Die Uni Konstanz und Artikel 3 des Grundgesetzes

Stapel mit Grundgesetz-Ausgaben
Quelle: Pixabay

Gedanken zum Artikel 3 des Grundgesetzes und zu dem Respekt, den die Universität Konstanz ihm erweist.

Der erste Satz von Artikel 3 des Grundgesetzes lautet: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Hans Berger, dem Bruder meiner beiden vor einigen Jahren verstorbenen Freundinnen Rose und Hilde Berger, wurde in der Nazizeit die Immatrikulation für das Fach Chemie an der Universität Berlin mit der Begründung verweigert, er sei Jude. Er war in den Augen der Nazis Jude, weil er von jüdischen Eltern abstammte. Er selbst hat sich als deutscher Kommunist gesehen.
Hans Berger ist später in ein Zuchthaus und dann in ein Konzentrationslager gebracht worden. Von dort ist er nicht mehr zurückgekommen.(1)

Eine Verweigerung der Immatrikulation mit dieser Art Begründung wäre auf dem Boden des Grundgetzes heute Gott sei Dank nicht mehr möglich. Denn dort heißt es ja: siehe oben!

Oder doch? 

Angenommen, es wäre ihm rechtzeitig gelungen, aus Nazideutschland in die Sowjetunion zu fliehen, er hätte dort eine Familie gegründet und einen Sohn und dann einen Enkel gehabt, der russischer oder, sagen wir, weißrusssicher Staatsbürger wurde. Angenommen, er hätte seinem Enkel von Kindheit an die geliebte deutsche Sprache beigebracht und die Zuneigung zu dem Land, das einen Schiller, einen Heine, einen Marx und einen Kant hervorgebracht hat. Angenommen, dieser Enkel hätte seinen Traum verwirklichen wollen, im Land seiner Vorfahren an der Universität Chemie zu studieren, so wie sein Großvater es damals in Berlin vorhatte. Und schließlich angenommen, er hätte sich mit diesem Wunsch an die Universität Konstanz gewandt.

Was wäre ihm geantwortet worden?

Ihm wäre geantwortet worden, dass ihm die Immatrikulation verwehrt wird – (nein, natürlich nicht weil er Jude ist, sondern) weil er Russe (oder Weißrusse) ist.
So steht es in dem Beschluss, den der Senat der Universität Konstanz am 2. März 2022 gefasst hat.

Nein, es steht nicht zu befürchten, dass er später in einem Konzentrationslager umgebracht würde.
Ja, er kann beantragen, im Rahmen einer Sondergenehmigung durch die Rektorin eine Immatrikulationserlaubnis zu bekommen, obwohl er Russe (oder Weißrusse) ist. Sozusagen auf dem Gnadenweg: Er hat sich zwar zuschulden kommen lassen, Russe (oder Weißrusse) zu sein – aber die deutsche Universität lässt sich gnädig herab und gewährt ihm sein Begehren.
Wenn ich Russe oder Weißrusse wäre, würde ich auf diese Sondergenehmigung spucken.

Ich habe an der Universität Konstanz studiert und promoviert.
Ob ich stolz auf diese Universität bin?
Nein, ich bin nicht stolz auf sie, ich schäme mich für sie.

(1) Näheres siehe in: Reinhard Hesse: Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste. Die Geschichte von Hilde und Rose Berger; mit einem Vorwort von Berthold Beitz. 223 Seiten. Psychosozial Verlag Gießen 2013, ISBN 978-3-8379-2273-8.

Reinhard Hesse

Reinhard Hesse; Prof. Dr. Dr. habil.; geb. in Warstein/Westfalen; Studium der Geschichte, Philosophie und Romanistik in Gießen, Straßburg und insbesondere Konstanz. Promotion in Philosophie; Habilitation in Politische Ethik; Lehrstuhl Internationale Beziehungen an der Universität Gießen; DAAD-Gastprofessuren in Europa und in Übersee;
seit 1996 Lehrstuhl Philosophie und Ethik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg; häufige Einsätze als OSZE-Wahlbeobachter in Europa und Asien.
Autor von: „Die Einheit der Vernunft als Überlebensbedingung der pluralistischen Welt“, „Worum geht es in der Philosophie? Grundfragen der Philosophie zwischen Wahrheit und Macht“, „Karl-Otto Apel, Auf der Suche nach dem letzten Grund“.
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2 Kommentare

  1. ……… es nutzt eben nichts, den Dingen einfach nur ein neues Etikett aufzukleben, sich selbst innerlich schulterklopfend zurückzulehnen und sich zu sagen: ….wir habens geschaftt, wir sind die GUTEN…….welch ein verheerender Selbstbetrug!! …..Nein, die im Bonhoefferschen Sinne “ Dummen“ wachsen immer wieder nach und sind doch so schwer zu erkennen. Am gefährlichsten ist die Liaison zwischen Macht und Dummheit, sie tarnt sich mit Großgerede, Worthülsen wie “ unsere Demokratie“, “ Freiheit und Menschenwürde “ werden mit großem Aplomb in die Luft geblasen und sedieren durch Dauerbeschuss fast jedes noch halbwegs intakte Gehirn. Nein, Fidel sagte einst :…the revolution never sleeps…..thats it, folks !!!!!!!!

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