Achtung, giftig!

Enyavar, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Ständig hören wir von Menschen, die toxisch sein sollen. Also giftig. Und mit Gift diskutiert man nicht: Es muss weg! Kai Preuß über die zwischenmenschliche Wegwerfgesellschaft.

Was tötet nicht alles: Luftverschmutzung, weißes Mehl, Sitzen, Zigaretten, Raketenwerfer – und bei all dem natürlich auch: Stress! Stress ist richtig übel. Stress ist Gift, total toxisch. Stress ist in Ihnen drin, in Ihrem Leben, Ihrem Alltag, Ihrem Kopf. Aber er gehört da nicht rein und deswegen brauchen Sie keine fünf Minuten bei Doktor Google, bis die Verordnung steht: Stress muss raus. Und das Rezept dafür scheint klar: Entgiften, Entschlacken, Detox. Aber mit Stress fängt es ja erst an.

Männlichkeit kann auch so sein, sehr gefährlich, eben: toxisch. Muss auch raus. Giftige Männer, die da so drin sind in der Gesellschaft, im Gespräch, auf der Arbeit, in der Beziehung und alles kräftig durchseuchen mit ihrer Männerart. Da hilft nichts: die müssen weg, raus, entgiften, Dating-Detox.

Das Fremde im Blick

Die Gesellschaft hat ihn längst erkannt, den Bedarf an giftfreien Räumen. Sicher, sauber, gut gefedert, neudeutsch: Safe-Spaces. Antiseptische Diskursräume, männerfreie Stuhlkreise oder das Seminar mit dem dezenten Hinweis: Weiße dürfen hier nicht rein.

Allerorten und auf allen Ebenen werden gefährliche Stoffe, Gedanken und Menschen erkannt und gebannt. Man muss die Gründe für diese Aktionen nicht einmal ablehnen, um sich die Frage zu stellen, was da dahintersteckt. Woher kommt er, der ubiquitäre Wille zur Reinigung?

Man könnte ja auch immer anders reden. Wenn es ein Problem gibt mit Körper und Seele, dann liegt es zum Beispiel nahe von »Heilung« zu sprechen. Und tatsächlich findet man zahlreiche solcher Bilder, gerade im religiösen Bereich: Der Christus medicus, Christus der Arzt, ist nur ein prominentes Beispiel in dieser Tradition. Wer heute zu viel von Heilung spricht und mehr meint als den Schorf am Knie, sieht sich schnell zum Esoteriker gestempelt. Aber Heilung kann vieles heißen und ist mitunter ein komplexer Vorgang, der viel Arbeit an sich selbst, mitunter (wie bei Paulus) einen ganzen neuen Menschen erfordert.

Entgiftung ist was anderes. Entgiftung hat das Fremde im Blick, das sich störend im Organismus ausbreitet, das da nicht hingehört, und deshalb raus muss. Entgiften heißt Entsorgen. Was übrig bleibt, ist dann Gesundheit.

Zurück zur Reinheit

Entgiften heißt auch nicht »reparieren«. Von einem Zeitalter der digitalen Hoch- und Höchsttechnologie könnte man ja erwarten, dass es viel von »Reparaturen« spricht oder ein bisschen smarter gleich von »Patch«, »Bug fix« oder »Update«. Und tatsächlich firmiert die Seelsorge für jüngere Generationen derzeit häufig unter dem Label »Life Hacks«. Wobei auch hier weniger die ganzheitliche Wiederherstellung als der schnelle Weg zum Erfolg über Tricks und Kniffe (eben Hacks) im Vordergrund steht. Life Hacks und Entgiftungen lassen sich am Ende wohl ganz gut verbinden. Beide sehen das Problem draußen, weniger in der Arbeit an sich.

Der Vorgang der Entgiftung setzt voraus, dass man nur das Falsche, Schädliche entfernen muss, damit alles wieder rund läuft. Beziehung nervt? Der Partner ist toxisch, muss weg! Du selbst bist okay. Freunde doof? Toxische Bekanntschaften meiden! Du bleibst, wie du bist. Zu viel schlechte Nachrichten auf Twitter? Katzenvideos!

Ob es im Einzelfall nicht ganz ratsam ist, die ein oder andere Person, Gruppe, Idee oder Beschäftigung links liegen zu lassen, kann man getrost dahingestellt lassen. Aber muss man deshalb Menschen und das Verhältnis zu ihnen als »toxisch« bezeichnen? Und was verrät das über den, der so spricht?

Im Hintergrund all dieser Entschlackungen steht nichts anderes als die Vorstellung von der Rückkehr zu einem Zustand der Reinheit und Integrität. Integrität des Körpers, der Seele, des Sozialen, ja des ganzen Planeten. Hinter der Klage übers Toxische erhebt sich das mächtige Phantasma einer großen Gesundheit. Sind das Spätfolgen längst vergangener Nietzschelektüre? Oder gönnt sich hier genau jene Gesellschaft, die noch die harmloseste Esoterik und Alternativkultur kurzerhand mit Rechtsradikalismus gleichgesetzt hat, ein wenig Glauben an Reinheit, Ursprung und Rückkehr zum Ich? Vielleicht sind es nicht nur unförmige Leinenhosen, die derzeit an die Rückkehr einer Art von Lebensreformismus denken lassen.

Schon damals ist es vorgekommen, dass man beim Nackttanzen die Hand sehr weit nach rechts ausgestreckt hat. Das skurrilste Beispiel ist wohl die sogenannte Republik von Fiume: eine faschistische Hippiekommune an der Adria, gegründet vom brillanten Exzentriker Gabriele D’Annunzio. Ein Ort, an dem lange Haare und Nächte ohne Schwierigkeiten mit Militarismus und einer Feier der Gewalt zusammenflossen.

Lieber schnell raus statt sich langsam auseinandersetzen

Das muss nicht so sein, manchmal kommt es auch nur zu etwas dröger Prosa (Hesse?). Trotzdem ist Vorsicht geboten, wenn irgendwo zu viel Authentizität, zu viel Reinheit und Gewissheit lockt. Und besonders dann, wenn dafür jede Menge Missliebiges entfernt werden muss. Dann wird es ganz schnell sehr ungesund.

Denn es sind ja nicht nur Individuen aufgerufen sich zu säubern. Auf gesellschaftlicher Ebene sehen wir den Kampf gegen die Cultural Appropriation, also gegen das vermeintlich illegitime Eindringen in vermeintlich fremde symbolische und manchmal auch ganz reale Räume. Wer weiß ist, hat keine Rasta-Locken zu tragen. Ende. Wer in Hamburg aufwächst, spielt nicht Indianer. Und wer aus Berlin kommt, isst keine Weißwurst, alles klar? Es geht um saubere Schnitte, feste Kategorien und stabile Zuordnungen. Was nicht passt, muss raus.

Die politische Form des Entgiftens ist die Rücktrittsforderung oder das Canceln: Missliebige Personen müssen weg, missliebige Meinungen müssen raus, am besten noch bevor sie einer hört. In so einem Denken ist kein Raum für die Arbeit an der Beziehung (mit Gift diskutiert man nicht) und noch viel weniger Raum für Selbstkritik. Böse, das sind die anderen. Gesund sein aber heißt, ganz man selbst sein. Das ist verständlich als schroffe Reaktion in Zeiten großer Verunsicherung: lieber schnell raus statt langsamer Auseinandersetzung. Aber das macht es noch nicht wünschenswert.

Wie der neue Reinheitsfimmel mit der penetranten Forderung nach Inklusion von allem und jedem in alles und überhaupt zu verbinden ist – das sollen sich die Putzteufel mal schön selber ausdenken. Alle anderen sollten sich überlegen, ob es nicht manchmal guttut, sich etwas zu besudeln, gerade auf die Gefahr hin, dem Fremden etwas ähnlicher zu werden. Früher sprach man von Begegnung. Und das Gift, das macht immer noch die Dosis.

Ähnliche Beiträge:

16 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese Glosse, das spricht mir aus dem Herzen. Begegnung und Heilung, achtsam und mit viel Geduld, das ist für mich eine hohe Kunst und ganz zentral für ein gelungenes Leben.
    Herzlich
    Manuel

  2. Schöner Artikel. Vielen Dank!

    Die „Toxität“ wurde allgemein mit der „toxischen Männlichkeit“ erfunden, die beides ist: vergiftet und vergiftend.
    Übersetzt man den angelsächsischen Begriff, dann wird einem klar, die Imagination einer „heilen Gesellschaft“ bezieht sich nicht nur auf die Zukunft, in der das Gift entfernt wird.
    Sondern es wird überhaupt die Existenz/die Möglichkeit einer partiell „heilen Gesellschaft“ suggeriert. Die Bedrohung dieses heilen Teils – es fällt nicht schwer, in den „weiblichen“ zu sehen – geschieht durch den anderen Teil der Gesellschaft und der ist eben männlich.
    Merke: Es gibt ein richtiges Geschlecht im falschen Leben.
    Auf Deutsch übersetzt kommen (mir zumindest) weitere Analogien in den Sinn: Was und wer war noch einmal zersetzend für den heilen Volkskörper?

    Erfunden hat den Begriff übrigens ein Gefängnispsychologe aus den USA (und nicht die APA). Er beschrieb damit diejenige Männlichkeit, die den Gefängnisinsassen erst zu einem solchen gemacht hat. Also bspw. durch begehen von Straftaten.
    Die Straftaten sind, weil die Gemeinschaft der toxischen Männer (Spaß!) – „das Patriarchat“ – bestimmte Verhaltensweisen der toxischen Männlichkeit als toxisch für die Gesellschaft erkannt hat und darum bestraft werden.

    So geschrieben braucht man jedoch keine neue moralische Autorität zu erfinden, die über toxische Männlichkeit befindet und richtet, weil sie bereits existiert.
    Das wäre aber schlecht; weshalb mit gewissen Auslassungen dem „Diskurs“ der passende Spin gegeben wird.

  3. Bellum Omnium Contra Omnes

    „Krieg aller gegen alle“ oder der „Kampf aller gegen alle“

    Da bin Ich ein Lumpenpazifist und lasse Mich nicht von der Sklaven-Moral oder der Herren-Moral; in ihre Frontstellungen zwingen. Mein Egoismus und Mein freier Wille sind Mir bewusst!

  4. Wer mit seinen Worten nicht durchdacht maßvoll ist, in dessen Geäußertem ist oft nicht viel Reinheit zu erwarten.
    Man denke daher besser also immer ohne Eile, und sagt es dann vorzugsweise in einer Zeile.

  5. Es gibt aber nun einmal Menschen, auf die das Attribut „toxisch“ zutrifft. Die unablässig das Leben ihrer Mitmenschen zur Hölle machen versuchen, oft mit Erfolg. Mit denen keine Verständigung oder Versöhnung möglich ist, weil sie dann sogleich wieder von von vorne mit ihrem zerstörerischen Tun anfangen. Die oftmals mit ausreichender Raffinesse begabt sind, so dass sie erst spät, wenn überhaupt, enttarnt werden.
    Diese Menschen befinden sich innerhalb der so genannten „Dunklen Triade“ aus Psychopathie, Soziopathie und pathologischem Narzissmus.
    Und selbst wenn sie auffliegen (und dann einfach woanders weitermachen) oder irgendwann ableben, sind der Schaden und das Leid, dass sie angerichtet haben, in der Welt.

    Diese Menschen *sind* Gift.

    1. Da jeder Mensch ein Besonderer ist, werden sich nie alle mögen. Man darf andere als schwierig oder gar unerträglich empfinden, denn es gibt die gerade aus dieser Unterschiedlichkeit erwachsende Hoffnung, dass – volkstümlich gesprochen – jeder Topf seinen Deckel findet. Auch die Fähigkeit zur Toleranz oder die zur Resilienz sind solche individuell unterschiedlich ausgeprägten Eigenschaften. Ob eine solche Unfähigkeit in ein Flucht- oder Vermeidungsverhalten mündet oder in Feindseligkeit und körperliche Aggression ist in aller Regel Zufälligkeiten geschuldet, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Die Begrifflichkeiten und Techniken der gerne als Wissenschaften vom Menschen bezeichneten Ansätze zur Veränderung des Selbst sind aus meiner Sicht dafür nicht hinreichend. Das Gefühl körperlicher und seelischer Gesundheit ist vor allem eine Frage persönlichen Glücks.
      Dass gegenwärtig ständig Versuche unternommen werden, den Menschen eine Möglichkeit zu umfassender willentlicher Selbstgestaltung und Optimierung einzureden schreibe ich vor allem den Bemühungen der Konzerne in den Sektoren Gesundheitsdienste, Pharmazeutika und Freizeitangeboten zu. Marktgängigkeit ist die Voraussetzung von Profit. Gäbe es diese Angebote nicht, könnte sich ja jeder in die Sonne setzen und seinen Vitamin D Haushalt durch Nichtstun optimieren, über seine eigenen Macken nachdenken und eigene Veränderungsmöglichkeiten erkunden, einschätzen oder erfinden wie er lustig ist.

    2. Hi Bernd,

      leider haben meine Frau und ich so ein Ehepaar mal kennen gelernt. Durch uns haben diese sogar eine riesige kömplett neu renovierte Wohnung mit allem neu günstig zu Miete bekommen.

      Nach ca. 18 Monaten sind wir ausgezogen.

      Wenn ich so was nicht selbst erlebt hätte, würde ich dir auch wiedersprechen.

      1. Mensch macht viele negative Erfahrungen. Ob es eine sinnvolle Konsequenz ist, aus einem vereinzelten Erleben groß Folgerungen zu ziehen, wird man immer wieder prüfen müssen. Als Beispiel fällt mir gerade ein, dass ich bei meinem ersten Besuch in Jugoslawien spürte, dass die alle ganz friedlich waren – gar nicht so wie die Exilanten, die seinerzeit in Deutschland gerne mal Mollis durchs Fenster in die Treffpunkte der politischen Konkurrenz warfen.

        1. Ich und meine Frau haben sich ja nicht geändert. Wir gehen immer noch offen auf Menschen zu.

          Vor 12 Jahren hätte ich aber nicht geglaubt, dass soviel Falschheit bei Menschen im alltäglichem Leben existieren kann.

      2. Vielleicht ist Ihr letzter Satz ein ganz wichtiger Punkt. Ohne direkte Erfahrungen mit solchen oder einem solchen Menschen ist dieses Ausmaß an Bösartigkeit, die über die alltäglichen Konflikte weit hinausgehen, wahrscheinlich gar nicht vorstellbar, geschweige denn die Möglichkeit, dass es solche Menschen überhaupt geben kann.

        Das würde auch die relativierenden und subjektivierenden Antworten zu meinem Kommentar erklären.

    3. Das mag sein. Aber es werden ja nicht einzelne Menschen damit gemeint sondern eine ganze Gruppe von Menschen soll „toxisch“ sein. Und das halte ich für problematisch.

  6. Ein erfrischender Artikel. Heilung hatte traditionell eigentlich immer mit der Wiederherstellung eines Gleichgewichts zwischen den Kräften und Polaritäten zu tun. Fanatische Ideologien beschreiben Heilung als das Ausmerzen einer Polarität (Eigenschaft), die als „das Böse“ benannt wurde. Soweit ich das mitbekommen habe, wollten auch Hitler und Stalin eine „Heilung“ im Sinne ihrer Ideologie durchführen. Der als Kriegsverbrecher gesuchte Anführer der bosnischen Serben Karadzic arbeitete vor seiner Ergreifung noch einige Jahre als Wunderheiler in Belgrad. Heilen und Zerstören liegen manchmal nur eng nebeneinander, sind eine Gratwanderung.

    Diese Inflation, Teile der Außenwelt als toxisch zu beschreiben, hat wohl viel mit Neurotizität und Narzissmus zu tun. Narzissten finden sich selbst recht super und die Probleme werden nur bei anderen wahrgenommen. Wer von toxischen Partnern, Männern oder Menschen redet, versucht die eigenen negativen, destruktiven Anteile dadurch zu verdecken.

    1. Oder Menschen, deren Weltbild möglichst einfach ist. Man sieht die Welt in Gut und Böse aufgeteilt, wobei man einen Teil der Menschen als Gut und den anderen als Böse ansieht. Dabei sollte doch die einfache Lebenserfahrung zeigen, daß die Welt nicht so einfach ist. Im Beispiel Männer und Frauen ist es ja wohl so, daß man zur Erhaltung unserer Art beides braucht. Zumindestens wird das so noch ein paar Jahre notwendig sein.

  7. Wieviel Mensch ist noch ein Mensch?
    Heute existieren Massen an Subjekten in Arbeitslagern, diese werden über Humane Ressourcen Anbieter ausgesucht. Darum wird die „Reinheit“ gerne im Vorfeld durch den humanen Ressourcen Entscheider aussondiert, mit den Faktoren, ist die gesundliche Verfassung des ES schon geimpft, ge’boostert‘ oder ist ES ein gegen des öffentlichen Narrativs demonstrierender „Nazi, Linksradikaler, Reichsdeutscher etc…
    Gesundheit fängt dort an, wo man keinen Zwängen mehr unterliegt und der Geist seinen eigenen spinnigen Gedanken führt…

    Dankeschön Kai

  8. Wie schön kann sich im Individualismus gesuhlt werden. Da kann jeden alles Mögliche unterstellt werden. Selbst wenn es stimmt, ist es lediglich der Widerspruch zwischen zwei Individuen, keiner kann für sich ableiten gut oder böse zu sein. Jeder für sich kann mit dem wie er ist gut leben. Deshalb heißt es ja: Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein. Und nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein.
    Bei den genannte Beispielen zerrt eine Seite immer die Gesellschaft auf seine Seite. Würde er davon ausgehen, dass es nur ihn beträfe, braucht er es nicht aufschreiben und kann es als Lernprozess ablegen.
    Ähnlich verhält es sich mit dem zum Vorwurf verkommenen „Da bin ich aber enttäuscht von Dir.“ Nicht die Erkenntnis nicht mehr einer Täuschung zu unterliegen freut einem, nein der andere hat nicht so gehandelt wie ich es gerne gewollt hätte. Was war denn die Abmachung, die nicht eingehalten wurde und Grund für die Enttäuschung rechtfertigt?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert