
Sozialstaat: Während der größten Aufrüstung der Nachkriegszeit steht er selbstverständlich wieder einmal zur Disposition. Was aber ist mit diesem Begriff gemeint?
„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“, steht in Artikel 20 des Deutschen Grundgesetzes, der die grundlegenden Verfassungsprinzipien aufzählt. Das „Soziale“ gehört zum unveränderlichen Teil der Verfassung, ist also besonders wichtig.
Doch es gibt zwei völlig unterschiedliche Weisen, das Sozialstaatsprinzip zu verstehen. Weitgehend durchgesetzt hat sich jenes Verständnis, das den Interessen der Geldeliten entspricht bzw. den Milieus, die diesen Kreisen direkt zuarbeiten. Kanzler Merz gehört zu dieser Gruppe.
Almosenstaat oder soziale Demokratie?
„Sozial“ hat nach dieser Variante etwas mit dem Verteilen von Almosen zu tun. „Oben“ befinden sich jene, die anhand von Einkommens- und Vermögensdaten zeigen könne, wie fähig sie sind. Besteuerung „ihrer“ Leistungsergebnisse empfinden sie, wie der Soziologe Michael Hartmann nachweisen konnte, als zutiefst ungerecht. Dennoch sind sie bereit, kleinere Summen davon abzugeben. Nicht zuletzt, um soziale Unruhen zu vermeiden.
Almosen verteilen sie gern über private Stiftungen, ein speziell in den USA beliebtes Modell. Hier können sie selbst bestimmen, was mit den unbesteuerten Profiten geschehen soll. Von dieser Vorstellung ausgehend ist es nicht mehr weit zum Gedanken, den Steuer- und Verteilungsstaat überhaupt abzuschaffen. „Verteilen“ können die Hyperreichen auch selbst. Ich nehme an, Elon Musk denkt so ähnlich. Es gehört zur libertären Programmatik.
Völlig anders klingt jenes Verständnis des Sozialstaats, das in Deutschland einstmals maßgeblich von der SPD vertreten wurde. Dementsprechend war nach 1945 der erste Vorsitzende der West-Sozialdemokratie Kurt Schumacher der Auffassung, dass der Sozialstaat im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung unmöglich sei. In alter linker Tradition identifizierte er Sozialstaatlichkeit mit Demokratie. Der Monopolkapitalismus habe Hitler zur Macht gebracht, daher sei die konsequente Abschaffung der Klassenherrschaft gleichbedeutend mit dem Ausbau von Sozialstaatlichkeit als Demokratie.
Wer am Sozialstaat spart, spart an der Demokratie.
Diese Deutung entspricht den Interessen der vielen, die nicht über riesige Vermögen verfügen und sich damit einen privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungen erkaufen können. „Sozial“ bedeutet hier nicht so etwas wie „mildtätig“, sondern schlicht „gesellschaftlich“. Der Begriff nimmt also Bezug auf eine Gesamtheit, auf die Gesamtheit der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Gemeint ist das demokratische Volk, von dem – ebenfalls nach Artikel 2O des Grundgesetzes – alle Staatsgewalt auszugehen hat. Soziales, also die Gesellschaft bezogenes Denken resultiert nicht aus der Besorgnis der hoch Privilegierten um den Verlust ihrer Privilegien, sondern ist eine Orientierung am Demokratiegedanken. Wer am Sozialstaat spart, spart an der Demokratie.
Genau an diesem Punkt befindet sich die traditionelle Scheidung linker und konservativer bzw. rechtet Positionen. Wer über das Soziale redet, spricht zugleich über die Demokratie. „Linke“, etwa im Sinne der alten Arbeiterbewegung oder der SPD, als sie noch im eigentlichen Sinn links war, bemängeln den undemokratischen Charakter des Kapitalismus. Wird der Kapitalismus demokratisiert, ist damit zugleich auch der Sozialstaat realisiert.
Das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl
Es geht also um das Staatsverständnis. Zweck des staatlichen Handelns, so die berühmte Formulierung des englischen Philosophen Jeremy Bentham, sei es, „das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl“ zu befördern. Das aber ist aber kaum das primäre Ziel der von den Riesenvermögen hin und her gestoßenen Regierungen. Wir sehen das etwa an der Unmöglichkeit, in Deutschland die einst ausgesetzte Vermögensteuer wiedereinzuführen. Aus der Sicht der Riesenvermögen ist die Bundesrepublik kein Staat, der sich am größtmöglichen Glück aller zu orientieren hat, sondern vor allem an der Vermögenspflege.
Dabei ist die Formulierung Benthams zugleich eine „linke“ Formulierung des Sozialstaatsprinzips. Ein solches Staatswesen orientiert sich an der großen Zahl, an der Bevölkerung insgesamt. Sofern in einer tatsächlichen sozialen Demokratie alle maßgeblich mitbestimmen, was geschehen soll, werden sie dafür sorgen, dass alle auch in sozialer Sicherheit leben. Jedenfalls werden sie kaum akzeptieren, dass sich die Früchte der Anstrengungen aller hochgradig in den Händen einer kleinen Minderheit ansammeln.
Demokratie oder Almosenstaat?
Der krasse Gegensatz dieser beiden Interpretationen von Sozialstaatlichkeit ist den meisten wohl kaum mehr präsent. Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine soziale Demokratie im Sinne der allgemeinen Teilhabe Kernprogramm der SPD und fand sich auch bei Teilen der CDU/CSU. Die Tradition des christlichen Sozialismus verstand Solidarität als ein Gebot der christlichen Nächstenliebe. Alle haben ein Recht auf Teilhabe in der Mitbestimmung sowie im Hinblick auf die Ergebnisse der Ökonomie.1
Die gegenwärtige Debatte kennt nur noch den ausgedünnten Sozialstaatsbegriff. Das „Soziale“ bezieht sich nach dieser Lesart auf moderne Formen der Armenspeisung. Hier kommt freiwillige Wohltätigkeit zum Einsatz. Gespendet wird, was noch übrig ist. Und hier kann natürlich gespart werden, denn die entsprechenden Mittel gehören substanziell nicht zum eigentlichen Budget.
Die Frage, in welchem Umfang Almosen verteilt werden sollen – „Wohltaten“ in der Sprache des Neoliberalismus – hat mit der Demokratiefrage nichts zu tun.
Doch manchmal (bei Herrn Klingbeil zurzeit?) blitzt eine Erinnerung daran auf, was einmal zum eigenen Parteiprogramm gehörte. Aber die Interessen der dominierenden Kapitaleliten, bestens vertreten durch den Bundeskanzler, werden sich als gewichtiger erweisen. Schließlich könnte es einmal nötig sein, das Privilegiensystem mit Panzern und Raketen zu verteidigen, wenn nichts mehr übrig ist für die Armenspeisung.
1Hans-Peter Waldrich: Demokratie als Sozialismus. Westdeutschland und die Ideen der ersten Stunde, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 2019.
„‚Sozialstaat wie heute können wir uns einfach nicht mehr leisten‘???
AN: ‚friedrich.merz@bundestag.de‘; ‚carsten.linnemann@bundestag.de‘; ‚fraktion@cducsu.de‘
CC: ‚kontakt@vdk.de‘
https://www.aerzteblatt.de/news/merz-bekraftigt-forderung-nach-einschnitten-im-sozialsystem-69be4d4d-e30f-4cef-8c05-37ada289953c
Hier spricht Ihr Chef, also Ihr Souverän!
Ich denke, Sie belieben zu scherzen!
1. Deutschland ist spätestens seit der „AGENDA 2010“ dieses Herrn Schröder von der SPD kein Sozialstaat mehr. Nein, Deutschland ist eine neoliberale Parteien-Wirtschafts-Konzern-Oligarchie. Wenige lassen es sich auf Kosten von Otto Normalsteuerzahler gut gehen. So auch politische Mandatsträger, wie Sie, in Bullshit Berlin und anderswo. Das sollten Sie als BlackRocker emeritus eigentlich wissen. Also: Verwenden Sie Begriffe bitte präziser und nicht demagogisch.
2. Der deutsche Steuerzahler ist nicht dazu da, die Welt zu finanzieren!
3. Studieren Sie einmal wieder Ludwig Erhard! Solange es in Deutschland Not und Elend gibt, kein deutsches Geld ins Ausland!!!
4. De facto machen Sie über eine Billion Euro neue Schulden; ein Löwenanteil hiervon wird für Rüstung verwendet.
5. Schaffen Sie das Beamtentum ab.
6. Steuermittelverschwendung im In- und Ausland ( Stichwort Fahrradwege in Peru usw. ) muss in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden. – Dto. Verschleppung im Amt u. v. a. m.!
7. Verschlanken Sie drastisch die Behördenhydra im Bund; dann in den Bundesländern usw. – Alles gehört auf den Prüfstand.
8. ÖRR privatisieren.
9. Bundesagentur für Arbeit: die Ineffektivität in perfectionem wie so viele andere Behörden …
10. Jedes Bundesland hat eine eigene ‚Rentenanstalt‘: abschaffen, neu aufstellen.
11. Otto Normalsteuerzahler bekommt für immer höhere Abgaben immer weniger Leistung – und soll auch noch länger und mehr und effektiver arbeiten! Auch das geht gar nicht.
12. Der Mindestlohn wie das Rentenniveau sind viel zu niedrig!!!
13. u. v. a.m.
Weitere Sparvorschläge biete ich auf Anfrage gerne.
Mit Grüßen
Roland Weinert [ drs. phil. ]
Magister Artium ( Universität zu Köln, Köln, D )
Master of Business Administration ( Universität St. Gallen, St. Gallen, CH )“
NACHTRAG
„Die schnellstmögliche Herbeiführung eines größtmöglichen Allgemein- / Weltwohles muss das
oberste Ziel allen Denkens und Handelns in ziviler Bürgergesellschaft, Politik, Staat,
Wirtschaft und Wissenschaft sein.“ ( RW )
Achtung ! 😁 Merz ließt mit.👹
Man lügt uns die Hirne voll.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/ausgaben-sozialstaat-bip-100.html
Mehr noch: Pardon jetzt, man scheißt uns mit Bullshit zu!
Das ganze Thema „sozial“ wurde bewusst verzerrt. Was ist sozial? Bis 1990 musste sich der Westen in Konkurrenz zum Osten gewissermaßen sozial zeigen, auch weniger leistungsfähige Personen hatten ihr Auskommen, und Arbeiter sowie Angestellte sowieso. Aber nach 1990 hat man den Braten gerochen und alles zurückgefahren. Es wurde ein Niedriglohnsektor geschaffen, Tarifbindung zurückgedraängt, die 40-Stunden-Arbeitswoche abgeschafft (was vorrangig in den neuen Bundesländern „ausgelebt“ wurde). Gleichzeitig hat man sich ein Klientel geschaffen, dessen Ansprüche auch bei Nichtarbeit einigermaßen befriedigt wurden. Parallel dazu war es bei vielen Haushalten nicht mehr möglich, mit einem Einkommen über die Runden zu kommen. Die Krönung des Ganzen fand dann ab 2015 statt, ab diesem Datum wurde dann massiv die Solidarität der unteren Schichten der Gesellschaften mit den Neuankömmlingen eingefordert, deren Situation auf die Aktivitäten der oberen 10000 zurückzuführen waren und sind. Mit dem Slogan :“ Wir schaffen das“ wurde der Masse vermittelt, dass es keine Alternative dazu gibt. Die meisten haben das akzeptiert und sich damit auch arrangiert. Aber dieser Erfolg ist den oberen Zweibeinern zu Kopf gestiegen und nun wird weiter an der Absenkung des Sozialstaates gewerkelt, vielfach an der falschen Stelle. Die Babyboomer, also die Leute, die das Land aufgebaut und auch für Nachwuchs gesorgt haben, sind nun auf einmal für alle Miseren verantwortlich, und das auch noch nach 45 Arbeitsjahren. Dafür werden bekennenden Faschisten Milliarden in den Hintern geschoben. Zudem zerstört man aktiv die noch vorhandene Wettbewerbsfähigkeit. Die Verluste sollen dann wieder die eher Armen tragen. Wie soll das funktionieren? Auch mit Aufrüstung wird es keine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit geben (die letzten Gamechanger liegen als Schrott in der Ukraine), und Fachräftenachwuchs wird es damit auch nicht geben. Es wird, vermutlich nach einem Absturz, erneut eine Zeit geben, in der man wieder in sozialen Dingen in Konkurrenz zum Gegner treten muss, um noch etwas zu retten.
Deine Beschreibung ist zwar zutreffend, aber im UK ging die ganze Misere schon deutlich früher los und auch in Deutschland West rammte ein gewisser H. Kohl erste Pflöcke ein in Bezug auf die Kapitalausrichtung des Gesundheitssystems.
Ähm…. die 40-Stunden-Woche ist im Osten nach wie vor der Normfall für die meisten Erwerbstätigen!
Nicht im öffentlichen Dienst, und auch nicht bei den meisten Tarifen, aber die meisten Ossis arbeiten weder im ÖD noch zu Tarifbedingungen…
In der DDR wurde übrigens noch länger gearbeitet
Mausfeld schreibt in Hybris und Nemesis, dass die ersten Staaten enstanden als „Instrument der Machtstabilisierung und der Verhinderung von Gegenmacht“:
„Im 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung entstanden […] staatsähnliche
Gebilde […], die auf Schätzung und Einnahme von Steuern spezialisiert waren und die zusammen
mit einem militärischen Apparat in der Lage waren, die Bevölkerung eines
abgegrenzten Territoriums zum Nutzen einer unproduktiven parasitären Elite in
berechenbarer Weise auszubeuten.“
Was wir erleben entspricht also genau der Aufgabe eine Staates: Ausbeutung und Unterdrückung.
Ein sehr kluges Buch, „Hybris und Nemesis“.
Wenn in drei Monaten über 12000 € für eine Kanzler Frisur ausgeben wird, ist das Soziale Teilhabe oder eine Kriegserklärung an die Verschwendung?
Ist doch spottbillig! Als Abwracker der WestLB-Reste hat Merz einen Tagessatz von 5000 Euro berechnet! Steuergelder von der BaFin!
Knapp 400 Tage hat er in Rechnung gestellt…
*taschenrechnerraushol*
🇩🇪💩💀👻
5 Milliarden will Merz beim „Bürgergeld“ sparen.
6 Milliarden Bürgergeld gehen an die hier aufgenommenen Ukrainer, die aus einem Krieg geflohen sind, der mit ein wenig gutem Willen hätte verhindert werden können, und der morgen vorbei sein könnte wenn man wollte. Stattdessen wird er weiter eskaliert.
Zähle 1 und 1 zusammen…
…btw. warum zahlen wir den Lebensunterhalt der ukrainischen Kriegsflüchtlinge eigentlich aus dem Sozialetat und nicht aus der offenbar prall gefüllten Kriegskasse?