Eitel Sonnenschein

Hand versucht Sonne "einzufangen".
Kessy Gift, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Noch seien die Gasspeicher gut gefüllt, erklärt man uns. Das liege daran, dass es Oktober noch schön warm war. Das Wetter liebt wohl die westlichen Werte. Wirtschaftspolitik 2022 bedeutet: Sich wieder vom Wetter abhängig zu machen.

Neulich wurde Robert Habeck – speziell von seinen Parteigenossen – belobigt: Er könne es halt. Das belegen die annähernd vollen Gasspeicher eindrucksvoll. Und das Ende Oktober. Klar, es liege halt auch am Wetter. Erstaunlich warm sei es gewesen, Gärten blühten noch und wer beim Bäcker stand, beobachtete weiterhin Bienen und Wespen, die sich emsig über das Süßzeug hermachten. Habeck wurde offenbar für seine meteoreologische Weitsichtigkeit gedankt. Der Schönwetterminister musste vermutlich laut durchatmen, denn es hätte ja auch ganz anders kommen können.

Was, wenn es im Oktober kalt gewesen wäre? So wie es im Oktober zuweilen ist? Die Speicher wären jetzt nicht annähernd voll. Habeck wäre dann womöglich – außer von seinen Parteigenossen – stark getadelt worden. Kurz und gut: Die vermeintlich gute Versorgungslage basiert auf einem wetterwendischem Zufall. Dass Wirtschaftspolitik aus dem Jahr 2022 so rückschrittlich sein kann, das hätten wir uns vor einiger Zeit nicht ausmalen können.

Wetterschamane Habeck

Jahrtausende führten die Menschen einen Kampf gegen die Natur. Und ganz besonders gegen das Wetter. Die Witterung entschied zuweilen über Leben und Tod. Entweder verhagelte es die Ernte oder aber sie verbrannte auf den Feldern. Selbst wenn die Ernte eingefahren werden konnte, waren die Erträge zuweilen schmal. Die Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte einer Spezies im Kampf gegen die Zwänge der Natur – und die Naturgewalten. Erst in jüngerer Geschichte konnte sich der Mensch etwas davon unabhängig machen. Durch Forschung, durch Handel und Innovation. Auch durch eine Verwaltung, die die Versorgungslage der Bevölkerung ins Auge fasste.

Natürlich wurde das Klima in den letzten Jahren wieder stärker zu einem maßgeblichen Faktor. Aber in einer Art und Weise, wie man jetzt mit dem Wetter spekuliert, erlebte man das zuletzt nie. Denn was die Gasspeicher betrifft, hat man sich einfach mal Spekulationen hingegeben: Es wird schon nicht so kalt werden, nicht so viel geheizt werden müssen. Et hätt ja noch immer jot jejange. Warum nicht auch diesmal?

Es ist, als ob die Entscheider da stille Anbetungen vollzogen haben, so wie manches Urvolk, das seine Götter anflehte, sie mögen gnädig mit ihm verfahren und Sonnenschein schicken. Oder Regen – je nachdem, was gerade geboten war. Wir können ja froh sein, dass in uns keine Maya-Kultur lauert. Die Maya haben Angehörige anderer Stämme rituell ausgeweidet, um die Götter zu besänftigen. Es gab aber allerlei Wetterbeschwörungen in unserer Historie. Charmant womöglich der Regentanz indianischer Völker. Es wurden außerdem Wettermessen gelesen, es gab Wetterschießen und Wetterhornblasen, im Mittelalter beschwor man Wolkenformationen mit Kreuzzeichen. Und wir heute, unter den grünen Medizinmännern, hoffen einfach still vor uns hin: Gratulieren aber dem Wirtschaftsschamanen herzlichst, wenn das Wetter hielt – als sei es seine persönliche Leistung gewesen.

Tanzen für Sonnenschein?

Die Medien stimmten eintönig mit in den Chor der Erleichterten, als neulich der neueste Gasspeichermeldestand durchgegeben wurde. Alles laufe gut, schrieben sie. Das Wetter habe mitgespielt. Ein lapidarer Satz, der alles erklären soll, aber eigentlich nur eines erklärt: Die aktuelle Politik hat sich dazu entschlossen, sich wieder vom Wetter abhängig zu machen. Wie unsere Ahnen. Uns bleibt nichts mehr übrig außer zu hoffen, dass es nicht zu kalt wird. Der Winter mild wird. Mehr kann man in einer modernen Ökonomie scheinbar nicht mehr tun. Hoffen und beten: Als Eckpfeiler des Handels, als Stütze der Versorgungssicherung. Petrus als Wirtschaftsminister – und Robert als sein Statthalter auf Erden.

In den letzten Tagen wurde es merklich kälter. Ist uns der westliche Wettergott nicht mehr gewogen? Hat er sich abgewandt? Bedeutet das, dass er unseren Kampf nicht mehr unterstützt? Ob wohl ein Sonnentänzchen vor dem Bundestag hilft? Oder vor dem Wirtschaftsministerium? Sollten nicht vielleicht alle Bürgerinnen und Bürger dazu verpflichtet werden, täglich für Sonnenschein zu tanzen? Und die Alten zu beten? Ob die Sonne wohl wirklich Opfergaben in Form menschlichen Fleisches benötigt? Vielleicht wussten die Maya ja mehr als wir. Und was, wenn da was dran ist an dieser alten Weisheit indianischer Völker? Wer hat dann die Ehre, sich für gutes Wetter und volle Gasspeicher aushöhlen zu lassen? Freiwillige vor!

Längst haben wir die Pfade der Seriosität verlassen. Die Berliner Republik ist zu einem Schönwetterstaat verkommen, der nur dann zu funktionieren scheint, wenn es keine Krise gibt. Aber nur ein kleines Krisenanzeichen und er wird zum ideologischen Durchhaltestaat, in dem es keine Restvernunft, keinen Restverstand mehr gibt. Dann wird gehofft und nicht gemacht, gebetet und nicht verhandelt. Denn die Gerechtigkeit ist bekanntlich mit uns. Man kann das sogar am Wetter ablesen. Was für eine Meteorologie des Wahnsinns und der Fahrlässigkeit: Wer sich 2022 ohne Not vom Wetter abhängig macht, muss die Kontrolle vollkommen verloren haben.

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13 Kommentare

  1. Und was ist, wenn sich der Winter wie in den letzten zwei Jahren, über die Dauer von acht Monaten in das Frühjahr 2003 verschiebt ? In 2022 musste der Mai durchgeheizt werden.

    Es bleibt spannend. Übrigens, was
    viele Amerikaner noch nicht wissen.
    Wenn beim Fracken, Bodenschichten hydraulisch aufgebrochen werden, brechen dabei auch wasserführende Schichten:

    https://www.youtube.com/watch?v=4LBjSXWQRV8

  2. Interessantes Titelbild! Wird die Sonne etwa immer kleiner? Oder was will es sagen? Man weiß, dass sie etwa ein halbes Winkelgrad messen muss. Sollte sie sich entfernen, können wir nur noch auf “das Klima” hoffen. Und auf möglichst viel CO2 in der Atmosphäre.
    Doch im Ernst: es ist doch einerlei, ob wir nicht mehr heizen können, weil die Speicher leer sind oder weil wir die Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Interessanter wäre es, sich mit einem Ungetüm wie dem “Gaspreisdeckel” zu beschäftigen – einem Freibrief für Preiserhöhungen. Alles, was diese Ampel bisher geleistet hat, ist an Unfähigkeit nicht mehr zu überbieten. Versprochen und Herbeigelogen wurde Vieles, aber die Menschen mit den kleinen Renten haben bis heute keinen Cent Ausgleich erhalten. Hartzer, Minister und viele Andere sind da deutlich besser dran. Es ist die bekannte, unsoziale Politik der Herrn Hubertus Heil.

    1. Herrn Heil für das alles verantwortlich zu machen ist total überzogen. Ich halte den Arbeitsminister noch das beste Stück in diese Koalition.
      Er betreibt die Politik des Möglichen und bekommt sogar noch etwas durch die Instanzen. Man sollte, wenn einem schon die Galle überfliest (bei mir auch ) die Richtigen benennen.
      Unter welcher Regierung wurde die Rentenformel abgeändert? Wer hat die Änderung ( teils weil es keine Mathematiker waren und Kopfrechnen sehr schwer ist) abgenickt ? Der Bundestag, die paretischen Gremien der Rentenversicherung, Arbeitgeberverbände. Gewerkschaften usw.
      Ich habe einen Versicherungsältesten und von den Versicherten gewählten Vertreter befragt.
      Antwort: Die Änderung der Formel wirkt sich auf die Höhe der Rentenbezüge nur minimal aus.
      Ergo, der wurde “übern Tisch gezogen”.

  3. “Wir können ja froh sein, dass in uns keine Maya-Kultur lauert. Die Maya haben Angehörige anderer Stämme rituell ausgeweidet, um die Götter zu besänftigen.”
    Oh ja die Zeiten haben sich geändert jetzt schneiden Die nur die Geldbeutel auf, statt anderen das Herz bei lebendigen Leib heraus zu reißen.

    ! Apocalypto !

      1. Das hätte ich nicht von Dir gedacht daß Du so bereitwillig opferst, Früher den Göttern auf der Sonnen Pyramide und Heute dem Business auf der Bedürfnis Pyramide.

        “Die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow ist ein Modell, das menschliche Bedürfnisse und Motivationen beschreibt”

        Vorbildlich sagt ein jeder Shylock nur darauf, auf die Pyramiden!

  4. Schon richtig, die kritische Stossrichtung teile ich voll und ganz, aber in… “Erst in jüngerer Geschichte konnte sich der Mensch etwas davon unabhängig machen. Durch Forschung, durch Handel und Innovation.” …steckt denn doch ein Problem. Die Unabhängigmacherei ist weit übers Ziel hinausgeschossen und hat sich unter der Hand ins Gegenteil verkehrt, was Horkheimer / Adorno wohl mit ihrer ‘Dialektik der Aufklärung’ schon vergleichsweise frühzeitig mitteilen wollten. Nun ändern sich die meteorologischen Verhälnisse dergestalt, dass wir so abhängig werden von ihnen wie noch nie. Wer sich zu weit von der Natur entfernt, sie gar negiert, den bestrafen sozusagen die Götter, auch wenn es sie gar nicht gibt. Gerade ‘Handel und Innovation’ sind trügerisch. Von dieser Medizin sollte man als Menschheit nur das absolut nötige Mass, nicht so viel wie irgend möglich zu sich nehmen.

  5. Mich würde wirklich interessieren, wieviel Prozent der Gasspeicher tatsächlich zur Verfügung stehen. Es handelt sich um keinen Tank für Flüssigkeiten, den man leer fahren kann. Bisher wurden die Speicher zum Winter hin gefüllt, trotzdem wurde mehr Gas über die Pipelines bezogen und es gab einen kontinuierlichen Zufluss. D.h. wirklich isoliert als “Speicher” haben die nie funktioniert.

  6. Nun, es ist vollbracht, wir bekommen katarisches Gas, allerdings über einen US amerikanischen Großhändler 🙂
    Die US Administration kann nun mit einem Grinsen 😉 der FED vermelden, dass der Dollar wieder ein Wirtschaftsscharmützel gegen den Euro gewonnen hat. Grinsen deshalb, weil die einfältigen EU-Europäer sich das zum Teil selbst eingebrockt haben.
    Ob man das weiß?: , ein Großhändler kann jederzeit pleitegehen – z.B. wenn der Profit nicht stimmt. Das ändern auch keine Verträge. Wie man munkelt steht das Volumen und der Zeitraum, der Preis wird noch festgelegt. Ich denke, dass die Bekanntgabe des “sensationellen Preises” erst nach Weihnachten erfolgen wird.
    Wie kann man nur einen zuverlässigen Partner gegen solches Gebilde austauschen. Es wäre doch schon schlimm genug von den US Regierungen abhängig zu sein.

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