Russland und Amerika – und der Mantel der Geschichte

Churchill, Roosevelt und Stalin bei der Konferenz von Jalta.
Photograph from the Army Signal Corps Collection in the U.S. National Archives., gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Wann der Krieg in Eurasien begann? Im Grunde schon im Juli 1945 – was oft durch  regenbogenfarbene Brillengläser nicht erkannt wird.

Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner weiß so genau, warum. So scheint es derzeit in Amerika. Sicher, die New York Times berichtet täglich über den Konflikt in der Ukraine, auch die Washington Post – aus der Post lernen wir gerade, dass Samantha Powers nach Kiew geschickt wurde, Barack Obamas außenpolitische Beraterin und die treibende Kraft hinter den Militäreinsätzen in Libyen und Syrien. Powers, die nun der USAID vorsteht, der obersten Behörde für Entwicklungshilfe, versprach den Ukrainern 55 Million Dollar.

Die Aufreger aber sind andere. Etwa Herschel Walker, ein früherer Football-Spieler, der für den US-Bundesstaat Georgia als Senator kandidiert. Der Trump-Freund ist Republikaner. Walker hat nicht nur Frau und Kinder verlassen, sondern auch mehrere Kinder mit anderen Frauen gezeugt, nicht aber unbegrenzt; er soll einer seiner Frauen die Kosten für eine Abtreibung bezahlt haben, was angesichts des republikanischen Willens, Abtreibungen landesweit zu verbieten, keine optimalen Street Creds sind.

Krieg in Eurasien

Und dann gibt es noch Kanye West, Rapper und unglücklich geschiedener Mann von Kim Kardashian, der kürzlich mit einem T-Shirt »White Lives Matter« auf dem Laufsteg spazierte. Für den Fall, dass einer meiner Leser sein Leben fernseh- und netzfrei in einem ukrainischen Bunker verbringt, Kanye ist schwarz. Wenn Samantha Powers mal eine freie Minute hat, sollte sie sich um Kanye, Kim und ihren Ex-Lover Pete Davidson kümmern, das wäre wirklich mal ein humanitärer Einsatz, der einen Profi braucht.

Aber zurück zu Russland. Seit wann sind wir im Krieg mit Eurasien? Das fing im Mai 1945 an, als Oberbefehlshaber Eisenhower in den Alpen pausierte, weil das Weiße Haus nicht wollte, dass die US-Army den Marsch auf Berlin antrat. Den Verlauf des Eisernen Vorhangs hatte Franklin Roosevelt auf, ausgerechnet, der Krim, mit Stalin vereinbart, flankiert von sowjetfreundlichen Beratern wie Alger Hiss. Und sein Nachfolger Harry Truman wollte den Vertrag nicht brechen. Russen sind ja keine Indianer.

Weder Ike noch Churchill waren begeistert, und letzterer hatte Angst, dass die Russen bis in die Bretagne durchmarschieren würden. Ähnlich dachte Allen Dulles, oberster Spionagechef der USA in Europa. General George Patton schlug vor, Berlin entgegen der Befehle doch einzunehmen (deutsche Widerstandskämpfer wollten dafür sorgen, dass amerikanische Fallschirmspringer landen konnten), aber Ike war ein guter Soldat.

Der Rollback

Fast Forward; in dem am Juli 1945 gemeinsam besetzten Berlin drehte sich rasch die Stimmung. Die Verschleppung osteuropäischer Zivilisten in die Gulags, sowjetisch kontrollierte Marionettenregime in Osteuropa, Schauprozesse, die Blockade, die Luftbrücke … 1953 war Eisenhower Präsident, und Dulles Direktor der CIA, und beide waren gewillt, nicht nur den Sieg der Sowjets von 1945 zurückzurollen, sondern auch die Siege aller ihrer Hilfstruppen und zwar rückwirkend bis zum Ersten Weltkrieg. Allerdings, wenn’s irgend ging, nicht mit den eigenen Soldaten, sondern anderen.

Nordkorea, gut, das hatte Truman verloren, aber Eisenhower und die Dulles-Brüder und alle ihre Nachfolger ungeachtet der Partei wollten die Sowjets in Vietnam aufhalten, in Laos, Indonesien, Chile, Argentinien, Kuba, Angola, Kongo. Übrigens auch in den USA, wo mit J. Edgar Hoover und dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe, der HUAC eine über-gründliche Kommunistenhatz einsetzte, der auch Alger Hiss zum Opfer fiel.

Der Rollback der US-Politik hatte aber erst in Afghanistan Erfolg. 1989 fiel der Eiserne Vorhang, Osteuropa schloss sich sukzessive der NATO an. Serbien wurde die Kontrolle über Bosnien entrissen, die mit dem Sieg im Ersten Weltkrieg errungen hatte. Und heute geht es um die Ukraine, die Amerika 1919 lieber bei der Sowjetunion sah.

Vergangenheit durch eine regenbogenfarbene Brille

Das Verrückte ist aber, dass sich in den USA kaum wer daran erinnert. Ein nicht unerheblicher Teil der Amerikaner denkt, sie hätten im Zweiten Weltkrieg sowohl die Nazis als auch die Sowjets geschlagen (zusammen mit Italien). Die Nachkriegsgeschichte wird, wenn überhaupt, aus Sicht der GIs in Vietnam erinnert. Und die Mehrheit glaubt, dass Amerika immer versucht hat, das Richtige zu tun, und nicht etwa, die Debakel der letzten Runde aufzuräumen, indem neue Debakel inszeniert werden.

Das bringt mich zu Pamela Paul. Paul stellte in der New York Times das Buch Die Oppermanns von Lion Feuchtwanger vor, das in einer neuen Übersetzung wieder aufgelegt wurde. Das Buch handelt von der jüdischen Familie Oppermann, die den Aufstieg Hitlers fassungslos beobachtet. Eine Warnung an Deutschland und die Welt. Und eine Handlung die, sorgt sich Paul, beunruhigende Parallelen zu den USA heute aufweise. Feuchtwanger wenigstens, schreibt Paul, entkam in die USA, wo er seine letzten Jahre lebte. Aber sei Amerika heute – unter Trump – noch dasselbe Land?

Wirklich, ich liebe Pamela Paul, Die Oppenheimers ist ein gutes Buch und ich freue mich über alles, was übersetzt wird, aber hat die Times die komplette Nachkriegszeit verschlafen? Feuchtwanger, der vor den Nazis nach Hollywood floh, mit der Hilfe von Varian Fry vom US-Konsulat in Marseille, wurde vom FBI bespitzelt und vor den HUAC geladen, zuletzt lebte er in ständiger Furcht, deportiert zu werden, wie Hanns Eisler oder Bert Brecht, der einer Ausweisung durch Flucht zuvorkam.

Und ich bin absolut kein Trump-Fan und er hat gruselige Anhänger, aber wer glaubt, nun gebe es zum ersten Mal in der Geschichte der USA bewaffnete Krawalle und rassistische Ausschreitungen, der sieht die Vergangenheit durch eine regenbogenfarbene Brille.

Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen?

Es ist die gleiche Geschichtslosigkeit, die vergessen hat, wie es zum Bau der Mauer kam, warum US-Truppen in Vietnam waren, wie die USA in Afghanistan die Muschahedin an die Macht gebracht haben und warum sie im Irak waren. Es gibt in Amerika keine kollektive Erinnerung an die Geschichte Osteuropas, wie Russland zu dem geworden ist, was es heute ist. Wenig Ahnung, wie US-Politiker und Lobbyisten in der Welt herumfuhrwerken.

Es ist kein böser Wille. Es ist eher so, als gebe es alle paar Jahre ein Reset per Knopfdruck von einer Mondbasis aus, und Amerika fängt wieder von vorne an, die Welt nicht zu verstehen. William Faulkner hat einmal gesagt, das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen. Da kannte er die Yankees schlecht. Das wäre aber alles kein Problem, wenn Amerika nicht von dem Gefühl getrieben wäre, sich überall einmischen zu wollen. Und da es keine kollektive Erinnerung gibt, ist jede Einmischung aufregend neu.

Noch ein dritter schwarzer Amerikaner hat in diesen Wochen einen kleinen Karriereknick erlitten: Trevor Noah. Er wurde als Host der Daily Show abgesetzt, nachdem die Ratings in den Keller gefahren sind. Und sicher, es war schwer, in die Fußstapfen von Jon Stewart zu treten, aber ich habe mir damals gleich gedacht: Trevor, mit deinem ausländischen Akzent und deinen ständigen Insider-Witzen über Afrika, das geht nicht lange gut. Du störst dieses kuschelige amerikanische Unter-uns-Selbstverständnis.

Was die Pipeline angeht, da würde Allen Dulles nur müde den Hintern runzeln.

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11 Kommentare

  1. Was für eine wilde Fahrt durch die Vergangenheit und die Gegenwart.
    Hier werden Vergleiche wie Kuchen backen zu Arschbacken herangezogen und dann daraus Schlüsse gezogen. Grausam.
    Ein Krieg der 1945 begann aber keiner merkte es, zum Glück hat die Autorin aufgepasst und kann uns dieses schreckliche Geheimnis heute mitteilen.
    Zumindest ist der Artikel mit einem denkwürdigen Bild garniert, damit auch jemand reinschaut.

    1. @Ottono, so einen Beitrag, wie den deinen, kann man nur schreiben, wenn man die „regenbogenfarbene Brille“ auf hat.

      Und zum Glück hat das Forum dich, damit es von deinen Gedankenergüssen gefüllt wird.

        1. Wieder so ein Gedankenerguss von dir, welcher das Prädikat „besonders wertvoll“ vom schwedischen Friedensnobelpreiskomitee verliehen bekommt.

          Schöne Zeit dir heute noch hier im Forum.

  2. Aus meinem bescheidenen Geschichtswissen hätte ich noch einen anderen Fakt darzulegen, warum der Krieg kurz nach dem 2. Weltkrieg begann: Der Sowjetunion schwebte ein blockfreies, geeintes Deutschland als Nachkriegsdeutschland vor (von kommunistisch oder sozialistisch ist mir nichts bekannt). Doch das schienen die Westmächte nicht zu wollen und führten fluks eine Währungsunion in den Westsektoren durch sowie die Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die Russen zogen mit der Gründung der DDR 1949 nach. Wir lernten in der Schule die Nationalhymne mit „Deutschland einig Vaterland“. Es war aber, trotz aller schönen Reden, gar kein einiges Deutschland gewünscht, zumindest keines, welches wie die Schweiz neutral sein sollte. Die Teilung Deutschlands und Europas wurde aktiv betrieben und endete im kalten Krieg. Nun ist es halt wieder soweit, nur vermutlich noch etwas gefährlicher, obwohl es Sozialismus oder sowas nur noch in Nordkoea gibt.

  3. Die Geschichte interessiert mich nur als Geschichte, mich interessiert die Gegenwart und Zukunft. Nun sollte man meinen, dass die Geschichte die Gegenwart hervorbringt, aber dem scheint nicht so zu sein. Ansonsten hätte der Mensch spätestens nach dem zweiten Weltkrieg keine Kriege mehr geführt. Aber nie wieder Krieg wird so schnell vergessen, dass es mit einem schlechten Gedächtnis nicht mehr zu erklären ist. Es geht ausschließlich um Interessen.
    Doch wer ist der Puppenspieler, der nicht nur die Puppen in den USA tanzen lässt? Welche Ziele gibt es. Kurz gesagt: Wer, warum, wozu?
    Warum und wozu lässt sich noch irgendwie zusammendröseln, insbesondere, wenn man die blutigen Hände ignoriert, die den Mantel der Geschichte genäht haben. Aber das Wer ist schon sehr viel schwieriger, da diese kollektive Planung nicht das Ergebnis von vielen Interessen sein kann. Es muss einen Puppenspieler geben. Was deutlich an der Handschrift zu erkennen ist. Seit Anfang der 90ziger muss es einen neuen Puppenspieler geben, da sich seine Handschrift deutlich geändert hat, auch seine Interessen unterscheiden sich sehr von seinen Vorgänger/n. Das Putin überhaupt zu Putin werden konnte, hat dieser Puppenspieler zugelassen, denn er hätte während Jelzin ohne Probleme Putin verhindern können. Das zeigt, dass die Geschichte genauso ist, wie sie sein soll. Was zu den Fragen Warum und Wozu führt. Vermutlich soll ein Teil der Menschheit in eine Orwell ähnliche Struktur geführt werden und nicht die Regierungen werden etwas dagegen haben, schließlich regiert es sich so leichter. Die Menschen sollen es wollen und dafür muss die Geschichte so geschrieben werden, dass sie gar keine andere Wahl haben. Gleichzeitig aber braucht der Mensch eine Aufgabe, somit braucht es das andere System. Ohne einen anderen Bock braucht der Hirsch kein Geweih, ohne Geweih keine Kämpfe, ohne Kämpfe keine Auslese, was unweigerlich in die Degeneration führt. Das warum und wozu wird also immer deutlicher.
    Das Wer ist aber nicht die abschließende Masterfrage, die lautet nämlich: Wer gibt dem wer die Macht, anderen die Macht zu geben?

  4. Hier schiesst die geschätzte Frau Schweitzer aber heftig eine(n) Baerbock:
    „Das fing im Mai 1945 an, als Oberbefehlshaber Eisenhower in den Alpen pausierte, weil das Weiße Haus nicht wollte, dass die US-Army den Marsch auf Berlin antrat.“

    Etwas verwirrt habe ich in Band 10-I der Reihe „Das Deutsche Reich und der zweite Weltkrieg“ des Militärgeschichtlichen Forschungsamts der Bundeswehr nachgeschaut: Kann ich mich so geirrt haben? Im Mai 1945 war nicht mehr auf Berlin zu marschieren, oder „Ike“ in den Alpen aufzuhalten. Die Reste der Berliner Gruppierung der Naziwehrmacht kapitulierten am 2.5., nachdem Hitler am 30.4. Selbstmord begangen hatte. Amerikanische und sowjetische Einheiten hatten sich am 25.4.1945 an der Elbe getroffen. Ein US-Marsch auf Berlin war da nicht im Programm. Und alle Quellen belegen, dass der JCS die „Alpenfestung“ sehr ernst genommen hat, die Konzentration der US-Truppen auf den süddeutschen Raum war keine Verschwörung von Roosevelt und kommunistischen Einflussagenten.

    Der „Fall Alger Hiss“ ist ein Ausfluss der McCarthy-Pogromhetze in den USA. Hiss wurden die Spionagevorwürfe nie wirklich nachgewiesen, sie sind auch ohne Relevanz für die US-Militärstrategie 1945. Frau Schweitzer plappert hier im Baerbockstil antikommunistische Tiraden, vermutlich aus der Snyder-Applebaumschen „Narrativ“-Werkstatt nach. Was Allen Dulles angeht, hat der in der Berner OSS-Residenz fleissig mit den Nazis gekungelt und deutsche Widerständler an die Gestapo verpfiffen. Das war die Ouvertüre zu seiner späteren Massenmörderkarriere.

    Ansonsten ist der Gossip aus dem „liberalen“ Eck der USA ganz unterhaltsam. Aber etwas mehr Disziplin und Recherche bei historischen Rundumschlägen wäre schon besser. Und auch die Beherzigung der vergessenen journalistischen Maxime, sich mit keiner, auch keiner guten Sache gemein zu machen, wenn man berichtet.

  5. Solche Debatten zeigen vor allem eines: Mensch ist nur in Ausnahmefällen zu dem fähig , was er sich vornimmt. Er unterscheidet sich nicht vom Hühnerhabicht, dessen Anflüge auf mögliche Nahrungsmittel auch selten vom Erfolg gekrönt sind. Sonst müsste er nicht den lieben langen Tag umherfliegen sondern könnte sich nach der notwendigen Zahl erlegter Hühner, Hasen … zurückziehen und sein Gefieder pflegen.
    Weder die Bösen noch die Guten können auch nur einen kleinen Teil dessen zur Wirklichkeit werden lassen, was sie geplant haben. Ob die Handlungsergebnisse glückliche oder unglückliche Zufälle sind, weiß auch keiner. Deshalb beschäftigen sich alle Unterabteilungen und Exemplare der Spezies ständig damit, was jemand, eine Gruppe, ein Staat, eine Koalition… fäschlicher- oder richtigerweise gemacht haben. Das als Geschichtswissenschaft zu bezeichnen ist eine Anmaßung.
    Nach zahlreichen Fehlversuchen lässt sich feststellen: Der Mensch ist nicht globalisierungsfähig. Weder mit friedlichen noch mit unfriedlichen Mitteln. Auch wenn ihm das die monotheistischen Religionen auf Grundlage eines verfehlten Gefühls der Überlegenheit nahelegen. Schlaumeierei ändert daran nichts.

  6. Solche Debatten zeigen vor allem eines: Mensch ist nur in Ausnahmefällen zu dem fähig , was er sich vornimmt. Er unterscheidet sich nicht vom Hühnerhabicht, dessen Anflüge auf mögliche Nahrungsmittel auch selten vom Erfolg gekrönt sind. Sonst müsste er nicht den lieben langen Tag umherfliegen sondern könnte sich nach der notwendigen Zahl erlegter Hühner, Hasen … zurückziehen und sein Gefieder pflegen.
    Weder die Bösen noch die Guten können auch nur einen kleinen Teil dessen zur Wirklichkeit werden lassen, was sie geplant haben. Ob die Handlungsergebnisse glückliche oder unglückliche Zufälle sind, weiß keiner. Deshalb beschäftigen sich alle Unterabteilungen und Exemplare der Spezies ständig damit, was jemand, eine Gruppe, ein Staat, eine Koalition… fäschlicher- oder richtigerweise gemacht haben. Das als Geschichtswissenschaft zu bezeichnen ist eine Anmaßung.
    Nach zahlreichen Fehlversuchen lässt sich feststellen: Der Mensch ist nicht globalisierungsfähig. Weder mit friedlichen noch mit unfriedlichen Mitteln. Auch wenn ihm das die monotheistischen Religionen auf Grundlage eines verfehlten Gefühls der Überlegenheit nahelegen. Schlaumeierei ändert daran nichts.

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