Briten, Inder und Bestseller: Diese Woche in Woke

Prinz Harry, Held der New Yorker woken Blase.
EJ Hersom, a Department of Defense employee, Public domain, via Wikimedia Commons

Die New Yorker woke Blase hat einen neuen Helden. Er stammt aus Großbritannien, hat 25 Taliban getötet und ist arbeitslos von seines Bruders Gnaden.

Da ich als Intellektuelle selbst-identifiziere – obwohl ich mich inzwischen auch ganz gut mit meiner Bohrmaschine und meiner Stichsäge über Wasser halten könnte, zumindest in New York, wo gute Handwerker rar sind – verfolge ich mit Interesse, worüber sich die Literati in Manhattan und Brooklyn erregen.

Wir reden hier von New Yorker Intellektuellen, die alle ziemlich woke sind, was sowas Ähnliches ist wie politisch korrekt, aber unpolitisch. Woke, das Wort, kommt aus der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und bedeutet, wachsam zu sein für Benachteiligungen und rassistische Vorfälle, und davon gibt es viele.

Namaste

Inzwischen hat sich das aber auf vielerlei ethnische Gruppen und ihre Beziehungen ausgedehnt, so ähnlich wie ein Pilzgeflecht im Tropenwald, und eines der unschuldigen Worte, die damit im Mittelpunkt stehen, ist „Namaste“.

Namaste ist ein Gruss, der unter indischen Hindus gebräuchlich ist; man legt die Handflächen zusammen, verbeugt sich und sagt: Namaste, was bedeutet, „Ich verbeuge mich“. Da Inder das wissen, lassen sie das oft weg und verbeugen sich bloß. Der Begriff kommt aus dem Sanskrit und war bereits in der vor-arischen Zeit in Indien üblich (das schlage ich bei Wikipedia nach, ich kann ja nicht hellsehen).

In Amerika hat sich das zu einem kulturellen Phänomenon entwickelt; es gibt hier Namaste-Facebook-Gruppen, Namaste-Restaurants, Namaste-T-Shirts, Schmuck, Kerzen und Wallewalle-Kleider. Offenbar wird Namaste als Ersatz für „Peace, Love, Happiness“ gebraucht, im Spirit von Hair, dem Musical. Let the Sunshine in!

An mir ist das komplett vorbeigelaufen, weil ich nicht im Yoga-Studio-und-Grüner-Tee-Milieu lebe und nur Klamotten mit Taschen für Schrauben und Bits trage. Ich wurde aber mit der Nase darauf gestoßen, weil eine nicht näher beschriebene Asiatin sich bei New York Times beschwert hat, dass zwei Verkäufer in einer Mall sie mit dem Namaste-Gruss verabschiedet hätten. Dabei seien das gar keine Asiaten gewesen.

Ein Land kulturellen Mischmasches

Die New York Times, Ground Zero der Wokeness, hatte selbstredend für die Asiatin Verständis – war das überhaupt eine Inderin? Dürften, sagen wir, Kasachen oder Vietnamesen beleidigt sein? Denn das sei „cultural appropriation“, also die Adaption einer fremden Kultur, durch Fremde. Die Clerks im Supermarkt sollen doch Englisch sprechen, wo kämen wir hin, wenn hier jeder fremde Zungen gebraucht!

Natürlich ist ganz Amerika eine einzige riesige Landschaft der cultural appropriation. Die Zahl der reinblütigen Engländer, die ihre Ahnenschaft auf die Angeln und Sachsen zurückführen können, die mit der Völkerwanderung aus dem heutigen Niedersachsen respektive Schleswig-Holstein nach England gekommen sind, liegt unter einem Prozent. Trotzdem sprechen wir alle Englisch. Auch die Asiaten.

Mehr noch, das ganze große Land ist ein kultureller Mischmasch, von der Pizza mit Ananas bis zum Taco mit Pommes Frites und Reis. Und jeder hat Eltern aus drei Ländern, also, das würde schwierig. Und wenn sich ein Gringix bei einem Latino beschweren würde, dass dieser Spanisch spricht und kein Englisch („Speak English! This is America!“) würde sich die New York Times flugs auf die Seite des Latinos stellen, denn man darf von niemanden fordern, Englisch zu sprechen.

Appropriation funktioniert vertikal. Wer oben ist, darf nicht kulturell aneignen, wer unten ist, schon. Aber wer ist in den USA oben? Wenn ein arabischer Jude, der Obst vom Karren verkauft, auf einen indischen Brahmanen und einen mexikanischen IT-Unternehmer trifft, in welcher Reihenfolge sortiert sich das aus? Oder ein Halb-Afroamerikaner und ein Landarbeiter mit irischen und cherokesischen Vorfahren? Ein nigerianischer Prinz? Ein samischer Finne? Jedenfalls, Mall-Angestellte auf Mindestlohn rangieren offenbar über ihren Kunden, auch wenn das Japaner sind.

Wer ist Opfer, wer ist Unterdrücker?

Kurz darauf sattelte eine unsichere Leserin noch eins drauf. In ihrem Sushi-Restaurant werde sie mit einer kleinen Verbeugung begrüßt, dürfe sie sich zurückverbeugen? Oder sei das auch schon cultural appropriation? 1942 hat die New York Times es noch gut gefunden, dass japanisch-stämmige Amerikaner in Lager eingeliefert wurden, also, da ist diese erhöhte Sensibilität fortschrittlich, auch wenn’s vielleicht ein bisserl über das Ziel hinausschießt. Aber natürlich soll sich die Frau nicht zurückverbeugen, sie soll die Kellnerin, ganz europäisch, auf beide Wangen küssen.

Apropos; die Idee mit dem Namaste in der Mall hatte vermutlich jemand, der etwas höher in der Hierarchie ist und dachte: Das Verbeugen, das wäre doch eine schlaue Idee, wie Masken-Nichttragende –  und das sind inzwischen fast alle in Amerika – einander nicht so leicht mit Corona anstecken können. Wenn ich mich recht entsinne, hat Corona irgendwie was mit Asien zu tun. Also, wie wäre es mit Unentschieden?

Wir Deutschen in New York halten uns da eigentlich raus; Amerikaner sagen zwar „Gesundheit“ und „Auf Wiedersehen“, aber das ist schon okay. Nun aber steht ein deutsch-britisch-amerikanisches Paar im Scheinwerferlicht, bei dem die woken Wogen sturmflutartig hochgehen, insbesondere bei der Frage, wer ein unterdrücktes Opfer und wer ein Vertreter des ausbeuterischen Imperiums ist.

Wir reden, natürlich, von Harry und Meghan Mountbatten-Windsor, oder, wie die Familie ursprünglich hieß, Sachsen-Coburg und Gotha. Die Windsors waren Sachsen, nicht zu verwechseln mit den Niedersachsen, die mit der Völkerwanderung England erobert hatten. Übrigens stammt die Familie von Meghans Vater Thomas Markle, eigentlich Merckel, aus dem Elsass. Nicht verwandt mit Angela Merkel, leider.

Woker Prinz Charming

Harry, der rotblonde Sachse, hat ein Buch herausgebracht, mit dem Titel Spare (Ersatz; deutscher Titel: Reserve), wo er sich lang und breit darüber beklagt, wie gemein sein Vater Charles, sein Bruder William und seine Stiefmutter Camilla immer zu ihm gewesen seien, obwohl er doch in Afghanistan 25 Taliban abgeschossen hat.

Das Buch ist auf Platz 1 der Bestsellerliste und es gibt praktisch keine Möglichkeit, dem zu entkommen. Harry ist auf CNN, bei Steven Colbert, in der New York Times — und alle meine woken Freunde fiebern mit ihm mit und schlagen sich auf seine Seite. Emphatisch! Wir leben in einer Stadt, wo 1776 der Statue des britischen König George III. der Kopf abgeschlagen wurde, auf einer Stange herumgetragen und dann zu Kugeln geschmolzen. Nun ist Prinz Harry plötzlich der Underdog? Ein Prinz?

Das Buch – es erschien beim Bertelsmann-eigenen Verlag Random House – steht auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste. Also nicht, dass ich auch nur leise Sympathien für die Lizard People im Buckingham Palast habe, aber warum gibt es Amerikaner, die einen mittelalten weißen Britenmillionär liebhaben und sich dabei für links halten? Ich könnte es noch verstehen, wenn er vielleicht etwas Geld für Flüchtlinge aus Venezuela spenden würde, aber Wokesein ist ja Symbolpolitik.

Jedenfalls bin mir sicher, wenn sich Harry mit einem „Namaste“ von Anderson Cooper verbeugen würde, im Fernsehen, vor laufender Kamera, würden es ihm alle verzeihen. Und als Reserveerbe des britischen Königshauses ist er ja auch irgendwie halber Inder. Oder er wäre es, wenn er eine Zeitreise in die Vergangenheit antreten könnte und ich habe das Gefühl, das ist nur noch eine Frage von Wochen.

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9 Kommentare

  1. Ja, so einem Thema/Buch werden in der wichtigsten Nachrichtensendung 15 Minuten eingeräumt.
    Was dafür alles wegbleibt – es ist nicht zu fassen!
    Hoffentlich kommt mir jetzt nicht wieder so ein Wichtigtuer.

  2. (…) und alle meine woken Freunde fiebern mit (Woker Prinz Charming Harry) mit und schlagen sich auf seine Seite. Emphatisch!

    Sich darüber zu echauffieren mag einen Artikel rechtfertigen, aber mir will einfach keine Empörung über diese vermeintlichen Freunde emergieren, weil der vermeintliche Anwurf von Empathie arg weit hergeholt scheint. Stellt sich die Frage nach den ungehörten echten Freunden, die sich bei diesem künstlichen hype beschämt still erhalten, ob die auch Unverständnis über den gossiptext über die sich medial produzierenden vermeintlichen Freunde haben, oder sich von dem ihnen unterstellten Applaus für murderous Harry angeekelt fühlen?

    Das hier fand ich hilfreich, zur Einordnung, welche Zeitgenossen das soziale Monster nach meinem Empfinden in totaler Hilflosigkeit als „woke“ bezeichnen:

    Woke, das Wort, kommt aus der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und bedeutet, wachsam zu sein für Benachteiligungen und rassistische Vorfälle, und

    aber?

    davon gibt es viele.

    Und für immer mehr, nicht wahr? Statt sich das auf die Fahnen zu schreiben wird geschrien…

  3. Bertelsmann könnte traditionell gute Beziehungen zu den Briten haben. Heinrich Mohn, Vater von Reinhard Mohn, drückte einst die Schulbank mit Frederic von Schröder, einem Großenkel von J. H. Schröder, der nach London ausgewandert war und die Bank J. Henry Schröder & Co., später Schroders, gründete.
    http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ulbdsp/periodical/pageview/7638615
    Frederic war gleichzeitig der ältere Bruder des späteren Top-Nazi-Bankers Kurt von Schröder, der ebenfalls das Abitur am Evangelischen Gymnasium in Gütersloh machte, in dem der Bertelsmann-Verleger Johannes Mohn, Vater von Heinrich, Kurator war.
    http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ulbdsp/periodical/pageview/7638763
    Kurt und sein Bruder Carl heirateten Schwestern aus dem Hause Schnitzler, aus der Eigentümerfamilie des Kölner Bankhauses J. H. Stein, und Kurt wurde von seinem Schwiegervater ebenfalls beteiligt.

    Eva Schweitzer über die von Schröders:
    „Kurt von Schröders Bank war mit der J. Henry Schroeder Bank in London und New York verbunden. Die Bank gehörte seinem Cousin Bruno von Schroeder, der 1914 die britische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Formal waren die Kölner und die Londoner Bank getrennt. Aber sie traten oft als Partnerbanken auf. Über seine Londoner und New Yorker Kollegen konnte Kurt von Schröder viele internationale Kontakte aufbauen. Winthrop Aldrich von Chase zählte dazu, Walter Teagle von Standard Oil und Sosthenes Behn von ITT. Auch die Stahlfusion von Harriman, Prescott Bush und Friedrich Flick in Oberschlesien wurde von Schroeder begleitet. “ (Quelle: Amerika und der Holocaust. Die verschwiegene Geschichte, 2004, S. 211.)
    Weiterhin heißt es auf S. 214, dass Allen Dulles 1937 in den Aufsichtsrat der J. Henry Schroeder Bank eintrat.

    Von Heinrich Mohn ist bekannt, dass er nach der Schule zu einem Sprachaufenthalt nach London reiste. Ob er der prominenten Bankiersfamilie seines ehemaligen Klassenkameraden dort einen Besuch abstattete?

    1. „ach Bertelsmann“ ,
      Soviel ‚Wahrheit‘ verträgt der Untertan nicht!
      Am Anfang Dezember letzten Jahres, traf ich einem indischen Singaporeianer, Namaste GI.
      Der ist in der Singaporean Zweigstelle tätig für diese Bank. Er hatte mir mit voller Stolz berichtet für diese Institution beschäftigt zu sein…
      Singapore ist der Hort für ’sensibel Park Angelegenheiten’…
      Willkommen in den Simulationen …

  4. Danke Eva,
    sehr amüsant und aus dem wirklichen Leben gegriffen. Ich nehme an, du betreibst Feldstudien über das Sozialverhalten der Bewohner des Big Apple. Dir wird sicher nicht langweilig.

  5. Ein … zwei Ergänzungen dazu:

    An diesem entscheidenden Punkt der Geschichte streiten sich natürlich alle über „wokeness“.

    „Entweder ist der Virus der wokeness besiegt oder alles andere ist unwichtig“
    – Elon Musk (@elonmusk) December 12, 2022

    Was „woke“ bedeutet, hängt davon ab, wen Sie fragen. Nach der ursprünglichen AAVE-Definition bedeutet es „aufmerksam gegenüber rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung“. Fragt man die Anwälte von Ron DeSantis, als sie den Begriff vor Gericht definieren mussten, bedeutet es „die Überzeugung, dass es in der amerikanischen Gesellschaft systembedingte Ungerechtigkeiten gibt und dass diese angegangen werden müssen“. Beides klingt durchaus vernünftig.

    Fragt man jedoch Mitglieder des rechten Flügels, so reichen die Antworten von zusammenhangslos über wahnsinnig bigott bis hin zu zutiefst dumm. Man hört Geschwafel über „Kulturmarxismus“ (den es nicht gibt), über kommunistische Verschwörungen, die darauf abzielen, Ihrem Kind Pubertätsblocker und geschlechtsangleichende Operationen zu verabreichen, über eine liberale Verschwörung, die darauf abzielt, Kindesmissbrauch zu normalisieren und Frauen als Geschlecht auszulöschen, und über eine Agenda, die darauf abzielt, die Gesellschaft zu verschlechtern und die westliche Kultur in Chaos und Unordnung zu stürzen, weil das Satan glücklich macht. Meiner Erfahrung nach sind die Argumente oft sehr emotional – sogar hysterisch -, aber völlig inhaltslos.
    (…)
    Es ist völlig richtig, dass Identitätspolitik dazu benutzt wird, dem Establishment dienende Agenden durchzusetzen und echten Dissens zu untergraben. Ein sehr deutliches Beispiel dafür sahen wir 2016 mit dem extrem aggressiven Vorstoß, Amerikas erste Frau zur Präsidentin zu wählen, als jeder, der auf ihre erschreckend schreckliche Erfolgsbilanz in Sachen Krieg und Militarismus hinwies, als Frauenfeind beschimpft wurde. Die gesamte Demokratische Partei ist im Grunde ein einziger großer Psyop, der darauf abzielt, jeden Versuch, Einkommens- und Vermögensungleichheit, Armut, Kriege, Militarismus, Geld in der Politik, Überwachung, Staatsgeheimnis, Militarisierung der Polizei und jeden anderen Kontrollmechanismus, der dazu dient, den Status quo aufrechtzuerhalten, im Keim zu ersticken, während jeder revolutionäre Zeitgeist mit falschen Versprechungen, das Leben für Frauen und Randgruppen zu verbessern, in Richtung Establishment-Loyalität getrieben wird.

    Aber es ist auch wahr, dass die Energie, die man in den „Anti-Wokeismus“ steckt, dem Establishment genau so dient wie die Energie, die man in die Identitätspolitik steckt.

    Aus:
    December 17, 2022 author: Caitlin Johnstone
    The Ruling Class Promotes Identity Politics And ‘Anti-Wokeism’ For The Exact Same Reasons
    Quelle: caitlinjohnstone(Punkt)com

    Und:

    Das Problem am „woken Kapitalismus“ ist nicht die Wokeness
    12. November 2022 Peter Nowak

    Ultrarechte und bürgerliche Mitte haben ein neues Kampfterrain entdeckt. Manchmal dienen dabei auch „Linkskonservative“ als Feigenblatt. Ihnen gegenüber stehen Emanzipationsbewegungen, die vom System fast zu Tode umarmt werden.
    (…)
    Natürlich gibt es genügend Gründe gegen einen Kapitalismus mit wokem Anstrich zu kämpfen, wie er schon in den Anfangsszenen des Films Triangle of Sadness gut besichtigt werden kann. Da werden in millionenschweren Modeschauen Symbole des Feminismus und der queeren Bewegung eingeblendet und gleichzeitig wird die Klassengesellschaft auf die Spitze getrieben, als vermögende Gäste kurzfristig noch Plätze brauchten und dafür Menschen mit billigeren Karten in die hinteren Ränge verscheucht wurden.

    Aber es ist der Kapitalismus und nicht die angebliche Wokeness, was bekämpft werden muss. Nicht die Rechte von sexuellen Minderheiten, nicht der Feminismus, nicht der Kampf der Umweltbewegung sollten für Linke Gegenstand der Kritik sein, sondern ein Kapitalismus, der solche Bewegungen vereinnahmt. Die Aufgabe einer gesellschaftlichen Linken müsste es sein, solche Bewegungen in ein Gesamtkonzept für eine nichtkapitalistische Gesellschaft zu integrieren – und nicht, als linkes Feigenblatt den rechten Kulturkampf zu unterstützen.
    Quelle: Telepolis

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