles Matter“ und einem Sturmgewehr in der Mitte.
    Was will uns die Dame damit sagen?

    Das T-Shirt kommt aus der Kleidersammlung und sie hat es aus der Not heraus getragen?
    Sie kann kein Englisch?
    Sie ist sich der Symbolik nicht bewusst? … und Faeser und Heil und deren Beratern war es offensichtlich auch egal?

    Fragen über Fragen.

    Es gibt noch einen Artikel bei der BZ:

    „Black Rifles Matter“: Scharfe Kritik an Nancy Faeser

    27.7.2022 – 22:33 Uhr

    Die haben darauf letztlich aber auch keine Antwort.
    Wie auch immer:
    so wird eine Diskussion zu den durchaus kritisch zu bewertenden Bildern mit trivialen Aufregern wie Champagner-Gate abgewürgt.

  6. Herr de Lapuente schreibt:
    „Schon seit Wochen hatte man seinerzeit den Eindruck, dass die Massenmedien Annalena Baerbock und im Schlepptau Olaf Scholz hochschrieben. Jede Marginalie, die sich um die Person Laschets ergab und die auch nur ein bisschen Erfolg auf Skandalisierung versprach, wurde aufgeblasen.“

    So ist es, und diesen Gedanken sollte man weiterverfolgen.

    Man stelle sich vor, heute hätten wir in der BRD eine CDSU-geführte Regierung. Was glauben Sie, wäre in diesem unserem Lande passiert, wenn ein Kanzler Laschet die „Zeitenwende“ verkündet und ein „Sondervermögen“ von 100 Mrd. Euro zwecks Aufrüstung dekretiert hätte. Wenn sie die PCK-Raffinerie in Schwedt ohne Not in den Orkus schicken würde, weil sie noch mehr sanktionieren will als die EU ohnehin schon. Wenn sie diesen unglaublichen Botschafter Melnyk so hofieren würde, wie sie es tat.

    Die Straßen wären voll von Friedensdemonstranten! Und zwar SPD und Grüne vorneweg!

    Und jetzt, da wir eine rotgelbgrüne Regierung haben? Nix!

    Die Grünen MUSSTEN an die Regierung kommen, sonst wäre die ganze Ukraine-Geschichte anders verlaufen. Das sind die zuverlässigsten Kriegshetzer, die im deutschen politischen Elfenbeinturm herumlungern, und ihre Wähler offenkundig gleich mit. Siehe Kosovokrieg, auch hier waren es die Grünen mit einer willfährigen SPD, die sich ganz locker ohne UN-Mandat, also völkerrechtswidrig, um die „regelbasierte Ordnung“ kümmerten.

    Wir wissen zumindest durch die RAND-Studien, dass der Ukraine-Konflikt mit langem Atem von westlicher Seite vorbereitet und forciert wurde. Meiner unbeweisbaren Ansicht nach ist die Regierungsbildung nach der letzten Bundestagswahl ein Bestandteil dieser Vorbereitung.

    1. Denken Sie ernsthaft, unter eine CDU-Regierung mit Merz, Röttgen, Söder & Co wäre irgendetwas anders? Halte ich für höchst unwahrscheinlich…

    2. Wie kommt man von einer 3,6-Planeten-konsumierenden-Wachstumswirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft ohne dabei in eine tiefe Krise zu geraten, die in einer Deutschland-1933-Situation mündet??
      siehe dazu auch: die TAZ-Vordenkerin Ulrike Herrmann über Kriegswirtschaft – https://youtu.be/L8msbQNR0BA

    1. Yep. Das Prinzip ist ja bekannt, spätestens seit „Only Nixon could go to China“: Ein politisches Ziel kann am effektivsten von der ihm politisch eigentlich ferner stehenden Kraft umgesetzt werden. Die halten den Protest der eigenen Leute klein genug. Meist konservative Ziele mit nominellen Linksregierungen (Ausnahmen bestätigen die Regel).
      Beispiele: Nixon/China, Rot-grün/Kosovokrieg & Hartz IV, Schwarz-gelb/Atomausstieg, Ampel/Zeitenwende.

  7. Das Bild ist doch rasch erklärt.
    Den Sekt hatte der Arbeitsminister mitgebracht, eine Flasche „Ukrainskoje“(4,99 € beim Marken-Discounter), die er im Dienstbotenkühlschrank seines Hauspersonals entdeckt hatte. Er hielt das für ein prima Gastgeschenk, so, wie man französischen Freunden vorzugsweise Camembert (0,59 € im nahegelegenen Supermarkt) mitbringt und italienischen Freunden Melitta-Kaffee (gerade für 4,85 € im Angebot).
    Die Innenministerin hatte als Gastgeschenk eine neongelbe Warnweste im Gepäck (2,95 € im Baumarkt). Sie interessierte sich für innovative Möglichkeiten, im Bedarfsfall Streitkräfte im Innern einzusetzen.
    Der Arbeitsminister wiederum, der in Deutschland Vollbeschäftigung und eine adäquate Bezahlung von Pflegekräften erreichen möchte, erkundigte sich beim Kiewer Bürgermeister nach den herausragenden ukrainischen Lohnmodellen und Modellen der sozialen Sicherung, die er gerne importieren möchte. Das Gelächter brach aus, als Herr Klitschko die aktuellen Zahlen nannte.

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