Als Gavrilo Princip 1914 das österreichische Thronfolgerpaar erschoss, hat er Deutschland dazu gebracht, auch im indischen Ozean Waffengänge einzuplanen.
Jeder kennt – hoffe ich mal – die Erzählung vom Schmetterling, der in Brasilien mit den Flügeln schlägt und damit Jahre später einen Orkan in Texas auslöst. Den Spruch gibt es in vielen Varianten, als chinesische Parabel, als Stephen-King-Krimi, als Standpauke von Q, nachdem Picard in der ersten DNA der Erde herummanscht und mittels einen Tachyonimpulses eine Anomalie im Raum-Zeit-Kontinuum verursacht. Aber immer stehen wir erstaunt vor dem Orkan, weil wir damals nicht geahnt hatten, was der Schmetterling auslösen würde – und wer hat das schon.
In dieser Woche jährte sich das Attentat von Sarajewo, dessen Flügelschläge wir immer noch spüren. Gavrilo Princip, ein bosnisch-serbischer Student hatte im Juni 1914 das österreichische Thronfolgerpaar Franz Ferdinand und seine Frau Sophie erschossen. Princip gehörte der nationalistischen serbischen Geheimorganisation Schwarze Hand an, die vermutlich die Unterstützung der Regierung in Belgrad hatte.
1914
Die New York Times machte damals aus Princip einen Bosnier; es sollte fast achtzig Jahre dauern, bis Amerikas führende Zeitung lernte zu unterscheiden zwischen Bosniern, Serben, und bosnischen Serben (Stichwort: Radovan Karadžić; für die Älteren von uns, die sich noch an der Jugoslawienkrieg erinnern). Karadžić sitzt heute in einem britischen Knast, ähnlich wie Julian Assange, aber aus anderen Gründen. Ja, die bosnischen Serben sind nun nicht mehr so beliebt in London und Washington.
Zur Zeit des Attentats schwelte der Streit um Bosnien schon seit ein paar Jahren. Österreich-Ungarn hatte das arme, kleine Land 1908, nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs annektiert. Serbien aber, die wichtigste Macht im Königreich Jugoslawien, sah Bosnien als natürlichen Vasallen, Teil eines pan-slawischen Reichs.
Das Attentat wuchs sich zum Ersten Weltkrieg aus: Österreich richtete erst ein Ultimatum an Serbien, den Mörder auszuliefern, dann eine Kriegserklärung. Russland, damals noch unter dem Zaren, eilte Serbien zur Hilfe. Russische Soldaten marschierten in Ostpreußen ein. Und das Deutsche Reich, im Bündnis mit Österreich-Ungarn, zu dem damals auch die West-Ukraine gehörte, erklärte Russland den Krieg.
Frankreich und England, beide Verbündete von Russland sandten daraufhin eine Kriegserklärung an Deutschland und Österreich. Frankreich, weil es nach dem verlorenen Krieg von 1871 das Elsass und Lothringen zurückhaben wollte; England, weil es Preußen schon länger als wirtschaftliche Konkurrenz fürchtete. Russland kapitulierte 1917 im Nachgang der russischen Revolution, die von Kaiserreich durchaus ein bisschen gefördert wurde. Als aber die USA auf Seiten von England und Frankreich in den Krieg eintraten, verlor die deutsch-österreichische Entente.
Im Auge des Hurrikans
Nach der britischen Hungerblockade, ein paar hunderttausend tote Kinder später, unterschrieben die Vertreter Deutschlands den Versailler Vertrag. Der legte nicht nur die alleinige deutsche Kriegsschuld fest, sondern auch die Herrschaft Serbiens über Bosnien. Zudem machte er die gerade erst erkämpfte Unabhängigkeit der Ukraine rückgängig. Dafür wurden die Tschechoslowakei und Polen, die bisher meistenteils von Wien aus regiert wurden, selbstständige Staaten. Eine riesige Flüchtlingswelle aus Osteuropa erreichte Berlin und Wien, viele davon osteuropäische Juden. Die USA schlugen 1924 hastig die Grenztür zu, denn so hatten sie sich das nicht vorgestellt.
1933 kamen die Nazis an die Macht. Die schoben die Schuld an dem ganzen Schlamassel auf die Juden, vom Versailler Vertrag bis zur Weimarer Verfassung, mit den bekannten, blutigen Konsequenzen. Im Zweiten Weltkrieg versuchte das vereinte Deutschland-Österreich, das erst mit der Sowjetunion verbündet, dann verfeindet war, sich alles zurückzuholen; das Elsass, Lothringen, die deutsch-österreichischen Teile der Tschechoslowakei und Polen, dann beide Länder in toto und mehr.
Das ging gründlich schief. Letztlich rückten die Sowjets bis nach Berlin vor, wo sie mit den Westmächten im Juli 1945 Hände schüttelten. Die Tür zugeschlagen hatten die USA diesmal in weiser Voraussicht bereits Ende der Dreißigerjahre. Und erst lange nach Kriegsende durften größere Kontingente von Flüchtlingen nach Amerika.
Im Auge dieses Hurrikans lebten wir sehr lange und versicherten einander, nun aber pazifistisch sein zu wollen. Die USA begann allerdings schon recht früh, heftig zurückzurudern. 1946 stoppte Harry Truman die land-lease, die finanzielle Hilfe für die Sowjetunion, die das Land durch den zweiten Weltkrieg gebracht hatte. 1948, als die Sowjets nach der Währungsreform West-Berlin blockierten, konfrontierten die USA ihre früheren Weltkriegs-Verbündeten und installierten die Luftbrücke.
Serbien sterbien
In den Fünfzigerjahren unterstützten die CIA und US-finanzierte Radiosender die Freiheitsbewegungen in Ungarn, dem Baltikum und Polen (wenngleich nicht besonders erfolgreich). Ronald Reagan, beraten von frühen Neokonservativen, die sich von Trotzkisten zu Falken gewandelt hatten, finanzierte die Islamisten im besetzten Afghanistan und forderte die Sowjetunion auf, die Mauer abzureißen.
Das geschah auch, aber nicht sofort und auch nur, weil die Polen, die Ungarn, die Tschechen, die Rumänen und die Ostdeutschen den Aufstand probten, zuletzt auch die Balten. Die US-Außenpolitik hätte mit einer geschwächten Sowjetunion eigentlich noch ganz gut ein paar Jahre leben können, und auch die Briten hätten sich arrangiert, das wäre aber gegenüber dem Wahlvolk schwer vermittelbar gewesen.
Es folgte der Jugoslawienkrieg, wo die USA und Großbritannien ganz plötzlich die bosnische Fahne trugen, Serbien sterbien musste und Bosnien im Westen landete, da, wo schon Osteuropa war, wenngleich mit ein paar Eingewöhnungsproblemen.
Das wird mit der Ukraine wohl auch noch passieren, zumindest mit dem westlichen Teil. Aber inzwischen sind wir längst im Tornado eines neuen Flügelschlags. Die Islamisten, die Wunderwaffe gegen die Sowjetunion, machten sich ein bisschen zu sehr selbstständig und brachten das World Trade Center in New York City zur Fall.
Wie konnte das passieren?
Obwohl, ein bisserl mehr als ein kleiner Flügelschlag war 9-11 schon, und auf alle Fälle war es weltverändernd. Es folgten Militäreinsätze der USA, Kriege und die Unterstützung von Aufständischen im Nahen und Mittleren Osten: Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, Jemen. Nur Pakistan und Saudi-Arabien, wo die Attentäter herkamen, wurden verschont, aber das sind ja auch Verbündete.
Als die amerikanische Bevölkerung die Lust verlor, und anfing, sich als Opfer zu fühlen, wechselte das Pentagon die Kriegsführung, von Soldaten zu Drohnen, ferngesteuert aus Arlington. Die Menschen im Mittleren Osten natürlich wurden nach wie vor bombardiert; es kam zu einer riesigen Flüchtlingswelle, vergleichbar den beiden Weltkriegen. Und Amerika machte zügig die Schotten dicht.
Deutschland aber nicht. Eingeschlossen der Flüchtlinge aus der Ukraine kamen vermutlich drei Millionen Menschen. Das verursachte eine Reihe Probleme. Einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin, viele Vergewaltigungen, auch Vor-den-Zug-Schubsereien, Messerstechereien, Macheten-Attacken, Angriffe auf Rabbiner oder auf jüdische Besucher eine Gedenkstätte, bei denen Allahu Akbar gerufen wird.
Fast Forward; die AfD stellt einen Landrat in Thüringen. Die deutsche Linke gerät aus dem Fugen und sieht den neuen Adolf heraufziehen. Zeitungen fragen sich, wie konnte das passieren? Lag es am Genderstern? Der Wärmepumpe?
Trump: Betriebsunfall oder Vorbote?
Dramatisch mag ein AfD-Landrat sein für jemanden, der plötzlich aus seiner Blase geschubst wird, aber die wirklich dramatische Entwicklung fand in den letzten Jahren auf dem ganzen Globus statt. Denn die Nachrichten aus Deutschland im Nachgang der Flüchtlingskrise hatten in den letzten Jahren ungefiltert die ganze Welt erreicht.
Im Ausland, vor allem in Amerika, wo es keine fürsorglichen Beschützer des TV-Zuschauers gibt, sondern Fox News, schreckten die Berichte über Machetenmörder und Mädchenstecher die Wähler im letzten Dorf auf. Sie haben Donald Trump ins Amt gespült, die italienischen Neofaschisten und die polnischen Rechtspopulisten hochgebracht, die ungarische Regierung etabliert, den Brexit verursacht und Griechenland rechtsgedreht … ich fände es nicht überraschend, wenn Marine Le Pen bald im Elysee-Palast sitzen würde. Die AfD hat unter all diesen globalen Rechtspopulisten noch die dämlichsten und unwichtigsten Vertreter.
Derweil, in Amerika, sind sich die Auguren noch nicht so ganz klar darüber, ob Trump ein Betriebsunfall war, oder ein Vorbote von etwas Dramatischeren, das noch kommen wird. Zwar hat es Amerika geschafft, Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten fernzuhalten, aber an der Grenze von Mexiko sammeln sich Hunderttausende.
Platz hat Amerika mehr als genug, aber irgendwie ist noch keiner auf die Idee gekommen, den Platz auch infrastrukturell zu erschließen oder vielleicht auch Mexikaner in den halbverlassenen Großstädten des Mittleren Westens anzusiedeln.
America’s Sweatheart: Boris Pistorius
Und das Weiße Haus hat alle Hände voll zu tun mit den alten Plan: Die Schmetterlingsflügel des Ersten Weltkriegs ungeschehen zu machen. Dabei spielt Deutschland eine wichtige Rolle. Die USA fühlen sich seit dem Zweiten Weltkrieg ein bisschen wie die Erziehungsberechtigen Deutschlands; leider führen sie sich auf wie ein Elternpaar, das sich total uneinig ist: Der eine Teil ermuntert das Kind, seine Emotionen künstlerisch auszuleben, der andere will es zum Berufsoffizier erziehen.
Schon im Ersten Golfkrieg und im Bosnienkrieg hatten die USA die Bundesrepublik gedrängt, Waffenlieferungen zu bezahlen und dann, militärisch einzugreifen. Dann im Kosovo. Dann in Afghanistan. Im Irak. Nun gegen Russland. Der Erfolg hält sich in Grenzen, aber nun ist ein neuer Hoffnungsträger in Amerika: Boris Pistorius.
Der Verteidigungsminister, der Washington besuchte, sprach dabei auch mit der New York Times. Ja, versprach er, Deutschland werde eine “robustere” Rolle bei der Verteidigung übernehmen. Mehr Waffen liefern. Mehr Aufrüsten.
Deutschland im indischen Ozean verteidigen?
Und nicht nur Panzer in die Ukraine will er schicken und Truppen in Litauen stationieren. Pistorius will auch Waffen nach Indien liefen und damit China herausfordern. Er sieht europäische Verantwortung im indisch-pazifischen Raum. Deutschland müsse im chinesischen Meer helfen, dass die internationale Ordnung und das Recht beachtet werde, auch die Handelsrouten. Berlin, schreibt die New York Times, habe nicht nur versprochen, das Militär zu revitalisieren, sondern auch, seine Nachkriegstradition pazifistischer Auslandspolitik aufzugeben.
Haben wir das? Schicken wir jetzt Kanonenboote, um Taiwan gegen Bejing zu verteidigen? Es ist durchaus ein gewaltiger Sprung seit 1914; von einer Politik, Russland zu konfrontieren bis zu einer Politik, Russland, China und die halbe Welt zu konfrontieren als Flakhelfer der USA. Wollen wir das? Okay, wir könnten den Boden wiedergutmachen, den wir 1914 verloren haben, aber wenn das schief geht, werden wir nicht nur Schmetterlinge aufstöbern, sondern Flugsaurier.
Und was die USA angeht: Falls das schiefgeht, können wir uns nur auf eines hundertprozentig verlassen: Die Grenzen werden dann schneller dichtgemacht als ein Rodeoclown vom Pferd fällt. Nur mit mehr Konsequenzen.
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Schweitzers Überlegungen sind durchaus interessant. Jedoch werten mehrere Flüchtigkeitsfehler und Schnitzer meiner Meinung nach die argumentative Kraft ihres heutigen Beitrags ab. Zwei Beispiele als kritische Anmerkung:
Zitat I: „Österreich richtete erst ein Ultimatum an Serbien, den Mörder auszuliefern, dann eine Kriegserklärung. Russland, damals noch unter dem Zaren, eilte Serbien zur Hilfe. Russische Soldaten marschierten in Ostpreußen ein. Und das Deutsche Reich, im Bündnis mit Österreich-Ungarn, zu dem damals auch die West-Ukraine gehörte, erklärte Russland den Krieg.“
Dieser Passus ist bestenfalls unglücklich formuliert. Der geneigte Leser könnte hieraus mitnehmen, dass Berlins damalige Kriegserklärung an Petersburg in Folge eines russischen Einmarsches in Ostpreußen geschehen sei. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Russland marschierte zwar durchaus mit zwei Armeen in Ostpreußen ein – und sogar schneller als von den Kapazitäten in Berlin erwartet – aber erst Mitte August 1914 und damit zwei Wochen nach der deutschen Kriegserklärung an Petersburg (01.08.). Der deutschen Kriegserklärung an Russland gingen keine aggressiven Akte Petersburg gegen deutsches Territorium voraus – das ist keine Petitesse. Es wäre wünschenswert, wenn die Redaktion über solche Aspekte zukünftig nochmals drüber ginge.
Spitzfindige Zeitgenossen mögen vielleicht noch einwenden, dass es ja zuvor die russische Teilmobilmachung vom 29. Juli gegeben habe. Diese, wie die Generalmobilmachung zwei Tage später, waren jedoch zwingende Folge der österreichisch-ungarischen Mobilmachung im Fahrwasser der Wiener Kriegserklärung an Serbien und Beschießung Belgrads (28. / 29. Juli). In einem schon damals anarchischen Weltsystem, in dem Staaten immer das eigene Wohl und Überleben im Blick haben mussten, konnten Mobilmachung und Kriegsakte eines unmittelbar angrenzenden feindseligen Nachbarstaates von Petersburg schlichtweg nicht ignoriert werden. Traurig, aber Folge der Zwänge des Staatensystems und der Bündnismechanik. Es hätte aber trotzdem noch genügend Möglichkeiten zum Innehalten und Verhandeln gegeben – ja wenn man in Berlin und Wien dies nur gewollt hätte. Die entsprechenden Details können unter anderem Dominic Lievens lesenswerter Monografie „Towards the Flame“ (2016) sowie Gietinger & Wolfs Schrift „Der Seelentröster“ (2017) entnommen werden.
Zitat II: „Frankreich und England, beide Verbündete von Russland sandten daraufhin eine Kriegserklärung an Deutschland und Österreich.“ Das ist schlichtweg falsch. Das Deutsche Reich erklärte am 03. August 1914 Frankreich den Krieg mit der blanken Lüge, französische Flugzeuge hätten süddeutsche Städte bombardiert. Berlin war in Zugzwang, da sein Aufmarschplan für den Kriegsfall vorsah zunächst in einem Blitzfeldzug Frankreich zu schlagen bevor man mit aller Macht gegen den “bösen Russen” vorging. Der kleine Haken an dem Ganzen war, dass Paris in der Julikrise ziemlich abseits gestanden und wenig zur Eskalation beigetragen hatte (auch wenn manche deutschen Historiker in den letzten Jahren seine Rolle hochzuschreiben versuchten). Da trotz aller deutschen Hoffnungen eine französische Kriegserklärung ausblieb – obwohl Berlin ja bereits Petersburg den Krieg erklärt hatte – musste man wie Colin Powell anno 2003 in die Lügenkiste greifen und ein paar Vorwände fabrizieren… Und ja: In Frankreich hatte man durchaus seit Jahrzehnten den Wunsch Elsaß-Lothringen zurück zu erlangen. Ändert nur nichts daran, dass es Berlin war, dass den Krieg vom Zaun brach und nicht Paris…
Die englische Kriegserklärung an Deutschland wiederum erfolgte nachdem deutsche Truppen zwecks Umsetzung des Schlieffen-Moltke-Plans in Belgien und Luxemburg eingefallen waren. Großbritannien konnte sich hierbei sogar völkerrechtlich auf seinen Status als Garant der belgischen Neutralität berufen, auch wenn das vielleicht ein bequemer Vorwand war und man sich ansonsten eben anderer Gründe befleißigt hätte um mitzumischen. Mit Russland hatte Londons Agieren damals jedoch allenfalls peripher zu tun, zumal der Vertrag von Petersburg (1907) zwischen beiden Ländern keine Bündnisverpflichtungen enthielt.
Es finden sich noch weitere kritikwürdige Punkte und fehlerhafte Darstellungen. Deswegen habe ich vom Weiterlesen Abstand genommen.
Die “Schnitzer, Flüchtigkeitsfehler und unglücklichen Formulierungen”, die Sie zurecht anmahnen, sind keine.
Sie sind vielmehr nötig für die “argumentative” Klammer des Schweitzerschen Elaborats, die da kurz gefasst lautet:
Schon 1914 hätten “uns” die aggressiven Russen (und Serben) in einem Krieg hineingezogen. Dann habe “der Führer” mit falschen Argumenten und Mitteln versucht, “uns” alles zurückzuholen (“Im Zweiten Weltkrieg versuchte das vereinte Deutschland-Österreich, das erst mit der Sowjetunion verbündet, dann verfeindet war, sich alles zurückzuholen”), was aber “schief ging”.
Nun befänden “wir” uns wieder in der Situation, von den Russen in einen Krieg hineingezogen worden zu sein. Deshalb gelte es, kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht zu übernehmen, wie zuvor.
“Wir könnten den Boden wiedergutmachen, den wir 1914 verloren haben”, – woran denkt Schweitzer? Etwa an Danzig? An Elsass-Lothringen? An Deutsch-Südwest? An Qingdao, die zwischen 1898 und 1919 existierende deutsche Kolonie in China? Oder war’s mehr metaphorisch gemeint? – “aber wenn das schief geht, werden wir nicht nur Schmetterlinge aufstöbern, sondern Flugsaurier.”
@ Besdomny
Nach Lesen Ihres Kommentars habe ich mir nun doch den ganzen Artikel zu Gemüte geführt. Ich kann Ihnen nur recht geben. Bei ein, zwei Unsauberkeiten will man ja noch geneigt sein einem Autor “bloß” mangelnde Geschichtskenntnis oder Flüchtigkeitsfehler attestieren. Kommen jedoch mehr dazu wird klar, dass eine Masche dahinterstecken muss.
Beispiele für die anti-russische / anti-sowjetische Agenda haben Sie ja bereits aufgeführt. Schön sind auch Stilblüten wie:
„1946 stoppte Harry Truman die land-lease, die finanzielle Hilfe für die Sowjetunion, die das Land durch den zweiten Weltkrieg gebracht hatte.“ Die Sowjetunion kam nur dank US-Hilfen durch den Zweiten Weltkrieg? Am Ende hat Washington wohl auch noch die ganze Last des Krieges getragen und nicht die Rotarmisten! Was für eine Negation der tatsächlichen Verhältnisse…
Oder: „1948, als die Sowjets nach der Währungsreform West-Berlin blockierten, konfrontierten die USA ihre früheren Weltkriegs-Verbündeten und installierten die Luftbrücke.“ Ah ja, die Blockade Berlins. Da gab es auf den NachDenkSeiten neulich einen Zweiteiler, der die damaligen Erkenntnisse zusammengefasst und mit einigen Mythen aufgeräumt hat.
Alles in allem ist das Schweitzersche Elaborat kein sonderlich schönes. Ich werde zukünftig um die Texte dieser Autorin einen Haken schlagen.
Zumal Truman den land-lease Act 1946 nicht “stoppen” konnte, denn die ausführlich “An Act to Promote the Defense of the United States” genannte Regelung gewährte _kriegführenden_ Verbündeten der USA Unterstützung, war also in dem Moment nicht mehr anwendbar, als der Krieg beendet war. Er lief deshalb bereits im September 1945 nach dem Sieg über Japan aus.
Österreich richtete natürlich auch kein “Ultimatum an Serbien, den Mörder auszuliefern”, wie Schweitzer schreibt, weil der Attentäter Gavrilo Princip am Tatort, nämlich dem von Österreich sechs Jahre zuvor annektierten Sarajevo, von österreichischen Gendarmen umgehend festgenommen wurde und vier Jahre später im österreichischen Knast Theresienstadt elendig verreckte.
Der Text ist eine Ansammlung “post-faktischer” Versatzstücke, die man früher, in noch nicht postmodern deformierten Zeiten, vermutlich als “dummes Zeug” bezeichnet hätte.
Vor allem aber nervt die eindeutig bellicose Stoßrichtung und die heilige Einfalt in Bezug auf die tatsächlichen Beweggründe, die zu den erwähnten blutigen Konflikten führen.
Aber wie können Sie nur, Frau Schweitzer? Das sind doch unsere Freunde und Partner, wie mir die Politsprechpuppen täglich versichern. Unser Boris kann bald vor Kraft nicht mehr laufen. Mit stolz geschwellter Brust will er den Pudel der US spielen.
Ich dachte so bei mir, wie wäre es wohl, wenn China mal eine Flotte in die Nord- oder Ostsee abkommandieren würde, nur so, als Anschauungsobjekt für die bundesdeutschen Hohlköpfe, in der Hoffnung, dass ihnen vielleicht mal ein Licht aufgehen möge, wenn sie am eigenen Leib erfahren was sie woanders anrichten.
Nur, ich vermute, dieser Lehrneffekt ist eine vergebliche Hoffnung…
Nun, ich bin mal gespannt, wie Deutschlands Industrie das neue Wettrüsten stemmen wird. Noch ein paar LNG-Terminals bauen, wahrscheinlich. Was geht eigentlich schneller: neue Braunkohlentagebaue erschließen oder ein LNG-Terminal sprengen? Ja, doch, daß Nordstream im Artikel nicht erwähnt wurde, hatte ich schon bemerkt. Als Tatsache an sich schon bemerkenswert genug (die Nichterwähnung).
Also im Schweinsgalopp durch 100 Jahre Welthistorie. Amüsant geschrieben, manches gut zusammengefasst – wird aber der Komplexität des Geschehens nicht gerecht.
Nur eine Anmerkung: Die “Geschichte mit dem Schmetterling in Brasilien” zeigt einmal mehr die Unbildung von Geisteswissenschaftlern, die ihre “Expertise” aus Star Trek oder Trivialliteratur wie Stephen King beziehen. Man ist im Nachhinein geneigt, den Physiker zu verprügeln, der die Metapher mit dem Schmetterling und dem Wirbelsturm aufgebracht hat.
Deterministisches Chaos bezeichnet Ursache- bzw. Auslöser-Wirkmechanismen in nichtlinearen dynamischen Systemen. Wohlgemerkt ist das etwas anderes als Indeterminismus in der Quantenmechanik.
Der Schmetterling bewirkt keinen Wirbelsturm. Auch wer Texas oder New York nicht mag, hat nichts davon Raupen zu züchten, in Hoffnung auf einen Hurrican. Die Ursache tropischer Zyklone liegt in Verdunstung und Konvektion in der Passatzone. Wann genau aus einem tropischen oder subtropischen Tiefdruckwirbel ein Hurrican wird, ist in der Tat den Wirkungsweisen des deterministischen Chaos unterworfen. Dabei lässt sich die “Ursache” auch nicht zurückverfolgen (Mehrkörpersysteme, kombinatorische Explosion).
Ja, ich mach den netten Aufhänger kaputt. Schon gut.
“Ja, ich mach den netten Aufhänger kaputt. Schon gut.”
Macht nichts, das hat Frau Schweitzer eigentlich selbst geschafft, in dem sie dieses Sarajewo-Attentat gleich dem Schmetterling zu der historischen Ursache für alles mögliche erklärt, uns aber verschwiegen hat, dass lange davor dafür wahrscheinlich auch ein Schmetterling ursächlich war. Oder der Big Bang, – je nach Belieben.
Also ich finde eher der Physiker hat sich dafür ein “Leckerli” verdient.
Ansonsten ist natürlich alles ein System, was als ein System erkannt wird (sofern ich mich an die abstrakte Definition eines Systems in der Vorlesung Modellgestützte Analyse und Optimierung richtig erinnere). Und natürlich wäre dann die Welt als System betrachtet ein nicht-lineares und dynamisches System. Offen wäre allerdings dann noch, ob es sich dabei um ein randomisiertes (bzw. nicht-deterministisches) oder deterministisches System handelt. Wenn man allerdings ein Anhänger der deBroglie-Brohm Interpretation der Quantenmechanik ist (und bzgl. der “hidden local variables” nicht nur langweilige Werte aus einem Zahlkörper, wie die reellen oder imaginären Zahlen, zuläßt sondern auch eine Abbildung bzw. Funktion als “hidden local variable” zuläßt), so könnte man überlegen (oder argumentieren), dass die Welt “superdeterministisch” ist und damit auch jeglicher Zufall eigentlich nur Pseudozufall ist (da man dann noch nichts wirklich “zufälliges” gefunden hätte, bei dem man absolut sicher wäre, dass dieses nicht nur als “zufällig” angenommen wird, da man den eigentlichen Zusammenhang – also z.B. den Kausalzusammenhang¹ – nicht gefunden hat), und damit auch die Welt als System nun ein deterministisches System wäre (und Einstein in diesem Falle damit, dass Gott nicht würfelt, recht hätte, wobei er auch zumindest mit einer anderen Sache recht hatte, obwohl Poincarè unter- und Einstein überschätzt wird). Und damit wäre dann in gewisser Weise der Aufhänger dann doch in Ordnung. Allerdings muss man dann feststellen, aufgrund der Ungenauigkeiten in den Ausgangswerten (unabhängig von den Ungenauigkeiten in der anschließenden Argumentation), dass damit noch nicht sichergestellt ist, dass hier das Attentat von 1914 nun der metaphorische Flügelschlag eines Schmetterlings war (für die kommenden Ereignisse) und nicht etwa etwas anderes – viel trivialeres – wie z.B., dass Jemand nicht 1914 zu einem gewissen Zeitpunkt von einer Mücke gestochen wurde (wobei mit Attentat von 1914 aber der Jemand nun von einer Mücke zum Zeitpunkt X gestochen worden wäre, der eben nicht von einer Mücke zum Zeitpunkt X gestochen wurde, dann eben gewisse Dinge eben ganz anders gelaufen wären und die Welt heute eine ganz andere wäre, also z.B. das selbsterklärte stabile Genie nicht Präsident geworden wäre oder Bonzo² nicht Präsdient der USA geworden wäre). Soll heißen die Argumentation ist leider für eine abgeschlossene, absorbierende und absolutkonvexe Menge.
ps. Geschrieben von einem neuronalen Netzwerk, welches dann doch wohl leider in den letzten Wochen vor allem mit DeppGPT kommuniziert hatte (bzw. damit trainiert wurde).
¹) Um das Wort Kausalzusammenhang hier trotz der Quantenmechanik nutzen zu können (ohne Rot zu werden), brauche ich natürlich in gewisserweise die deBroglie-Brohm Interpretation der Quantenmechanik ;-).
²) Siehe “Bedtime for Bonzo” (Komödie von 1951) und “Bonzo goes to Bitburg” (Lied der Ramones) um zu inferieren, welcher US-Präsident hiermit gemeint ist.
Vielleicht sollte man dass neuronale Netzwerk mal auf das Gliedern in Absätzen trainieren (Stichwort Lesbarkeit ohne Augenkrebsrisiko). Ansonsten nett.
P.S.: Ich lese Deine Beiträge vollständig, fürchte aber, dass ich da ziemlich in der Minderheit bin.
Wie?!? – Du willst Edward Lorenz veprügeln? 😉
“Predictability: Does the Flap of a Butterfly’s Wings in Brazil Set Off a Tornado in Texas?” – So lautete die Überschrift eines Aufatzes, den er am 29.12.1979 in Washington als Ansprache vor dem Jahreskongress der American Association for the Advancement of Science vortrug.
Darin ging es ihm aber nicht um Determinismus sondern im Gegenteil um die Unmöglichkeit von Voraussagen. Stichwort: Sensitive Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen.
Flapsig gesagt meint der Satz – bezogen auf das Wetter – eigentlich nichts Anderes als das, was heute eigentlich Allgemeinbildung sein müsste, nämlich, dass eine Wettervorhersage > 3 Tage bestenfalls noch ein “educated guess” ist.
“Die AfD hat unter all diesen globalen Rechtspopulisten noch die dämlichsten und unwichtigsten Vertreter.” -> Muss denn dieses billige und niveaulose AfD-Bashing unbedingt sein? Das entwertet diesen Artikel für mich!!!
Frau Schweitzer merkt man an, wie stark verunsichert sie ist. Das geht doch vielen so, oder? Alte Gewissheiten zerfallen, was gestern richtig war, ist heute falsch, die Welt ist gründlich aus den Fugen geraten!
Ich interpretiere das als Zeichen des politischen und kulturellen Zerfalls der westlichen Zivilisation! Wenn Weltreiche untergehen, herrscht reales Chaos und Chaos in den Köpfen. Das zeigt uns Frau Schweitzer!
Deshalb wollen wir gnädig mit ihr sein, spiegelt sie doch nur den Zeitgeist einer sterbenden Zivilisation wieder, wohnt in den US und Berlin….also mitten im Chaos!
Die Metapher vom Schmetterling war gut. Die dann vorgeführten Unkenntnisse der Geschichte des eigenen Landes teilt sie mit der Mehrheit der Deutschen.
Ein wenig kann man ihre indirekt geäußerte Interpretation, der „Schandfrieden“ von Versailles habe Hitler erst ermöglicht als typisch deutsche Rechtfertigung des Faschismus verstehen. Linke und Rechte tun das gleichermaßen. Aber diese Interpretation ist natürlich ein typisch deutschen Narrativ und beruht auf Geschichtsfälschung.
Unerklärlich bleibt für mich noch immer der industriell organisierte Massenmord der Nazis am jüdischen Volk! Das hat bisher keine Nation fertig gebracht. Auch der Massenmord der Roten Khmer war anders. Hier mordeten unwissende, verführte Kinder bestialisch. In Deutschland mordeten die Schlächter kalt und emotionslos und man muß befürchten, sie – also die Deutschen – wären wieder zu ähnlichen fähig. Zeigt das nicht gerade der neue Russenhaß als Fortsetzung des Hasses auf den jüdisch-bolschwistischen Weltkommunismus? Feiert dieses barbarische Denken nicht frohe Rückkehr in grünalternativen Kreisen?
In gewisser Weise kann ich die Antideutschen verstehen die sagen
„Dieses Deutschland muß sterben, damit wir leben können“?
Der “Kapitalschmetterling” schlägt mit seinen Flügeln und alle springen an…
Ob links/mitttig/rechts ein Irrglaube schlägt seine Flügel…