Barenboim und die israelische Instrumentalisierung der Kultur

Am 15. Juni 1967 heirateten Daniel Barenboim und die britische Cellistin Jacqueline du Pré in einer Zeremonie an der Klagemauer in Jerusalem.  Bild: Benno Rothenberg /Meitar Collection / National Library of Israel / The Pritzker Family National Photography Collection /CC BY-4.0

Die Verhandlungen über das Atomprogramm Irans sind wieder aufgenommen worden. Israels Position hat sich seit Netanjahus Zeiten nicht geändert. Schon 2015 reagierte die israelische Politikerin Miri Regev auf ein Vorhaben von Kanzlerin Merkel in paradigmatischer Weise.

Die damalige israelische Kultur- und Sportministerin Miri Regev hatte wieder zugeschlagen. In der israelischen Tageszeitung Haaretz hieß es am 26. August 2015, sie habe auf die Nachricht reagiert, derzufolge Daniel Barenboim und die Berliner Staatskapelle Kanzlerin Merkel bei ihrem ersten Besuch in Teheran begleiten werden, sollte das Atomabkommen mit Iran in Kraft treten. Regev verkündete, sie beabsichtige, sich an Vertreter des israelischen Außenministeriums und die deutsche Kulturministerin zu wenden, um diesen Plan zu vereiteln, und zwar mit der Begründung, dass Barenboims Auftritt im Iran Israels Bemühungen, die Realisierung des Atomabkommens zu verhindern, in den Rücken fallen und der Delegitimierung Israels Vorschub leisten werde. Regev schrieb:

„Diese Melodie mussunterbrochen werden. Barenboim führt einen antiisraelischen Kurs und sorgt für Israels Besudelung“, wobei er Kultur als Hebel zur Förderung seiner politischen Positionen gegen Israel benutze. Merkel habe eine Fehlentscheidung getroffen. Iran sei ein Terror unterstützendes Land, dessen Führer Blut an den Händen hätten. „Ich bin der Meinung“, fügte die Ministerin hinzu, „Deutschland wird gut daran tun, den Auftritt des Orchesters und seines Dirigenten zu annullieren. Es gibt keinen Grund zur Feier und gewiss nicht für eine des Orchesters.“

Miri Regevs Kompetenz in Kulturfragen mögen hier unerörtert bleiben. So auch die Frage, wer die Instrumentalisierung von Kultur (und Kulturzensur) zur Durchsetzung rechtsorientierter politischer Ziele zur wahren skandalösen Meisterschaft gebracht hat. In Regevs Reaktion tönt aber einiges durch, dass über diese Politikerin bei weitem hinausgeht. Regev kam, und Regev wird auch wieder verschwinden.

Unverrückbar scheint indes ein auch bei ihr aufscheinendes Grundmuster der israelischen politischen Kultur, wenn es um die Beziehungen zu Deutschland geht. Denn fragen mag man sich, wie die israelische Ministerin überhaupt auf die Idee kommt, der deutschen Kanzlerin vorschreiben zu sollen, wen sie auf ihre mögliche Iranreise mitnehmen möchte. Wundern mag man sich, was sie sich dabei denkt, wenn sie meint, den in Argentinien geborenen und in Deutschland wirkenden israelischen Dirigenten im Sinne der von ihr vertretenen politischen Ideologie maßregeln zu sollen. Daniel Barenboim benutzt in der Tat (zuweilen) Musik für politische Ziele. Er will nämlich den Frieden und die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Nichts kann israelische Politiker vom Schlage Regevs mehr auf die Palme bringen, als dieses Ziel – der Frieden.

Regev will den Frieden nicht, sie will auch nicht die Bestrebung, ihn anzuvisieren, nicht den Willen zur Bestrebung. Deshalb ist ihr Barenboim zuwider – die israelische Kulturministerin mag Daniel Barenboim nicht, weil er „antiisraelisch“ sei. Der Gedanke, dass vielleicht gerade er um Israels Schicksal (und freilich auch um das Schicksal der von Israel unterdrückten Palästinenser) bangt; dass gerade er für Israel (und die Palästinenser) alles in seinen kulturellen Wirkmöglichkeiten Stehende einsetzt, kommt ihr erst gar nicht in den Sinn. Sie – und viele andere ihresgleichen – meint, belastete deutsche Gefühlsregungen Juden gegenüber anrühren zu dürfen, um die deutsche Kanzlerin dazu zu bewegen, einen in ihrem Land wirkenden, von ihr selbst eingeladenen bedeutenden jüdischen Musiker wieder auszuladen, weil er den Frieden für Israel will.

Das ist Israels Kulturministerin im Jahre 2015. Die von ihr verfolgte Politik der heteronomen Instrumentalisierung von Kultur reicht freilich weit zurück. Der politisch bewegte Daniel Barenboim hat sie schon in der Vergangenheit zu schmecken bekommen.

Wagner-Neuralgie 2001

Im Jahre 2001 wurde Barenboim vom staatsfinanzierten Israel-Festival eingeladen, den ersten Akt aus Richard Wagners „Die Walküre“ zu dirigieren. Es handelte sich um einen Versuch der Festivalleitung, ein Tabu zu brechen: Wagners Musik wird in Israel bekanntlich boykottiert. In der Tat regten sich bald laute Proteststimmen gegen eine solche Aufführung, was dazu führte, dass das israelische Parlament gegen sie stimmte.

Der die Berliner Staatskapelle leitende Barenboim änderte daraufhin das reguläre Programm des Konzerts, bot aber dem Publikum danach als Zugabe die Ouvertüre zu „Tristan und Isolde“ an, wobei er es jedem Anwesenden freistellte, den Saal vor der Zugabe zu verlassen. Die große Mehrheit des Publikums war am musikalischen Extra interessiert, aber eine kleine Minorität bekundete lauthals ihren Protest dagegen, und tatsächlich entfachte die nicht vorgesehene Darbietung einen öffentlichen Sturm der Entrüstung über Barenboims Eigenmächtigkeit.

Der damalige Jerusalemer Bürgermeister Ehud Olmert sagte: „Was Barenboim getan hat, war arrogant, unzivilisiert und unsensibel“, und er erklärte, die Stadt werde ihr künftiges Verhältnis zum Dirigenten überdenken müssen. Ephraim Suroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum verstieg sich gar dazu, alle israelischen Orchester zu einem Boykott Barenboims aufzurufen. Den politischen Höhepunkt des Vorfalls bildete aber zweifellos der Beschluss eines vom israelischen Parlament eiligst einberufenen Sonderausschusses, Daniel Barenboim für eine „kulturelle Persona non grata“ zu erklären.

Bemerkenswert war dabei nicht nur die Aufführung von Wagner-Musik in Israel, auch nicht der vermeintliche Vertragsbruch. Eklatant waren vielmehr die schiere Einberufung des vom Staat eingesetzten Ausschusses und die Tatsache, dass viele in Israel sich mit seinem Boykott-Beschluss identifizierten. Es ging um Politisches, und zwar nicht nur im Sinne der unmittelbaren Interessen, die der Weigerung, Wagner-Musik in Israel aufzuführen, zugrunde liegen, sondern primär im Sinne der sich in der Weigerung widerspiegelnden staatsoffiziellen Ideologie und Israels politischer Kultur insgesamt. So merkwürdig es anmuten mag: Es besteht ein enger, wenn auch dem Augenschein sich entziehender Zusammenhang zwischen der in diesem Land vorherrschenden „Shoah-Erinnerung“, der Rechtfertigungsfunktion dieser Erinnerung bei der Unterdrückung der Palästinenser und dem halboffiziellen Verbot, Wagner aufzuführen, als Heiligung des Bezugs Israels zum Nazismus, zur Shoah und zu sich selbst als selbsternannten Träger des Shoah-Erinnerungsmonopols.

Barenboims Akt in Jerusalem stellte Israels Öffentlichkeit vor einen unbequemen Spiegel: Er entlarvte den Widerspruch zwischen der Wirklichkeit des Landes und seinen verlogenen Rechtfertigungsmythen. Er zwang ihr die Erkenntnis auf, dass es objektiv keinen Grund mehr gibt für die Fortsetzung des Wagner-Boykotts, der gleichwohl perpetuiert wird, weil wahrhaftige Shoah-Erinnerung zunehmend verfällt, und sie verfällt, weil die gewaltgetriebene Besatzungspraxis keine echte Erinnerung der Opfer ermöglicht, sondern nur eine falsche Ideologie der „Opfer-Erinnerung“.

Man beschimpfte Barenboim als „Faschisten“, weil es in Israel bedrohlich viele Faschisten gibt, von denen nicht wenige das politische Sagen haben. Man bezichtigte den Dirigenten der Hinterhältigkeit, weil man sich vor der larmoyanten Verlogenheit der ideologischen Selbstviktimisierung zu verschließen genötigt sah. Man war vom Akt des Musikers angewidert, weil man den Ekel der eigenen ideologischen Verlogenheit kaum ertragen konnte. Wagners Musik zu boykottieren – das ist das erbärmliche Residuum der verkommenen Opfererinnerung.

Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Vorfall von 2001 und der echauffierten Reaktion der israelischen Kulturministerin im Jahre 2015? Die Besatzungsrealität ist noch immer nicht aufgehoben, sie hat sich im Gegenteil stetig verfestigt. Die Shoah-Erinnerung wird wie ehedem instrumentalisiert – mal als Auschwitz-Gedenken per Wagner-Verbot, mal als eine an die deutsche Kanzlerin gerichtete widersinnige politische Forderung. Und Daniel Barenboim? Er gilt Israels politischer Klasse noch immer als Persona non grata – und erweist sich gerade darin als neuralgisches Kulturparadigma ihrer national-verblendeten Lebenslüge.

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