Die Reichstagssimulation – oder: Lerne klagen, ohne zu leiden

Trump als Hitler
p. klashorst, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Die Vereinigten Staaten glauben, sie hätten nun ihren eigenen Hitler im Weißen Haus. Kein Wunder, dass sie das annehmen: Denn über Nazis wissen die Amerikaner bestens Bescheid – durch Hollywood.

Amerika lebt in einer großen Nazi-Simulation. Eigentlich nicht ungewöhnlich; der Schicklgruber ist ein Fixum in der US-Unterhaltungsindustrie; JoJo Rabbit, Inglourious Basterds, The Sound of Music, Der Pianist, Schindlers Liste, Indiana Jones, Der Soldat James Ryan, Cabaret, Star Trek … ohne die Nazis wüsste Hollywood gar nicht, was sie den ganzen Tag so tun. Es ist manchmal, als habe sich Hitler mit Wernher von Braun als Geist ins Land geschmuggelt und wabert nun durch die Gehirne.

Aber inzwischen ist die Hitlermania in die Politik gekroche – und das im Ernst. Noch zu Zeiten von George W. Bush, der Blitzkrieger von Afghanistan und Irak, wurde der Präsident als glückloser Imperialist gescholten, aber Hitler-Vergleiche außerhalb eines winzigen linken Randes waren tabu. In den USA, aber auch in Deutschland. Ich habe allenfalls mal ein einsames Plakat gesehen, dass Bush mit Mussolini verglich.

Die Mystifizierung des Charlie Kirk

Dabei war Mussolini noch kriegsuntüchtiger als der Große Feldherr der Coalition of the Willing, die immerhin bis Palau, Mikronesien und den Solomon Islands reichte. Bush zog zu Felde nach 9/11, das „neue Pearl Harbor“ die Attacke der Japaner, von der die USA übrigens von einem Doppelagenten der deutschen Abwehr vorab die verschlüsselten Pläne bekamen. Aber das FBI konnte die nicht lesen.

Nicht lesen können einige auch die Zeichen an der Wand. Der Mord an Charlie Kirk, dem konservativen Influencer, gilt vielen Amerikanern als „Reichstags-Moment“. Der Tote wird gar mit Horst Wessel verglichen, der Dichter des gleichnamigen Liedes, ein junger SA-Mann, den die Nazis nach seinem frühen Ende zum Märtyrer befördern.

Man denkt, woher zum Teufel kennen die Amerikaner Horst Wessel? Über den gibt es doch noch gar keinen Hollywood-Film, aber ganz falsch ist der Vergleich nicht. Der 23-Jährige war ein SA-Mann, der mit seinen Mannen gegen den kommunistischen Rotfrontkämpferbund straßenkämpfte. Vor allem aber war er ein begabter Propagandist und begnadeter Redner, der selbst Joseph Goebbels Konkurrenz machte.

Erschossen wurde er 1930 von einem Kommunisten namens Albrecht Höhler. Der wollte Wessels ebenfalls kommunistischer Zimmerwirtin Elisabeth Salm helfen, als Wessel sich weigerte, eine Mieterhöhung zu bezahlen, nachdem seine Freundin bei ihm eingezogen war. Ja, als Vermieter sind Kommunisten auch nicht besser.

Nun hatte Charlie Kirk gewiss keine Mietschulden, aber eine gewisse nachträgliche Mystifizierung lässt sich durchaus feststellen. Wir haben hier seit Tagen die Charlie-Kirk-Beatifizierungsfestspiele, gipfelnd in einem fünfstündigen, Mao-würdigen Staatsbegräbnis, (mit einer Rede von Chairman Trump), gefolgt davon, dass Kirks Gesicht auf einer Münze erscheinen soll. Und natürlich einem strengen Verbot, sein Wirken zu kritisieren und auch nur zu zitieren, was er alles so gesagt hat.

Zahl der US-Journalisten im KZ: Gleichbleibend Null

Seit ein paar Tagen geistern Popstars durch das Internet, die behaupten, Charlie Kirk sei ein großartiger Mann gewesen; Mick Jagger, Paul McCartney, Barbra Streisand, Bruce Springsteen, Bob Dylan … die sind alle AI-produziert. Man sollte meinen, jeder sieht das sofort, aber wer in der Simulation lebt, wahrscheinlich nicht. Horst Wessel ist noch nicht posthum auf Facebook aufgetaucht, um zu erklären, dass Charlie ein großartiger Antikommunist war, aber das kann ja noch kommen.

Natürlich – wir bleiben im Vergleich — nutzten die Republikaner die Gelegenheit, allzu laute Kritiker abzustrafen. Lehrer und Journalisten wurden wegen Kirk-Beleidigung entlassen. Vorübergehend verlor auch der TV-Komiker Jimmy Kimmel seinen Job, bis es seinem Arbeitgeber Disney wieder einfiel, dass der Sender von Zuschauern lebt und nicht von Regierungsaufträgen. Es ist, klagen amerikanische Linke, ein echter Reichstagsmoment. Da ist er wieder, der Schicklgruber Adi.

Oder ist es das? Nach dem Reichstagsbrand sperrten die Nazis Kommunisten und linke Journalisten, die nicht schnell genug fliehen konnten, in KZs. Carl von Ossietzky wurde zu Tode gefoltert. Der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann wurde verhaftet und im KZ erschossen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Breitscheid flüchtete nach Frankreich, wurde von der Vichy-Regierung ausgeliefert und starb in Buchenwald. 96 Reichstagsabgeordnete wurden umgebracht. Es floss also richtig Blut.

Hingegen Amerika; gut, Trump macht rechtspopulistische Politik. Er hat Immigranten deportiert, manche davon widerrechtlich, das ist wahr; Touristen landeten für Wochen in Internierungslagern und koreanische Ingenieure wurden beim Versuch, eine Fabrik aufzubauen, verhaftet. Er versucht, sich über Gerichte hinwegzusetzen und er stopft die Institutionen mit seinen Leuten voll, die die Gesetze zu seinen Gunsten biegen, und er bereichert sich wie zuletzt William Marcy Tweed.

Gerade hat Trump den ehemaligen FBI-Direktor, einen Republikaner, vor Gericht gezerrt. Wegen Geheimnisverrat. Das hat sich bei J Edgar Hoover kein Präsident getraut. Alles nicht schön. Die Demokraten empören sich darüber. Aber die Zahl der US- Journalisten – und Politiker – die ins KZ gesperrt wurden, ist gleichbleibend Null und das gleiche gilt für die Zahl derer, die an die Wand gestellt werden.

Die drei Achsenmächte in den USA

Die meisten Kritiker, die gefeuert werden, werden Opfer ihrer eigenen Bosse, die Trump auf einer Schleimspur entgegenkriechen. Es ist in Amerika immer noch weniger schädlich für die Karriere, zu sagen, „Trump ist ein böser Diktator“, als „Frauen haben keine Penise“. Trump ist nicht Hitler, nicht einmal Chaplins Parodie Hynkel. Vielmehr möchten amerikanische Linke gerne in einer Nazi-Widerstandsimulation leben, als sei das ein Computerspiel und sie selber sind die virtuellen Helden. Aber bitte gefahrlos.

Natürlich wäre Trump gerne König von Amerika, aber was die diktatorischen Anwandlungen angeht, ist er durchaus im Muster. Ulysses Grant hat die Sioux massakriert, Woodrow Wilson hat die Rassentrennung der Südstaaten bundesweit ausgedehnt, Roosevelt hat japanisch-stämmige Amerikaner in Internierungslager gesperrt und Eisenhower hat Behörden, übrigens auch Hollywood-Filmstudios, nach Kommunisten durchsuchen lassen. Man muss sich nur erinnern wollen.

Man muss aber auch kämpfen wollen. Dank der vielen Hollywoodfilme haben sich viele Amerikaner das Hobby zugelegt, Deutsche posthum zu belehren, was sie hätten tun können gegen die Nazis. Nun, wo die Gelegenheit in Amerika endlich da ist, oder zumindest die Linke in Amerika glaubt, sie sei da, ist die oberste Form des Widerstands immer noch Witze auf Facebook, gefolgt von eiligen Zurückrudern.

Und was ist mit Tyler Robinson, den Mörder von Kirk, der nun von den Rechten als eine Art Albrecht Höhler verkauft wird? (Ohne diesen Namen zu nennen.) Aber ist der überhaupt ein Linker? Wir wissen (vielleicht, gelogen wird ja viel), dass er Patronen benutzt hat, auf denen „Hey, Fascist, catch“ und „Bella Ciao“ eingeritzt war, das Lied der italienischen Partisanen, die Mussolini aufhängten.

Das gilt als Beleg, dass er Teil dieser mysteriösen Antifa ist, die Trump verbieten will. Andererseits, viele Amerikaner glauben, dass sie im Zweiten Weltkrieg mit Italien gegen die Sowjetunion gekämpft haben. Von daher ist die Idee, dass ein 22-jähriger Hochschulabbrecher aus Utah weiß, was dieses Lied bedeutet, etwas albern.

Und richtig, er weiß es auch nicht. Dieses „Bella Ciao“ ist Teil der Widerstandssimulation. Die Sprüche stammen aus einem Computerspiel, dass er oft gespielt hat. Es heißt Hellfire, und erfunden wurde es in Japan. Und schon haben wir alle drei Achsenmächte beieinander, die durch Amerika geistern.

Eva C. Schweitzer

Eva C. Schweitzer pendelt zwischen Berlin und New York, wo sie eine Dissertation über den Times Square verfasst hat; sie arbeitet als Buchautorin und freie Journalistin über Medien, Entertainment und Politik. Ihr letztes Buch war „Links Blinken, rechts abbiegen“ beim Westend Verlag; derzeit schreibt sie ein Buch über die Tucholsky-Familie. Sie leitet auch den Verlag Berlinica Publishing, der Bücher aus Berlin nach New York bringt. Zuvor war sie Redakteurin beim Tagesspiegel in Berlin.
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7 Kommentare

  1. Gelungener Artikel.

    Ein netter Satz, der im Gedächtnis bleibt:
    „Vielmehr möchten amerikanische Linke gerne in einer Nazi-Widerstandsimulation leben, als sei das ein Computerspiel und sie selber sind die virtuellen Helden.“

    Schon komisch, dass bei allem Denken oder Reden über etwas extremere Formen des politischen Machtkampfes reflexartig und geradezu zwanghaft immer wieder der historisch falsche Vergleich mit dem NS bemüht wird – so, als ob sich Geschichte wiederholen könnte.

    Die innenpolitische Auseinandersetzung hat eben aus bestimmten Gründen – ich schrieb das schon beim Rötzer-Artikel – ein merklich höheres Maß an Aggressivität und Verwahrlosung erreicht. Da die Kunst des Maßhaltens vermutlich auch weiterhin nicht beherrscht werden wird oder weil jetzt schon viel zu viel Porzellan zerschlagen worden ist, dürfte es ähnlich weitergehen wie bisher. Im besten Fall! Schlimmere Entwicklungen sind sehr wohl möglich.

  2. Immerhin wissen wir Deutschen dank unserer heroischen Kämpfer gegen den – ääääh – Faschismus im Spektrum von Söder bis Habeck, wie Antifa wirklich geht: mit der westlichen Wertegemeinschaft nach außen und der „wehrhaften Demokratie“ gegen die Hufeisen-Demokratie-Feinde. Ganz so, wie ihre ideologischen VorläuferInnen aus der Weimarer Republik, was dann in der geschlossenen Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes und ihrem kollektivem Eintritt in den Widerstand einmündete. (Sarkasmus Ende.)

  3. [->] „Honig im Kopf“? Kommt mir beim Lesen des Artikels unwillkürlich in den Sinn. Was will uns die Autorin nun eigentlich damit sagen? Kann mir bitte mal wer beim Verständnis des Textes helfen? Am besten „in einfacher Sprache“. Danke!

    1. „Kann mir bitte mal wer beim Verständnis des Textes helfen? “

      Strengen Sie sich blos nicht an -Sie können nur verlieren. Die Autorin lebt seit 27 Jahren in den USA als erfolgreich amerikanisierte Exil-Qualitätsmedien-Deutsche. Sie repräsentiert das moderne, globalistische Bürgertum ohne Grenzen -in erster Linie ohne Grenzen für Geld. Man lebt in New York, Deutschland ist ein Kapitalstandort, wo man mit Publikationen anständig Geld verdient Die Welt ist Hollywood und Walt Disney Animation Studios.

  4. Natürlich ist Trump nicht Hitler – er ist ja auch kein Klon. Aber warum er an der Stelle sitzt wo er sitzt und machen kann was er macht ist, all das geschieht aus dem gleichen Grund warum auch Hitler installiert worden ist. Amerika durchlebt im Moment den gleichen programmierten Weg in die Diktatur wie es einst Deutschland in der Weimarer Zeit tat, und Trump ist garantiert kein Betriebsunfall auf dem Weg dahin. Und um das zu erkennen dafür benötigt man kein Hollywood …

  5. Mittlerweile muss man sich fragen, ob der Ausbruch des Yellowstone Vulkans lauter wäre als das Geheul mit dem die Amis quer durchs politische Spektrum (also mitte-rechts bis rechtsaussen) täglich die Welt überziehen.

    Sinnbild für diese Gong-Show für Goldfische war/ist für mich der arschkriechende Hofnarr Colbert. Der wurde abgesetzt, worauf das Motto der nächsten Sendung dann war „the gloves are off“. Der Inhalt? Die genau gleichen billigen Trump-Witze wie die 10 Jahre zuvor.

    Operation gelungen (Turbokapitalismus/Faschismus), Patient Bevölkerung erfolgreich lobotimiert. Wir hier in Europa sind auch auf gutem Weg, wie man an unseren geliebten Führern und der *ähem* „Debattenkultur“ sehen kann.

    Was ich mich frage, ist, wie Frau Schweitzer es in diesem Land aushält? Kann man den ganzen Tag mit Tüte überm Kopf und Hörschutz rumlaufen?

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