Causa Ephraim Eitam: Eine nachvollziehbare Unerträglichkeit

Die geplante Ernennung eines rechtsnationalen Hardliners zum Direktor des Yad Vashem ist eine Zumutung. Mit ihr auch die Holocaustgedenkstätte selbst, die zu einem Ort der politischen Inszenierung verkommen ist. 

Avner Shalev, der langjährige Vorsitzende des Direktoriums von Yad Vashem, der weltweit größten Holocaustgedenkstätte, geht in Pension. Israels Premier, Benjamin Netanjahu, hat seinen Nachfolger nominiert: Effi Eitam. Die Personalauswahl des Regierungschefs zeitigte sogleich einen Eklat: Namhafte Historiker, Intellektuelle und Shoah-Forscher aus aller Welt protestierten emphatisch gegen die Entscheidung, einige israelische Politiker (nicht zu viele) meldeten sich kritisch zu Wort, Verteidigungsminister Benny Gantz wird vermutlich gegen die Nominierung stimmen, und Oppositionsführer Yair Lapid hat sich bereits dezidiert gegen sie geäußert.

Was ist der Grund für die Aufwallung? Nun, Eitam, ehemaliger General der IDF und Knesset-Minister im Auftrag der Nationalreligiösen Partei in der Mitte der Nullerjahre, ist, gelinde gesagt, ein rechtsradikaler Rassist, um nicht zu sagen, ein Faschist, der Israels arabische Bürger als eine „fünfte Kolonne“ apostrophiert hat, die aus dem politischen System des Landes ausgeschieden gehört. Die allermeisten Palästinenser, sagte er, müssten aus dem Westjordanland vertrieben werden, denn „all diese Araber“ seien ihm zu viel, und man könne ja nicht auf das Territorium verzichten. „Ein Teil [der Palästinenser] wird vielleicht unter gewissen Bedingungen bleiben, aber der größte Teil wird gehen müssen“. Die Kritiker sehen Effi Eitam als unwürdig an, der bedeutendsten Institution des Shoah-Gedenkens weltweit vorzustehen – seine Positionen und politische Haltung seien mit dem, was Yad Vashem verkörpert, schlichtweg unvereinbar; seine Nominierung könne der renommierten Gedenkstätte nur zum Schaden gereichen.

Das ist durchaus nachvollziehbar. Einen Faschisten sollte man in der Tat nicht mit der Leitung der Anstalt betrauen, die gegründet wurde, um sich mit dem von den Nazis an den Juden verübten Völkermord forschend und staatsoffiziell gedenkend zu befassen. Es gab aber auch einzelne Stimmen, die meinten, so widerwärtig der schiere Gedanke sei, einen faschistischen Rassisten als hochgestellten institutionellen Sachwalter des israelischen Shoah-Gedenkens zu wissen, widerspiegele seine Nominierung gerade am adäquatesten den objektiven Zustand, mithin die hegemoniale Ideologie Israels im Jahre 2020.

Israel, das sich paradoxerweise trotz jahrzehntelanger brutaler Knechtung der Palästinenser rühmt, eine Demokratie zu sein; ein Land, in dem ein widerwärtiger Alltagsrassismus Urständ feiert, und der Hass zwischen verschiedenen Gruppen der Bevölkerung bedrohliche Ausmaße angenommen hat; dessen führende Politiker sich einer schmutzig-perfiden Rhetorik bedienen, die in Deutschland, Frankreich oder England bei gleicher Praxis keinen Amtsträger auch nur eine Woche in seinem Amt belassen würde; Israel, an dessen Spitze ein der Korruption, des Betrugs und der Veruntreuung angeklagter Premierminister steht, der sich weigert, den erforderlichen Schritt zu tun und zurückzutreten, stattdessen aber, von einer Schar speichelleckender Minister und parlamentarischer Handlanger hofiert und bedient, die gesamte israelische Politik seinen persönlichen Interessen, boshaften Intrigen, ruchlosen Windungen und infamen Machenschaften unterwirft – dieses rassistisch und xenophobisch getriebene Israel, das unentwegt Völker- und Menschenrechte systematisch verletzt, habe wahrhaft seinen Effi Eitam an der Spitze von Yad Vashem verdient.

Ideologische Instrumentalisierung der Shoah-Erinnerung

Übersehen wird freilich in diesem Zusammenhang, dass Yad Vashem von Anbeginn politisch eingefärbt war, mithin nie unberührt blieb von der staatstragenden Ideologie Israels. 1953 verabschiedete die Knesset das Yad Vashem-Gesetz, welches die schon lange zuvor angedachte Gedenkstätte in eine offizielle Institution des Staates Israel verwandelte. Der Staat Israel seinerseits entfaltete ein durch und durch ideologisch durchwirktes Verhältnis zur Shoah, welches die den Juden vor der zionistischen Staatsgründung widerfahrene Katastrophe als historisch-empirischen Beleg für seine eigene Raison d’Être vereinnahmen zu dürfen meinte. Es mochte zuweilen scheinen, als habe sich die Shoah als Telos des Zionismus ereignet; im Slogan „Von der Shoah zur Auferstehung“ (mi’shoah le’tkumah) schlug sich dies prononciert nieder.

Dieses Grundmuster der ideologischen Instrumentalisierung der Shoah-Erinnerung sedimentierte sich über die Jahre in unterschiedlichen Bereichen der israelischen politischen Kultur. Nicht nur bediente man sich dem Ausland gegenüber der „Shoah“ als Argument für die (zumeist manipulative, allemal heteronome) Durchsetzung politischer, diplomatischer sowie militärischer und ökonomischer Ziele, sondern auch im innerisraelischen Diskurs musste die „Shoah“ als erbärmliche Pathosformel zur Förderung jedes nur erdenklichen Partikularinteresses herhalten. Nicht übertrieben ist die Behauptung, dass nirgends auf der Welt die Banalisierung der Shoah, mitunter ihre Trivialiserung durch inflationäre Verwendung in einer hanebüchenen Alltagsrhetorik so unverhohlen skrupellos betrieben wird, wie in dem Land, das die Einzigartigkeit, mithin die Unvergleichbarkeit der Shoah auf seine staatsoffiziellen Gedenkfahnen geschrieben hat.

Dabei halten sich linke und rechte Polemik die Waage (wiewohl sich die ideologische Instrumentalisierungstendenz dem Wesen nach in die rechten und rechtsradikalen Diskurse glatter einfügt): Abba Ebans Apostrophierung der formalen israelischen Staatsgrenzen bis zum 1967er Krieg als „Auschwitz-Grenzen“ stand Menachem Begins Vergleich des während des Libanonkriegs von 1982 im Beiruter Bunker eingekreisten Yassir Arafat mit dem am Ende des Zweiten Weltkriegs in seinem Berliner Bunker eingekesselten Adolf Hitler in nichts nach. Selbst der Eichmann-Prozess, der nach der ersten Beschweigungsphase der Shoah im ersten Jahrzehnt nach Israels Staatsgründung zweifelsohne zentral war für die Setzung der Shoah auf die nationale Tagesordung, mithin den Überlebenden auf dem Zeugenstand den Einzug in das allgemeine öffentliche Bewusstsein Israels und „der Welt“ ermöglichte, war vom damaligen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion als nationaler Staatsakt konzipiert, der neben der Verfolgung national-pädagogischer Absichten, welche mutatis mutandis auf die Zionisierung der Shoah hinausliefen, auch den Monopolanspruch Israels auf das institutionalisierte jüdische nationale Shoah-Gedenken zementieren sollte.

In Deutschland kursierte vor Jahren das böse Wort von der „Kranzabwurfstelle“. Neben seiner durchaus ertragreichen Funktion als Forschungs- und Erziehungsstätte hat sich Yad Vashem über die Jahre besonders schlimm als Kranzabwurfstelle des Staates Israel hervorgetan. Der politisch instrumentelle Charakter dieses vermeintlich ehrerbietigen Aktes liegt offen auf der Hand: Kein Staatsgast, der am Besuch in Yad Vashem, zuweilen direkt nach der Ankunft am Flughafen, vorbeikäme. Für besonders wichtig wird das Zeremoniell bei Gästen erachtet, die sich israelkritisch äußern oder gar potentiellen politischen Druck auf die Gastgeber ausüben könnten – erst muss der Gast gleichsam emotional „weichgeklopft“ werden, ehe man zum politischen Geschäft übergeht.

Aber auch erlauchte Gäste anderen Kalibers durften schon Kränze in Yad Vashem niederlegen. So etwa Brasiliens Staatspräsident Jair Bolsonaro, der zur Freude seines Gastgebers Netanjahu nach dem Besuch in der Gedenkstätte verkündete, die Nazis seien Linke gewesen. Oder der Ministerpräsident Ungarns Viktor Orbán, Horty-Anhänger, der sich zuweilen selbst in antisemitischer Rhetorik zu ergehen weiß. Oder der Präsident der Philippinen Rodrigo Duterte, der sich gern mit Hitler vergleicht und Tausende Ermorderter auf dem Gewissen hat. Die Liste der Gäste dieses Schlags, mit denen Netanjahu enge politische Beziehungen unterhält, allesamt Verächter von Menschen- und Bürgerrechten, Schein- oder dezidierte Antidemokraten, ließe sich noch erheblich fortsetzen. Von Donald Trump ganz zu schweigen.

Und so stellt sich die Frage: Wenn das die Verbündeten der hohen israelischen Politik sind, wenn für solche politische Wahlverwandtschaften das Andenken der ermordeten Shoah-Opfer herhalten muss, was gibt es eigentlich an Effi Eitam auszusetzen? Er widerspiegelt nicht nur den in der politischen und sozialen Realität Israels vorwaltenden Zeitgeist, sondern auch die verkommene Rolle, die Yad Vashem in dieser Realität spielt. Die Nominierung Eitams ist da nur ein Symptom.

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