Noch mehr Glückskekse

Glückskekse.
Ksayer1, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Über/Lebensproviant 2022. Noch mehr Glückskekse zum Jahresausklang.

Erkenntniskeks I

Jeder Krieg ist ein Verbrechen.

Das ist keine moralische, sondern eine sehr essenzielle Grundannahme.

Es gibt keinen Krieg, der gegen den Hunger, gegen Kinderarmut, gegen Ausbeutung, gegen Rechtlosigkeit geführt wird.

Von daher ist jeder Krieg ein Menschheitsverbrechen.

Gerade deshalb muss man die Frage stellen: Was hat dazu geführt, dass der erste Schuss fiel?

Erst wenn wir fragen, wie der Krieg zustande gekommen ist, welche Interessen dabei eine Rolle spielen, wer alles dafür getan hat, damit alles andere aussichtslos geworden ist, erst dann bekommen wir genaue Antworten darauf, dass jeder Krieg ein Verbrechen an der Menschheit ist.

Erkenntniskeks II

Nicht alles ist schwarz-weiß

Das stimmt.

Wir müssen wissen, wie viele Farben, wie viele Schattierungen dazwischenliegen.

Wir müssen wissen, welche Farben nahe an weiß, nahe an schwarz angrenzen.

Und wir müssen wissen, wie viele Farben schwarz bzw. weiß überdecken.

Wenn wir das wissen, müssen wir uns entscheiden für schwarz oder weiß.

Denn es aller höchste Zeit, die Indifferenz aufzuheben, diese Haltung:

Es ist gar nicht so einfach, sich jetzt zu entscheiden.

Wir müssen uns entscheiden, mehr denn je, in dem Wissen, dass es mehr als schwarz oder weiß gibt.

Glückskeks III (mit süchtig machenden Zutaten)

Der König und seine Bären

Ähnlichkeiten mit anderen Märchen sind rein zufällig

1. n.C.

Es war einmal ein König, der gerne ausschweifende und opulente Feste feierte und dabei viel Geld ausgab. Deshalb schickte er seinen Schatzmeister immer wieder los, um noch mehr Geld aus seinen Untertanen herauszupressen. Doch diese waren es leid und der Schatzmeister berichtete seinem König:

„Die Leute wollen nicht mehr Steuern bezahlen, mein König. Das letzte Mal waren sie gar feindlich gesinnt und machten bedrohliche Anstalten.“

Der prall gefüllte, reich geschmückte König schaut ihn ungeduldig und mürrisch an.

„Aber ich will meine Feste feiern. Dann nimm mehr Soldaten mit. Was fällt denen ein. Ich bin ihr König.“

„Mein König, das wird nicht viel bringen. Ich befürchte gar, dass sie aufbegehren werden. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.“

Der König dreht an seinen dicken Goldringen und streicht über seinen edlen Rock.

„Du hast doch kürzlich Bären in meinem Königreich gesehen.“

Der Schatzmeister will es wissen: „Mein König, ich verstehe den Zusammenhang nicht. Was hat das … “

„Genug.“ Der König bekommt blutunterlaufene Augen.

„Du gehst los und sagst den Bauern, dass du Bären gesehen hast, die sehr gefährlich sind und ihnen das Letzte nehmen, was sie noch haben.“

Der Schatzmeister schaut seinen Herrn mit zusammengekniffenen Augenbrauen an.

„Du sagst ihnen, dass der König sie beschützen wird, vor den gefährlichen Bären, wenn …

Des Schatzmeisters Augenbrauen glätten sich wieder.

„… wenn sie die geforderten Steuern zahlen. Das wird ihnen ihr Leben wert sein. Los, geh.“

Und siehe da, der Schatzmeister zieht los und kommt mit einer gut gefüllten Schatztruhe zurück.

Und wenn der König nicht gestorben ist, dann gehen diese Feste weiter.

Der König, seine Bären und die Drachen

3. n.C.

Es steht wieder ein opulentes Fest zu Hofe an. Außerdem hat der König noch ganz viele Schulden vom letzten Kriegszug, den er verloren hat. Er braucht also noch mehr Geld und ruft den Schatzmeister zu sich.

„Du weißt, was du tun musst. Nimm noch mehr Soldaten mit und erzähle von noch mehr Bären, Bären, die noch viel gefährlicher sind als die bisherigen.“

Der Schatzmeister seufzt möglichst leise. Es hat keinen Sinn, den König davon zu überzeugen, dass sein Volk müde ist und einfach nicht mehr kann … und will.

Der Schatzmeister macht eine flüchtige Verbeugung und nimmt noch mehr Soldaten mit und zieht los. Er wird schon erwartet. Der Dorfplatz ist gefüllt. Die Menschen schauen sehr verärgert und sehr zornig aus.

Die Soldaten und die BewohnerInnen stehen sich lange schweigsam gegenüber. Jeder wartet, dass der andere etwas macht.

Dann tritt ein Junge aus den Reihen, die den Soldaten gegenüberstehen. Er ist besonders. Er hinkt und hat ein funkelndes und ein pechschwarzes Auge. Der Junge stößt mit seinem Gehstock die Soldaten beiseite und geht alles andere als geschmeidig auf den Schatzmeister zu, der sich hinter seinen Soldaten verschanzt hat.

„Verehrter Schatzmeister, ich muss Ihnen etwas berichten.“

Der Schatzmeister schaut zu seinen Soldaten, schaut in die finsteren Gesichter der DorfbewohnerInnen und macht eine Handbewegung, die wohl bedeuten soll, dass der Junge es schnell hinter sich bringen soll.

„Ich habe die Bären gesehen, vor denen Sie uns immer warnen.“

Der Schatzmeister macht eine große Geste in Richtung BewohnerInnen und beendet den Ausflug siegessicher:

„Na also, dann ist doch jetzt alles klar.“

Er stößt den Jungen, damit er wieder in seine Reihe zurückkehrt, doch dieser weicht unerwartet geschickt aus.

„Ja, mein Schatzmeister. Das war nicht alles.“

Der Schatzmeister macht eine ganz kleine Geste, als wolle er eine Fliege verscheuchen.

„Ich habe auch noch viel größere Drachen gesehen. Ja, mein Schatzmeister, riesige Drachen, mit Flügeln, die …“

Er zeichnet mit seinem Stock einen Bogen, der wahrlich vom Himmel bis zur Erde reicht.

„Und ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, dass die Drachen die Bären vertrieben haben. Sie sind nicht mehr da. Ich schwöre es.“

Der Schatzmeister schüttelt heftig den Kopf.

„Das ist doch ein Märchen, einen Bären, den Du uns hier aufbinden willst. Jetzt reicht es aber wirklich.“

Der Junge bleibt ganz cool.

„Mein großer Schatzmeister, wir können in den Wald gehen, alle zusammen. Und ich kann Ihnen die Stelle zeigen, wo die Drachen uns vor den Bären beschützt haben.“

Der Schatzmeister schaut von ganz oben nach ganz unten. Dann schaut er zu seinen Soldaten, zu seinem Hauptmann, der mit einem ganz kleinen Handzeichen ein ‚Nein‘ signalisiert.

Der Schatzmeister versteht sofort und wendet sich an die DorfbewohnerInnen, deren Gesichter fast etwas Verschmitztes haben, ohne allzu offensichtlich zu sein.

„Also meine Untertanen. Lassen wir die Sache mal so stehen. Wir ziehen weiter.“

Sein Blick richtet sich an seine Soldaten, von deren Gesichter man nicht ablesen kann, ob sie das Ganze für eine Falle oder ein haarsträubendes Märchen halten.

Als die Soldaten das Weite gesucht hatten, die DorfbewohnerInnen wieder unter sich waren, warf der Junge seinen Stock in die Luft und machte mehrere Saltosprünge. Beim dritten breitete er die Arme aus, ganz weit, bis sie den Flügeln des Drachens ganz ähnlich waren. So landete er in den Armen der DorfbewohnerInnen.

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4 Kommentare

  1. Mal angenommen, es waren einmal jeder der – über ein ganzes Jahr verteilen – 256 Zugriffe auf Herrn Wetzels Geschichte eigentlich ein Gramm Zuckerguß, dann ward dieser Glückskeks vom 4. Advent am 24. Dezember 2021 ein wahrer Pfundskerl, dem auch noch ein paar Scheiben einer Frucht der Erkenntnis in hiesiger Dose Gesellschaft leisten, womit dem Autor einen Krümel Dank (für die Mühe des Backens einer Idee zu einem Drachen namens Utopie) hinterlassen werden soll.

  2. Hallo Knarr,
    danke für die „Krümel“ Dank, denn ich weiß ja, wie schwer es ist, mit diesen Glückskeksen umzugehen. Man mag sie kaum in die Hand nehmen, man hält sie für besänftigend, betäubend und …na ja, Weihnachtsgepäck eben. Ich halte mich selbst so über Wasser und versuche dabei ab und an „übers Wasser“ zu laufen, mit dieser Drachengeschichte, die ich für mich selbst, wie ein Vanilleplätzchen genieße, weil sie mir als Märchen einen fantastische Begleiterin ist. Alles Gute!
    Und: Frieden den Hütten, Krieg den Palästen.

    1. Noch einen Dank, für die schönen Wortspielereien in Deiner Antwort, die ja wie eine verschlungee Erläuterung der wirklich süchtig machenden Zutaten klingt!
      Das zauberhafte Weihnachtsgepäck ist augenscheinlich nicht nur dem im Weihnachtsgebäck auf den Kopf gefallenen b geschuldet, sondern weist irgendwie auf die im Märchen eine Rolle spielenden Bären und die auch einmal verwendete Redewendung ‚jemandem einen Bären aufbinden‘ hin. Über diese Redewendng heisst es beim Wiktionary:

      Die wahrscheinlichste Herleitung ist die von der germanischen Wortwurzel bar-. Sie stand für tragen. Später wusste man nicht mehr, dass bar für Last stehen sollte und deutete es volksetymologisch zu Bär um, was jedoch auch keine klar verständliche Aussage brachte. In der Folge hat der Volksmund sich eine Reihe von Geschichtchen und Anekdoten überlegt, die die Redewendung erklären sollen. Eine davon handelt von Jägern, die in einer Wirtschaft einkehren, die verzehrten Speisen und Getränke jedoch nicht bezahlen können. Sie überzeugen den Wirt schließlich, einen Bären als Pfand anzunehmen. Erst nachdem die Jäger schon das Weite gesucht haben, bemerkt der Wirt seinen schlechten Tausch und fragt sich, was er mit einem lebenden Bären soll.
      Eine andere Quelle nimmt in ihrer Erklärung der Redewendung Bezug darauf, dass es nicht möglich ist, jemandem einen Bären auf den Rücken zu binden, ohne dass er etwas bemerkt.

      1. Ja, das mit der Last scheint mit dem „Bären aufbinden“ eine realistische Größe zu sein. Heute zieht ja auch wieder der „rote“ Bär durch deutsche Kopf-Landschaften. Auch so eine ewige Alt-Last. Herzliche Grüße und schön, dass Sie Feinsinn für solche Assoziationen haben.

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