Wirecard AG. Wildcard für die organisierte Kriminalität/OK (mit Staatstrojaner)

Wirecard-Gebäude.
Kaethe17, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

 

Am 8. Dezember 2022 begann der Prozess gegen drei ehemalige Wirecard-Manager. Unsichtbar bleibt der Bad Boy Jan Marsalek, der „flüchtig“ ist. Eine schillernde Person, die genug kribbelige Ablenkung bietet, um sich nicht die ganz schlichte Frage zu stellen: Glaubt jemand ernsthaft, dass bei einem solch hochsensiblen Projekt jahrelang alle Aufsichtsbehörden geschlafen haben, einschließlich der Bundesregierung, die Wirecard maßgeblich nach oben geputscht hatte?

Von Yellow Press bis weit in die rot-grüne Medienlandschaft hinein genießt man Aufstieg und Fall des Börsenlieblings Wirecard AG. Man hat sie jahrelang nach oben gepusht und verdient noch einmal daran, sie mit Häme und Spott aus dem DAX-Olymp zu jagen.

Ganz nüchtern zählt die Wirecard-Geschichte zu einem der größten „Wirtschaftsskandale“ in der Bundesrepublik Deutschland. Innerhalb weniger Tage waren von sieben Milliarden Euro (an Börsenwert) noch ein Viertel übrig. „Mehr als 20 Milliarden Euro Vermögen wurden vernichtet.“ (tagesschau vom 8.12.2022)

Als der Skandal 2020 publik wurde, machte sich ganz ‚investigativ‘ die Süddeutsche Zeitung daran, im Dünensand der wilden Spekulationen folgende Scheinspur zu legen: „Falsche Freunde, falsche Fährten“.

Dann folgte man der Spur bis nach Russland, weit genug weg, um die ganz vielen einflussreichen „Freunde“ aus der Spitze von Politik und Staat in Deutschland aus der Schusslinie zu bekommen.

Mit Wirecard die chinesische Mauer überwinden

Wirecard AG ist ein ziemlich großes Technologie/Finanz-Unternehmen, das auf dem ganz großen Sprung war, im Sektor „Zahlungsdienstleistungen“ ganz vorne mitzuspielen. Man brachte es in den Eliteverein der DAX-30-Unternehmen und war kurz davor, die „chinesische Mauer“ zu überwinden.

Dann tauchten Informationen über milliardenschwere Betrügereien auf. In der Folge verschwand ganz plötzlich der Chief Operating Office Jan Marsalek. Wenig später will man ihn in Russland verortet haben. Dann sickern Nachrichten an die Öffentlichkeit, dass der gefeierte Chief Operating Office Jan Marsalek eine ganz dunkle, zwielichtige Gestalt sei, der auch mit diversen Geheimdiensten im Bunde stehe. Hinter- oder gar Untergrund dieses Agententhrillers sind milliardenschwere „Unregelmäßigkeiten“, die seit Jahren, um genau zu sein, seit mindestens fünf Jahren bekannt sind.

Daraufhin passiert das, was man mittlerweile als routiniert bezeichnet kann: Alle, die mit der Aufsicht dieses Technologie/Finanzunternehmens beauftragt sind, wussten zusammen und völlig unabgesprochen von nichts. Es kann sich folglich nur um Pannen handeln, die man nun aufklären müsse und zwar vollständig. Man kann auch gähnen … über das Spiel und dessen vorhersehbaren Ausgang. Dazu gehört auch der gerade begonnene Prozess.

Die Medien titelten sich vor zwei Jahren die Finger wund – vom gefallenen Engel bis zum Bösewicht Jan Marsalek, den man seitdem in Moskau vermutet. Man wird bei der Bad Boy-Story bleiben und sich mit Genuss ausmalen, wie dieser Arm in Arm mit Putin über den Roten Platz flaniert.

Lassen wir die Beiden dort stehen und kehren nach Deutschland zurück. Es gibt zwei „Besonderheiten“ in diesem Theaterschnee an Information und Gerüchten. Da wäre zum einen die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich persönlich (also mit ihrem Berater- und Wirtschaftstross) für „Wirecard“ eingesetzt habe … und zwar in China. Warum macht dies die Bundesregierung im September 2019, als bereits klar war, dass legale und illegale Geschäftsfelder bei Wirecard nicht mehr auseinanderzuhalten waren? Warum sagt sich die Bundesregierung „All in“, und weiß, was passiert, wenn alles auffliegt und platzt? Und was soll Wirecard in China? Schließlich handelt es sich um „Schlüsseltechnologien“ und die gibt man doch nicht aus der Hand?

Und es gibt eine zweite Randnotiz, die in den Medien so auffällig klein gehalten wurde, dass sie Aufmerksamkeit, große Aufmerksamkeit verdient.

In dem ganzen Theater um Wirecard, kriminelle Geschäfte, Geldwäsche-Vorwürfen, „dubiosen Geheimdienstkontakten“ und hochkarätigem politischen Personal, kommt buchstäblich ein Mann um die Ecke, der bereits im NSU-Komplex einen besonderen Auftritt hatte. Es handelt sich um Klaus-Dieter Fritsche, der sich wie aus dem Nichts im Jahr 2019 beim Kanzleramt für „Wirecard“ verwendet.

Klaus-Dieter Fritsche war von 1996 bis 2005 Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Ende 2005 wurde er Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt; Ende 2009 wechselte er als Staatssekretär ins Bundesinnenministerium, um Anfang 2014 ins Kanzleramt zurückzukehren – nun als Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes. Eine Karriere wie im Bilderbuch und das ausgerechnet für einen Mann, der wie kein anderer messerscharf formulierte, wo Aufklärung ein Ende haben muss, wenn es um die Staatsraison gehe.

Als sich der NSU, die neonazistische Terrorgruppe, 2011 selbst bekannt gemacht hatte, fragten sie alle, naiv und wirklich empört, wie es sein kann, dass Polizei und Geheimdienste elf Jahre lang nichts von einem neonazistischen Untergrund gewusst haben wollen. Als der Unmut darüber zu groß zu werden drohte, stand der Ex-Vize-Chef des Verfassungsschutzes am 18. Oktober 2012 vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin „seinen Mann“: Anstatt sich wie alle anderen kaum noch zu erinnern, erinnerte er die anwesenden Parlamentarier an ihre Aufgabe, also an ihre Grenzen:

Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz ‚Kenntnis nur wenn nötig‘. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.

Er hat also schon sehr früh die „rote Linie“ gezogen, was die versprochene „lückenlose Aufklärung“ anbelangt. Dafür wurde er nicht gefeuert, sondern in den Himmel getragen, nach ganz oben.

Nun taucht ausgerechnet dieser Mann, der gerade pensioniert wurde, im Umfeld jener dubiosen „Geheimdienstkontakte“ auf! Was war seine Rolle in diesem „Spiel“? Was verbindet deutsche Nachrichten/Geheimdienste mit dem Technologieunternehmen Wirecard?

Warum fragt keiner der „Qualitätsmedien“ nach? Warum wollen sie dieser Spur bis heute nicht nachgehen?

Immerhin ein einziger Parlamentarier Stephan Thomae, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) wollte es wissen:

In diesem Zusammenhang sollte auch die Rolle des ehemaligen Geheimdienstbeauftragten der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche, erörtert werden, sagte der FDP-Politiker. Fritsche lobbyierte im Herbst 2019 im Kanzleramt für Wirecard.
(spiegel.de vom 24.7.2020)

Wirecard – eine Schlüsseltechnologie, mit der man (Wirtschafts-)Kriege gewinnen kann

Wie bei jeder Schlüsseltechnologie geht es um Eroberung von Marktanteilen, um den Aufbau einer Monopolstellung, um Milliarden-Profite und um ein Waffensystem.

Wirecard garantiert den bargeld- und kontaktlosen Verkehr. Das Unternehmen muss den Schutz persönlichen Daten der Geldgeber garantieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass das Geld nicht aus illegalen Quellen stammt. Ein solches Unternehmen ist also im Besitz von hochbrisanten Wissen: Zum einen, wer das Geld verschickt und zum anderen, wie man die Herkunft dieses Geldes prüft.

Den Geldverkehr gegen jeden „ungewollten“ Zugriff zu schützen, kann man aber auch dazu nutzen, genau das zu tun, was man vorgibt zu bekämpfen. Man kann „schmutziges“ Geld für ganz schmutzige Angelegenheiten ganz legal von A nach B transferieren.

Im Alltagsbewusstsein steht für Geldwäsche die „Mafia“. Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn anonyme Geldtransferwege werden auch von ganz honorigen Institutionen genutzt, ganz besonders von jenen, die „Geldwäsche“ publikumswirksam den Kampf ansagen.

So überweisen Regierungen nicht von Regierungskonten ein paar Millionen zum Beispiel an die „Weißhelme“[1] in Syrien, wenn man gleichzeitig die Behauptung nicht ganz lächerlich machen will, dass man sich dort nicht einmische.

Auch Konzerne überweisen keine Schmiergelder, indem sie ihre Geschäftskonten damit belasten. Schließlich macht Korruption nur dann Sinn, wenn man sie nicht in den Bilanzen ausweist.

Das gilt auch für Geheimdienste, die „Operationen“ finanzieren, die man in der Öffentlichkeit nicht unbedingt vorstellen und anpreisen möchte und mit deren „Ergebnisse“ man nicht in Verbindung gebracht werden will.

Es haben also sehr viele etwas davon, wenn es ganz „legale“ Geldtransfermöglichkeiten gibt, die absolute Anonymität garantieren.

Das ist auch der wesentliche Grund, warum sogenannte Nummernkonten, also Konten ohne „Besitzer“, seit Jahrzehnten existieren und nie verboten wurden. Ab und an tauchte ein Diktator auf, der ein Nummernkonto in der Schweiz hatte, und der nicht „unser“ Diktator war. Dann erzürnte man sich eine Weile darüber, um es dann dabei zu belassen. Seit Jahrzehnten geht es nicht darum, dieses System abzuschaffen, sondern zu kontrollieren, wer es benutzen darf.

Wenn man heute „Wirecard“ unter anderem Geldwäsche vorwirft, dann sollt man sich all die politische Verantwortlichen vor Augen führen, die unentwegt alles dafür tun, dass dieses System am Laufen gehalten wird.

Wirecard und Wildcard für Organisierte Kriminalität (OK)

Der Chef dieses Unternehmens Jan Marsalek wird bis heute als echter Bad Boy präsentiert. Das ist wahr und heuchlerisch.

Denn sein Geschäftsmodell lebte von dieser Dual-Use-Funktion: Legalität und Illegalität aus einer Hand. Dass er dabei auch mächtig in die eigene Tasche wirtschaftet, liegt auf der Hand und ist das Prekäre an solchen „Geschäftsmodellen“. Die Chefetage weiß um die politische Protektion, sie weiß, wer ihre Dienste alles nutzt und nimmt sich gegebenenfalls einiges heraus, was im schlechtesten Fall das Fass zum Überlaufen bringt.

Die Vita dieses Jan Marsalek ist also geradezu vorbildlich. Man fühlt sich unangreifbar, man weiß um die entscheidenden Kontakte und hat ein gewisses Erpressungspotenzial, sollte man plötzlich, aus welchen Gründen auch immer, geopfert werden. Das Gefühl, die dicksten Dinger zu drehen, also auch Geld zu erfinden, das man gar nicht hat, wie die 1,9 Milliarden Euro auf philippinischen Konten, ist so größenwahnsinnig auch nicht. Man wusste von den windigen Geschäftspraktiken, von den aufkommenden Vorwürfen und dennoch wollte man mit „Wirecard“ unbedingt den chinesischen Markt erobern.

Nun sucht man landauf, landab nach den Gründen für diese langjährige Nachsicht, für die systematische Abstinenz von Aufsichts- und Kontrollpflichten.

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) will tatsächlich den Grund dafür herausgefunden haben. Und der liegt dank dieses investigativen Journalismus in der Person des Jan Marsalek selbst. Ein windiger Bad Boy und gerissen obendrein. Denn er habe selbst ganz lang und erfolgreich falsche Fährten gelegt und angeblich so die Aufsichtsbehörden an der Nase herumgeführt.

Man kann es auch so zusammenfassen: Die SZ legt selbst falsche Fährten und möchte, dass alle darauf hereinfallen. Wirecard habe behauptet, das an all den bösartigen Gerüchten über kriminelle Machenschaften nicht das Unternehmen selbst schuld sei, sondern eine „Verschwörung zwischen Journalisten und Spekulanten“
(SZ vom 29.7.2020).

Diese Verschwörung sei so ans teuflische Werk gegangen: Zuerst habe die „Financial Times“ über dubiose Machenschaften bei Wirecard geschrieben und dann hätten Spekulanten vom Fall der Wirecard-Aktie profitiert, indem sie mit Leerverkäufen auf den fallenden Kurs der Aktie gewettet hätten. Außerdem werde man erpresst. All das habe man der Bafin, der obersten Aufsichtsbehörde im Finanzsektor mitgeteilt. Tatsächlich soll die Bafin diesen Anschuldigungen Glauben geschenkt haben und brachte mächtige Geschütze in Stellung, um Wirecard zu schützen. Man setzte ein europaweites Leerverkaufsverbot durch und brachte Strafanzeigen gegen Journalisten der Financial Times und gegen „diverse, teils bis heute anonyme Spekulanten“ auf den Weg. Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ kommentiert diesen recht einmaligen Vorgang sehr galant:

„Wenn man so will, macht sich die Bafin mit ihrer Entscheidung zur Komplizin der Firma. Die Aufseher übernehmen die Sichtweise des Unternehmens.“
(Der Fall Wirecard: Das wahre Ende der Deutschland-AG, rnd.de vom 29.7.2020)

Ein genialer Coup von Wirecard, den Spieß umzudrehen? So will es die Süddeutsche Zeitung ihren LeserInnen glaubhaft machen. Tatsächlich lagen allen Aufsichtsbehörden zur selben Zeit massive Verdachtsgründe vor, die die kriminellen Geschäfte von Wirecard untermauern konnten.

Man kann es auch anders formulieren: Die SZ selbst legt eine falsche Spur, um irgendwie erklärbar zu machen, dass die Aufsichtsbehörden nicht gegen Wirecard vorgegangen sind sondern gegen Phantom-Konstrukte.

Das würde bedeuten, dass es sehr gewichtige Gründe gab, dass Bafin und & Co Wirecard beschützten, anstatt der Aufsichtspflicht nachzukommen.

Wirecard als Trojanisches Pferd – oder „kritische Infrastruktur“ in deutscher Hand

Man fragt sich zurecht, warum sich die Bundesregierung so dermaßen für Wirecard in China eingesetzt hatte. In zahlreichen Anfragen wurde um „Flankierung“ gebeten. Unter anderem vom Merkels engsten Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller und besagten Ex-Geheimdienstchef Fritsche.

Was spricht dagegen, dass das Zahlungssystem von „Wirecard“ eine Hintertür für … sagen wir einmal … den deutschen Geheimdienst hatte? Das wäre doch ein genialer Schachzug, für den sich auch ein hohes Risiko lohnt. Man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe:

Man hat mit Wirecard einem dicken Fuß im chinesischen Markt, was immer und immer wieder von deutschen Bundesregierungen gefordert wurde. Und man ist im Besitz einer „kritischen Infrastruktur“, die man im Zweifelsfall auch gegen ihre Nutzer wenden kann.

Und tatsächlich war man dabei ganz weit gekommen. Am 5. November 2019 verkündete Wirecard den „Markteintritt“ in China:

Wie das Unternehmen an jenem Tag mitteilte, hatte es eine Einigung über die Übernahme des chinesischen Zahlungsabwicklers AllScore Payment Services erzielt, zunächst zu 80 Prozent; zwei Jahre später sollten die restlichen 20 Prozent erworben werden. Die Komplettübernahme war möglich, nachdem Beijing im Rahmen des “Deutsch-chinesischen Finanzdialogs” im Januar 2019 bei einem Besuch von Finanzminister Scholz bestätigt hatte, es heiße deutsche Firmen “auf dem chinesischen Markt für Zahlungsdienstleistungen” willkommen – ein Schritt in Richtung auf die weitere Öffnung Chinas für ausländische Investoren, wie sie nicht nur von der Bundesregierung immer wieder verlangt wird.
(Joint Statement of the 2nd China-Germany High Level Financial Dialogue. Beijing, 18.01.2019)“ (Der Fall Wirecard (II), german-foreign-policy.com vom 28.7.2020)

Man stand also kurz vor dem Ziel. Und dies mit einer Option, die genau das zum Inhalt hat, was man seit Monaten der chinesischen Regierung vorwirft: Sie nutze den Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes in Deutschland mit Hilfe des chinesischen Konzernes Huawei dazu, um Wirtschaftsspionage zu betreiben und Menschen zu überwachen.

Kryptisch? Alles andere als das

Als die Kommunikation immer mehr elektronisch abgewickelt wurde, stand die Frage im Raum, wie man sie vor fremdem/unerwünschtem Zugriff schützen kann.

Es ging also darum, die Kommunikation zu verschlüsseln. Das Rennen um die beste Verschlüsselungstechnik begann. Dazu gehört auch eine Firma namens „Crypto AG“ in der Schweiz. Alsbald hatte sie einen sehr guten Ruf und wurde „Weltmarktführer“ für Chiffriermaschinen zur Verschlüsselung von Kommunikation. Regierungen, Konzerne und Geheimdienste/Organisationen, die ein Bindeglied zwischen Ober- und Unterwelt waren, leckten sich die Finger danach. Das Sicherheitspaket verkaufte sich wie geschnittenes Brot und die Käufer hatten ein totsicheres Gefühl. Das hielt ziemlich lange, trotz einiger Gerüchte, die es ja immer gibt: Die Firma sei nicht ganz koscher, man wisse nicht, wer wirklich dahinterstecke. Aber es waren eben Gerüchte und Spekulationen und alle die vom Vertrauen und Glauben daran lebten, denunzierten die Verdächtigungen als grund- und haltlos. Das ging verdammt lange gut.

Die Firma Crypto AG, die Sicherheit verkaufte, hatte nur einen Haken: Sie verschlüsselte Nachrichten nur fürs gute Gefühl.

Jetzt sind geheime Unterlagen zugänglich gemacht worden, die belegen, dass die Firma Crypto AG ein Geheimdienstprojekt war, geführt vom US-Geheimdienst NSA und dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND:

„Nach der heimlichen Übernahme waren demnach nur zwei Mitarbeiter der Crypto AG eingeweiht, gesteuert wurde der folgende Einbau von Hintertüren durch den Münchener Siemens-Konzern. Dank der manipulierten Algorithmen seien CIA und BND dann in der Lage gewesen, die eigentlich nicht lesbaren Nachrichten zu entschlüsseln.“
(Martin Holland, telepolis vom 11.02.2020)

In den USA wurde diese Operation „Minerva“ getauft, beim BND bekam eine der „kühnsten und skandalträchtigsten Operationen“ (Geheimdienstexperte Richard Aldrich) den geschichtsträchtigen Namen „Rubikon“.

Gegenstand der Dekuvrierung ist die zwischen 1970 und 1993 praktizierte, mehr als zwanzigjährige Belauschung von rund 130 Staaten durch die US-amerikanischen und deutschen Geheimdienste CIA und BND. Beide hatten für umgerechnet 24 Millionen Euro den damals weltweit führenden Schweizer Chiffriermaschinenhersteller Crypto AG heimlich übernommen, zig Millionen Franken mit den Aufträgen jener 130 Staaten verdient und sie durch Manipulierung der ursprünglichen Algorithmen obendrein durch die Hintertür belauscht; ein schon allein unter dem Gesichtspunkt der „Kundentreue” skandalös anmutendes, dreckiges Geschäft.“
(Frederico Füllgraf, NachDenkSeiten vom 7. März 2020)

Es war nicht nur ein dreckiges Geschäft, das die Vorwürfe gegenüber Russland und China, sie würden andere Staaten ausspionieren wie Katzengejammer erscheinen lassen. Das Wissen, das US-Regierungen und deutsche Bundesregierungen dabei „gewonnen“ hatten, macht sie zu Mitwisser/Mittäter blutiger und mörderischer Ereignisse:

„Durch diese massive Geheimdienstoperation hatten die Regierungen in Washington und Bonn demnach unter anderem Kenntnis vom blutigen Vorgehen der argentinischen Militärjunta, die Tausende Regimekritiker aus Militärflugzeugen über den Atlantik lebendig ins Meer werfen ließ. Obwohl die Bundesregierung unter Helmut Schmidt davon wusste, nahm Deutschland 1978 an der dort ausgetragenen Fußball-Weltmeisterschaft teil. Auch von den Verbrechen in Chile nach dem dortigen Putsch gegen Präsident Salvador Allende hätten die Regierungen auf diesem Weg erfahren.“
(Martin Holland, telepolis vom 11.02.2020)

Wenn also „Qualitätsmedien“ daran festhalten wollen, dass alle staatlichen Aufsichtsbehörden unglaublich raffiniert getäuscht wurden und deshalb fast fünf Jahre nichts gewusst haben sollen, dann kann man diesem Laufstall-Journalismus ein weiteres Mal dabei zuschauen, wie sie Seifenblasen in die Luft schicken.

Wer diese Nummer schon kennt, sollte der Frage nachgehen, inwieweit das Versagen der Aufsichtsbehörden gewollt war, um ein „Staatsgeheimnis“ zu schützen, das die Eskapaden der Wirecard-Chefs wie Peanuts aussehen lässt.

 

Quellen, Hinweise & Fußnoten:

Falsche Freunde, falsche Fährte, Süddeutsche Zeitung/SZ vom 29. Juli 2020

FDP beantragt Sondersitzung des Geheimdienstausschusses: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wirecard-und-jan-marsalek-fdp-beantragt-sondersitzung-des-geheimdienstausschusses-a-3255616b-686d-46e3-9cd6-e561b9fd7391

Der Fall Wirecard (II): https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8347/

Der Fall Wirecard: Das wahre Ende der Deutschland-AG: https://www.rnd.de/politik/wirecard-skandal-insolvenz-offenbart-wahres-ende-der-deutschland-ag-EXGXPHY5DBBNVF4OBRLFJYFF64.html

Wenn Bank- und Finanzinstitute Teil einer kriminellen „Schattenwirtschaftsind: https://wolfwetzel.de/index.php/2010/02/18/18-2-2010-eine-reise-durchs-organisierte-verbrechen-mit-staatstragenden-aufgaben/

#Cryptoleaks: CIA und BND steckten jahrzehntelang hinter Verschlüsselungsfirma: http://www.heise.de/-4658033

Crypto, die Menschenrechtsverbrechen der südamerikanischen Diktaturen und das Mitwissen des deutschen Staates: https://www.nachdenkseiten.de/?p=59078

[1] Die Überweisungen an die Weißhelme werden inzwischen zugegeben und es werden auch Summen genannt.

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7 Kommentare

  1. Hallo Wolf Wetzel,

    „Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz ‚Kenntnis nur wenn nötig‘. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.“

    Frage Nr. 1 in welcher Landesverfassung/Bundesverfassung ist genau der Geheimnisschutz festgelegt?

    „Durch diese massive Geheimdienstoperation hatten die Regierungen in Washington und Bonn demnach unter anderem Kenntnis vom blutigen Vorgehen der argentinischen Militärjunta, die Tausende Regimekritiker aus Militärflugzeugen über den Atlantik lebendig ins Meer werfen ließ. Obwohl die Bundesregierung unter Helmut Schmidt davon wusste, nahm Deutschland 1978 an der dort ausgetragenen Fußball-Weltmeisterschaft teil. Auch von den Verbrechen in Chile nach dem dortigen Putsch gegen Präsident Salvador Allende hätten die Regierungen auf diesem Weg erfahren.“
    (Martin Holland, telepolis vom 11.02.2020)

    Frage Nr. 2 Warum hat Telepolis seine Seele an die dunkle Seite der Macht verloren. Hatte Monetäre Gier über den Freien Verstand gesiegt?

    1. Also ich kenne keinen Grundgesetzartikel, der einem “Staatsgeheimnis” besonderen Schutz gewährt, erst recht nicht dann, wenn damit Staatsverbrechen gedeckt werden sollen.
      Ihre Frage 2 zu Telepolis verstehen ich nicht.

      1. Telepolis hat sich seit den 2020 komplett verändert. Und das nicht zum Guten und durch die Wiederholung der Crypto AG Geschichte wird’s es auch nicht besser.

        Ist schon Lustig wie sich Staaten auf Ausländischeverschlüsselungs-Techniken Weltweit verlassen haben! Ich glaube daß ich eher im Lotto gewinne als das die Geschichte der Crypto AG ein Funken Wahrheit enthält …

        1. Danke für die Erklärung. Ja, dem würde ich zustimmen. Ich selbst bin aus Telepolis ausgestiegen, nachdem ich das sichere Gefühl hatte, dass die Texte, die vorher geschätzt wurden, nun stören. Ob das nur am Wechsel der Chefredaktion liegt, wäre eine Suche wert.

  2. Das eigentliche Problem: Jedes digitale Geschäftsmodell ist von vornherein als Monopol ausgelegt. Wie toll Monopole sind, kann man sich täglich von. Supermarkt präsentieren lassen.

  3. Danke für das Wort „Laufstall-Journalismus“ und für die Nachweise desselben. Passt.
    Was der Text leider nicht leistet, ist der Zusammenhang zwischen Wirecard und Crypto AG. Den kann man zwar als gegeben postulieren, muss das aber dann auch nachvollziehbar beschreiben. Sich auf ein Gefühl von „das-ist-denen-zuzutrauen“ zu verlassen, liegt wohl auf der Hand, reicht aber nicht. Trotzdem Dank für die restliche Einordnung!

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