Ratten und Drachen

Mount Rushmore.
Dean Franklin, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Wie konnte Amerika zum Land der grenzenlosen Unmöglichkeiten werden? Ein kurzer Ritt durch die Geschichte.

Ratatouille, der bezaubernde, wenngleich etwas Paris-kitschige Pixar-Film beginnt damit, dass eine verschreckte Ratte durch ein verglastes Fenster springt, ein Kochbuch über dem Kopf und fragt: Wie ist mein Leben an diesem Punkt angelangt?

Das fragt sich wohl auch gerade Kevin McCarthy, der verhinderte Chef der Republikaner im Repräsentantenhaus. Und eigentlich ganz Amerika. Das großartigste Land der Welt, die Leuchtende Stadt auf dem Hügel, so blicken wir auf unser Land. Nun haben wir einen Mad King im Winter White House, eine rechtspopulistische Back-to-the-Future-Rebellion, die ihre eigene Partei aufmischt – darunter eine Frau, die glaubt, kalifornische Waldfeuer würden von jüdischen Space-Lasern verursacht –, einen Parteichef, den seine eigenen Leute ein dutzend Mal durchfallen lassen, und nicht zuletzt einen greisen Präsidenten, der den Krieg in der Ukraine schürt.

Das wichtigste Ereignis der US-Geschichte

Wie ist Amerika dort angelangt? Wir winken der Kamera zu, die uns auf dem Weg hinab in die Zeit folgt, als die Drachen über Amerika herrschten, vor 200 Millionen Jahren. Nein, nein, das war zu weit. Ein gutes Stück zurück, nun sind wir im Jahr 1699. Die ersten schwarzen Sklaven gehen an Land. Eindrucksvoll, aber noch weiß niemand, dass dies das wichtigste Ereignis in der US-Geschichte sein wird.

Noch ein kurzer Flash Forward, wir befinden uns im Jahr 1860. William Pennington, tritt an, um Vorsitzender des Repräsentantenhauses zu werden. Er gehört der „Whig Party“ an; neben den Demokraten die zweite große Partei. Die bürgerlichen Whigs kamen aus der britischen Elite, sie vertraten Ordnung und Besitzstandswahrung.

Die Demokraten, von Unruhestifter Andrew Jackson gegründet, waren die Partei der Immigranten, Schotten aus Ulster, Iren aus Irland. Jackson vertrieb für die neuen Siedler die Indianer aus dem Süden und besiegte deren britische Verbündete in New Orleans. James Polk, ebenfalls Demokrat, führte den Eroberungskrieg gegen Mexico, der weiteres Siedlungsland erschloss. Jackson und Polk vertraten die „Manifest Destiny“, die göttliche Bestimmung der USA, den Wilden Westen zu erobern.

Die USA dehnten sich nun rapide bis zur Westküste aus, alle paar Jahre wurde ein neuer Staat gegründet. Und nach dem „Missouri Compromise“ sollten diese abwechselnd Sklavenstaaten und sklavenfreie Staaten sein, um die Balance zwischen Sklavenhaltern und Sklaverei-Gegnern im Kongress zu halten.

Rassentrennung statt Sklaverei

Das wurde im Kansas–Nebraska-Act von 1854 aufgekündigt. Nun durften die Staaten selber bestimmen, ob ihre Bürger Sklaven besitzen durften. Damit strömten Gegner und Befürworter der Sklaverei in die neuen Territorien, Scharmützel brachen aus, dabei wurden mehrere indianische Stämme vertrieben oder ausgerottet. Die Whigs, die gegen die Sklaverei waren, aber nur leise, zerbröselten; William Pennington starb an einer Überdosis Morphium. Und aus der Asche stiegen die Republikaner auf.

Kurz darauf versuchte der Süden, wegzubrechen, um seine Sklaven behalten zu dürfen. 1861 begann der Bürgerkrieg. Jefferson Davis, der Führer des Südens, war Demokrat. Abraham Lincoln, der Sklavenbefreier im Weißen Haus, Republikaner. Aber Gleichberechtigung gab es auch nach dem Sieg nicht. Nun führten viele Staaten die Rassentrennung ein, manche formell, manche – wie New York – informell.

Woodrow Wilson, der Demokrat, der die USA in den ersten Weltkrieg führte, war ein Südstaatler, der die Rassentrennung auf föderaler Ebene durchsetzte, in Bussen und Bahnen. Franklin Roosevelt rührte keinen Finger für die Schwarzen. Unter Harry Truman, seinem Nachfolger, waren sie von „GI-Bill“ ausgenommen, der Häuschen verbilligt an weiße Soldaten gab, die aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrten.

Der Republikaner Dwight D. Eisenhower änderte das nicht – und seine Partei war sowieso gegen den GI Bill –, aber er hob 1948 die Rassentrennung im Militär auf. Noch in den sechziger Jahren waren die meisten Gouverneure der Südstaaten Demokraten, so wie George Wallace, der glaubte, die Rassentrennung dauere ewig. Eisenhower hingegen schickte die Soldaten der 101st Airborne nach Little Rock, Arkansas, um die Desegregation der Schulen zu erzwingen.

Von Goldwater zur Tea Party

Die Wende kam mit Barry Goldwater, ein republikanischer Senator aus Arizona, der die Partei endlich im Süden erfolgreich machte. 1964 kandidierte er – erfolglos –gegen Lyndon B. Johnson, ein Demokrat, der mit dem Civil Rights Act die Segregation aufhob und Afro-Amerikanern das Wählen erlaubte. Es gab noch ein paar alte Whigs bei den Republikanern, die auf Johnsons Seite waren, aber Goldwater und seine Gefolgsleute stimmte gegen den Act (was er später bereute). Goldwater wurde nie Präsident, aber er machte Richard Nixon möglich, und Ronald Reagan.

Nun stellen wir uns für einen Kommentar vor die Kamera. Zwei Muster erkennen wir: In den USA mit ihrem Winner-takes-all-Wahlsystem kann es nur zwei Parteien geben. Die politische Landschaft wendet sich zwar trotzdem kräftig, aber eher dadurch, dass Rebellen eine Partei infiltrieren – und wer dabei abgespalten und zu klein wird, geht unter. Und: Die gesamte Geschichte der USA, von oben bis unten, wird von der Sklaverei und den Beziehungen zwischen schwarz und weiß bestimmt.

So auch heute. Die zwanzig Rechtsabweichler, die Kevin McCarthy sabotieren – nicht, dass es mir um ihn leidtäte – stehen für eine langsam aufsteigende Strömung, die die Republikaner übernehmen möchte. Viel Geld steckt hinter ihnen, Geld von Milliardären, aber auch Geld von einfachen Bürgern und ausländisches Geld.

Sie kommen aus der Tea Party-Bewegung. Die hat sich gebildet, als Obama der erste schwarze Präsident wurde, ein schwarzer Präsident mit einer schwarzen Familie und einer linksliberalen Benutzeroberfläche. Sie wollen Waffen tragen dürfen, um sich gegen Überfälle von „Verbrechern aus dem Ghetto“ zu wehren und sind gegen eine Krankenversicherung, weil sie für letztere nicht mitbezahlen wollen. Und gegen Immigration aus Mexico und Südamerika sind sie sowieso.

Kriege werden immer noch unter Demokraten geführt

Sie infiltrierten eine republikanische Partei, die bereits ausgehöhlt war. Unter George W. Bush hat sie sich von ihrer herkömmlichen Zurückhaltung abgewandt und Truppen in den Mittleren Osten geschickt, ein ewiger Krieg. Das konnte nur geschehen, weil die „Grand Old Party“ zuvor von den Neokonservativen gekapert worden war, in der Wolle gewendete Demokraten, die das „Manifest Destiny“ adaptiert hatten. Nur dass sie nun nicht mehr den Wilden Westen erobern wollten, sondern den Weiten Osten. Auch Trump ist eigentlich ein gewendeter Demokrat. Aber auf dem Eisernen Thron wird er sich wohl nicht mehr so lange halten.

Bei den Demokraten, eigentlich, hat sich nicht viel geändert. Jackson hat die Indianer vertrieben, um ihr Land den Neuankömmlingen zu geben. Um die kümmern sich die Demokraten immer noch, nur dass nun die Indianer und die Schwarzen dazugehören. Es geht ja um Neuankömmlinge im politischen System, nicht auf der Landmasse von Amerika. Die Kriege werden immer noch unter Demokraten geführt, und die Neokonservativen flanschen sich gerade wieder dort an. Aber dazu später mehr.

Was Kevin McCarthy angeht, jetzt wissen wir, wie er dahin gekommen ist, aber nicht, ob er da wieder wegkommt. Und kochen kann er wahrscheinlich auch nicht.

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9 Kommentare

  1. Ein Schweizer Karrikaturist unternahm einst eine Reise durch die USA und drehte dabei eine Dokumentation. Er traf in Los Angeles einen Kollegen, der ihm vorhielt: Ihr Europäer seid vielleicht gut. Erst schickt ihr alle Ganoven und Spinner Jahrzehnte lang hierher, anstatt sie weiter wie gewohnt an den Galgen zu hängen, und dann fragt ihr, wie die jetzige Situation hier entstehen konnte. Nebenbei bestätigte er, genau wie sein Kollege sich täglich genau überlegen zu müssen, was er karrikiert, um nicht ins Abseits zu geraten. Das nannte er als Beispiel für die angebliche Demokratie.
    Schon Hannah Arendt war über die zunehmende Verwendung des Begriffs „Demokratie“ irritiert. Wo soll denn hier Demokratie sein? Demokratie setze Feudalismus voraus, den es in den USA nicht gegeben habe. Hier herrsche das Gesetz und nur dieses.
    Sie „vergaß“ die absolute Herrschaft der 100 Familien zu erwähnen, die seit Gründung der USA die Geschicke des Landes bis heute bestimmen. Vielleicht eine besondere Form des Feudalismus!

    1. „Demokratie setze Feudalismus voraus, den es in den USA nicht gegeben habe.“ Muss es nicht. Die allermeisten aus Europa kommen oder kennen Feudalismus.
      Die Masse der Deutschen in den USA waren Soldaten aus dem Deutschen Feudalismus, die nach Amerika verkauft wurden.

    2. Die „Ganoven und Spinner“ waren zuerst calvinistische Protestanten. Später kamen Armutsflüchtlinge aus ganz Europa. Darunter auch ein paar „Ganoven“ und Mafiosi.

  2. Der amerikanische Traum

    Es gibt einen Grund warum die Bildung so beschissen ist, und es ist der gleiche Grund, warum das niemals behoben werden wird.

    Es wird niemals besser werden, suche nicht danach, sei glücklich mit dem, was du hast.

    Denn die Besitzer, die Besitzer dieses Landes wollen das nicht. Ich spreche jetzt von den wirklichen Besitzern, den großen Besitzern! Die Reichen … die tatsächlichen Besitzer! Die großen, reichen Geschäftsinteressen, die die Dinge kontrollieren und alle wichtigen Entscheidungen treffen.

    Vergiss die Politiker. Sie sind irrelevant. Die Politiker sind installiert um dir die Illusion zu geben, du hättest die Freiheit der Wahl. Die hast du nicht. Du hast keine Wahl! Du hast Besitzer! Sie besitzen dich. Sie besitzen alles. Sie besitzen das ganze wichtige Land. Sie besitzen und kontrollieren die Unternehmen. Sie haben längst den Senat, den Kongress, die Parlamente und die Rathäuser gekauft und bezahlt, sie haben die Richter in ihren Taschen und sie besitzen alle großen Medienunternehmen, so dass sie fast alle Nachrichten und Informationen kontrollieren die du zu hören bekommst. Sie haben dich bei den Eiern.

    Sie geben jedes Jahr Milliarden von Dollar für Lobbyarbeit aus, Lobbyarbeit, um das zu bekommen, was sie wollen. Wir wissen, was sie wollen. Sie wollen mehr für sich selbst und weniger für alle anderen. Auch werde ich ihnen sagen, was sie nicht wollen:

    Sie wollen keine Bevölkerung von Bürgern, die zu kritischem Denken fähig sind. Sie wollen keine gut informierten, gut ausgebildeten Menschen, die zu kritischem Denken fähig sind. Das interessiert sie nicht. Das nützt ihnen nichts. Das ist gegen ihre Interessen.
    ―George Carlin

  3. Schweitzer vertritt also die Ansicht, die Demokraten seien die eigentliche Kriegspartei. In der Tat werden nicht so Kriegswillige in den usa und den ihr hörigen Medien gern als Isolationisten ettiketiert, eine durchaus pejorativ gemeinte Bezeichnung und meist auf Mitglieder der Grand Old Party gemünzt. Wie es Schweitzer antönt, wurde das durch die NeoCons, die man gern aber oft fälschlich für Republikaner hält – in der aktuellen Administration wimmelt es von ihnen -, vorallem in Europa verwischt. In Europa meint man, die Demokraten stünden links, seien also sozial und friedliebend. Das ist eine Übertragung, mittlerweile muss man sagen ehemaliger, europäischer Verhältnisse. In den usa gibt es nur eine, janusköpfige Partei, deren Doppelgesichtigkeit sich der Legitimierungsweise von Herrschaftsausübung im bürgerlichen Staat verdankt. Alle ideologischen Differenzen werden in ihrem Innern ausgehandelt, was erklärt, warum die Charakterisierung ‚progressiv‘ – nicht links – sich wie der magnetische Pol der Erde stets bewegt und im Extremfall sogar verkehrt.

  4. Immerhin hat fr. clinton eine Professur erhalten, um im grossen Apfel die nächste Generation von Absolventen auf den ‚richtigen‘ Weg zu begleiten. Leider besitze ich noch Erinnerungen über gephälte Menschen…
    Der demokratisierte Trump hatte zumindest verbal seinen Anhängern verkündet, er würde die DEMOKRATIE an die Bürger zurück geben…
    Nun, ich warte auf Sylvester 24/7/365 unentwegtes Böllern und hoffentlich kommt der MIK mit seiner Produktion nach…

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