Körper am Bahnhof – Eine Weihnachtsgeschichte

Obdachlose auf einer Parkbank.
Bundesarchiv, Bild 102-11649 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Deutsche Bahnhöfe sind für viele Menschen ein Unterschlupf. Bis die gepanzerten Herren – und manchmal Damen – vom Sicherheitsdienst kommen.

Es begab aber sich zur besten Weihnachtszeit, als Besucher aus aller Welt auf den berühmten Christkindlmarkt strömten, dass ein Mann im Hauptbahnhof von Nürnberg auf einer Bank schlief.

Da kamen drei Häscher im Dienste der Bahn und fanden den Schläfer und erzürnten sich. Sie sprachen ihn an, er aber regte sich nicht. Da stießen sie ihn und weil er noch immer nicht reagierte, hieb einer von ihnen laut auf den Tisch an seinem Kopf und brüllte. Ein anderer aber schob die Füße des Schlafenden unsanft von der Bank. Da wurde der Schläfer wach und rieb sich die Augen und die Häscher redeten auf ihn ein.

Der Schläfer aber sprach: kein Deutsch und guckte müde und verwirrt, und die Häscher fragten ihn unwirsch, wo er denn hin wolle, und als er etwas murmelte, das wie »S-Bahn« klang – da hieß es, er solle sofort zum Gleis gehen und mit der nächsten Bahn verschwinden. Sonst fliegt er raus. Der Mann greift seinen Rucksack, starrt kurz auf sein Kleingeld und trottet davon.

Sogenanntes Sicherheitspersonal

»Es müsste doch so sein, dass jeder Mensch wenigstens irgendwohin gehen könnte«, sagt in Dostojewskis Verbrechen und Strafe der Säufer und schuldlos schuldige Versager Marmeladow. Für nicht wenige Menschen ist ein Bahnhof so ein Ort: immerhin trocken, immerhin warm und immerhin nicht völlig einsam. Aber heute sind sie vor allem Einkaufsbahnhöfe, die zauberhafte Shoppingerlebnisse rund um die Uhr versprechen und weil man zum Shoppen läuft und nicht sitzt, sind die Sitzmöglichkeiten an deutschen Bahnhöfen arg beschränkt.

Bloß niemand soll herumhängen, sich einfach nur aufhalten: No loitering heißt es in den USA mancherorts ausdrücklich; an unseren Bahnhöfen muss man mehr zwischen den Stühlen lesen. Die Sitzmöbel, die es gibt, sind in der Regel so gestaltet – mit Armlehnen und Schalen – oder so platziert – in großen Abständen –, dass man sich nicht darauflegen kann. Der Schläfer von Nürnberg hat eine seltene, geschwungene Bank genutzt; zusammengekauert passte er drauf.

Er ist eine von jenen Gestalten, für die die Gesellschaft buchstäblich keinen Platz hat, Teil einer Binnenmigration auf kleinstem Raum. Man kann diese alltäglichen Vertreibungen an jedem größeren Bahnhof beobachten. Zuständig dafür ist das sogenannte Sicherheitspersonal: gepanzerte Gestalten in grellgelben Westen, die mehr Scheu als Vertrauen wecken, vor allem aber einige Zweifel: Wessen Sicherheit ist hier eigentlich gefährdet? Ein Mann aus dem Ausland, vielleicht Ende vierzig, sehr mager und mit schlechten Zähnen, in schmutzigen Klamotten liegt er da mit einem kleinen Rucksack. Lautlos schlafend. Man ist geneigt zu sagen: Niemanden gefährdet der.

Unsere Photoshop-Armut

Eines wohl doch: den schönen Schein. Man kann nicht sagen, dass sich die herrschende Ordnung schwertue, das Leid in der Welt zu verarbeiten. Für alles gibt es Programme, Förderungen, Agenden und gute Absichten; es wird zur Zahl und es fließt Geld. Das so gezähmte Elend hängt dann vielleicht als wohldosierte Plakatkampagne an den Wänden des Bahnhofs: Eine Photoshop-Armut, meist weit weg, manchmal näher, aber immer im sicheren Abstand eines Spendenkontos.

Es liegen Welten zwischen solchen Bildern und diesen verwahrlosten Gestalten, den Obdachlosen, oft Migranten, den Drogenkonsumenten und ihren Dealern und wer noch alles als Wiedergänger des Systems Bahnhöfe zu Problembezirken macht.

Die Antwort darauf lautet immer öfter Uniform und Aufrüstung, Kameras und Zäune. Sicherheit ist ein Name dafür, Präsenz zeigen ein anderer und eben darum geht es: Präsent sein, da sein, Raum ausfüllen mit Körpern, Knüppeln, Pfefferspray und manchmal auch mit Schusswaffen. Dann herrschen die Gesetze der Physik, denn am unteren Rand aller Diskurse, Programme, Weltanschauungen und Agenden liegen die Körper: solche, die verdrängen und solche, die verdrängt werden. Und je umfangreicher, je greifbarer das Elend, oder was immer sonst als Störung und Belästigung erfasst wird, desto gröber werden die Mechanismen, die es begrenzen sollen. Dass die Bahn als de-facto-Staatskonzern hier andere Akzente setzt, muss ein naiver Wunsch bleiben.

Guter Vorsatz: Körperlicher werden

Dennoch: Wäre es so schwer gewesen, einen offensichtlich elenden Menschen hilfsbereit und freundlich zur Bahnhofsmission zu geleiten? Dafür ist sie da! Dass die Bahn ein dysfunktionaler, inkompetenter und korrupter Laden ist, der Milliarden an Steuergeldern verschlingt, um uns dann stundenlang in der Kälte stehen zu lassen – daran haben wir uns gewöhnt. Dass sie auch noch herzlos und unmenschlich wird, daran darf man sich nicht gewöhnen.

Aber was ist denn mit dem Beobachter? Hat er nicht auch einen Körper, eine Stimme? Hätte er sich nicht einbringen können in das Spiel der Kräfte in Uniform? Viel zu sehr hat er sich daran gewöhnt, Systeme anzuklagen, Strukturen zu kritisieren, soziale Kälte zu sehen und Neoliberalismus zu beschuldigen, gute Absichten zu haben und dabei die Physik des Sozialen um ihn herum zu ignorieren. Das könnte zu den guten Vorsätzen aller kritischen Beobachter gehören: Körperlicher werden, auch wenn’s weh tut.

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11 Kommentare

  1. Das Verhalten des „kritischen“ Beobachters, besser das Nicht-Verhalten, das nicht Einschreiten, das nicht körperlich werden, ist genau jenes Verhalten, welches zu den Umständen geführt hat. Wenn in einer lebendigen Demokratie, nicht in dieser Zombieform mit allen den STILLEN Mitläufern und Beobachtern, die Leute jede Tag vor jedem Rathaus gestanden wären, dann hätten wir weniger korrupte Politiker und auch weniger Konzerne wie die Bahn und das beschäftigte Sicherheitsunternehmen.

    Es ist nicht der Bahn zu verdanken, dass diese Unmenschlichkeit um sich greift. Es ist den Mitmenschen zu verdanken, die bei jeder Unmenschlichkeit wegschauen oder es sehen (noch schlimmer) und nichts sagen.
    Insofern möge sich jeder an seiner eigene Nase fassen, anstatt die Schuld beim Anderen zu suchen.

    1. Gut erkannt. Dennoch werden wir uns alle das fragen müssen, ob wir körperlich genug getan haben. Ich weiß dass das schwer ist. Ich schließe mich dabei mit ein.

  2. In jungen Jahren bin ich oft mit der Bahn gefahren.Beim Umsteigen und dem Warten auf den Anschlusszug war ich immer froh,einen warmen Aufenthaltsplatz zu haben.Die dort anwesenden Personen haben mich nie gestört.Gelegentlich gabs auch mal ein 2 Markstück…
    Wenn ich heute mal mit der Bahn fahre,bin ich froh über die Anwesenheit von Sicherheitspersonal.Nicht wegen der Obdachlosen,sondern wegen der Personen aus dem afrikanisch-arabischen Kulturkreis,die sich dort aufhalten und…

    1. … dich dann sexuell belästigen waaah, die Messermänner! Sie Kommen!! Sie wollen nix anderes als alte weiße Männers auf deutlich undeutsche weise penetrieren und dann deiner Oma mit dem Enkeltrick auch noch ein Kopftuch aufsetzen. Und dann gucken die auch immer so gefährlich und reden kein deutsch jaja! Und sowieso und haste nicht gesehen. Und wehe dem gestandenen deitschen der was dagegen sagt da is dann immer gleich de Antifa und Merkel und sagt man sei ein nazi abermanwirdjanochmalsagendurfen…

      1. Sie haben ja einen Umgag mit seltsamen Leuten…
        Zu ihrer Informatin:Merkel macht’s nicht mehr.Jetzt ist’s der Cum-Ex-Olaf…
        Und was ihre Gesinnungsgenossen von der Antifa betrifft:am24.6.2019 wollte so eine Gruppe den alten weisen Mann zumindest verprügeln,wenn nicht gar töten.Schließlich ist so ein alter weißer Mann,der nach 12 stündigem Arbeitstag mit dem Fahrrad nach Hause fährt,der idealeSündenbock.Der ist schließlich Nazi,für die Klimaerwärmung verantwortlich,alle anderen Verbrechen hat der auch auf dem Kerbholz.Dumm nur,dass so ein Antifant vom permanenten parasitären Leben und Drogen-/Alkoholgenuss nicht der fitteste ist…da hat selbst ein „alter weishaariger Mann“mit Ü60 noch Chancen…
        Was die Klientel aus dem arabisch/afrikanischen Kulturkreis betrifft:es soll Menschen geben ,die es nicht mögen,wenn man sie bei gleichzeitigem Zeigen eines Messers um eine Spende bittet….ich gehöre dazu.

  3. Das betrifft aber nicht allein die Deutsche Bahn, die Unmenschlichkeit gegenüber Obdach- bzw. Wohnsitzlosen ist ein Bürokratie über Greifendes Problem in .de.

    „Niemand wird in Deutschland erfrieren“ ist nicht erst seit diesem Winter eine absolute und weit verbreitete Lüge – dieses Jahr sind, wie die letzten Jahre, schon Menschen in Deutschland erfroren, und niemanden kümmerts – waren ja „nur“ Obdachlose und Bettler.

    Der Hamburger Rapper „Disastar“ wies schon im Sommer darauf hin, dass viele Städte und Gemeinden „nicht einmal das mindeste“ für Menschen übrig haben, die, nicht nur in seinem Hamburg, auf der Straße leben.

    Warum soll sich – in Zeiten wo das Fest der Nächstenliebe zu einem reinen Konsumfest verkommen ist ausgerechnet im eiskalten Deutschland was ändern??

    Ganz zynische Grüße
    Bernie

    1. Also Bernie,
      nach Habeck-Logik ist doch noch niemand erfroren, weil er einen steifen Eindruck macht und nicht mehr atmet. Er hat nur seinen Stoffwechsel noch nicht wieder hochgefahren.
      Selbst für das sind diese Tippelbrüder noch zu faul, wird sich so mancher Sozialpatriot der leeren Rentenkassen denken.
      Die Bethlehem-Wirte-Logik findet bei der christlichen und Werte-westlichen Heuchlerschar nicht nur Aufnahme, sondern darf sich an Edel-Ressort-Bedingungen laben.
      Ein Schelm/Schuft, der Böses dabei denkt.
      Die Menschenwürde orientiert sich vor allem am Besitz oder Besitzstreben.
      Aber dazu zählt die vorübergehende Inbesitznahme von öffentlichen Bänken und Stühlen nicht. Deren Gebrauch dient dem Allgemeinwohl und nicht dem verruchten von Wandergesellen ohne Arbeitswillen.

  4. Hallo Kai,
    schön, dass Du die Geschichte bis zum eigenen Bruch zuende geschrieben hast. Ich denke und bin mir ganz sicher, dass man erst die eigene Ohnmacht spüren muss, um ehrlich und wütend über die sprechen zu können, die sie beherrschen. Alles Gute!

  5. Wenn ich mir die Situation in Hamburg vergegenwärtige, dann erscheint mir dieser Beitrag verharmlosend und romantisierend. Auch das Bild dazu.

    Die von der Partei Die Linke angegebene Zahl von 2000 Menschen, die dort auf der Straße leben sollen, scheint mir deutlich untertrieben. Schon am Vorplatz des Hauptbahnhofs springt einem das Elend entgegen, geht man hinab zur U-Bahn, gibt es kaum eine freie Nische, in der nicht irgendeine Person campiert.

    In einigen Straßen/Stadtvierteln ist auch bei deutlichen Minusgraden fast jeder Hauseingang belegt, in einigen Parks gehören Obdachlose zum Inventar wie anno dazumal die Schmuckeremiten:
    https://www.heise.de/tp/features/Schmuckeremiten-die-lebendigen-Gartenzwerge-3209884.html?seite=all

    Einige dieser Männer, viele Migranten, arbeiten übrigens auch, als Tagelöhner, oder Gelegenheitsjobs bei Firmen oder selbständig über My Hammer u. ä., meist zu extremen Niedriglöhnen.

    Vor Banken und Geschäften sitzen Elende, junge und greise, man sieht, wie sie binnen Monaten gesundheitlich verfallen, irgendwann verschwinden und neue Gesichter ihren Platz einnehmen.

    Die Kältetoten sind nur die Spitze des Eisbergs, da die Lebenserwartung sich unter den harten Bedingungen der Straße insgesamt verkürzt, und diese Zustände sind ein absoluter Skandal und ein Gipfel der Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit, und zwar in keiner Form geringer, als das Sterben der Geflüchteten im Mittelmeer. Nur die öffentliche Aufmerksamkeit ist deutlich geringer und es ist kein wokes Thema, sich für sofortige, ausreichende, menschenwürdige Hilfe für die zerlumpten, häufig an psychischen Krankheiten leidenden Menschen einzusetzen, egal was es kostet! Ein Hamburger Bürgermeister (SPD), und eine Hamburger Vize-Bürgermeisterin (Grüne), oder auch ein Bundeskanzler (SPD), der früher mal Hamburger Bürgermeister war, die diese Zustände zulassen, brauchen sich vor klaren Ansagen aus linker Richtung nicht zu fürchten.

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