Riders on the Storm

Bild: Pixabay License

Sieht eigentlich jemand die Parallelen zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Krieg, der jetzt in der Ukraine stattfindet? Nicht mal nach dem Oscar für „Im Westen nichts Neues“ scheint man die zu erkennen.

Dieses Wochenende war ich bei den Oscars. Den richtigen Oscars, in Los Angeles, Kalifornien. Leider nicht bei der Oscar-Verleihung im Dolby Theater auf dem Hollywood Boulevard, dazu bin ich zu klein und zu unbedeutend. Ich hätte noch nicht einmal Backstage gedurft, um die jubelnden Gewinner zu feiern, oder zur Vanity-Fair-Party, wo man reinkommt, wenn man einen Oscar vorzeigt, in Gold.

Aber immerhin war ich bei einer Pre-Oscar-Party, in der Villa Aurora in Pacific Palisades, die von Germans Films und den Deutschen Konsulat veranstaltet wird. Aurora ist die frühere Villa von Lion und Marta Feuchtwanger, mit Blick über den Pazifik, zwischen Santa Monica und Malibu, wo die zweieinhalb Männer wohnen.

Im Westen nichts Neues

Normalerweise ist das der erste (und oft einzige) Termin des Jahres, wo ich ein Kleid trage, aber es pustete ein kalte Nebelwind vom Pazifik hoch, als seien wir in Sibirien. Ich kann gar nicht erwarten, bis das mit der globalen Erwärmung losgeht.

In den  dreißiger Jahren lebte Feuchtwanger in Moskau, schrieb Lobhudeleien auf Stalin und verteidigte die Moskauer Prozesse, als Hunderttausende exekutiert wurden. Bevor es ihm selber an den Kragen gehen konnte, flüchtete er nach Frankreich und weiter nach Kalifornien, wo es damals noch wärmer war als in Russland.

Aber daran erinnert sich heute keiner mehr in Los Angeles oder eigentlich überhaupt irgendwo in Amerika. Amerikaner erinnern sich nicht einmal mehr an die Lobhudeleien ihrer eigenen Zeitungen über Stalin. Es gab damals auch ein paar Hollywoodfilme, wo Uncle Joe bejubelt wurde – die sind heute alle im Giftschrank.

Natürlich war die ganze Mannschaft von „Im Westen nichts Neues“ bei der Party, ein gutes Dutzend Männer und ich glaube, eine Frau. Für neun Oscars war der Film nominiert, der deutsche Rekord, vier Oscars werden sie tatsächlich bekommen, ebenfalls ein Rekord. Der Film wurde im Wall Street Journal, der New York Times und anderen US-Zeitungen wohlwollend besprochen, aber in der deutschen Presse liebten sie ihn nicht so sehr. Da wurde vor allem gemeckert.

Nun meckert der Deutsche gerne, vor allem, wenn ein Landsmann höher hinaus will, wo kämen wir da hin, wenn jeder aus der Reihe tanzen dürfte. Aber offenbar gilt das auch für die Österreicher. Der Hauptdarsteller, Felix Kammerer, ist Österreicher und ich fragte ihn, ob er nun in Wien weltberühmt sei. Aber nein, sagte er, in London ist er bekannter und wird eher um Autogramme gefragt. Der Österreicher meckert offenbar auch gerne, nicht nur über die Deutschen, sondern auch über die Landsleute.

Parallelen zwischen Erstem Weltkrieg und Ukraine-Krieg

Normalerweise ist die Aurora-Party eher gelassen und locker, die Damen führen die Kleider vor, die Männer besiegen die Häppchen, diesmal aber kämpfte die Presse um Facetime mit den zum Glück reichlich vorhandenen Filmbeteiligten – eine grantige Deutsche-Welle-Frau versuchte dreimal, mich an das Ende einer nicht existierenden Schlange zu verweisen, weil sie „arbeiten“ müsse. Zum Glück habe ich die Geduld eines Engels, sonst hätte ich beinahe ein bisschen patzig werden können.

Danach verbrachte ich eine substantielle Zeitspanne damit, Edward Berger, den Produzenten, dazu zu bringen, eine Stellungnahme zum Ukraine-Krieg abzugeben. „Im Westen nichts Neues“ geht (lose) auf den Roman von Erich Maria Remarque zurück, der das Grauen des Ersten Weltkriegs schildert. Erstaunlicherweise ist es keinem Kritiker aufgefallen, wie sehr sich der Erste Weltkrieg und der Ukraine-Krieg ähneln.

1914 kämpften Österreich-Ungarn und Deutschland gegen Serbien und Russland; erst um Bosnien und dann darum, wer in Osteuropa das Sagen hat. Die Ukraine gehörte teils zu Österreich, teils zu Russland, was hieß, dass Ukrainer gezwungenermaßen gegeneinander kämpften. Im Ersten Weltkrieg und in den Kämpfen im Nachgang der bolschewistischen Revolution starben Millionen von Ukrainern. Es gab damals bereits eine Bewegung für eine unabhängige Ukraine. Die schöpfte Hoffnung, als Russland besiegt wurde, aber die Westmächte haben im Vertrag von Versailles die Ukraine unter den Nachbarländern, vor allem Russland, aufgeteilt.

Berger, ein sehr kluger Gesprächspartner, weiß, dass das vermintes Gelände ist. Um die Grenze zwischen Ost und West tobe ein jahrhundertealter Konflikt, sagt er schließlich. Wir bräuchten Institutionen wie die EU, um derartige kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern. Krieg führe nie zu Demokratie und Frieden.

Geostrategischer Rollback

Die meisten, wenn nicht alle Amerikaner denken vermutlich, Amerika habe immer auf Seiten der Ukraine gestanden. Tatsächlich sind die USA seit 1948 damit beschäftigt, die geostrategischen Konsequenzen aus dem Ersten Weltkrieg zurückzurollen, angefangen mit dem Bosnien-Krieg von 1992. Am liebsten tun sie das allerdings nicht selber. Washington möchte gerne, dass Europa und insbesondere Deutschland die Kohlen aus dem Feuer holt. Wir haben ja Übung, gegen Russland zu kämpfen.

Nach dem Empfang fuhr ich an den Strand. Ich hatte einen dieser hypermodernen Mietwagen, die dem Autofahrer das Denken abnehmen, eine Entwicklung, die an mir vollständig vorbeigelaufen ist, da ich in New York kein Auto habe.

Der Mietwagen verbindet sich mit dem iPhone und dirigiert einen dann in der Stadt herum, spielt die aktuelle Playlist, findet Tankstellen, stellt das Licht automatisch ein und macht einen mit Piepsen darauf aufmerksam, dass ein anderes Auto zu nahe vorbeifährt. Leider dirigierte mich das Auto bei der Rückgabe nicht zum Rental-Car-Parkplatz, sondern zur Abfahrtsbucht für die Busse zum Flughafen, die mit einer Schranke gesichert ist – gesichert war, aber ich glaube, jetzt ist die wieder repariert.

The Rise and Fall of Venice Beach

Der Strand von Südkalifornien zieht sich von Malibu bis zu den Kanälen von Venice Beach. Venice war mal ein Hippie-Paradies, Jim Morrison hat hier gewohnt. Die Strandpromenade war früher – bis vor vielleicht zehn Jahren – eine Ansammlung schrappeliger Häuser mit Schmuck-, Patchouli- und T-Shirt-Verkäufern, Pizza und Bier, Margaritas, Marihuana, billige Strandhotels, Kiosken, indische Bettelmönchen und leicht abgerissene Globetrottern mit Schlafsack am Sand unter Palmen.

Diesmal – die äußere Schale gab es noch, aber sonst ist wenig übrig: Die Strandhotels sind nun teuer und schick. Mehr Restaurants als Imbissbuden. Die Boutiquen sind echte Boutiquen. Der Schmuck importiert und nicht handgebastelt.

Keine Weltreisenden im Schlafsack am Strand, sondern echte Obdachlose im Zelt, die sich die Mieten in Los Angeles nicht mehr leisten können. Keine Hippies, keine Inder, nur fünf Wanderprediger der Nation of Islam, in traditionellen afrikanischen Gewändern (denke ich), die aber nicht laut Parolen brüllten, wie sonst, sondern leise und voller Selbstzweifel miteinander reden, wen sie ansprechen sollten.

„The Rise and Fall of Venice Beach“, auch das könnte ein sehr schöner Film werden. Für Amerika ist das, wie man hier sagt, Ancient History. Um an die modernen Zeiten anzuschließen, könnte Jim Morrison vielleicht von einer schwarzen Frau gespielt werden, die der Nation of Islam angehört und die Mietwagen würgen den Motor von selber ab, wenn sie Marihuana riechen. Vielleicht sollte ich das Drehbuch schreiben. Der Film würde sicherlich für einen Oscar nominiert und mit dem gehe ich dann zur Party von Vanity Fair und freue mich über die schlechten deutschen Kritiken

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20 Kommentare

  1. Das was da ähnelt sind die beteiligten Exzeptionilalisten, nur heute in der Revanche, anscheinend durch das ‚deutsche Reich‘.Die Angeln & Sachsen ist/war? ein Teil und die Franken hatten ihr Frankenreich und seit „1Jahrhundert oder mehr“ wird dieses kapitalistische Spiel durchgezogen und hat Millionen dabei beerdigt für ihre Werte.
    Wenn der Mensch, egal wo auf dieser Welt, mal inne halten würde, würde dieser feststellen : Das diese Simulationen in der Simulation einfach von Simulanten durchgeführt wird.
    Der Mensch als Mensch hat aufgehört zu denken und funktioniert nur noch am laufenden Narrativ. Diese narrative lassen keinen klaren Gedanken mehr zu, weil die erzeugten Abhängigkeiten ein Mass angenommen hat, das diese ‚Wildeschafeherden‘ unentwegt am Blöcken ist!

  2. der letzte Mensch von dem man in diesem polit. Zusammenhang eine ehrliche Antwort erwarten dürfte, sofern seine private Meinung von der offiziellen Version tatsächlich abwiche, ist Edward Berger. Naturally.

    Im Interview mit der BZ ging er auf den Krieg ein. Auch auf den Umstand, dass der Film als Rahmenprogramm der Mü SiKo lief.

    Unsäglich.

    Leider ist das Gepräch nun hinter paywall:
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/kino-streaming/oscars-im-westen-nichts-neues-regisseur-edward-berger-koennte-nie-sagen-dass-ich-stolz-bin-deutscher-zu-sein-li.327024

    Natürlich muss Edward Berger das alles toll finden.

    Täte er das nicht, wäre er wahrscheinlich wahnsinnig und die echten Produzenten würden ihm den Kopf waschen.
    Aber würde er so reden hätte er es gar nicht erst so weit gebracht (dass man ihm so viel Kohle anvertraut um Schützengräben zu bauen)

    Dass der Film, wie ich befürchte, nicht viel taugt, ist da eine andere Sache.
    Die eigentliche Krux. Egal.
    so was gescheit zu machen fällt halt nicht vom Himmel.

    Blöderweise scheint das nicht untypisch zu sein bei Netflix.
    Irgendwie verheben die sich immer wieder mit dem Versuch Hollywood wieder aufleben zu lassen.

    p.s. eine ernste Frage: wie kommt es, dass tatsächlich die antiken Geschlechterrollen bei feierlichen EReignissen wie Preise oder Hochzeiten oder Beerdigungen in Fragen der Kleidung plötzlich immer noch signifikant sind?

    Falls es noch gilt: Viele Grüße nach Kalifornien.

    1. „dass der Film als Rahmenprogramm der Mü SiKo lief“, ist zumindest dem Artikel hinter der paywall nicht zu entnehmen. Wie überhaupt dieses zumal kostenpflichtige „Interview“ einigermaßen dürftig erscheint.
      Aber für lau kann man ruhig mal reinschauen:

      https://archive.ph/rpKfx

  3. ach ja: Antje Vollmer ist tatsächlich gestorben.
    Ihre üble Krankheit war also nicht nur ein Gerücht.
    Die SZ interessiert sich trotzdem mehr für Bankencrash, Spione in Polen und schicke Kampfflugzeuge.
    Fuck me.

  4. Sorry – nachdem Sie über Feuchtwanger nur für erwähnenswert halten, dass er „Lobhudeleien auf Stalin“, etc. schrieb, weigere ich mich, Ihren Text weiterzulesen.
    Ja, und Thomas Mann war latent schwul, Knut Hamsun ein Hitler-Fan, Kafka soll angeblich auch mal in der Nase gebohrt haben – mehr muss man heutzutage offenbar gar nicht über diese völlig unbedeutenden Schreiberlinge aus der Steinzeit wissen.

  5. Gerade erschien ein Nachruf in der SZ. Die wohl letzte aufrichtige Stimme gegen Krieg und Ungerechtigkeit in der Welt bei den Bündnisgrünen ist verstummt.

  6. Ich schätze an der Autorin ihre genaue, faktenbasierte, manchmal etwas launische Beschreibung von Stimmungen in den US und Berlin. Ein Buch von ihr war mir sogar den Kauf wert. Wohlwollend möchte ich vermerken, sie kommt oft nicht auf den Punkt und man fragt sich, wo ist die Botschaft. Deutsche, linke Deutsche, aber brauchen, wie andere auch, eine klare Message. Die Geschichte um Uncle Joe ist sachlich richtig. Man sollte nach so vielen Jahren die Geschichte ideologiefrei beurteilen.
    Zum Film: Der Film ist viel besser als sein Ruf. Er hat eine klare antimilitaristische Botschaft, obwohl er sich „nur lose“ an den Roman hält. Gerade den Schluß, der mit den Roman nichts zu tun hat, finde ich stark. Hier verheizt sein verrückter deutscher Offizier sinnlos kurz vor Torschluß seine Einheit. Freilich, das können nationalistische Ukrainer mindestens genauso gut wie die Deutschen.
    Ich wünsche mir, daß der kriegsverhetzten grünen deutschen Jugend der Besuch dieses Filmes zur Pflicht gemacht wird. Niemand in der BRD sollte mehr das Abitur erhalten, wenn er nicht den Roman von Erich Maria Remarque gelesen hat. Ja, der Film lief in wenigen Kinos, mußte weit fahren umreisen Film zu sehen und es waren überraschend viele Leute im Kino, ganz überwiegend Ältere…

  7. „Erstaunlicherweise ist es keinem Kritiker aufgefallen, wie sehr sich der Erste Weltkrieg und der Ukraine-Krieg ähneln.“ Darüber wundere ich mich schon seit einem Jahr. Merkt aber keiner.
    Neuerdings gibts ja auch Drohnenbilder davon: die zigtausend Artillerie-Krater am Feldrand und die endlosen Schützengräben muss man sich einfach nur auf Schwarz/Weiss ansehen: sieht auch aus wie Verdun!
    Giftgas fehlt bislang noch, aber Kokslensdki arbeitet schon dran.

    Neues von der Klima-Front
    „es pustete ein kalter Nebelwind vom Pazifik hoch, als seien wir in Sibirien. Ich kann gar nicht erwarten, bis das mit der globalen Erwärmung losgeht.“ Da erwärmt sich genau gar nichts, aber das merkt man nach der mRNA Impfung offenbar auch nicht mehr – Hauptsache „man ist gut durchgekommen“.
    Ein Blick auf Erdmagnetfeld und Sonne zeigt: Die die Zeit wird knapp, bevor es hier wieder einen great reset gibt; allerdings nicht den von Clous Schwob…

  8. Es ist wahrscheinlich nur Eva Schweitzer erst jetzt aufgefallen, dass es Parallelen zwischen 1914-18 und dem derzeitigen Krieg der USA und der NATO gegen Russland mittels der Ukraine gibt. Allerdings gab es bei Verdun, Douaumont und in Flandern kein Artillerieverhältnis 1:10. (Übrigens ist die Autobiographie Ernst Tollers in der Public Domain, bei der Gelegenheit. Die Weltkriegserinnerungen Egon Erwin Kischs wären auch durchaus ein Thema).

    Was die „Bewegung für eine unabhängige Ukraine“ angeht, so war die stark von Österreich und Deutschland gesponsort, wobei die Österreicher tausende ethnisch russische Galizier ermordet und noch mehr in Lager gesteckt haben, wo viele an Hunger und Krankheit starben und bei der geringsten Widersetzlichkeit aufgehängt wurden.

    Galizien war auch in den Städten, vor allem Lemberg, mehr jüdisch als ukrainisch, das haben Frau Schweitzers ukrainische Freunde 1941 nachhaltig geändert (Bandera in der Programmschrift „Kämpfe und Aktivitäten“ vom Mai 1941: „Es gibt drei feindliche Ethnien in der Ukraine, Russen, Juden, Polen. Diese müssen vernichtet werden.“ Der Startschuss zu Shoah waren die OUN-Judenmorde in Lemberg am 30.6.1941.

    Das war nicht der erste Massenmord an Juden durch die „Bewegung für eine unabhängige Ukraine“. Zwischen 1920 und 1921 wurden unter dem „Hetman“ Semjon Petljura unter der Parole „Tod den Juden und jüdischen Bolschewisten“ zwischen 50.000 und 200.000 Menschen abgeschlachtet. Petljura wurde später im Pariser Exil von einem Studenten erschossen, dessen gesamte Familie seinen Horden zum Opfer gefallen war.

    Aber das interessiert Frau Schweitzer nicht. Stattdessen die üblichen antikommunistischen Hetztiraden, mit Pöbeleien gegen den deutschjüdischen Schriftsteller Feuchtwanger, der es knapp geschafft hat, Frau Schweitzers und Frau Baerbocks Grosseltern in Frankreich zu entkommen. Sie scheint das zu bedauern.

    Eine Diskussion über die UdSSR, die Rolle Stalins, und die Rezeption der UdSSR unter den westlichen Intellektuellen ist mit einer Schweitzer nicht zu führen, dafür ist sie zu vernagelt und zu fanatisch antikommunistisch.

    Dass der Antikommunismus Kernideologie jeglichen Faschismus war und ist, bringt sie nicht zum Denken. Auch nicht, dass Betrachtung eines weltgeschichtlich neuen Gesellschaftsmodells durch die kritische Intelligenz der zwanziger und dreissiger Jahre zum Teil auch mit rosa Brille geschah, so wie heute die Betrachtung der „Rojava“-Warlords durch viele Linke.

    Manche ihrer Artikel sind nett zu lesen, und vielleicht sollte man die Hoffnung nicht aufgeben.

  9. 1915 hatten die Militär gewußt daß es mit dem Krieg nicht vorwärts geht.
    Erst 1918 hatten sie Frieden gemacht.
    Der deutsche Generalsstab hat die Schuld der Bevölkerung und Politik zugeschoben.
    Im Felde unbesiegt, Dolchstoßlegende, die Niederlage kam so plötzlich.
    Wann erschien nochmal das Buch? Was ist die Differenz zwischen Buch und diversen Verfilmungen?
    Wieso hatten 1933 die Nazis das Buch verbrannt? Wieso kriegt jetzt die Verfilmung nen Oscar?

    Ungefähr 1915 sind jetzt die Banderisten.

  10. An Frisbees Darstellung ist einiges ungenau und schief (nichts gegen die generelle Beschreibung), Die Militärs haben nicht „Frieden gemacht“. Vielmehr hatten sie in letzter Minute versucht, die Hochseeflotte zu einer Entlastungsoffensive an der Westfront in den Tod zu schicken. Das war der Auslöser der Revolution, durch die „Frieden gemacht“ wurde.

    In den Versen Frank Wedekinds („Diplomaten“):
    „Welch ein Frieden uns beschieden
    liegt leider nicht in Gottes Hand. Es liegt bei Engelland.
    Die Linke schliesst ihn ab, wir fingen mit der Rechten an zu fechten.“

    Daraus haben die verräterischen Offiziere die Dolchstosslegende der „im Felde unbesiegten“, tatsächlich nach den Offensiven der Entente in Flandern vor dem Zusammenbruch stehenden deutschen Armee gebastelt. Zu feige, zu ihrem Versagen und ihren Verbrechen zu stehen.

    Wo die Ukronazis jetzt militärisch und gesellschaftlich stehen, weiss ich nicht genau. Geschichte reimt sich manchmal, gewiss. Es kann aber genauso gut 1918 sein wie 1915, oder ganz anders. Das weiss man hinterher, falls es nicht zum Nuklearkrieg kommt und man garnichts mehr weiss.

  11. „In den dreißiger Jahren lebte Feuchtwanger in Moskau, schrieb Lobhudeleien auf Stalin und verteidigte die Moskauer Prozesse, als Hunderttausende exekutiert wurden.“

    Habe das bei Wikipedia mal nachgelesen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Moskauer_Prozesse

    Da sind alle Angeklagten und Verurteilten, teils mit Link zu anderen Wikipedia-Seiten, namentlich aufgezählt.

    Auslöser der Prozesse war der Mord an Parteisekretär Sergei Kirow. Ein Freund Stalins.

    Der Mord wurde als Terrorakt klassifiziert und es folgten Antiterrormaßnahmen. Wir kennen das von 9/11, wie da bis heute überzogen wird. Da sind auch tatsächlich Hunderttausende zu Tode gekommen.

    Spätere Vorsitzende entschuldigten sich laut Wikipedia für die überzogenen Antiterrormaßnahmen.

    1. Stalin als Initiator von „Antiterrormaßnahmen“ – na ja.
      War vielleicht Pol Pot auch. Oder Suharto.

      Hätte das Deutsche Reich den 2. WK gewonnen, zählte Herr Hitler vielleicht auch dazu.
      Wohl bekomm’s!

      1. > Stalin als Initiator von „Antiterrormaßnahmen“

        Sorry, so steht das im Wikipedia-Artikel.
        Einfach mal lesen.
        https://de.wikipedia.org/wiki/Moskauer_Prozesse

        Nimm als Beispiel doch die viel aktuelleren Antiterrormaßnahmen. Bspw. einfach behaupten, dass Bin Laden für 9/11 verantwortlich ist und dann ein Land überfallen, das erst mal Beweise sehen will, bevor es einer Auslieferung zustimmt. Dann das Land 20 Jahre besetzten, und noch andere Länder mit ebenfalls erfundenen Gründen überfallen und für Jahrzehnte in Chaos und Elend zu ziehen und jede eigenständige Entwicklung verhindern.

        Die Antiterrorexperten jüngeren Datums sind GW. Bush und Obama.
        Die wollten gleich Großteile der Welt außerhalb ihres Territoriums „in Ordnung“ bringen.

        Oder nimm den Ukraine-Krieg, der 2014 als Anti-Terroroperation begann und bis heute andauert.

  12. Man merkt dem Artikel von E Schweitzer überdeutlich an, daß für Amerika und wohl die meisten US-Amerikaner „dieser Krieg in der Ukraine“ weit weit entfernt ist. Ganz wie im Deutschland der romantischen Dichter „über Krieg und Schlachten weit im Orient“ (oder so, bin da nicht mehr so textsicher) gemunkelt oder gedichtet wurde. Ihr dahinplätschernder und eher verharmlosender Text sagt eigentlich alles.

    Da ist das politische Vermächtnis von Antje Vollmer von ganz anderem Format. Die Berliner Zeitung hat es anläßlich ihres Todes noch einmal, frei zugänglich, veröffentlicht, sehr verdienstvoll, wie ich finde:
    Antje Vollmers Vermächtnis einer Pazifistin: „Was ich noch zu sagen hätte“
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ein-jahr-ukraine-krieg-kritik-an-gruenen-antje-vollmers-vermaechtnis-einer-pazifistin-was-ich-noch-zu-sagen-haette-li.320443

    DAS sollte sich die grüne Führung mal hinter die Ohren schreiben (und natürlich nicht nur die). Aber zu dieser Sorte Olivgrüner mit Tarnfleck hat sie noch nie gehört.

    1. Hab die Textzeile doch noch aufgetrieben:
      Ab Zeile 888 im „Faust“ 1

      BÜRGER
      „Nichts bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
      Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
      wenn hinten, weit in der Türkei,
      die Völker aufeinander schlagen.
      Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
      Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
      Dann kehrt man abends froh nach Haus
      Und segnet Fried und Friedenszeiten.“

      Passt sogar perfekt auf den Artikel, find ich. (Obwohl Goethe ja nun allerdings kein Romantiker war… Da hab ich mich wohl falsch erinnert)

  13. „In den dreißiger Jahren lebte Feuchtwanger in Moskau, schrieb Lobhudeleien auf Stalin und verteidigte die Moskauer Prozesse, als Hunderttausende exekutiert wurden. Bevor es ihm selber an den Kragen gehen konnte, flüchtete er nach Frankreich und weiter nach Kalifornien, wo es damals noch wärmer war als in Russland.
    Aber daran erinnert sich heute keiner mehr in Los Angeles oder eigentlich überhaupt irgendwo in Amerika.“

    Wieder einmal streift Frau Schweitzer die sowjetische Geschichte und wieder einmal, wie schon bei ihrem Artikel über die Hungersnot 1932/1933, beweist sie, dass sie eigentlich nicht mehr als Hörensagen beizutragen hat.

    Feuchtwanger „lebte“ nicht „in den dreißiger Jahren in Moskau“ und ist auch nicht „geflüchtet, bevor es ihm an den Kragen gehen konnte“. Feuchtwanger weilte, wie kurz zuvor der franz. Schriftsteller Andre Gide, zu Besuch in Moskau und veröffentlichte wie dieser die _Eindrücke_ seiner Reise in Buchform.
    Es steht sogar im Titel des dünnen Bändchens, wann Feuchtwanger dort war, denn „Moskau 1937“ nannte Feuchtwanger seinen Bericht.

    Gleich zu Beginn des Vorworts schränkte Feuchtwanger weiter ein:
    „Actually, this account should bear the title: „Moscow January 1937“, for things are moving so quickly in Moscow that many observations lose their thruth in a very few month. I knew people who knew their Moscow well, but who hardly recognized their own city when they saw it after an absense of six month. Neverthenless I’m writing down „Moscow 1937″, and I am allowing myself this latitude because it is not my intention to present a precise objective account. To attempt as much after a ten-weeks‘ visit would be absurd.“

    Ich zitiere notgedrungen auf Englisch, obwohl Feuchtwanger seinen Bericht auf Deutsch schrieb. Aber in Deutschland ist das Werk „vergriffen“. Wenn wir uns in der DDR befänden würde man vermutlich behaupten, es sei „verboten“.
    Aber im Internet findet man englischsprachige Kopien (und russischsprachige) des Büchleins.

    Das Kapitel, in welchem in den Worten Schweitzers Feuchtwanger „die Moskauer Prozesse verteidigte“, übertitelte Feuchtwanger mit „The explicable and the inexplicable in the Trotzkyist trials“, also „das Erklärbare und Unerklärliche der Prozesse gegen die Trotzkisten“.
    Feuchtwanger war Augenzeuge des zweiten Moskauer Prozesses, welcher vom 23. bis 30. Januar 1937 gegen Radek, Pjatakow, Sokolnikow und 14 weitere führende bolschewistische Angeklagte geführt wurde. Er schreibt, dass er den ersten Moskauer Prozess gegen Lenins Kampfgefährten Kamenew und Sinowjew im Vorjahr, den er aus der Entfernung im Westen erlebte, für eine Farce hielt.
    Aber nun sieht er das „Erklärbare und Unerklärliche“ tagelang als Augenzeuge, hält sich zum Teil bis nachts um vier im Gerichtssaal auf und hört die ruhigen Geständnisse der Angeklagten. Er schildert zum Teil detailliert den Zustand und das Verhalten der einzelnen Angeklagten – schon allein deshalb ist das Büchlein lesenswert – räumt allerlei Entgegnungen der Skeptiker – Folter, Drogen etc. – Raum ein und kommt zu dem Schluss, dass das, was er sieht, wohl authentisch sein müsse. (wenn ich mich nicht täusche hielt auch der damalige US-Botschafter in Moskau die Geschehnisse nicht für eine Farce)
    Wir müssen ehrlicherweise zugeben, dass wir uns bis heute – nach Chrutschows Rede auf dem 20. Parteitag, nach den Rehabilitierungen, die bereits zu Sowjetzeiten einsetzen, nach jahrzehntelangen Untersuchungen der Historiker – das Auftreten der Angeklagten auf den Moskauer Prozessen nicht viel besser erklären können, als Feuchtwanger. Auch wenn wir, gestützt auf den heute wesentlich besser bekannten Kontext der Prozesse, andere Schlüsse ziehen.

    Feuchtwanger hat, als Vertreter einer vergangenen, der Vernunft verpflichteten Epoche, versucht, sich nach besten Wissen und Gewissen, nach ausgiebiger Beschäftigung mit der Materie, nach den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, ein _eigenständiges_ Urteil zu bilden, über einen Staat, der in aller Munde war und die nämlichen Prozesse. Dabei kann man irren.
    Der Generation Schweitzer, die ganz offenbar wenig wissen _will_ von den Dingen, über die sie schreibt, sie dafür aber umso problemloser „korrekt einordnen“ kann, die stolz darauf ist, dass sie im Unterschied zu ihren noch beschränkteren Zeitgenossen immerhin von Feuchtwanger gehört hat und von seinem Aufenthalt in Moskau, ihr kann dergleichen überhaupt nicht mehr passieren.
    Irren kann da nur noch „die peer group“.

    Noch eine letzte Korrektur: Als Feuchtwanger in Moskau weilte wurden nicht „Hunderttausende exekutiert“. Der etwa einjährige Massenterror, der im allgemeinen als „Großer Terror“ bezeichnet wird und im Rahmen dessen Hunderttausende (680.000) im Anschluss an Urteile von Schnellgerichten erschossen wurden, begann im Frühsommer 1937, also Monate nach Feuchtwangers Abreise.
    Diese Repressionswelle fand im Unterschied zu den Moskauer Prozessen zudem nicht in aller Öffentlichkeit statt.

  14. Vielen Dank, Besdomny. Schweitzers „Kenntnisse“ stammen von den Hasstiraden der Geschichtsfälscher vom Schlage Snyder und den üblichen antikommunistischen Platitüden, wie sie in den USA verbreitet sind. Sie scheint einen tiefsitzenden Hass gegen Intellektuelle zu hegen, die ihr giftiges Feindbild nicht teilen oder geteilt haben.

    Die Frage, was die Angeklagten der Moskauer Prozesse bewegt haben mag, hat Maurice Merleau-Ponty in seinem Werk „Humanisme et terreur“ in meiner Meinung nach ziemlich adäquater Weise abgehandelt (deutsch als „Humanismus und Terror“, 2 Bde, 1966 bei Suhrkamp erschienen). Das Buch ist auch heute noch erhältlich. Kurz gefasst (und extrem verkürzt), Merleau-Ponty sieht die Angeklagten vor der Frage, was wichtiger ist, ihr „guter Ruf“ oder das Land der Revolution, für die sie ihr Leben lang gekämpft haben. Er behandelt dabei auch Fragen zur Haltung der Intellektuellen.

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