Über Helden und Tote

Patrick Verdier, Free On Line Photos, Copyrighted free use, via Wikimedia Commons

Nach einem Frankreich-Aufenthalt macht sich Autorin Eva C. Schweitzer Gedanken über den Widerstand – und warum es besser ist, dass »die Falschen« widerständig sind, als gar niemand.

In der letzten Woche jährte sich das gescheiterte Attentat vom 20. Juli 1944, jenes von Claus Graf von Stauffenberg und seinen Mitstreitern. Das war auch die Woche, in der ich in Südfrankreich war. Sicher, Mitte Juli ist nicht die ideale Zeit für eine Recherchetour zu Fuß durch die bergigen Altstädte von Nizza, Vallauris und Salernes. Aber dafür konnte ich den französischen Nationalfeiertag in Sanary-sur-Mer erleben, der in Frankreich, anders als in New York, hier gar nicht »Bastille Day« heißt.

Nach Frankreich flüchteten nach der Machtergreifung 1933 Hunderttausende vor den Nazis, mehr als in jedes andere Land. Viele davon waren deutsche Juden, viele Literaten oder Journalisten, aber auch sozialdemokratische Politiker wie Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding, die später von der Vichy-Polizei an die Gestapo ausgeliefert wurden. Die Namen und Adressen aller Flüchtlinge wurden von der Gendarmerie Nationale registriert. Hilferding hatte bereits ein US-Visum, das in letzter Minute gecancelt wurde.

Deutsche Flüchtlinge in Südfrankreich

In Nizza lebten Theodor Wolff, der frühere Chef des Berliner Tageblatts und der Dramatiker Walter Hasenclever. Hasenclever brachte sich 1940 in Les Milles um, ein Konzentrationslager bei Aix-en-Provence, nur einen Tag, bevor Frankreich den Waffenstillstand unterzeichnete. Er hatte Angst, der Gestapo in die Hände zu fallen. Hasenclever und andere Schriftsteller — Heinrich Mann, Joseph Roth, Hermann Kesten und Valeriu Marcu — trafen sich oft an der Place Massena im Café Monnot, wo heute eine Burger-Lokal ist. Mann, Roth und Kesten lebten an der Petite Avenue de la Californie in Nizza, in einem gemeinsamen Haus. In Vallauris, eine kommunistische Hochburg, tauchte später Marcus Schwager unter, der italienische Maler Alberto Magnelli.

Auch in Sanary-sur-Mer wohnten dutzende von Künstlern und Literaten, darunter Lion und Marta Feuchtwanger, Franz und Alma Werfel, Bert Brecht, Thomas Mann, Stefan Zweig und Alfred Kantorowicz, der Anfang der dreißiger Jahre Kurt Tucholskys Nachfolger als Tageblatt-Korrespondent in Paris war und der nach dem Krieg ein sehr empfehlenswertes Buch über diese Zeit geschrieben hat, Exil in Frankreich.

Wenn wir uns an die deutsche Besatzung in Frankreich erinnern, denken wir meist an die französische Résistance. Sicher, die hat es gegeben. Aber je mehr Zeit vergeht, um so mehr Franzosen haben ihr angehört, während der Vichy-Verwaltungsapparat vergessen wurde. Der Marseiller Polizeichef Rodellec du Porzic, der die Internierungen in der unbesetzten Süd-Zone angeordnet hat, wurde nach dem Krieg freigesprochen.

Die deutschen Flüchtlinge hatten mit der französischen Résistance wenig zu tun – und umgekehrt. Zwar haben Deutsche schon früh im Auftrag der Komintern – die kommunistische Internationale in Moskau – Widerstand von Paris aus geleistet, etwa der Journalist Egon Erwin Kisch, der linke Zeitungszar Willy Münzenberg und der Agent Otto Katz, zusammen mit französischen Kommunisten. Aber die meisten Flüchtlinge wurden interniert und deportiert, nachdem der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen war und der kommunistische Widerstand die Füße stillhielt. Auch der nicht-kommunistische Widerstand interessierte sich wenig für das Schicksal der Deutschen.

Gangster aus dem Offizierskorps

Das bringt mich wieder zu Stauffenberg. Stauffenberg ist unter deutschen Linken nicht beliebt; er war ein Konservativer, ein Rechter, ein Adeliger, ein Militarist, er wurde erst spät zum Widerständler und hat 1933 Hitler und lange Zeit auch den Feldzug gegen die Sowjetunion unterstützt. Wie oft habe ich gelesen: »Wenn ich an Stauffenbergs Stelle gewesen wäre, hätte ich …«. Ja, wenn du an seiner Stelle gewesen wärst, hättest du dich mit deiner Katze unter dem Sofa verkrochen. Aber darum soll es hier nicht gehen.

Noch unbeliebter allerdings war Stauffenberg in England und Amerika. Es gab viele, viele Versuche des deutschen Widerstands, Kontakt mit den Regierungen in London und Washington aufzunehmen, die wurden alle zurückgewiesen. Die Rote Kapelle galt als kommunistisch unterwandert, der Kreisauer Kreis als verdächtig und die Verschwörer des 20. Juli als zu preußisch. Als der Anschlag scheiterte, freute sich die Herald Tribune in New York: Das erspare den Alliierten den Ärger, all diese Militaristen zu vernichten. Walter Lippmann schrieb in der Washington Post, die Alliierten hätten keinen Grund, diesen internen deutschen Konflikt zu verkürzen. Und die New York Times schrieb: »Die Details der Verschwörung erinnern eher an die schmutzige Unterwelt von Gangstern als an das, was man von einem Offizierskorps erwarten würde. […] Der Anschlag geschah mit einer Bombe, eine typische Unterweltwaffe, und mit Nazi-Methoden.«

Die gleichen Zeitungen beklagen sich heute, dass es keinen deutschen Widerstand gegeben hat. Die BBC setzte noch eins drauf, sie verbreitete am 22. Juli 1944 die Namen aller Verschwörer, die noch nicht verhaftet worden waren, um der Gestapo die Arbeit zu erleichtern. Vier Tage später erlies auch die CIA-Vorgängerin OSS eine Direktive, der SS möglichst viele Namen von »deutschen Offizieren und Nazis« zu geben, um die zu eliminieren. CIA-Archiven zufolge hat die Gestapo danach 2500 Menschen hingerichtet.

Widerständler sind nicht perfekt

Auch in der Sowjetunion war Stauffenberg unbeliebt, weil er die taktische, wenngleich nicht sonderlich effektive Unterstützung des späteren CIA-Chefs Allen Dulles hatte, und dieser Über-Imperialist galt in Moskau als Oberfeind. Stalin bei Laune zu halten, war auch das, was US-Präsident Roosevelt antrieb. Die Verschwörer des 20. Juli wollten einen Separatfrieden mit den Westmächten, während sich das Weiße Haus eine langfristige Kollaboration mit der Sowjetunion vorstellte, womöglich auch eine gemeinsamen Besatzung von Frankreich (die USA hatten sogar schon Besatzungsgeld drucken lassen; daran erinnern sich ältere Franzosen durchaus). Ein Jahr nach dem 20. Juli, Mitte 1945, wollte Amerika keine Kooperation mit der Sowjetunion mehr.

Vierzig Millionen Menschen starben im Zweiten Weltkrieg, auf dem Schlachtfeld, in den Städten und in den Lagern. Die Hälfte davon erst nach dem 20. Juli 1944. Natürlich war Stauffenberg ein Konservativer, der vor allem Deutschland retten wollte. Das ist nicht illegitim, und nicht einmal ungewöhnlich. De Gaulle, kein Linker, interessierte sich nicht für die Kollaborateure von Vichy – er hatte sogar Vichy-Chef Marshall Petain begnadigt -; er wollte Frankreich retten. Widerständler sind nicht perfekt. Oskar Schindler war Mitglied der NSDAP. Teddy Thälmann bekämpfte vornehmlich Sozialdemokraten. Lion Feuchtwanger schrieb in seiner Villa in Sanary Loblieder auf Stalin.

Es gehört zu den Nachkriegsmythen der Westmächte, aber auch vieler Deutschen, die Widerständler hätten sterben müssen, um den Militarismus in Deutschland auszurotten. Wirklich? Klar ist nur, nicht Widerständler haben Westdeutschland nach dem Krieg regiert und schon gar nicht Linke, sondern brave Christdemokraten, darunter Militaristen und ehemalige Nazis — Hans Globke, Reinhard Gehlen, Hans Filbinger —, die sich mit den USA arrangiert hatten. War das besser? Und was den Militarismus in Deutschland angeht, davon wünschen sich die Amerikaner schon lange sehr viel mehr.

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8 Kommentare

  1. Mal wieder wenig substantiiertes Auskeilen gegen die UdSSR, vermutlich mit „Informationen“ von Timothy Snyder. Stauffenberg hat tatsächlich Kontakte mit kommunistischen Widerständlern gehabt oder angeregt, sowjetische und osteuropäische Historiker haben über ihn mit Respekt geschrieben, bei aller Distanz zum Offizierswiderstand.

    Die Rolle von Dulles in Bern ist ausgesprochen unklar, die USA halten die meisten Dokumente nach wie vor unter Verschluss. Es gibt starke Indizien, dass er eng mit der Gestapo zusammengearbeitet hat, und mindestens den Verdacht, dass er bei der Vereitelung des Staatsstreichversuchs der Stauffenberggruppe seine Finger im Spiel hatte.

  2. Einen interessanten Artikel zu Stauffenberg hat auch Werner Rügemer publiziert, in dem auch Allan Dulles sein Fett weg bekommt: https://www.nachdenkseiten.de/?p=53733

    Wie groß war tatsächlich der linke Widerstand gegen den Faschismus? Wie auch immer, er war bei weitem nicht ausreichend und es wurden Fehler gemacht, aus denen man für heute lernen könnte. Kritik findet sich zum Beispiel bei Franz Neumann in seinem Werk „Behemoth“ in der Einleitung, „3. Die sozialen Kräfte“ und „4. Der Niedergang der organisierten Arbeiterbewegung“.

    Über die Sozialdemokraten:
    „Sie [die Sozialdemokratische Partei, Anmerkung d. V.] versagte, weil sie nicht sah, dass das zentrale Problem der Imperialismus des deutschen Monopolkapitals war, welches sich mit zunehmendem Monopolisierungsprozess immer dringlicher stellte. Je mehr die Monopole wuchsen, desto weniger ließen sie sich mit der politischen Demokratie vereinbaren.“

    Über die Kommunisten:
    „Die Politik der Kommunistischen Partei war auffallend ambivalent. Einerseits vermittelte sie den Arbeitern genügend kritische Einsichten, um die Funktionsweise des Wirtschaftssystems zu durschauen […].
    Andererseits wurden die verdienstvollen Seiten der kommunistischen Analyse durch den zutiefst rückständigen Charakter ihrer Politik und Taktik mehr als aufgewogen: der Verbreitung des Führerprinzips innerhalb der Partei und die Zerstörung der innerparteilichen Demokratie als eine Folge der völligen Abhängigkeit von der Politik der sowjetischen KP, dem starken Übergewicht der „revolutionären“ Gewerkschaftstaktik, der „national-bolschewistischen Linie“, der Lehre vom Sozialfaschismus, der Parole der Volksrevolution und schließlich dem häufigen Wechsel der Parteilinie.“

    Auch bei Karl Popper (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, Kapitel 19) hagelt es Vorwürfe, insbesondere wirft er den Kommunisten Geringschätzung der Demokratie als „Diktatur der Bourgeoisie“ vor, und mangelnde Bekämpfung des Faschismus, die dem irrationalen Glauben, dieser könne nur eine weitere Episode auf dem Weg zur letztlich unvermeidlich aus dem Kapitalismus resultierenden sozialen Revolution sein:
    „Nach dieser Behauptung wird nicht viel verloren und manches gewonnen, wenn diese verborgene Diktatur zu einer offenen wird, für jedermann sichtbar; denn eine solche Entwicklung kann die Revolution nur näherbringen. Sie hofften sogar, dass eine totalitäre Diktatur in Mitteleuropa die Entwicklung beschleunigen würde. Da die Revolution auf jeden Fall kommen musste, so konnte der Faschismus nur eines der Mittel sein, die sie herbei führten; …“

    Aus der Geschichte Lehren zu ziehen, helfen auch Kurt Gossweiler und Reinhard Opitz in: „Faschismus: Entstehung und Verhinderung (1972)“
    https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2017/04/1866644481.pdf

  3. Man kann nicht sagen, der Artikel wäre substanzlos. Die Betrachtung geht schon in Ordnung.
    Nur auf einige ausgenommenene Zusammenhänge muss hingewiesen werden. Stauffenberg mag idealistisch gewesen sein, aber er war nicht das Zentrum des preußischen „Widerstands“, da bestimmten Figuren wie Goerdeler, die die aktiven als nützliche Idioten nutzten und darum tolerieren. Das Ziel war ein Seperatfrieden im Westen zum gemeinsamen Vorgehen gegen die SU, was dann aber erst nach 1945 zustande kam, also Faschismus ohne Hitler. Zudem waren auffallend viele „Widerständler“ als Ic an der Ostfront, für die „Partisanenbekämpfung“ zuständig und konnten sich an den Fingern abzählen, dass sie im Falle der wahrscheinlichen Niederlage für ihre massenhaften Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden würden. Hier dürfte das entscheidende Motiv zu finden sein.
    Aus diesem Grunde kann man nur begrenzt ihnen Tribut zollen. Stümper waren sie aber auch noch. Selbst beim Attentat versagten sie grandios. Die Mehrheit der Beteiligten zog sowieso den Schwanz ein und versteckte sich, um im Bild zu bleiben, mit der Katze unterm Sofa. Stauffenberg wurde schmählich in Stich gelassen.

    1. Das sehe ich auch so. Wie ich schon schrieb, genoss Stauffenberg unter Historikern jenseits des Eisernen Vorhangs durchaus Achtung, er war auch keiner der antikommunistischen und antisowjetischen Fanatiker in der Verschwörung. Und wie erwähnt (zu Recht verweist Du auf Rügemer) war die Rolle von Dulles im besten Falle zwielichtig.

      Bei allen Widersprüchen der Widerstandsgruppe sollte man sehen, dass über einem erfolgreichen Staatsstreich der Krieg nicht mit einem Schlag beendet gewesen wäre. Die Westmächte mit ihrem Expeditionskorps hätten sich im Falle eines Bündnisses mit dem ja immer noch faschistischen Deutschland massiven Reaktionen der bewaffneten antifaschistischen Widerstandsbewegungen gegenüber gesehen. Selbst in den USA und zum Teil in England wäre das nicht verstanden worden.

      Aber eine Feuereinstellung an allen Fronten, jedenfalls wenn den Putschisten die Auflösung von NSDAP und Gestapo, die Ausschaltung der SS und Beendigung des Vernichtungsregimes gelungen wäre (eine gigantische Aufgabe, an der sie wohl ohnehin gescheitert wären), hätte das Millionen Menschenleben retten können. Eine Chance stellte das schon dar.

      1. Beide Dulles waren während der ganzen Nazizeit Inhaber der Kanzlei Sullivan and Cromwell, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht. Diese vertrat die Interessen deutschen Kapitals in den USA. Es dürfte kein Zufall sein, dass sie dann Außenminister und OSS/CIA -Chef wurden.

  4. Die ganze Ambivalenz entstand dadurch, dass im ganzen Westen von den Konservativen der Kampf Hitlers gegen die Sowjetunion gewollt war und bis Stalingrad unterstützt wurde. Hitler durfte Österreich und die Tschechei einverleiben. Es gab den Sitzkrieg. Hitler durfte Frankreich (Wunder von Dünkirchen) und den Balkan erobern, um über die Ressourcen für den Krieg gegen die UDSSR zu verfügen, nachdem er sich schon in Deutschland und Spanien im Kampf gegen den Kommunismus bewährt hatte. Mit dieser Erkenntnis lösen sich alle Widersprüche auf. Natürlich mussten die Verschwörer den Westmächten etwas anbieten, nämlich den Kampf gegen die Sowjetunion. Aber diese hatten den Glauben an die Deutschen verloren, befürchteten eine Besetzung Westeuropas durch die Sowjetunion und übernahmen die Sache selbst. Immerhin demonstrierte man den Russen durch die Atombombenabwürfe in Japan, wozu man in der Lage wäre. Aber auch darauf gab es die passende Reaktion aus der UDSSR. Antikommunismus persistierte als Ziel, und in Westdeutschland kamen die Parteien an die Macht, die mit ihrer Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz die faschistische Diktatur errichtet hatten. Und trotz kapitalistischer Revolution bleibt Russland wegen Widerstand gegen die Gobokonzerne das Reich des Bösen. Der Kampf geht weiter und der drohende dritte Weltkrieg wäre der letzte.

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