Raumverbote oder: Was ist antisemitisch?

Mauer in Bethlehem. Bild: delayed gratification/CC BY-NC-SA-2.0

 

Wieder einmal kann eine israelkritische Konferenz mit dem Titel „50 Jahre israelische Besatzung. Unsere Verantwortung für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts“ nicht stattfinden, weil israelbezogener Antisemitismus unterstellt wird.

Am 9.-10.6.2017 sollte in Frankfurt am Main eine Konferenz stattfinden. Veranstalter war der „Deutsche Koordinationsrat Palästina Israel“ (KOPI). Thema der Konferenz sollte „50 Jahre israelische Besatzung. Unsere Verantwortung für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts“ sein. Teilnehmen sollten an ihr ReferentInnen aus Israel, Palästina und Deutschland. Die Konferenz sollte bereits in ihrem Vorlauf abgewürgt worden. Eine Welle von Hassmails aus aller Welt und eine Denunzierungskampagne, die auch vor Gewaltandrohungen nicht zurückscheute, hatte den Vermieter des Saals, in welchem die Veranstaltung stattfinden sollte, dazu bewogen, seine Abmachung mit den Veranstaltern zu annullieren und dem geforderten Raumverbot nachzugeben. Warum? Weil die Veranstaltung als „antisemitisch“ apostrophiert worden ist. Von wem? Nun, diese Frage ist komplexer zu beantworten.

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Die Veranstaltung am 9. Juni in Frankfurt wird um 19 Uhr über Zoom stattfinden.

Moshe Zuckermann wird wegen seiner Corona-Erkrankung seinen Vortrag in Stuttgart am 10. Juni über „Das Apartheidsystem des Staates Israel und die Rechtsentwicklung der israelischen Gesellschaft“ auch um 19 Uhr über Zoom halten. Das Palästinakomitee Stuttgart wird einen Zoom-Link bekannt geben.

Der Vortrag „Von Humanismus, Politik und Solidarität – Reiner Bernstein zum Andenken“, den Moshe Zuckermann  am 11. Juni auf der Gedenkveranstaltung für Reiner Bernstein (18.00-22.00 h, Trafo, Rotkreuzplatz, München) geben wollte, wird ebenfalls über Zoom gehalten. Weiteres Programm: Jürgen Jung: Liest Texte von Reiner Bernstein; Michael Leslie: Klavier Chopin – Polonaise-Fantasie Opus 61; Lobna Shammout: Ach, Du bist Palästinenserin…?“ – ein Vortrag über antipalästinensischen Rassismus; Dr. Andrej Bockelmann: Film „Wildwest in Westjordanien“; Michael Leslie:  Brahms – Intermezzo es-Moll Opus 118/6; Jürgen Jung: “Rede an die Menschheit“ Charlie Chaplin 1944; Michael Leslie: Pete Seeger – We shall overcome

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Es handelte sich um eine Konstellation von selbsternannten Antisemiten-Jägern, die mit dem realen Antisemitismus nicht sehr viel zu schaffen haben, sich dafür aber umso gründlicher aufs Jagen spezialisiert haben. Da wäre zunächst die sogenannte Israel-Lobby, bestehend aus Vertretern der jüdischen Gemeinden in Deutschland mit der Rückendeckung der israelischen Botschaft, mithin des verlängerten Arms des israelischen Außenministeriums. Da wären die Reste der Randerscheinung der sogenannten „Antideutschen“, einer ehemaligen linken deutschen Bewegung, die es heute mittlerweile in ihrer überbordenden Israelliebe und -solidarität mit jedem israelischen Faschisten aufnehmen kann.

Da wäre zudem die hegemoniale Medienwelt Deutschlands, die sich mit der offiziellen Israelpolitik der deutschen politischen Klasse darin verschwistert weiß, dass sie Israels Politik nie rigoros kritisieren würde und, wie in diesem Fall der haarsträubenden Denunzierung, zumeist betreten wegschauen wird, wenn es um die Lappalie einer Verteidigung der freien Meinungsäußerung zu gehen hätte. Wer will schon „Antisemiten“ verteidigen? Und es geht, wie gesagt, um die politische Klasse Deutschlands, die in diesem Fall vom ehemaligen Frankfurter Bürgermeister und Stadtkämmerer Uwe Becker (CDU) vertreten ist.

Deal zwischen Israel und Deutschland

Dass die israelische Regierung und ihre Institutionen nicht daran interessiert sind, dass eine Konferenz über die israelische Besatzung stattfindet, versteht sich von selbst. Für die gegenwärtig herrschende Regierungskoalition, die rechteste in der gesamten israelischen Parlamentsgeschichte, erledigt sich diese Frage von selbst: Es gibt ja keine israelische Besatzung, denn „Juden dürfen sich überall in Erez Israel ansiedeln“, und wer das anders sieht, möge die Bibel neu schreiben, wie Naftali Bennett, damaliger Erziehungsminister und heutiger Premierminister Israels, einem Al-Jazzera-Reporter klarmachte, der nicht ganz einzusehen vermochte, was die mythische Bibelgeschichte mit der realen Politik Israels im Jahre 2017 zu tun haben soll.

Dass Vertreter der jüdischen Gemeinden in Deutschland in derlei Situationen meinen, auf der Hut sein zu sollen, und jedwede Israelkritik sogleich als antisemitisch abkanzeln, mithin Israelkritik, Antizionismus und Antisemitismus automatisch gleichsetzen, ist ebenfalls nicht verwunderlich. Welche andere Identität haben die Mitglieder dieser Gemeinden als Juden vorzuweisen, wenn sie nicht die rein religiöse beanspruchen (es sind ja säkulare Juden zumeist)? Mit der Identität als deutsche Staatsbürger tut man sich aus historischen Gründen noch immer schwer; in Israel lebt man ja nicht – also projiziert man die „jüdische“ Identität auf ein abstraktes Israel und suhlt sich in Solidarität mit dem fernen Land, weil man mit seinem eigenen realen Dasein in Deutschland offenbar nur schlecht zurande kommt. Erstaunlich, wie sie dabei ihren defizitären Stellenwert als „in Deutschland lebende Juden“ in der öffentlichen Sphäre Deutschlands zu verwerten verstehen, vor allem aber auch, wie die deutsche Öffentlichkeit ihnen diese erbärmliche Instrumentalisierung ihres Jude-Seins zugesteht.

Dass sich die deutsche Politik und mit ihr die deutsche Medienwelt dem Tabu der Israelkritik (selbst auferlegt) verschrieben hat, ist auch nicht sonderlich überraschend. Das war ja der Deal zwischen Israel und Deutschland schon seit 1952: Deutschland befleißigt sich in „Wiedergutmachung“, und Israel gewährt die Absolution, indem es sich bezahlen lässt. Es gab gute Gründe dafür: Deutschland wollte nach der NS-Zeit zurück in die Völkergemeinschaft, und das junge Israel brauchte das Geld für seinen Aufbau im ersten Jahrzehnt seines Bestehens.

Mit Erinnern und Gedenken hatte dieser Deal rein gar nichts zu tun, sondern vor allem mit der Materialisierung der Sühne und deren endloser, bis jetzt anhaltender Instrumentalisierung auf beiden Seiten: Noch heute meinen deutsche Politiker und Medienleute, an Juden etwas über Israel „wiedergutmachen“ zu sollen. Sie solidarisieren sich mit „Juden“, indem sie sie allesamt den Kategorien „Israel“ und „Zionismus“ subsumieren – und somit wie ehedem abstrahieren. Zur wahren ideologisch-manipulativen Meisterschaft darin haben es besagte „Antideutsche“ gebracht. Bei ihnen ist der Tauschwert der Israelsolidarität nachgerade zum identitären Kulturkapital geronnen. Die Juden ihrerseits lassen sich die gesamte Farce der solcherweise entstellten deutsch-jüdischen Beziehungen nicht nur gefallen, sondern nähren diese unsägliche Verdinglichung des Ressentiments, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet.

Plumper Antisemitismus eines deutschen Politikers

Neu war allerdings die Erscheinung eines Uwe Beckers. Denn deutsche Politiker haben sich zwar stets mit „Israel“ und „unseren jüdischen Mitbürgern“ solidarisiert, haben sich aber, soweit (mir) bekannt, noch nie in die Sphäre der Maßnahmen, mithin der Unterbindung von Veranstaltungen begeben – es sei denn, es ging um neonazistische Events und Aktionen. Und selbst bei diesen haben sie für gewöhnlich vor konkreten Maßnahmen Halt gemacht: Neonazis dürfen in Deutschland demonstrieren.

Uwe Becker hingegen ist ein Mann der Tat. Sich auf einen Beschluss des CDU-Parteitags in Essen gegen die Boykott-Bewegung BDS beziehend, erklärte er: „Wer heute unter der Fahne der BDS-Bewegung zum Boykott israelischer Waren und Dienstleistungen aufruft, der spricht in der gleichen Sprache, in der man einst die Menschen dazu aufgerufen hat, nicht bei Juden zu kaufen. Dies ist nichts anderes als plumper Antisemitismus, wie ihn schon die Nationalsozialisten instrumentalisiert haben.“

Uwe Becker hat sich in der Solidarität mit Juden bereits politisches Kapital erworben. Antisemitische Graffiti im Frankfurter Ostpark verurteilte er umgehend: „Wir dürfen das nicht als Kavaliersdelikte oder Dumme-Jungen-Streiche abtun, das ist blanker Hass und Antisemitismus.“ Das ist sehr honorig von ihm, gibt aber zu denken: Nazi-Graffiti und BDS-Boykottaufrufe sind beide Antisemitiismus. Und nun auch die damals abzuwürgende Konferenz in Frankfurt. Uwe Becker war mit an vorderster Front gegen die Veranstaltung: KOPI sei für die Unterstützung der antisemitischen BDS-Bewegung bekannt, sagte er. Die Bewegung betreibe eine „zutiefst antisemitische Stimmungsmache“ und benutze „die gleiche Sprache wie die Nationalsozialisten“, die „‚Kauft nicht bei Juden'“ proklamiert hätten.

Nazi-Graffiti, BDS und KOPI-Konferenz also alles antisemitisch – und somit auch alles, was mit dieser Veranstaltung zusammenhängt, u.a. die jüdischen Konferenz-TeilnehmerInnen Iris Hefets, Ilan Pappe und ich. Ganz zu schweigen von der Palästinenserin Majida Al-Masri und dem Deutschen Norman Paech.

Es sei Uwe Becker zugutegehalten, dass er Klartext redete. Eine solche Veranstaltung habe in Frankfurt nichts verloren, sagte er. „Wer in Frankfurt Stimmung gegen Israel machen will, wer für den Boykott israelischer Waren wirbt und Sanktionen gegenüber diesem Land fordert, ist in unserer Stadt nicht willkommen.“ Aber klar gesprochen heißt mitnichten klar gedacht, wie sich herausstellt. Dazu eine kleine Randbemerkung in eigener Sache. Ich habe in Frankfurt der 1960er Jahre als Sohn von Holocaust-Überlebenden gelebt, bevor Uwe Becker auf die Welt gekommen ist. Das Recht, mich in dieser Stadt willkommen zu fühlen oder nicht, habe ich mir lebensgeschichtlich erworben, und ich brauche den Segen Uwe Beckers dazu nicht. Ich weiß nicht, was die Familie von Uwe Becker im Krieg gemacht hat, hingegen weiß ich sehr wohl, was meine Familie erlitten hat. Ich meine, Uwe Becker sollte sich sehr vorsehen, ehe er sich anmaßt, mir oder irgendeinem anderen Juden suggerieren zu wollen, Antisemit zu sein bzw. sich mit Antisemiten zu verbandeln.

Dass Uwe Becker offenbar nicht zwischen Judentum, Zionismus und Israel und somit zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik zu unterscheiden vermag, sei ihm nachgesehen. Ihm ergeht es wie den allermeisten Deutschen in dieser Sache. Dass er Boykott-Aufrufe gegen Israel gleich als Antisemitismus ansieht, sei ihm auch geschenkt. Dass er aber den Boykott-Aufruf gegen israelische Waren mit dem Aufruf der Nazis, nicht bei Juden zu kaufen, analogisiert, indiziert, dass er nicht begriffen hat, worum es hier geht. Denn fragen sollte sich Uwe Becker, warum zum Boykott gegen Israel aufgerufen wird (und ich sage das, ungeachtet der Frage, ob der Boykott zu unterstützen sei oder nicht). Gibt es an Israel etwas, dass zumindest den Gedanken an Boykott aufkommen lassen könnte? Die von den Nazis verfolgten Juden hatten nichts verbrochen, was die nazistische Schikane, die sich sehr bald zu Monströsem entfalten sollte, plausibel gemacht hätte. Und Israel?

Solidarität mit welchem Israel?

Nun, es schien Uwe Becker entgangen zu sein, dass Israel seit Jahrzehnten ein brutales Okkupationsregime betreibt und das in den von ihm besetzten Gebieten das palästinensische Volk knechtet. Das ist kein Abstraktum, sondern eine tagtäglich und allnächtlich perpetuierte Realität – eine Menschenrechte zutiefst verachtende und völkerrechtswidrige Praxis. Nicht nur sind dabei die Palästinenser lebensweltlich permanenter Gewalt ausgesetzt, sondern sie werden zugleich systematisch und mit Vorbedacht ihrer nationalen Selbstbestimmung beraubt.

Uwe Becker muss sich also fragen lassen, ob er überhaupt begriffen hat, mit was für einem Israel er sich solidarisiert? Weiß er überhaupt, was in dem Land vorgeht, das er vor jüdischen „Antisemiten“ in Schutz nehmen zu sollen meint? Um dieses Israel und seine Rolle im Konflikt mit den Palästinensern sollte es in der u.a. von ihm angegriffenen Konferenz gehen. Was hat ihn dazu berechtigt, sich dem Verdikt der Vertreter der jüdischen Gemeinde Frankfurts anzuschließen, abgesehen von seiner ideologischen Verblendung? Wieso erdreistet er sich, den Konferenz-TeilnehmerInnen Antisemitismus zu unterstellen, sie mit Nazis zu assoziieren?

Vielerlei Vermutungen ließen sich bei der Beantwortung dieser Fragen anstellen. Es scheint aber an der Zeit zu sein, zumindest die Grundkoordinaten dieser üblen Debatte zurechtzurücken. An Uwe Becker: Deutsche haben an Juden Monströses verbrochen – wenn man also schon mit Kollektivkategorien operiert (Solidarität mit „Juden“ und „Israel“), sollte man sehr, sehr vorsichtig sein, ehe man als Deutscher einen Juden des Antisemitismus bezichtigt. Allzu leicht ließe sich da eine Projektion herauslesen, bei der sich dunkle Abgründe öffnen.

An die jüdischen Gemeinden in Deutschland: Es waren deutsche Faschisten, die an Juden das Monströse verbrochen haben. Juden dürfen sich, wenn sie ein Minimum an Gedenken dessen, was es zu gedenken gilt, wahren wollen, nicht mit Faschisten solidarisieren, auch nicht mit jüdischen Faschisten – und Israel faschisiert zunehmend, nicht zuletzt infolge der von ihm seit 50 Jahren betriebenen Besatzungsbarbarei. In diese historische Sackgasse hat sich das Land, das sich als das Land der Juden versteht, hineinmanövriert und verrät dabei das Andenken der Opfer.

An die deutschen Medien und Deutschlands Politiker: Es ist nachvollziehbar, wenn auch bedauerlich, dass man sich der Kritik an Israel enthalten zu sollen meint; Hitlers Vermächtnis wirkt eben noch mächtiger nach, als man es vermutet. Denn man sollte sich zumindest klarmachen, dass die Verschweigung dessen, was Israel mit der Besatzung verbricht, nicht nur einen Verrat an den Palästinensern bedeutet, sondern auch an das, was Israel hätte sein können, wenn es nicht den vor einem halben Jahrhundert gewählten historischen Weg eingeschlagen hätte. Es ist noch nicht zu spät, dies zu korrigieren. Was es Israels politischer Klasse und seiner Bevölkerung zu sagen gäbe, wurde dann doch auf der Konferenz erörtert und debattiert.

Ein alter Trick: Die Antisemiten wissen nicht einmal, dass sie Antisemiten sind

Fünf Jahre sind seit jener Konferenz vergangen. Aber für Uwe Becker scheint die Zeit stillgestanden zu sein. Am 9.6.2022 sollte in Frankfurt eine Veranstaltung stattfinden, in welcher ich einen Vortrag mit dem Titel “Apartheid auch in Israel – nicht nur in den besetzten Gebieten?” Prompt reagierte wieder Uwe Becker, heutiger Beauftragter der Hessischen Landesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen den Antisemitismus: “Während bei Hakenkreuz-Schmierereien die gesellschaftlichen Abwehrmechanismen gegen Judenfeindlichkeit funktionieren, stehen dem israelbezogenen Antisemitismus in Deutschland zu viele Türen offen. In zu großen Teilen gerade auch von Kunst, Kultur und Wissenschaft bahnt sich israelbezogene Judenfeindlichkeit ihren Weg, ohne dass dies ausreichend wahrgenommen wird. Dies geschieht über die Unterstützung oder geäußertes Verständnis für die antisemitische Boykottbewegung BDS, über die Diffamierung Israels als Apartheidstaat oder über pauschale Verurteilungen eines ganzen Landes. Zu wenige in unserer Gesellschaft reagieren auf diese Form der Judenfeindlichkeit konsequent genug.“

Er führte aus: „Diese Salonfähigkeit des israelbezogenen Antisemitismus schafft gefährliche Orte der Verbreitung von Judenfeindlichkeit, da der Antisemitismus zu wenig Gegenwehr erfährt, wenn er als falsch verstandene Form von Kunst- oder Meinungsfreiheit daherkommt. Im mildesten Falle fehlt es schlicht an der Kenntnis über israelfeindliche Strukturen oder Organisationen, doch auch Fahrlässigkeit entschuldigt nicht, wenn es um die Verbreitung von Antisemitismus geht. Es braucht gerade im Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus ein höheres Maß an Sensibilität bei Kultureinrichtungen und Institutionen. Bei einem stärkeren Bewusstsein für diese besondere Ausprägung des Antisemitismus und einer konsequenten Bekämpfung können auch Verwerfungen bei Kunstausstellungen oder wissenschaftlichen Debatten vermieden werden.“

Gleichzeitig kritisierte der Antisemitismusbeauftragte den am 9. Juni im Saalbau Südbahnhof in Frankfurt am Main vorgesehene Veranstaltung scharf: “Interessierte Kreise möchten die Schlinge um Israel immer enger ziehen und leisten mit diesem Format dem Antisemitismus in Deutschland Vorschub. Selbst wer Judenfeindlichkeit in den eigenen Handlungen nicht erkennen will, betätigt sich bei solchen Veranstaltungen als Stichwortgeber für den israelbezogenen Antisemitismus.“

Ein alter Trick: Die Antisemiten wissen nicht einmal, dass sie Antisemiten sind. Aber “objektiv” leisten sie dem “israelbezogenen Antisemitismus” Vorschub. Da ich zwar in diesem Vorwurf nicht persönlich erwähnt werde, aber davon ausgehen muss, dass ich gemeint bin, denn ich bin der einzige Redner bei besagter Veranstaltung, kann ich nur sagen:

„Becker, Sie mögen sich noch so anstrengen, aber was soll man machen, ich bin nun mal kein Antisemit. Ich bin ein Jude, der den realen Antisemitismus bekämpft (wie und auf welchem Weg, bleibe hier unerörtert). Sie aber sind mir zutiefst suspekt. Was treibt Sie an, Juden als Antisemiten zu diffamieren? Was an Ihrem Deutsch-Sein aktiviert sich da in Ihrem Innern. Von Israel wissen Sie offenbar nicht allzu viel. Die Realität dieses Landes kennen Sie nicht, mithin auch nicht, was an Israels Politik den Antisemitismus in der Welt mitschürt. Das mit Ihnen zu erörtern, ist zwecklos. Sie sind zu verblendet bzw. Ihrem Job als Antisemiten-Jäger verpflichtet, der Sie nötigt, ‚Antisemiten‘ zu liefern: Sie müssen ja nachgerade überall Antisemitismus wittern – was wären Sie denn sonst für ein Schnüffelhund?

Was aber nicht ignoriert werden kann, ist Folgendes: Sie unterstellen mir, den Antisemitismus zu fördern, ohne mir dessen bewusst zu sein. Wenn aber Juden von Deutschen als Antisemiten apostrophiert werden, dann mag der Verdacht aufkommen, dass diese Deutschen einer ‚Entlastung der Deutschen‘ Vorschub leisten wollen. Und wenn sie sich dessen nicht bewusst sind, dann ist das eben ‚objektiv‘ wohl der Fall. Dieses Ressentiment kennen wir. Es basierte zumeist auf der Perfidität von alten wie neuen Nazis, derzufolge, die Juden selbst an ihrem Unglück schuld seien.“

Als ich 2017 von der Konferenz nach Israel zurückkehrte und meinen Kollegen von den Machenschaften Uwe Beckers (und seinesgleichen) erzählte, riefen sie: „Das ist doch klar ein Antisemit!“ Nun, ich würde mir nie erlauben, einen bedeutenden deutschen Politiker als Antisemiten zu bezeichnen – aber kann es sein, dass er sich, ohne sich dessen bewusst zu sein – „objektiv”, versteht sich, rein “objektiv” – aus verschütteten nazistischen Beweggründen handelt? Rein “objektiv” – da sei nochmals betont. Und noch ein letztes Mal.

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2 Kommentare

  1. Danke, Herr Zuckermann, schon immer fand ich es zutiefst befremdlich, wie „arische“ Deutsche sich anmaßten, darüber zu entscheiden, wer ein richtiger Jude ist, im „deutschen“ Sinne und wer nur ein sich anmaßender Jude sei.
    Das treibt wirklich groteske Blüten und z.Z. kann man eine ähnliche Entwicklung bzgl. Russlands sehen, wo man den Eindruck gewinnt, endlich wollen die Deutschen die Geschichte umschreiben und nun auf der Seite der Guten, so als Anti-Putin-Koalition, den damals verlorenen Krieg doch noch gegen den alten Feind gewinnen.

  2. Vor ein paar Jahren, ich fuhr mit der Bahn zu einem Termin nach Berlin, sah ich aus dem Zugfenster kurz vor meinem Zielbahnhof zwischen zwei sehr großen Gebäuden einen unscheinbaren Bau. Daran war ein großes Banner befestigt, das zur „Solidarität mit Israel“ aufrief.
    Solidarität mit Israel, was soll damit ausgedrückt werden? Friede, Freude, Eierkuchen? Ich überlegte und mir fiel nichts Positives ein, nur etwas Negatives – Kritik an Israel hat zu unterbleiben. Und dies verbirgt sich hinter dieser „Solidarität“ auch heute.

    Nur sollte man bedenken, wer Kritik und Diskussion unterdrückt oder nicht ernst nimmt, ist nicht nur undemokratisch, sondern auch unsolidarisch, weil nur Kritik die Möglichkeit eröffnet, Fehler zu erkennen. Ohne Kritik und daraus erfolgtes Lernen gibt es keine Möglichkeit unerträgliche Verhältnisse wahrzunehmen und schrittweise zu verändern. Wer dafür sorgt, dass es keine Kritik gibt oder diese stur überhört, baut Spannungen auf, die sich nicht schrittweise ausgleichen lassen, sondern sich womöglich in eruptiver, zerstörerischer Gewalttätigkeiten entladen. Das aktuelle Beispiel muss nicht extra erwähnt werden.

    PS. Herr Becker ist bestimmt kein Antisemit. Vielmehr ist er ein populistischer Selbstdarsteller.

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