Alte Säcke und biblische Zeiten

Jon Stewart
Chairman of the Joint Chiefs of Staff from Washington D.C, United States, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Die Vereinigten Staaten befinden sich im Augenblick irgendwo zwischen wachsendem Zuspruch palästinensischer Forderungen und einer Altersdebatte.

Jon Stewart ist zurück. Das ist gut, denn sonst sind die Nachrichten eher beunruhigend: Joe Biden ist so alt, dass seine Berater sich nicht mal mehr trauen, ihn zum Superbowl-Interview zu schicken; wir führen Kriege gegen Stämme, von denen ich noch nie gehört habe – Huthi? Sind das Wilde, die unsere Marines mit Speeren aufhalten? – und Israel treibt gerade die überlebenden Palästinenser von Gaza an der ägyptischen Grenze zusammen, um sie, ganz biblisch, in die Wüste Sinai zu schicken. Und irgendwie habe ich das Gefühl, das wird alles von meinen Steuern bezahlt.

Habe ich was vergessen? Tucker Carlson, der König von X, überlegt sich, nach Moskau zu ziehen. Moskau sei so viel schöner und sauberer als jede amerikanische Stadt, sagte er. Ich weiß nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Aber dass Jon Stewart zurück ist, das ist eine gute Nachricht. Oder?

Gemeine Witze über China

Jon hat viele Jahre, gute Jahre die Daily Show moderiert. Er war der Comedy-König vom Late-Night-Fernsehen, beißend, auf den Punkt, beiläufig, aber treffend, weder die Republikaner noch die Demokraten schonend. Genial seine Imitationen von Chuck Schumer oder George W. Bush. Als er ging, hätten viele, viele Kollegen seinen Job gerne gehabt (ich auch). Dann wurde es Trevor Noah, der Südafrikaner mit dem Schweizer Vater und dem leichten, weichen Akzent.

Ich habe Jon ein Mal getroffen, vor langer Zeit, als er noch schwarze Haare hatte. Das war im Ed-Sullivan-Theater am Broadway in der Garderobe der Letterman-Show. Ich war einer der Autoren, die Dave damals im Dutzend hatte. Er hatte einen Auftritt. Vor der Kamera. Er war damals schon hibbelig, und ein schnelldenkender Redner.

Dann verließ Jon die Daily Show. Zwischendurch hatte er eine Show bei Apple TV. Dort haben sie ihn gekantet, weil Tim Apple, nein, Tim Cook sich Sorgen machte, ob Jon womöglich zu gemeine Witze über China reißen würde. Und dort bauen sie unsere iPhones. Apple TV läuft eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Die erste Show auf Comedy Central hatte hingegen fast zwei Millionen Zuschauer. Ein Lichtblick in finsteren Zeiten und mehr als fünf Mal so viel wie Trevor Noah zuletzt hatte, mit dem Amerika nie aufgehört hatte, zu fremdeln.

Mobiltelefone und Pizzaboxen

Nun ist Jon auch alt. Nicht so alt wie Biden, und er macht immerhin Witze über sein Alter, während Biden empört versucht, aus dem Raum zu stürmen, wenn Journalisten ihn darauf ansprechen, es aber nicht immer schafft, weil er die Tür nicht immer findet. Neulich kriegte Biden es sogar schriftlich, dass er alt ist. Von einem Staatsanwalt, der anregte, ihn wegen seiner geheimen Zettelwirtschaft nicht zu verfolgen, er sei doch nur ein vergesslicher alter Herr.

Seitdem beobachte ich meine linken Freunde, wie sie Biden bedingungslos verteidigen. So zirkuliert neuerdings ein Meme auf Facebook: “Ja, es ist echt komisch, wie ihr euch über einen 81-jährigen mit schlechten Gedächtnis lustig macht, als ob ihr alle keinen Password-Manager benutzt, nicht dutzende Mal am Tag euer Mobiltelefon verliert und die Pizzabox wieder aus dem Müll holt, um zu gucken, wie lange die Backzeit ist.” Leute, das ist echt nicht die effektive Verteidigungslinie für den nächsten amerikanischen Präsidenten, für die ihr die haltet.

Noch habe ich mein iPhone nicht verloren, und Pizza bestelle ich online – ich hoffe mal, die Chinesen haben nichts dagegen –, aber so ganz jung bin ich auch nicht mehr. Zum Valentinstag hatte ich kein Date, ich habe meiner Katze ein Pappherz mit Katzenleckereien gekauft; ja, sowas gibts hier im Supermarkt. Danach lagen wir beide auf der Couch und freuten uns, dass es wieder Scripted TV gibt, Sendungen mit Drehbuch. Der Streik der TV-Autoren ist schon seit Monaten vorbei, aber bis alles wieder in die Puschen kommt, das dauert.

Es lief die neueste Folge von “The Conners,” die Nachfolgeserie von “Roseanne”. Das ist, offen gestanden, eine Serie für Mädchen, aber ich gucke das aus professionellem Interesse. Ich weiß noch, wie Becky und Darlene, Roseannes Töchter, in die erste Klasse gegangen sind. Jetzt sind sie praktisch Großmütter.

Amerika möchte nicht schuld sein

Dan, gespielt von dem unsterblichen John Goodman, sieht fast so alt aus wie Larry David, der seinerseits die 13. Staffel von “Curb Your Enthusiasm” gestartet hat. Auf HBO. Larry ist der Bildschirmehemann von Cheryl Hines, die echte Frau von Robert Kennedy Jr., der gerade als Präsident kandidiert und der älter aussieht als Ross Perot.

Nächste Woche hat Kennedy einen Wahlkampfauftritt, zusammen mit Cheryl und ein paar anderen Komödianten, im Million Dollar Theater in Los Angeles, Kalifornien. Das liegt am South Broadway in der Downtown, gleich um die Ecke vom Million Dollar Hotel, das durch den gleichnamigen Film von Wim Wenders berühmt wurde.

Vor vielen Jahren, als ich für die L. A. Times als Stringer, fester Freier über neue TV-Shows geschrieben habe, bin ich ab und zu am Million Dollar Hotel vorbeigelaufen (auf dem Weg zum Lunch im Grand Central Market). Ich habe ehrfürchtig an der Fassade hochgeguckt, in Gedanken an der Großen Meister, dem wir Filme wie “Wings of Desire” zu verdanken haben. Ich könnte googeln, wie alt Wim Wenders heute ist, aber ich tue es nicht, um mir Depressionen zu ersparen.

“Roseanne” wurde gekantet, weil Roseanne Barr eine schwarze Beraterin von Barack Obama mit einem Affen verglichen hat. Sie dachte, ihr könne in Hollywood nichts passieren, weil sie eine lautstarke Zionistin ist. Das war falsch.

So ähnlich wie Roseanne geht es im Moment vielen israelfreundlichen Amerikanern. Sie kriegen ungewohnt Flak. Es vergeht kein Tag, an dem die New York Times nicht eine Geschichte über ein totes palästinensisches Baby hat, oder die Bombardierung eines Krankenhauses in Gaza. 28.000 Palästinenser sind inzwischen getötet worden, das ist, im Verhältnis zur Bevölkerung, mehr als damals in Bosnien. Und Amerika möchte nicht daran schuld sein. Biden hat nur das Memo noch nicht gelesen.

Trump hat Netanyahu fallengelassen

Jon Stewart ist, das weiß ich sicher, kein Zionist oder Israelverteidiger, aber er hält sich bedeckt. Es ist eine schwierige Zeit, für uns alle. Alle beobachten einander: Wer kommt aus der Deckung und wer sagt was zu Israel? Wer postet welche Fahnen, oder Symbole, wer schweigt beredt? Wer rückt ein bisschen weiter ins Palästinalager?

Der letzte, der sein Coming Out hatte, war Peter Beinhart, ein liberaler Zionist. Er hat Israel mit Apartheid-Südafrika verglichen, in der New York Times (eine Ansicht, die fast die Hälfte der amerikanischen Juden unter 40 Jahren teilen). Er wirft Biden vor, Israel in Nibelungentreue zu unterstützen, was viele junge Wähler ebenfalls glauben, auch solche, denen es egal ist, ob Biden sein iPhone in der Pizza mitbackt.

Kein Demokrat will über Gaza die Wahl verlieren. Ich bin sicher, auch Jon wird dazu etwas sagen. Er hat schon angekündigt, dass er unbequeme Witze machen wird, unbequemere als über das Alter von Joe Biden. Oder Donald Trump.

Bin ich eigentlich der einzige, dem aufgefallen ist, dass Trump Netanyahu fallengelassen hat wie eine heiße Kartoffel? Unsere Kandidaten mögen alt sein, aber ein paar Überraschungen stehen uns garantiert noch ins Haus.

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6 Kommentare

  1. Die biblischen Zeiten fingen irgendwann einmal an, davor gab es auch andere, aber eines hat die Geschichte belegt, alle gehen irgendwo,irgendwann,irgendwie nieder!
    So auch ihre Lenker unäd Führer.
    Geschichte wird geschrieben, die Verantwortung dazu liegt dann beim Menschen, ob er ein Teil dessen davon sein möchte. Oder will der Mensch in 2024 weiterhin in der Simulation nur funktionieren ?

  2. Moin @Redaktion

    Bin begeistert, das ihr wieder mal einen Blick über die Berliner Mauer, oder wie das jetzt heißt, riskiert.
    Danke und bitte denkt dran – die Welt ist noch’n Eck größer. 😉

    Grüße

  3. “Es vergeht kein Tag, an dem die New York Times nicht eine Geschichte über ein totes palästinensisches Baby hat, oder die Bombardierung eines Krankenhauses in Gaza.”

    Ach deswegen traut sich die Annalena sachte Kritik an Netanjahu zu üben.

    1. Dass heißt aber auch, das die New York Times ihre Gaza-Erzählung mit diesen Tagesrhythmus-“Einzelfällen” in einem Schwebezustand hält, der der Regierungspolitik, die Israel öffentlich zur Mäßigung aufruft und hintenrum die Explosivstoffe liefert, nicht sonderlich gefährlich wird. Ein paar Siedler werden mit Sanktionen bedacht.

  4. Der Artikel zeigt doch klar, die Palästinasolidarität ist in den USA – den Zentrum des Imperiums – angekommen. Die amerikanische Jugend, zahlreiche amerikanische Künstler:innen und Intellektuelle stehen an der Seite des geknechteten palästinensischen Volkes. Der Zionismus will eine neue ethnische Säuberung Palästinas und dazu sagt das demokratische Amerika NEIN!

    Etwas anders sieht die Lage in Deutschland aus, dem Land mit der größten Erfahrung beim Judenmord. Hier steht Regierung und Opposition – als einzige weltweit – auf der Seite des zionistischen Apartheitsregimes.

    Doch auch in Deutschland gehen langsam die Lichter an! Genervt mußte heute „Der Spiegel“ die zahlreichen Aktionen der Palästinasolidarität in Berlin zur Kenntnis nehmen. In Berlin haben sich zionismuskritische Jüdinnen und Juden, Muslime und viele junge Deutsche zusammengetan. Sie schieben trennendes, kleinliche Meinungsverschiedenheiten, beiseite und gehen gemeinsam auf die Straße. Am Wochenende werden in ganz Deutschland zahlreiche Palästinasolidaritäts-Aktionen erwartet.

    Die Leute hier diskutieren gerne, oft um unbedeutende Kleinigkeiten. Aber Leute, die Zeit zum diskutieren ist vorbei. Der Genozid in Gaza läuft, die Vertreibung und Ermordung der Menschen in Gaza läuft, jede Minute stirbt ein palästinensisches Kind!

    Wie könnt ihr das ertragen? Es ist ein Akt der Menschheit jetzt auf die Straße zu gehen. Schließt auch den Pro-Palästinensischen Aktionen, die hier jetzt anlaufen, an

    Wer jetzt noch schweigt, macht sich mitschuldig!

  5. Amerika befindet sich in einer Blase der Selbstzerstückelung in ihrem zwei Parteien System.
    Amerika wird ein Land das sich selbst finden muss, unter der deutschen auferlegten Tätigkeiten. Was auch immer das Deutschtum sein möge, es sind nicht die deutschen oder angesiedelten Menschen die das bestimmen.
    Diese Aussage wurde durch die Ex Bundeskanzlerin geäussert, ‘WIR’
    machen Politik auf Augenhöhe und damit ist Deutschland das Zentrum der westlichen Politik.
    Hierzu kann man debattieren, oder das wird einfach durchgezogen. Innerhalb der EU spricht einziges dafür über. die Macht von Deutschland.
    Nur welche Macht ist letztendlich dafür verantwortlich?
    Die Politik oder das Kapital?

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