Gegen den Strom – Gegen diese Zeit

Foto: Screenshot, Gegen den Strom
Foto: Screenshot, Gegen den Strom

Der Film „Gegen den Strom“ von Benedikt Erlingsson wird je nach Bedürfnis als Tragikomödie, als Märchen und/oder als Politsatire angeboten.

Ich bin mir sicher, dass das nicht daran liegt, dass in diesem Film an den unmöglichsten Stellen eine isländische Band auftaucht. Zum Beispiel, wenn die Protagonistin Halla die Stromleitungen kappt, ihr Manifest verfasst oder ein Flugblatt auf Reykjavík niedersegeln lässt. Vielleicht wollen alle den Ernst dieser militanten Geschichte nicht wirklich an sich herankommen lassen.

Dafür ist der Spiegel-Journalist Kaspar Heinrich sehr, sehr dankbar:

„Ein Verfremdungseffekt, der zunächst tatsächlich auch befremdet, dem Film aber letztlich eine Leichtigkeit verleiht, die bei aller Gesellschaftskritik seine Selbstzuschreibung rechtfertigt: Wir haben es hier – trotz rar gesäter Lacher – eben doch auch mit einer Komödie zu tun.“
(Der SPIEGEL vom 14.12.2018)

Terroristin bei der Arbeit

Im Mittelpunk steht eine etwa 50-jährige Frau, die im „normalen“ Leben Chorleiterin ist und nebenbei und sehr wirksam ein Aluminiumwerk bekämpft, das die Umwelt und ihr Leben vergiftet.

Im Normalfall würde man sie als Terroristin bezeichnen. Denn ihr Kampf, den sie mehr oder weniger alleine führt, ist speziell, also illegal: Anfangs sabotierte sie die Stromleitungen, die zu dem Aluminiumwerk führen. Als das nicht reichte, sprengte sie einen Strommast in die Luft.

Als Werkzeug benutzte sie Pfeil und Bogen, um damit ein Plastikseil über die Stromleitungen zu schießen. An diesem war ein Stahlseil befestigt, das sie dann über die Stromleitungen zog und somit kurzschloss. Dann zischte und blitzte es. Das Aluminiumwerk war von der Stromversorgung abgeschnitten und musste bis zur Behebung des Schadens die Produktion einstellen.

Um den Masten in die Luft zu sprengen, benötigte sie – im besten Fall gewerblichen – Sprengstoff. Dafür brach sie ein Depot auf und versorgte sich mit gutem Plastiksprengstoff.

Sie ist mit Herz und Seele bei der Sache. Das merkt man. Das lässt einen gar nicht auf böse Gedanken kommen.

Gesucht wurde sie dennoch und erst recht als Terroristin, was dann auch den Einsatz des ganzen Arsenals des isländischen Polizeiapparates erlaubte.

Zwillingsschwester auf dem Weg ins Ashram

Im Film ist und bleibt sie eine bodenständige und herzliche Chorleiterin, die es mit ihrer Kritik ernst meint und sich mit der Ohnmacht eines wortgewaltigen Protestes nicht abfindet.

Und alles, was in einem Märchen genauso sein darf, wird der Einzelkämpferin zuteil. Ihr kommen zur rechten Zeit genau die Menschen zur Hilfe, die sie braucht, wenn man nicht (ganz) alleine gegen den Rest der Welt untergehen will.

Da ist zum einen ein benachbarter Schafszüchter, der anfangs ziemlich abweisend ist und Zug um Zug zum Mittäter wird, mit einer Selbstverständlichkeit, die man wie Lavendelduft einsaugen möchte. Er leiht ihr sein Auto, ohne damit in etwas hineingezogen zu werden. Beim nächsten Anschlag steht er bereits genau da, wo sie ihn für die letzte Etappe der Flucht dringend braucht. Schließlich gilt es Straßensperren zu überwinden, die sofort nach dem Anschlag eingerichtet wurden. Und als die Protagonistin doch noch festgenommen und inhaftiert wurde, wurde aus dem wortkargen Schafszüchter ein Saboteur. Er legte die Stromversorgung lahm, die auch den Knast einschloss, um so der Eingesperrten zur Flucht zu verhelfen. Dazu waren ein paar Minuten Stromausfall nötig – kein Problem.

Und dann war da noch ihre Zwillingsschwester. Auch mit ihr ging es märchenhaft zu. Sie war auf einem ziemlich esoterischen Trip und war gerade dabei, in einem Ashram in … na wo sonst … Indien ihre innere Ruhe und ihr wahres Ich zu finden. Und als sie sich nicht mehr aus dem Weg gehen konnten, knallte es. Sie warfen sich gegenseitig vor, das Falsche zu wollen, sich jeweils etwas vorzumachen, sich selbst zu belügen und das je imaginierte Ich zu bewirten.

Singen für den Weltfrieden

Das erinnerte mich schlagartig an eine Szene, die auch aus einem Film sein könnte, aber sich tatsächlich so zugetragen hatte.

Meine Freundin hatte sich entschlossen, eine Yoga-Ausbildung zu machen, also Yogalehrerin zu werden. Dazu ging sie in einen Ashram. Ich weiß nicht mehr wo in Deutschland, aber ich kann bis heute nicht vergessen, wo dieser Ashram lag: Im Tal der Hoffnung.

Der Ashram verstand sich als „Ort der spirituellen Praxis“ und „Ort der Bemühung“. Ich war bemüht gefasst, denn ich hatte das sichere Gefühl, dass ich sie verlieren werde. Und je mehr ich ihr zur Seite stehen wollte, desto mehr war unsere Liebe nicht zu halten.

Gegen Abend fand eine Versammlung in einem großen Raum statt. Dicht gedrängt saßen die Schüler, die Ashramis dem Meister gegenüber, auf Sitzkissen oder ganz ohne. Irgendwann erwähnte der Meister den gerade stattfindenden US-Krieg gegen den Irak 2001. Um für den Frieden einzutreten, sollte nun gesungen werden. Man wollte damit dem „Weltfrieden“ dienen.

Ich hielt das Singen für den „Weltfrieden“ unerträglich, meine Freundin fand mich unerträglich. Ich erklärte ihr, dass man mit Singen keinen Krieg verhindern könne und sie sah in Steinen und Mollies auch keinen Beitrag, einen Krieg zu stoppen.

Diesen Kollaps der Welten und Ansichten gab es in diesem Film nicht.

Filmreife Leistung

Ein weiteres Mal sprang das Märchen ein, um Unversöhnliches zusammenzubringen, das Innere mit dem Äußeren, das in sich ruhende Ich mit der Unruhe der Welt in Verbindung zu halten.

Die Zwillingsschwester, die eigentlich schon auf dem Sprung ins Ashram war, besucht ihre Schwester im Knast. Als sie im Besuchszimmer „alleine“ sind, geht das Licht aus. Und der Plan auf: Die Kleider im Ashram-Look werden getauscht und als das Licht wieder angeht, bleibt die „Erleuchtete“ im Knast, während die „Terroristin“ als Besucherin den Knast verlässt, um noch ganz kurz ein Kind zu retten, das seine Eltern in der Ukraine verlor.

Dass die Ukraine wenig später eine noch größere Rolle spielen wird, wusste der Regisseur nicht. Der Film wurde 2018 uraufgeführt, also vier Jahre nachdem die Regierung in Kiew 2014 weggeputscht wurde. Auch das war ziemlich filmreif. Nur, der Putsch hat – in jeder Hinsicht – mehr gekostet, als der Film.

 

Quellen und Hinweise:

Ja, dies ist ein Comedy-Drama-Thriller, Der SPIEGEL vom 14.12.2018: https://www.spiegel.de/kultur/kino/gegen-den-strom-von-benedikt-erlingsson-filmkritik-a-1242879.html

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7 Kommentare

    1. Kann ich bestätigen. Das geht auch im Kleinen.
      Ich bin in ein Haus eingezogen, in dem ziemlich unangenehme Menschen gewohnt haben.
      Singe täglich meine Mantras.
      Einer nach dem anderen ist ausgezogen. Liegt aber nicht daran, daß ich nicht singen kann.
      Es gibt nicht umsonst den Spruch:
      Wo man singt da lass die nieder. Böse Menschen haben keine Lieder.
      Geht aber auch umgekehrt. Anscheinend mögen sie diese auch nicht.

        1. Ich beschäftige mich mit diesem Thema schon lange.
          Es schon fast mysteriös was mit „Klang“ alles gemacht werden kann.
          Ach ja, es waren „wohlstandsverwahlloste Weicheiers“ 😀

  1. Wie aus dem richtigen Leben, das Gesetz gibt vor wie ein Mensch sich in der Gesellschaft zu verhalten hat und der selbe Gesetzgeber interresiert sich nicht für seine Gesetze.

  2. Der Film mag wie ein modernes Märchen wirken, wenn man nichts über Island weiß. Mir scheint er wie eine Form der Verarbeitung eines langjährigen Konflikts der isländischen Gesellschaft. Beim Kampf gegen die Aluminiumwerke geht es nicht nur um die Verschmutzung, sondern um den extrem hohen Strombedarf. Für diesen Strombedarf wurden riesige Wasserkraftwerke gebaut. Der Bau des Kárahnjukar-Damms (fertiggestellt 2009) hat die isländische Gesellschaft zeitweise tief gespalten, denn dafür wurde unberührte Natur großflächig massiv umgestaltet und unter Wasser gesetzt. Die Aluminiumwerke gibt es wiederum nur deshalb auf Island, weil man sie mit niedrigsten Strompreisen dorthin gelockt hat. Eine empfehlenswerte Lektüre/Film dazu ist Andri Snær Magnasons „Dreamland“. Wenn der Protest im realen Leben schon keinen Erfolg hatte, darf wenigstens im Film eine Heldin noch einmal für Ärger sorgen und trotzdem davonkommen.

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