Der mit dem Hund tanzt

Hundeblick
Lisa Risager from Denmark, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Marco Goecke schmierte einer Kritikerin Hundekot ins Gesicht: Aus Gründen des Protests. Der arme Mann litt sehr unter der Frau.

Wenn die New York Times über Deutschland berichtet, ist es meist, als ob ein vorbeifliegendes Raumschiff kurz mal eintaucht und irgendwas herauspickt, das den Sensoren als etwas Besonderes erscheint. Gerne mischt die Times auch ein paar Nazis mit rein; auch dann, wenn sie sich anstrengen muss, entsprechende Referenzen zu finden. Aber Tradition ist Tradition. Manchmal allerdings strahlt ein Ereignis dermaßen durch Raum und Zeit, dass nicht nur die Times, sondern alle berichten.

Das bringt uns zu dem vielbeachteten Zwischenfall in Hannover, als der oberste Ballettierende, Marco Goecke, mitten im Theater eine Kritikerin der FAZ mit Hundekacke beschmierte. Hundekacke, die er von seinem eigenen Dackel Gustav kurz zuvor eingesammelt hatte. Die Times rief bei Goecke an, was der denn dazu zu sagen hatte. Der beklagte sich, dass die Zeitungen nur über die Hundekacke geschrieben hätten. Er hingegen habe eine Debatte in Gang bringen wollen, was Kunstkritikern erlaubt sein dürfe. Ja, tough luck, Kiddo. Kritiker sollten nicht persönlich werden und Hass verbreiten, meinte er noch, gerade heute, wo die Opernhäuser nach der Pandemie noch Publikum suchten. Und: Wenn er eine Frau wäre und der Kritiker ein Mann, dann würde das anders beurteilt werden.

Glauben an das Canceln

Also, ich würde einen Esel gegen einen Tesla wetten; wenn der Kritiker ein Mann gewesen wäre, vielleicht sogar einer mit der Statur von, sagen wir, Wladimir Klitschko oder Graciano Rocchigiani, dann hätte Goecke den Hundekot fein im eigenen Täschlein behalten und zwar unabhängig von seinem eigenen gefühlten Geschlecht. Aber tatsächlich scheint es in Deutschland – anders als in Amerika – an vielen vorbeigelaufen zu sein, dass ein Mann eine Frau angegriffen hat.

Die Times hingegen stellte erstaunt fest, die Karriere von Goecke sei auch nach diesem Vorfall noch nicht am Ende, denn in Hannover glaube man nach deren eigenen Bekunden nicht an “Cancel Culture”. Ja, da haben wir alle aus den USA importierten Buzzworte beieinander, aber inzwischen hat man in Hannover, denke ich, den Glauben an das Canceln doch wiedergefunden.

Das erstaunliche ist nicht, dass ausländische Zeitungen den Vorfall aufspießen – in England überschlagen sie sich nachgerade – aber was ich interessant finde, ist die völlig unterschiedliche Reaktion der Leser und Leserinnen. In den Kommentarspalten in Deutschland gibt es so richtig viele Verständnishabende, vor allem Männer. Was sollte der arme Goecke denn sonst tun, meinen sie, und: Pressefreiheit schön und gut, aber die dürfe nicht zu weit gehen. Fiese Kritiken würden davon nicht abgedeckt. Das geschehe der Kritikerin ganz recht und harsche Kritiken zu schreiben, sei doch irgendwie auch strukturelle Gewalt.

Lange Tradition der Pressefreiheit

Hingegen die Reaktion in Amerika zu dem Times-Artikel: Tausende Kommentare, fast einhellige Empörung. Wer so gewalttätig sei, sei noch zu was ganz anderem fähig, der Mann gehöre gefeuert und eingesperrt. Dass er sich nun als Opfer aufspiele, sei eine Frechheit, und zum allermindestens habe er einen Knall. Allerdings las ich auch (sinngemäß): “Als ich die Schlagzeile überflogen hatte, habe ich erst befürchtet, der Mann sei aus Florida.” Niemand in Amerika schwadroniert, dass die Pressefreiheit auch mal zurückstehen müsse, wenn eine zarte Künstlerseele belangt werde.

Woher kommt der Unterschied? Natürlich rührt das auch daher, dass niemand in Amerika den kotwerfenden Ballettographen überhaupt kennt; wenn beispielsweise in deutschen Zeitungen stehen würde, dass sich ein Amerikaner so aufgeführt hat, würde der in Deutschland auch etwas härter beurteilt werden als wäre das “einer von uns”.

Es ist aber doch trotzdem so, dass es in Amerika mit seiner langen Tradition der Pressefreiheit als selbstverständlicher gilt, dass die Presse kritisieren darf, auch harsch. Es hat sich natürlich gerade in den USA in den letzten Jahren eine starke Aggression gegen die “Mainstream Media” entwickelt, die angeblich bloß die demokratische Parteilinie nachplappern.

Ja, es gibt sogar eine kleine Minderheit, die Journalisten auch verprügeln würde, wenn die, beispielsweise, Donald Trump beleidigen. Ich kann mich auch noch gut an den Auftritt eines frühen Anhängers der Tea Party erinnern, der die Namen von jüdischen Journalisten in einen johlenden Raum brüllte mit der Aufforderung, es denen zu zeigen. Aber das sind Rechte. Unter liberalen Ballettliebhabern finden sich solche Leute kaum.

War Hitler kein Hundefreund?

Ich selber bin eher nicht so ein zarter, mädchenhafter Feingeist. An Stelle der Kritikerin würde ich ein paar Russen engagieren, die mir helfen, den Kerl an einen Stuhl zu fesseln und dann vor seinen Augen den Dackel schlachten, braten, und ihn zwingen, den aufzuessen. Aber ich bin mir bewusst, dass das moralisch fragwürdig wäre. Gustav kann ja nichts dafür. Aber, wie Mao sagt, bestrafe einen, erziehe viele.

Immerhin bin ich schon dankbar, dass die New York Times den Dackelzwischenfall diesmal nicht mit den Nazis in Verbindung bringt, obwohl es doch zahllose Optionen hätte. War Hitler nicht ein großer Hundefreund? Und bei den Nazis waren “zersetzende” Kritiker ja auch nicht so gerne gesehen.

Was Goecke angeht, vielleicht könnte man den in die Freiwilligenlegion eingliedern, die demnächst nach Russland ziehen wird. Ich bin sicher, Putin hat Angst vor ihm. Die künstlerische Arbeit können wir dann wahrscheinlich dem hyperintelligenten Chatbot überlassen, der ebenfalls durch die New York Times geistert. Die regieren uns in ein paar Jahren sowieso.

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17 Kommentare

    1. Strafrechtlich gesehen sind da Sachbeschädigung (soweit die Kleidung was abgekriegt hat), Körperverletzung und tätliche Beleidigung einschlägig. Wirklich harmlos ist das nicht.

  1. Nett, dieser Aggressionsartikel. ich musste lachen. Übrigens, wenn eine Balletteuse einem Kritiker Hundekot ins Gesicht geschmiert hätte, wäre das was anderes? Bloss neugierig.

    P.S.: Die rassistischen Vorurteile der Frau Schweitzer sind auch lustig. Sie ist aber feige. In ihrer Nachbarschaft könnte sie ein paar Ghettokids eher anheuern als Russen, aber darf man ja nicht wegen N-Wort. Russen sind vogelfrei, weiss ja jeder, Russenmafia, sowieso gewalttätig .. und Putin ..

  2. Den Dackel braten … ? Der Dackel kann für den ganze Schlamassel wohl am wenigsten. Moral hin oder her, etwas differenzierte könnte man die Strafe ja schon ausbaldowern. Und warum gerade wieder die Russen. Der SBU stellt doch auch gerne seine Taktiken unter Beweis.
    Der Dackel darf bleiben, der Typ soll meinetwegen sonst wohin … mir egal.

    Ich wurde in dieser Stadt geboren, daher trifft mich diese Geschichte leicht persönlich. Wer meint, er müsse zu Hundescheiße greifen, anstatt zu Argumenten hat in einer solchen Position nichts zu suchen.
    Kritiker können echt fies sein, machen es vielen Künstlern auch schwer. In diesem Fall, waren die Argumente der Kritikern vielleicht nicht nett (welche Kritiken sind das schon), aber auch nicht gravierend schlimm. Und selbst wenn … Hundescheiße? Das zeigt keine wahre Größe auf. Sich dann halbherzig zu Entschuldigen, um dann weitere Vorwürfe gegen die Journalistin hervorzubringen, auch nicht.

    Ganz Toll. Hannover geht jetzt mit Hundescheiße und einem minderwertigkeitskomplexbehafteten Ballettschnösel in die Geschichte ein. Weltweite Aufmerksamkeit …
    Staatsoper hat sich jedenfalls von ihm getrennt … vielleicht waren sie ja auch froh drum, denn so gut wurde er ja hier nicht aufgenommen – laut Kritikern. Hab auch von niemenadem gehört, der von ihm oder seinen Inszenierungen geschwärmt hat.

    Zu den vorherigen Kommentaren.
    Aktionstheater? Ernsthaft? Würdest du auch noch von “Aktionstheater” sprechen und “künstlich aufregen” wenn du selbst Hundescheiße im Gesicht kleben hättest?

    Muss es jetzt tatsächlich eine Gender und Gleichberechtigungsdiskussion um Hundscheiße geben – es ist egal welches Geschlecht welchem Geschlecht Scheiße ins Gesicht schmiert. Die Tatsache an sich reicht doch …

      1. Ich möchte auch energisch gegen jegliche Dackelbraterei protestieren! Was kann das Tier denn dafür, wenn seine Hinterlassenschaften von Psychopathen zweckentfremdet werden? Ich halte den Mann tatsächlich für einen Psychopathen, oder netter formuliert: er scheint eine sehr akzentuierte Persönlichkeit und eine mangelhafte Impulskontrolle zu haben. Da finde ich eine Genderdiskussion völlig fehl am Platz.

  3. Entschuldigung vom 15.02.23

    Goecke: “Schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion”

    Es gibt Kritiker, die am besten gleich aus dem Fenster ihrer Schreibstube fliegen. Manche Leute würde man mit Dackelkacke im Affekt nur bestätigen.

  4. Endlich war mal etwas los in Hannover, worüber es sich tatsächlich zu berichten lohnte.
    In ein paar Jahren steht eine Skulptur von Gustav vor dem Tanztempel.

    Im Vergleich zu den Ingredienzien mancher Creme für die reife Haut war das Produkt wenigstens mal rein biologisch erzeugt und abbaubar.

  5. Der Vorschlag mit der Hundeschlachtung gefällt mir. Doch, ist richtig gut, mit live stream auf youtube. Habe beim Lesen laut aufgelacht. Da es in einer U-Bahn-Station war, sollte es dafür ein Beweisvideo geben.

    Wäre es nicht schön, wenn der Artist seine ihm bestimmtes Marter künstlerisch verarbeitet? Auf die Bühne bringt oder so? Das könnte eine große Inspiration für Generationen sein und Frau Schweizer findet einen hervorragenden Platz in der Wikipedia.
    Welche Freude für alle Beteiligten. Also außer für Bello.

  6. Marco Goecke hätte besser daran getan seinen Frust oder Gustavs Hundekacke zu tanzen, statt diese so unfeingeistig direkt auf der Kritikerin zu platzieren. Was dachte er denn, was das Ergebnis seiner Aktion sein würde? Nun, zumindest eines hat er geschafft: es wird keine (bösen) Kritiken mehr geben.

  7. Also, der Gustav ist ein bildschöner Dackel, sicherlich geimpft und entwurmt, gepflegt und vom Feinsten ernährt. Der Kot müsste folglich von harmloser Beschaffenheit gewesen sein, keinesfalls als “Biowaffe” zu klassifizieren. Davon wurde der (mutmaßlich seit Jahren grob böswilligen) Kritikerin etwas an die Wange geschmiert. Tja, nach den Maßstäben der Ästhetik war das einen Grenzüberschreitung, klar. Doch andererseits, mit Verlaub, finde ich die Wirksamkeit der Aktion beeindruckend. Wäre weltweit berichtet worden, wenn er der Dame einfach mit der hohlen Hand eine Patsche verabreicht hätte? Sicher nicht.

    1. Sein Vorgänger in Hannover hat “Weltruhm” durch seine Arbeit erhalten, Goecke nun durch Hundescheiße. Glaube nicht, dass er sich das so gewünscht hat. Damit hat er sich wohl selber ans Bein gepisst. (hier ist die Fäkalsprache ja ausnahmsweise mal angebracht, um auf dem Niveau zu bleiben)
      Dass Kritiker echt brutal sein können, hatte ich schon erwähnt. Dass sich da jede Menge Wut anstauen kann, verstehe ich auch. Hundescheiße verstehe ich nicht.
      Aus reinem Interesse: Da es ja Ihrer Meinung nach “nach den Maßstäben der Ästhetik”(?) nur eine Grenzüberschreitung war, schmieren Sie sich doch selbst (mit Verlaub) mal etwas gepflegte Hundescheiße an die Wange und beschreiben Sie mir Ihre Erfahrung dann noch einmal genauer.

      1. Für solche Übungen bin ich jetzt zu alt. Aber ich verrate Ihnen, dass ich in den 1950er Jahren meine Kindheit auf einem Bauernhof erlebte. Mit vielen Tieren: Pferde, Kühe, Schweine, Schafe, Ziegen, Gänse, Hühner, Tauben … auch Hunde und Katzen. Damals wurden alle Ställe noch mit Handarbeit gereinigt. Es gab Misthaufen und Jauchegruben. – So, jetzt dürfen Sie mir einfach glauben, dass man da zu tierischer “Scheiße” ein ganz entspanntes Verhältnis entwickelt hat. Ging ja problemlos abzuwaschen. Und der positive Nebeneffekt in diesem Milieu war ein hervorragend “geschultes” Immunsystem. Heute sind viele Kinder infektanfällig und leiden unter Allergien. Sowas kannten wir gar nicht.

        1. Touché! Aus dieser Perspektive betrachtet, stimme ich Ihnen auch zu. Wobei ich doch sagen muss, dass es für mich einen gravierenden Unterschied zwischen den Hinterlassenschaften von Fleischfressern und Pflanzenfressern gibt. Ich habe nicht soviel Erfahrung wie Sie, jedoch auch auf Höfen gearbeitet und mit Hand Mist weggemacht. Den Mist von Pflanzenfressern würde ich mir jetzt auch nicht ins Gesicht schmieren, ekelhaft finde ich ihn jedoch nicht. Bei Hunde und Katzenkot habe ich nicht so ein entspanntes Verhältnis. Als ehemalige Hundehalterin spreche ich da aus Erfahrung.
          Für das Immunsystem ist es medizinisch nachgewiesen natürlich auch gut, doch ob die Ballettszene diese Argumente zu schätzen weiß, bezweifle ich.

  8. Die Autorin hat einen sehr wichtigen Punkt angesprochen : Die fatale menschliche Vorliebe des physisch Stärkeren, den/die physisch schwächere/en Gegner/in ( mein Gott ist dieses Sprache-Gendern anstrengend ! ) körperlich anzugreifen, anstatt die verbale Auseinandersetzung zu suchen.
    Ich glaube, dass dieses Verhalten nur in Ausnahmefällen darauf zurückzuführen ist, dass der/die verbal Angegriffene sich wegen mangelhafter intellektueller Fähigkeiten nicht verbal wehren könnte, sondern eher, dass er/sie den brutalen Weg aus purer Lust an der Gewalt “wählt” !

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