Das Buch als Chicken Nugget

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Das Verlagswesen wird vielleicht nur noch eine menschliche Konstante kennen: Den Leser. Aber es wird sich dumm und dämlich verdienen – glaubt es noch.

Eine Bücherschau ohne Bücher, das gibt es nur in New York. Viele Jahre besuchte ich die Book Expo America, die BEA, auf ihrem Weg durch die USA. Einst eine ausgedehnte Buchmesse, die fast an Leipzig heranreichte, pendelte sie zwischen New York, Chicago und Washington, DC. Dann blieb sie New York, wo sie schmaler und schmaler wurde, und kürzer, und irgendwann bestand sie zur Hälfte aus Comics.

Dann war sie fort, mit Covid oder vielleicht sogar schon vor Covid. Es gab zwei oder drei halbherzige Versuche, die BEA auf Zoom wiederzubeleben. Dann erbarmte sich die Fachzeitschrift Publishers Weekly und rief die U.S. Bookshow ins Leben. Die fand nun zum vierten Mal statt, diesmal in der New York University, am Washington Square Park mit Blick auf das Empire State Building und Hudson Yards. Sie dauerte nur einen Tag und gefühlt 95 Prozent der Anwesenden sind Frauen.

Die Zikade im Raum

Wie überall in diesen Tagen und Wochen in New York sind die Sicherheitsvorkehrungen hoch; Voranmeldung ist nötig, dann Eingangskontrollen, die übliche Polizistenschar vor dem Gebäude; und im Gebäude hängen Schilder, dass jeder Student das Recht auf unbehelligtes friedliches Studieren hat. Ist in den Zeiten, wo sich Studenten wegen des Gazakrieges beharken, nicht unwichtig.

Die Stimmung auf der U.S. Bookshow ist gut, aber es gibt keine Bücher. Allenfalls ein paar, weniger als ein halbes Dutzend, die hinter einer der Kaffeetheken herumliegen und so wirken, als seien sie aus Versehen mitgebracht und vergessen worden, was vermutlich auch der Fall ist. Keine Bücher und keine Autoren. Nur Verleger, Journalisten, Werbefachleute, Agenten, Scouts und IT-Berater.

Aber die Buchproduktion steht vor großen Zeiten. Am Vormittag tritt Keith Riegert von Ulysses, ein unabhängiger Verlag in Brooklyn auf die Bühne und blickt über die Zuhörerschar. “Ich freue mich sehr darauf, über etwas zu reden, das alle eure Jobs wegnehmen wird.” Artificial Intelligence, kurz AI genannt. Gequältes Lachen.

AI, der Elefant im Raum, wie es schon in der Auftaktveranstaltung hieß. “AI ist weniger wie ein Elefant, eigentlich mehr wie die Cicadas”, hatte Jonathan Karp, Vorstandsvorsitzender von Simon&Schuster schon am Morgen bemerkt. Zikaden sind Insekten, die alle 17 Jahre aus ihren Eiern kriechen und sich zu Milliarden in ganz Amerika ausbreiten oder zumindest dort, wo es heiß ist, ähnlich wie die biblischen Plagen. Dabei sirren sie wie eine Luftschutzbunkersirene. Und jetzt gerade sind sie am Schlüpfen. Die Zeitungen versichern uns, sie seien nützlich und ungefährlich.

Fast alles Menschliche ist ihr fremd

Anders als die Zikaden allerdings verschwindet AI nicht nach ein paar Wochen wieder, sondern bleibt und wächst. Abrams-Verlegerin Mary McAveney sieht das ähnlich wie Karp. Artificial Intelligence sei eine ähnlich bedeutsame Revolution wie die Erfindung des Internets, sagt sie. Und bald Teil unser aller Leben.

AI – Keith Riegert blättert kurz die Programme an der Wand hinter sich auf – könne jetzt schon fast alles, insbesondere die Profiprogramme, die Geld kosten: Manuskriptstapel auf dem Agentenschreibtisch nach Storyelementen durchsuchen, Cover gestalten, Redigieren, Korrekturlesen, Fotos bearbeiten, Daten verwalten, e-Mails auswerten, Keyworte von Amazon abgreifen, Presseerklärungen schreiben, Applikationen zum Buch bauen, die Buchhaltung machen und Verträge gestalten. “Das ist so viel billiger als ein richtiger Vertragsanwalt”, sagt Riegert.

Und in den nächsten Jahren werde die künstliche Intelligenz explodieren. Bald werde AI ganze Bücher mit Indesign layouten können, auf ein paar getippte oder gesprochene Befehle hin. Das dauere nur ein paar Minuten und sei vor allem bei Schulbüchern hilfreich, erklärt Riegert.

Irgendwann wird das einzig humane noch der Autor sein. Vorerst. Aber natürlich kann ChatGPT auch Texte aus dem Internet ziehen und gestützt darauf mehrbändige Werke schreiben, vor allem im Sachbuchbereich. Nur der Leser ist noch menschlich.

Noch müssen derartige Manuskripte von Menschen überprüft werden, aber auch das wird immer weniger nötig sein. Auch Übersetzungsprogramme sind schon fast so gut wie viele menschliche Übersetzer. Natürlich gibt es noch Copyright-Probleme mit einem Buch aus der virtuellen Retorte, aber auch die lassen sich lösen.

Rich as fuck

Amazons Print-on-Demand-Programm versucht bereits, die AI-Bücherflut zu dämmen. Inzwischen dürfen Nutzer nur noch maximal drei Bücher am Tag uploaden. Auch das lässt sich umgehen. Wir werden eine Bücherschwemme haben wie Zikaden.

Schöne neue Welt. Nur meine sonnige Natur bewahrte mich davor, bitter und zynisch zu werden. Jedenfalls bis zum nächsten Panel, wo Filmagenten und Verleger miteinander debattieren, wie man in Hollywood mit Büchern Geld verdienen kann.

Niemand redet über Inhalte, Themen oder Stories. Große Namen seien gefragt! Steven Spielberg! Chris Rock! Tom Hanks! Es werde ein Gesamtkonzept für das “intellektual property” benötigt. Wer ein Brand, eine Marke schaffe, der habe ausgesorgt. Vielleicht könne man ein Element in den Film einbauen, aus dem sich ein Chicken Nugget gestalten lasse, dass dann bei McDonalds verkauft wird. Gerade bei Disney sei auch Spielzeug wichtig, das müsse man gleich mitdenken.

Abends enden wir bei Vivian Tu, einer chinesisch-stämmigen Investmentbankerin, die zäh ist wie ein Chicken Nugget auf Arrakis, oder wie der Planet eigentlich heißt, Dune. Um reich zu werden, müsse nicht das Kind eines Milliardärs sein, sagt sie

Vielmehr könne jeder “rich as fuck” werden: Fange möglichst früh mit dem Geldverdienen an, gebe weniger aus, als du einnimmst, und vor allem, verdiene Geld, indem du an der Wall Street investierst, nicht beim Kellnern oder Romaneschreiben.

Dahin gehen meine Pläne, einen Bestseller über den Gazakrieg im New Yorker Studentenmilieu zu schreiben. Aber ich hätte ohnehin nicht gewusst, wie ich da ein Chicken Nugget einbauen könnte. Andererseits, ChatGPT kann das wahrscheinlich.

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8 Kommentare

  1. .. doch, doch, wir könnten auch das Lesen der A, B, C … KI überlassen. “Die Jugend” schreitet da durchaus schon voran … fortschrittlich eben, wie sie ist und wie sie sein sollte. Ich muß an die dicken Menschfiguren im Film “WALL·E – Der Letzte räumt die Erde auf” denken, zu dessen Konsum mich meine Kinder vor Kurzem überredeten.
    Fette, träge, durch eine KI dauerbespaßte, menschliche “Immobilien” sah ich; immobil an Herz und Hirn auch, nicht begreifend, was aus ihnen geworden war und wo die Reise hingeht. Blöd grinsend, auch mal jauchzend hirntot schon zu Lebzeiten.
    Zwar war das Ende hoffnungsvoll, doch ob es diese positive Wendung auch in unserer zukünftigen Riälliti geben wird, …? Na ja, mich wird’s dann schon längst wieder in “Einzelteile” zerlegt haben.

    https://nationaltraveller.com/index.php?option=com_k2&view=item&id=919:removed-by-eric-pickersgill
    … ansehenswert, wie ich finde …

    1. Deine Generation war so faul, dass sie sogar den Taschenrechner etabliert hat…und den Brühwürfel. Offenbar wusste die auch nicht, wo es lang geht. Deine Urahnen haben – ganz wie in WALLE – sich in eine wasserdichte Kutsche gesetzt und das Schleppen dem Pferd überlassen. Zu welchem Zweck? Der frühe Mensch begriff auch nicht was aus ihm geworden ist, als er sich für zu faul zum Jagen erklärte und einen Schaukelstuhl neben das Ziegengehege stellte. Kurzum, ich bezweifle stark, dass du es besser als die Jugend weißt, auf welchem Gleis du fährst.

  2. … eines noch; Frau Tu weiß sehr wahrscheinlich, daß sie da Unsinn verbreitet (oder sie ist etwas einfältig). Es kann eben nicht jeder “rich as fuck” sein. Daß einige das sein können bzw. sind, ist ziemlich oft der Tatsache geschuldet, daß so viele andere gefuckt und dadurch eben nicht rich werden.

  3. Oooooch, was soll ich jetzt sagen… Ganz früher hab ich ja alles Lesbare verschlungen, dann kamen diese Kurse für “hoffnungsvolle Schreiber” gerade im Krimibereich – das war schon nahe an der heutigen künstlichen “Intelligenz” bei den hoffnungsfrohen Erstwerken, denen garantiert keine Zweitwerke folgten.

    Heute lasse ich – bis auf Ausnahmen – das Lesen bleiben, ist eh nur Gehirnwäsche einer politischen Agenda. Scheint aber wohl noch schlimmer zu werden. Ich empfehle kostenlose Ausleihe in der örtlichen Bücherei für diejenigen, die es partout nicht lassen können. Ansonsten setzt Euch in die Sonne, sucht Euch ein Eckchen in welchem Ihr was Sinnvolles pflanzen könnt, haltet Euch ein Haustier und chillt so richtig durch mit allem was derzeit erlaubt ist……KI ist für den Poppes !!

    PS: Habe mein eigenes Rezept befolgt und schreibe im Internet nur noch extrem sporadisch. Neuer Blickwinkel – meine Umgebung und mein kleiner Welpe sind sehr viel wichtiger als depperte Kriegstreiber, die eine KI meinen trainieren zu müssen. LmaA Politiker !!

    1. Nun, ich lese immer noch. Schaue auch immer noch ab und zu Filme, zumindest wenn ich anhalten und zurückspulen kann, wie bei einem Buch. Und ich finde immer schneller die Stellen in denen ich moralisch, politisch oder sonst irgendwie manipuliert werden soll, wenn es neuzeitlicher Schund ist.

      Sorry, aber irgendwie mutet mir dein Post wie ein Augen zu und durch an. Vielleicht hilft ja ein eingeflogener Guru mit Bio-Siegel?

      Wir sind Menschen. Zivilisation ist ein Gemeinschaftsprojekt. Die Illusion des Individualismus ist nur ein Trick der Arbeitnehmer (die völlig im Orwellschen Sinn heute Arbeitgeber genannt werden) um Widerstand im Keim zu erdrücken. Wir sind abhängig voneinander. Keiner würde allein überleben können. Schon mal Gedanken daran verschwendet woher dein Wasser, dein Strom, deine Heizung, dein Internet kommt?

      Bei Internet meiden und neue Blickwinkel bin ich bei dir. Nur dort wo wir leibhaftig sind und agieren, können wir etwas verändern. Aber wir sollten endlich diesen Trichtertunnel ablegen, der uns nahelegt, nur unsere eigenen Interessen (die wichtig sind) zu sehen. Wir haben etwas Grösseres, Zivilisation, geschaffen. Wir sind auch dafür verantwortlich.

      Umdrehen und ich spiel nicht mehr mit dir hilft da wenig. Mitgefangen, mitge… und so weiter.

      Ach ja LmaA Politiker bin auch bei dir. Mitleid ist aus für diese unnützen Drohnen.

      Lieber Gruss und nix für ungut.

      P.S. Drohnen: Gerade den vorletzten Schund aus Hollywood gesehen, Beekeeper. Der versucht das zu kanalisieren, die unterdrückte Wut auf das organisierte Verbrechen in Form von Banken, Versicherungen, Sicherheitsfirmen, seit geraumer Zeit Politikern und ihre Heidiho-Manager-Kaste. Bezeichnend sind dann Stellen wo der Statham, den ich trotzdem gern seh, meint: “Sprecht mir nach: Ich werde nie wieder die Armen und Schwachen bestehlen.” und das, weil sie eine alte 2Mio Dollar schwere Frau bestohlen haben, die eine Stiftung (wie hat Bill Gates Steuern gespart?) für “Kinder” (fehlte noch gegen Kinderpornographie, das Standardargument zu Aushebelung demokratischer Rechte) hatte, auf dessen Konto das Geld rumlungerte statt für Kinder verwendet zu werden. Da wird dann auch irgendwo ein Mythos der Königinnen-Mörder-Bienen verbreitet. Muss da mal einen Biologen fragen, was da tatsächlich dran ist.

    2. P.P.S Beekeeper: Eigentlich hätten sich die Kinder erschiessen müssen, die von den 2 Mio genau 0 Dollar gesehen haben. Leider fehlte ihnen das Geld für Waffe und Munition. So, Schluss jetzt mit Zynismus.

  4. Bücherschwemme wie Zikaden.

    Oh Gott, ich sehe sie schon vor mir, zehntausende “Adaptionen” von Harry Potter, Herr der Ringe oder Star Wars. Auch Comics wirds erwischen. Alles was irgendwie kommerziell erfolgreich war wird ausgeschlachtet.

    Allesamt im selben Stil generiert, maximal politisch korrekt inkl geheuchelter “diversity”, dafür mit überbordenden “franchise building” und alles komplett unkritisch um ja nirgendwo anzuecken, das Niveau irgendwo zwischen Captain Marvel und Game of Thrones Staffel 7.

    Vor ein paar Jahren hätte ich mich noch gefragt wer das lesen soll. Aber wenn man sich mal ansieht was die Konsumzombie-Horde Hollywood so alles aus der Hand frisst.. Bleibt bloss die Hoffnung das lesen für die weiterhin zu antrengend bleibt.

    PS: Finds geil/bezeichnend, dass es an einer Buchmesse keine Bücher gibt, dafür ganz viel Geschwafel wie man möglichst viel Geld scheffelt. Und das man sich dafür sogar voranmelden muss. Brave new world indeed.

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