Alt-neue Anmerkungen zur Kulturindustrie

Bild: Jonathan McIntosh/CC BY-2.0

Ob Kunst, Unterhaltung, politisches Ereignis oder Naturkatastrophe, ob Mord oder Hungertod, Ziehung der Lottozahlen oder Abdankung des Ministers – alles verkommt der Präsentations-, Wahrnehmungs- undVerwertungsstruktur nach zur Ware.

Die Kategorie der Kulturindistrie in der klassischen Kritischen Theorie Frankfurter Provenienz, so wird des öfteren behauptet, hat sich vor allem deshalb überlebt, weil man ihr den kritischen Stachel normativ entzogen hat. Indem man in Diskursen des vor allem in den USA zur Prominenz gelangten französischen Poststrukturalismus begann, Kulturhierarchien zu stürzen und traditionelle Wertmaßstäbe künstlerischer Evaluation zu dekonstruieren; indem darüber hinaus sich die Patina des politisch Korrekten über das analytische Werk postmoderner Indifferenz legte, wurde die der Kulturindustrie-These zugrundeliegende emanzipative Emphase nach und nach entsorgt, sodass heute bereits das schiere Reden über die manipulative Maschinerie systemkonformer Verdummung von Konsumenten der Kulturindustrie als „elitistisch“ abgeschmettert bzw. als „anachronistisch“ verlacht zu werden pflegt.

Der Siegeszug kommerzieller Massenkultur in den letzten Jahrzehnten manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass ihre Betreiber wie ihre Klientel sich um die Kritik an dieser nicht mehr zu scheren brauchen. Im Gegenteil, die Kritik selbst wird der Kritik ausgesetzt, indem man ihr – ideologisch durchtrieben – antidemokratische Überheblichkeit und besserwisserischen Dünkel nachsagt.

Der Kulturindustrie als Denkkategorie erging es dabei wie anderen bedeutenden Kategorien der alten Frankfurter Schule, allen voran denen des autoritären Charakters und der Kapitalismuskritik. Von Relevanz ist diese Feststellung im hier erörterten Zusammenhang insofern, als sich die Praxis der Kulturindustrie ohne die Profitausrichtung des Kapitalismus, mithin auch ohne die im autoritären Charakter angelegte Konformitätsbereitschaft gar nicht zu denken ist.

Nun fragt sich freilich, inwieweit diese Kategorien selbst historisch ihre Gültigkeit bewahrt haben. Denn wenn die äußere Autorität seit der frühen Neuzeit in der Tat an Ansehen verloren hat, das eigene Gewissen dabei zunehmend an ihren Platz getreten ist; wenn zudem das „eigene Gewissen“ als verlängerter Arm gesellschaftlicher Transformation zu begreifen ist, diese Transformation aber eine Liberaliserung der althergebrachten Kontroll- und Dressurformen des Individuums gezeitigt, das eigene Gewissen mithin seine frühere bürgerliche Funktion des „strengen Zwingherrn“ (Erich Fromm) eingebüßt hat, stellt sich die Frage, wie es mit den Autoritätsgebilden heutiger westlicher Gesellschaften bestellt sei, bzw. ob der klassische Begriff der autoritären Persönlichkeitsstruktur als Matrix moderner Gesellschaften, ja sogar, wie seinerzeit postuliert, als „menschliche Grundlage des Faschismus“ aufrechterhalten werden könne.

Festzuhalten gilt es zunächst, daß die veränderte Weltlage seit dem Zusammenbruch des osteuropäischen Kommunismus mitnichten etwas am Wesen des Kapitalismus geändert habe, lediglich, dass er nunmehr das gesamte „Spielfeld“ im Weltmaßstab für sich beanspruchen kann. Das Gerede von „Globalisierung“ bedient da vor allem einen neoliberal motivierten Nomenklaturdiskurs, dessen primäre Funktion sich in der ideologischen Kaschierung einer objektiven, weltumspannenden Barbarei erschöpft, bei der große Teile der Menschheit (real oder potenziell) zugrunde gehen, dabei aber medial in die westliche Gleichheitsideologie „kultureller“ Globalisierung einbezogen werden: multikulturelle Identitätsdiskurse als Ersatz für die Erörterung (geschweige denn Bekämpfung) struktureller Ursachen von weltweitem Massenelend.

Festzuhalten gilt es darüber hinaus, dass auch innerhalb der entwickelten westlichen Gesellschaften die Logik des Kapitalismus weiterhin strukturelles Elend produziert: Nicht nur kommt der immens angestiegene Wohlstand mitnichten allen ihren Mitgliedern zugute; nicht nur gibt es auch in ihnen horrende, mit dem Zusammenbruch traditioneller sozialer Wohlfahrt zunehmende Armut, sondern der in ihnen historisch erlangte Stand der Produktionsmittel bewirkt nicht die nunmehr objektiv möglich gewordene Reduktion entfremdeter Arbeit; vielmehr wird, unter Beibehaltung struktureller Arbeitslosigkeit, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt perpetuiert, mithin entfremdete Arbeit selbst mutatis mutandis zum „begehrten“ Ziel erhoben. Die in den letzten Jahren merklich angestiegene Fremdenfeindlichkeit, das virulierende ethnische Vorurteil und kruder Rassismus weisen eine klare Affinität zu diesen strukturbedingten Widersprüchen auf.

Es soll hier daher gerade in diesem Kontext auf die ungleich „demokratischere“, auch unscheinbarere, mithin kaum als solche identifizierbare Form des Autoritären hingewiesen werden: die autoritäre Unterwerfung unter das globalisierte Diktat der Kulturindustrie. Bei Adorno fungiert dieser Begriff noch als absichtsvoll polarisierter Gegensatz zum (wie immer in sich problematischen) Begriff der autonomen Kunst.

„Die Massen sind nicht das Maß, sondern die Ideologie der Kulturindustrie“

Der Begriff der Kulturindustrie, erklärte er, sei seinerzeit als bewusster Ersatz für „Massenkultur“ eingesetzt worden, um von vornherein eine interessengeleitete Deutung, „daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst“, auszuschalten. Die Kulturindustrie nehme „Altgewohntes“ auf und füge es zu einer neuen Qualität zusammen: „In allen ihren Sparten werden Produkte mehr oder minder planvoll hergestellt, die auf den Konsum durch Massen zugeschnitten sind und in weitem Maß diesen Konsum von sich aus bestimmen. Die einzelnen Sparten gleichen der Struktur nach einander oder passen wenigstens ineinander. Sie ordnen sich fast lückenlos zum System.“

Der entscheidende Punkt hier besteht darin, daß die solcherart systematisch durchstrukturierte Kulturindustrie die „willentliche Integration ihrer Abnehmer von oben“ bewirke. Darüber hinaus zwinge sie die „jahrtausendelang getrennten Bereiche hoher und niederer Kunst zusammen“, und zwar zu ihrer beider Schaden: „Die hohe wird durch die Spekulation auf den Effekt um ihren Ernst gebracht; die niedrige durch ihre zivilisatorische Bändigung um das ungebärdig Widerstehende, das ihr innewohnte, solange die gesellschaftliche Kontrolle nicht total war.“

Während also die Kulturindustrie manipulativ auf den „Bewußtseins- und Unbewußtseinsstand“ der Massen spekuliere, seien diese eben „nicht das Primäre, sondern ein Sekundäres, Einkalkuliertes; Anhängsel der Maschinerie“: „Der Kunde ist nicht, wie die Kulturindustrie glauben möchte, König, nicht ihr Subjekt, sondern ihr Objekt.“ Mit anderen Worten: Die „Kulturindustrie missbraucht die Rücksicht auf die Massen dazu, ihr als gegeben und unabänderlich vorausgesetzte Mentalität zu verdoppeln, zu befestigen, zu verstärken. Durchweg ist ausgeschlossen, wodurch diese Mentalität verändert werden könnte. Die Massen sind nicht das Maß, sondern die Ideologie der Kulturindustrie, so wenig diese auch existieren könnte, wofern sie nicht den Massen sich anpaßte“.

Das will wohlverstanden sein: Dass die Produkte der Kulturindustrie nach dem Prinzip ihrer Verwertung, „nicht nach dem eigenen Gehalt und seiner stimmigen Gestaltung“, verfertigt werden, dass die gesamte kulturindustrielle Praxis also „das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde“ überträgt, darf keinesfalls darüber hinwegtäuschen, daß diese Erscheinungen nicht ganz neu sind, ihre ersten Anzeichen vielmehr sichtbar wurden, seitdem jene geistigen Gebilde – „durch ihr autonomes Wesen hindurch“ – als Waren auf dem Markt ihren Urhebern als Broterwerb zu dienen begannen.

Neu an der Kulturindustrie sei gleichwohl der „unmittelbare und unverhüllte Primat der ihrerseits in ihren typischsten Produkten genau durchgerechneten Wirkung“, die große Bedeutung also, die sie auf die gezielt glatte, wesentlich unkritische Rezeption ihrer Erzeugnisse durch ihr immer größer und massiver werdendes Konsumpublikum legt: „Die Autonomie der Kunstwerke, die freilich kaum je ganz rein herrschte und stets von Wirkungszusammenhängen durchsetzt war, wird von der Kulturindustrie tendenziell beseitigt.“ Waren also die Kunstwerke immer schon auch, aber eben nicht nur Ware, so sind die Produkte der Kulturindustrie bereits nichts anderes als Ware.

Kulturindustrie fungiert nicht mehr als diametraler Gegenpol der autonomen Kunst, sondern als die Wahrnehmungs- und Interaktionsform im gesamten Wirkungsbereich des globalisierten Spätkapitalismus

Adornos Kulturindustrie-Konzeption ist merklich von der emanzipativen Funktion der Kunst beseelt. Entsprechend stellt sich ihm Kulturindustrie als Instanz stetig sich ausweitender kognitiver Kontamination dar. Trotz ihrer Weitsicht, nimmt sich seine Analyse freilich heute etwas „veraltet“ aus, nicht jedoch wegen der nunmehr allseits betriebenen „Aufwertung“ kulturindustrieller Massenkultur – etwa im postmodernen Postulat der Aufhebung von high and low –, sondern weil, ganz im Gegenteil, die Exzesse der Kulturindustrie und die unübersehbare Expansion ihrer Wirkungsbereiche sowie die inzwischen massiv erfolgte Entfaltung der kulturindustriellen Produktions-, Zirkulations- und Konsumptionsmittel mittlerweile Dimensionen angenommen haben, die alles, was sich Adorno im Zeitalter der relativ jungen Entwicklung von Radio und Fernsehen noch vorstellen konnte, in den Schatten stellen.

Adornos Argument bedarf der Radikalisierung. Denn wenn es stimmt, dass wir – wie vom amerikanischen Kulturwissenschaftler Michael Denning behauptet – „am Ende“ der Massenkultur angelangt sind, und die Debatten, in denen Massenkultur als ein „Anderes“ bestimmt wurde, sich überlebt haben, weil es eben nichts außerhalb der Massenkultur gebe; Massenkultur sei vielmehr „das eine Element, das wir alle atmen“. Wenn Kulturindustrie auf umfassende Kommerzialisierung aller Bereiche institutionalisierter „Realitäts“vermittlung, mithin auf warenförmig verdinglichte Beherrschung unserer Alltagswahrnehmung hinsteuert, die Quotenmechanismen dabei auf die totale Integration immer größerer Teile des Publikums ins globalisierte Kraftfeld unaufhaltsam ansteigenden Konsums ausgerichtet sind, zugleich aber die repressiven Auswirkungen des Integrationsapparats mit der scheinemanzipativen Ideologie einer demokratischen „Liberalisierung des Marktes“ und pseudoliberalen „Demokratisierung des Konsums“, eines „freien Willens“ und einer vorgeblich „freien Entscheidung“ des in Wahrheit immer enger angepassten Individuums zu kaschieren vermögen – dann fungiert Kulturindustrie nicht mehr nur als diametraler Gegenpol der autonomen Kunst, sondern als die Wahrnehmungs- und Interaktionsform im gesamten Wirkungsbereich des globalisierten Spätkapitalismus.

Das der strukturellen Logik der Kulturindustrie zugrunde liegende Tauschprinzip ist zum allumfassenden Formprinzip der objektiven Entfremdungsmorphologie moderner Gesellschaften mutiert. „Falsches Bewußtsein“ meint nicht mehr einen Basis wiederspiegelnden ideologischen Überbau, sondern bezieht sich auf eine ökonomisch durchherrschte, praxisgewordene Ideologie dessen, was Adorno als „universellen Verblendungszusammenhang“ apostrophierte.

Die Vermittlung von Auschwitz durch Hollywood-Filmen wie „Schindlers Liste“ ist, so besehen, nur ein Aspekt der Kulturindustrie; ein nicht minder bedeutender ist, dass „die Geschichte von Auschwitz zu einem Material wird, zu einem Rohstoff, mit dem sich genauso gut Politik machen läßt wie mit einer Wahlkampfspende“, wie es Detlev Claussen formulierte. Es geht hierbei nicht nur um die durch inflationären Begriffsgebrauch bewirkte Veralltäglichung von Unsäglichem, nicht nur um die durch Zerredung hervorgerufene Banalisierung des Monströsen, sondern – minder auffällig – auch um die bewusst angezettelte Debatte, um die geplante Entfachung publizistischer Sensation.

Sogenannte Diskussionen, in vermeintlichem Ernst ausgetragene Debatten und und gewitzte Polemiken zeigen, dass heutzutage jede öffentlich geführte anspruchsvolle Kontroverse zur Praxis kulturindustrieller Ideologie verkommen kann. Es ist lediglich eine Frage in Quantität umgeschlagener Qualität – und zwar der Menge „demokratisch“ geäußerter Meinungen zum Thema, der Anzahl der es fernsehgerecht „diskutierenden“ talk shows bzw. in den Blogs polemisierenden posts, des Umfangs seiner warenförmig betriebenen Fetischisierung – allesamt Zeugnisse dessen, dass, seitdem die dominante „Nach Auschwitz“-Kultur Auschwitz in eine Konsumware verwandelt hat, deren Tauschwert sich in der Hollywoodschen Oscar-Statue (und verschiedenen anderen Verdinglichungspraktiken des Holocaust-Andenkens) materialisert hat, Barbarei nicht mehr nur eine Frage der ideologisch reflektierten Praxis, sondern, wie bereits dargelegt, der einer praxisgewordenen Ideologie.

Autoritär ist dabei die Errichtung neuer Autoritätsinstanzen: die zunehmende Hingabe an eine flutartig alles überschwemmende Medienkultur samt ihrer charakteristischen Ausformungen im Starkult, in der Idolverehrung und der Fan-Mentalität; in der voyeuristischen Begaffung von Talk-Sendungen, in denen freaks und low lives ihr erbärmliches Elend zur Schau stellen und bejubelt werden, je drastischer ihre Gewalt ausbricht, je unartikulierter ihre Kommunikationsunfähigkeit sich manifestiert, im Gebaren also eines modernen Gladiatorenkampf-Publikums, welches das eigene Leben auf die sich vollends Erniedrigenden projiziert; in der mechanisch gewordenen Bereitschaft, sich immer professioneller zugerichteten Verführungen zum Konsum, zur kommerziellen Mode, zum Sensationellen auszusetzen.

Ob Kunst, Unterhaltung, politisches Ereignis oder Naturkatastrophe, ob Mord oder Hungertod, Ziehung der Lottozahlen oder Abdankung des Ministers – alles verkommt der Präsentations-, Wahrnehmungs- und Verwertungsstruktur nach zur Ware: Sterben in Afrika hat einen ökonomisch übersetzbaren prime-time-Wert; es wird als item konsumiert und hat eine Wirkungsdauer, die sich am nächstem item, an der nächsten Sensation, an der danach kommenden Unterhaltungssendung bemißt. Autoritär ist die fetischisierte Hinnahme einer wenn schon nicht „von oben“, so doch „hinter den Kulissen“ zubereiteten Totalvirtualisierung des Lebens, welche selbst noch TV-Wettermänner und -frauen zu Kultpersonen mutieren läßt. Wenn die Familie bei Adorno noch „den Gewohnheiten der eigenen sozialen, ethnischen und religiösen Gruppe“ folgt, so hat sich daran wohl nichts Grundsätzliches geändert; zu untersuchen wäre freilich, inwieweit besagte „Gewohnheiten“ sich anhand der Vorgaben televisionärer Familienserien gestalten, mithin in welcher Weise mittlerweise „ökonomische Faktoren“ der kulturindustriellen Medienwelt das „Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind“ beeinflussen.

Ob dabei Faschismus im herkömmlichen Sinne gefördert wird, soll hier nicht weiter erörtert werden. Das wird sich erst dann erweisen können, wenn sich objektive historische Bedingungen für seine abermalige Erstehung entwickelt haben sollten. Insofern autoritäre Charakterstrukturen weiterhin für die „menschliche Grundlage“ des Faschismus gehalten werden, kann man davon ausgehen, daß sich das traditionell Autoritäre in modernen Gesellschaften überlebt habe, mithin die Adorno und Fromm noch umtreibende Gefahr des Faschismus getilgt sei. Desto intensiver wird man sich freilich fragen dürfen, ob dieses Autoritäre nicht gerade in der immanenten Logik und Struktur der Kulturindustrie seinen (un)würdigen Nachfolger gefunden haben mag.

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