Fußball-Träume – mal ganz anders

Frankfurter Waldstadion, heute Commerzbank-Arena.
Sakhalinio, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Die Fußball-WM in Qatar hat die Vorrunde fast hinter sich, der Protest hat sich längst verflüchtigt. Man spürt die Ohnmacht gegenüber dem Spektakel, die Bedeutungslosigkeit der Kritik, die Müdigkeit des eigenen Sarkasmus. Was will man schon (anderes) machen? Das geht schon …

Wer Fußball, also das Spiel auf dem Rasen, liebt oder mag, der übt sich in den nächsten Wochen in Trennkost: Man schaut Fußball, genießt schöne, spannende Spiele und lässt das andere links liegen. Auch wenn man weiß, dass das gar nicht geht.

Nun, Qatar ist wirklich weit weg. Aber das WM-Milliardenspektakel braucht keinen Wüstenstaat. Der Sitz der FIFA ist in der Schweiz, das „Sommermärchen“ hat sich mit „Kaiser“ und Co. in Deutschland zugetragen.

Wie es auch anders geht, wie man tatsächlich Sand ins Getriebe dieser Milliarden-Maschinerie streuen kann, erzählt die nachfolgende Geschichte. Sie hat sich ziemlich genau so zugetragen:

In der WG-Küche lief der Fernseher. Bundesliga-Fußball interessant zu finden, samstags auch noch Sportschau zu sehen oder gar ins Stadion zu gehen, war eigentlich out. Dennoch schauten Andy und Detlef regelmäßig Fußball. Man einigte sich darauf, mit einem solchen Widerspruch zu leben, aber bitte nicht so laut. Daneben hatten die Fußball-Fans auch gute Seiten: Beide waren in einem El Salvador-Solidaritätskomitee engagiert. In El Salvador herrschte eine Militärdiktatur, dagegen kämpfte die El Salvadorianische Befreiungsfront Frente Farabundo Marti de Liberación (FMLN). Wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern ging es dabei nicht nur darum, die postkoloniale Ordnung zu bekämpfen, die die Kolonialmächte zurückgelassen hatten. Die meisten Befreiungsbewegungen wollten mehr als die Beseitigung von Fremd-Herrschaft. Sie kämpften zugleich für andere Gesellschaft, für den Sozialismus.

„Tor, Tor! Klasse, hast du das gesehen? War das ein Dribbling!“

Es war Andys Stimme, die bis zu ihnen durchdrang.

Clara und Johan, die mit Fußball nichts am Hut hatten, schauten sich mit bedenklicher Miene an. Dann wurde es wieder still. Die beiden setzten ihr Gespräch fort, als Andy die Tür aufstieß, kurz innehielt, als würde er bemerken, dass er gerade völlig stört, um dann loszulegen:

„Ich hab die Idee. Ich sag euch, das haut euch um.“

Clara drehte sich auf den Rücken, ein KO simulierend.

„Wir gehen nachts ins Stadion! Was haltet ihr davon?“

„Gar nichts, Sportsfreund, weder tags- noch nachtsüber. Noch was?“

„Meine Güte, nicht zum Fußballspielen oder glotzen …“

„Was dann?“

„Wir ätzen eine riesige Parole in den Rasen …“

„Zum Beispiel: Sport ist Mord. Breitensport ist Völkermord.“

„Nein. Nieder mit der Diktatur!“

„Der Fußballregeln oder was?“

Clara spürte, dass sie es jetzt zu doll trieb und schlug einen versöhnlichen Ton an.

„Also, verrat’s uns, ich hör dir jetzt echt zu.“

»In zwei Wochen findet im Waldstadion ein Europacup Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und Tottenham statt. Das wird live übertragen. Wenn wir also nachts zuvor den Rasen mit einer Parole verätzen, dann bekommen die das bis zum nächsten Tag nicht mehr geregelt. Die Parole geht dann um die halbe Welt.“

„Geht’s etwas genauer?“

„Das Spiel wird wie alle Europacup-Spiele in 60 Länder übertragen, u.a. wird es in El Salvador, aber auch in Guatemala, in Argentinien ausgestrahlt. Stell Dir mal vor, die Leute sitzen am Fernseher …“

„… und verstehen kein Wort.“

„Natürlich nicht auf Deutsch, sondern auf Spanisch: Bajo la dictadura oder so ähnlich.“

„Und wie wollen wir da reinkommen, einen Tag vor Spielbeginn? Das Stadion wird doch bestimmt rund um die Uhr bewacht!“

„Warum sollten die den Rasen bewachen? Mich würde es nicht wundern, wenn man da ohne Schwierigkeiten hereinkäme. Aber das könnten wir ja auschecken. Was haltet ihr also davon?“

Clara und Johan hatten Mühe, so schnell auf Politik umzuschalten, auch wenn alles irgendwie zusammenhing – aber die Idee hatte etwas für sich.

„Also, wenn das Stadion nachts nicht bewacht wird, warum nicht? Ich mache einen Vorschlag: Ihr checkt das in den nächsten Tagen aus und du machst jetzt die Tür wieder zu.“

Johan nickte wie ein Pferd und Andy schloss die Tür.

Der Ball kam ins Rollen. Nachdem Andy die Nachricht verbreitete, dass das Stadion keinen eigenen Wachdienst angestellt hatte, wurde Abbeizlauge, die man normalerweise zur Restaurierung von Möbel verwendet, besorgt. Dazu noch einen großen Kübel Farbe, um zusätzlich die Tartanbahn und die Anzeigetafel mit Parolen zu versehen. Doppelt gemoppelt hält besser, sagen die Schwaben dazu. Vorsichtshalber wurde noch einmal zwei Tage vor dem Sportereignis das Waldstadion beobachtet. Das Ergebnis war passabel: Im Zweistundenrhythmus wurde das Gelände von einer Polizeistreife abgefahren, genug Zeit also. Auch die Zäune stellten kein Hindernis dar und das Stadion selbst war nachts nicht beleuchtet. Ideale Bedingungen für eine Nachtaktion.

Die Vorbereitungsphase war abgeschlossen und alle standen in den Startlöchern. Es war kurz nach 23 Uhr, als ein geschlossener, alter Ford Transit alle Teilnehmerinnen der Aktion einsammelte und eng zusammengedrängt zum ausgemachten Treffpunkt, einem Parkplatz nahe dem Waldstadion brachte. Eine weitere Gruppe stieß dazu und als alle da waren, ging es los. Mit einer großen ausziehbaren Leiter, einem Zwanzigliterfarbeimer, Pinseln, Rollen und vielen Flaschen Abbeizlauge machten sich circa 20 Gestalten auf den Weg Richtung Stadion. Es war stockdunkel, der Weg war nicht beleuchtet, als die Gruppe an einem großen Bus vorbeikam, der am Rand des Weges geparkt war.

„Das ist doch merkwürdig. Was soll der Bus da? Ich schau’ mal genauer nach, bevor wir weitergehen. Einverstanden?“

Die anderen nickten und Clara ging zurück. Der Bus hatte Vorhänge, die zugezogen waren, es brannte kein Licht im Wageninneren. Merkwürdig, wer stellt seinen Bus dort ab? Und wozu die Vorhänge? Plötzlich ging die Tür auf und ein SEK-Trupp stürmte aus seinem Versteck. Mit dieser Vorahnung im Nacken umkreiste sie den Bus, bis sie die Aufschrift auf der Rückseite lesen konnte: Hessisches Fernsehen. Puh, ein Übertragungswagen. Clara atmete erleichtert auf, stieß zur Gruppe und gab Entwarnung. Zusammen gingen sie weiter, bis an die Stelle, wo nachts zuvor ein Loch in den Zaun geschnitten wurde. Von dort aus konnte man über die Tribünenränge ins Stadion gelangen. Alles lief – von der erwähnten Überraschung abgesehen – wie geplant, nur eines nicht: In dieser Nacht tauchte die Flutlichtanlage das gesamte Stadion in gleißendes, grelles Licht. Man konnte wirklich alles sehen: Die Ränge, das Fußballfeld, die Tartanbahn, die Ausgänge … wahrscheinlich hätte man auch eine Maus sehen können, wenn sie aus ihrem Loch geschaut hätte …

„Das gibt es doch nicht! Was für eine Energieverschwendung?“

Die anderen schauten Clara stumm an, ihnen war’s nicht nach Energiespartipps zumute.

„Hey, nur nicht den Mut verlieren. Jetzt seht es doch einmal so herum: Nicht nur die können alles sehen, wir auch!“

Johan schaute Clara verständnislos, ohne Bereitschaft zum Perspektivwechsel an.

„Jetzt gibt’s nur eins. Ich geh hoch auf die Tribünen, schau mir von dort oben alles genau an. Wenn alles clean ist, legen wir los. Was soll’s?“

Einige schauten noch wie hypnotisiert nach oben, in die Flutlichter, als Clara durch das Loch schlüpfte und die Treppen hochstürzte. Kurze Zeit später machte sie mit beiden Armen Zeichen, ihr zu folgen.

„Ihr habt doch gesagt, das soll eine Nachtaktion werden oder nicht?“

„Na ja, jetzt leg nicht alles auf die Goldwaage. Es wird uns schon niemand sehen. Komm jetzt.“

Was eigentlich ein Grund gewesen wäre, die Aktion sofort abzublasen, war jetzt nur ein ungünstiger Umstand, den man ganz schnell vergessen musste. Sie zwängten sich durch den Zaun und stiegen mit mulmigem Gefühl die Treppen zur Tribüne hoch.

Jetzt nur nicht stehen bleiben. Bei Lichte betrachtet … Johan wollte den Satz nicht zu Ende denken und hastete mit den anderen zusammen die Treppen wieder hinunter, ins Stadioninnere.

„In zehn Minuten sammeln wir uns wieder hier, okay?“

Die Beleuchtung war Antrieb genug. Es ging alles rasend schnell. Die erste Gruppe ging mit einer Leiter ausgestattet in Richtung Stadionanzeige, um diese mit einer Parole zu übersprühen. Eine zweite Gruppe fing auf der Höhe der Mittellinie damit an, mit Abbeize große Buchstaben in den sattgrünen Rasen einzugravieren. Die dritte Gruppe versah die rund um den Rasen angelegte Tartanbahn mit weiteren Anmerkungen zum Stand der deutsch-lateinamerikanischen Freundschaft. Allein die Vorstellung, das Tun könnte minutiös von den Kameras aufgezeichnet werden, die ins Stadioninnere gerichtet waren, hatte auch etwas Gutes: Alle hielten sich an die zeitliche Vorgabe. Niemand wollte überziehen. Ohne die üblichen Verzögerungen trat man den Rückzug an. Als alle wieder zusammengezwängt und nass geschwitzt im Ford Transit saßen, wich die Anspannung. Die Vorfreude auf den Abend vor der Glotze war riesengroß.

Zum ersten und letzten Mal saßen Sportsfreunde und Sportgegner vereint zusammen, vor der Flimmerkiste. Die Liveübertragung begann und alle hatten nur eines im Sinn: Die Suche nach den Stellen, die die Handschrift dieser ‚Nacht‘ trugen. Der Fernseher war zwar schlecht, doch das Ergebnis eindeutig. Die Anzeigetafel war gereinigt, die Tartanbahn wurde mit Plastikplanen abgedeckt und ziemlich fassungslos schauten alle – immer und immer wieder – auf das große Stück Rasen, rechts von der Mittellinie: Außer dem Umstand, dass ein Viertel des Spielfelds kein Rasen-, sondern ein Sandplatz war, war nichts zu sehen.

Die Stadionverwaltung hatte kübelweise Sand über die verätzte Rasenfläche geschüttet.

Der Reporter dieses Spieles komplettierte die Enttäuschung. Mit keinem einzigen Wort erklärte er den ZuschauerInnen die Gründe für die skandalösen Bedingungen, unter denen dieses Europa-Cup-Spiel ausgetragen werden musste.

Trotz des Umstandes, dass die Außenwirkung dieser Aktion auf den Kreis der TeilnehmerInnen beschränkt blieb, sollte ein Detail dabei nicht unerwähnt bleiben: Unabgesprochen hatte einer der Beteiligten auch die Bandenwerbung miteinbezogen: Er hatte einen Kreis um ein großes A gesprüht. Das war unentdeckt geblieben!

Keine wirkliche Entschädigung.

All das geschah in der Nacht vom 16. auf den 17. März 1982 und schlug sich einer sehr klein gehaltenen Meldung der Frankfurter Rundschau nieder:

„Verdruss bereitete (…) die Aktion, die bereits in der Nacht zum Mittwoch stattgefunden hatte. Unbekannte waren über den Zaun geklettert und hatten ‚Freiheit für El Salvador und Polen‘ auf die Anzeigentafel und die Tartanbahn gepinselt. Weil sich der Spray auf der Laufbahn nicht abwaschen lässt, schütteten Stadionarbeiter zunächst Sand auf die Parolen. Man wollte verhindern, dass die Fernsehkameras dergleichen in die bundesdeutschen und englischen Wohnstuben übertragen konnten. Zur Beseitigung muss jetzt eine Spezialfirma anrücken, die Oberfläche abschleifen und auf mehr als 100 Quadratmetern einen neuen Belag aufbringen. Zirkelbach: ‚Das kostet mehr als 10.000 DM‘.“ (FR vom 19.3.1982)

 

Quelle:

Leicht überarbeiteter Auszug aus dem Buch: Tödliche Schüsse – eine dokumentarische Erzählung, Wolf Wetzel, Unrast Verlag 2008, Münster: https://wolfwetzel.de/index.php/2009/05/17/buchvorstellung/

Ähnliche Beiträge:

4 Kommentare

  1. Hey, damals im besetzen Haus in Lesum, kein Wasser, geschweige den warmes. Und sowieso Schleppschice allerorten ( eine Art Wunde die nicht heilte, frech wanderte und mies absiffte), gegenüber dem Haus ein Freibad, neben der Bundesstrasse. Also N8s, rübergemacht, paar Runden geschwommen, gewaschen im Chlorigen Wasser, solange bis der Bademeister vom Lärm aufgewacht ist, wie waren wohl so 10 Personen, der Bademeister hatte Blondie2, der Lump, den Kötter nch Maulerei aus sicherer Entfernung von der Leine gelassen, alle raus ausm Wasser, evtl. noch Hose gegriffen ( damals kleideten wir uns mangels Zaster Rotes Kreuz ( Lisbet, wir lieben Dich) ein, und zurück über Zaun, weg von Blondie2, auf den Randstreifen der Bundesstrasse, um den Köter noch bisschen abzunerven, den Bademeister zu verhöhnen und den paar Karren die dort längseierten kleines Spektakel zu gönnen, es waren auch naise Girls mit zur Hygiene gekommen. Das aufmunternde Hupen der Karroserie war ein klares Signal für uns, FuckDaSystem!
    Im kleinen Rahmen, es muss nicht immer Stadion und Fuba sein, gewaltfreier Protest, auch aus der Not, sollte immer drin sein. Das haben wir 2- 3 Jahre, jede Schwimmsaison so gehändelt, war ok, und ich bin mir sicher, auch die andere Seite, Blondie2.0 und BadeCop, hatten Ihren Spass und eine gelinde Sympathie für die andere Seite. Schwimmbad wurde für Siedlung und Sparen dichtgemacht, Haus stand ca. 15 Jahre, nonstop besetzt, so war es eben, damals 1978-1983 in der Provinz (HB-Nord).
    Protest heute wäre nix in Rasen ätzen (ey, umweltfrevel), Mannschaft und Auswechselspieler kleben sich im Mittelkreis fest, lösen nur mit stumpfen Krumdolch, kommentiert von Kalle R. und Franz B. auf Aljhazera TV.
    Schweinerei ist, das ich heute nur als Bezahler Ecuador-Senegal gucken kann, also nicht. Stand z. Zt 0:1, Africa kocht vermutlich, und so soll es sein, wer Belgium-Maroc geschaut hat, wird wissen, was da abgeht, keine heuchlerische Politik, sondern Spass am Team und Bambule, Together, so muss das.
    edit/ typos, einige.lol

    1. Hi KannNix vielen Dank für den Ekelhaften Post,
      Return of the “Schleppschice” der rotgrün versifften, und die Hygiene Tipps in der kommenden Krise, ohne fließendes Wasser und Strom. Als Chlorhühnchen bezeichnet man in der Umgangssprache nach der Schlachtung in kaltes Chlorwasser getränktes Hühnerfleisch!

      https://de.m.wikipedia.org/wiki/Impetigo_contagiosa

      Sauber bleiben Prepperoni ?

  2. Nebenher läuft Niederlande-Katar, während ich K&K lese. Da behauptet der Reporter, Katar und Ecuador hätten bei dieser WM nur null Punkte erreicht, und wie blamabel das wäre (o.ä.).
    Tatsächlich hat Ecuador 4 Punkte erreicht und sogar NL 1 Punkt abgenommen.

    WIE DUMM UND BORNIERT DÜRFEN REPORTER EIGENTLICH SEIN!

    1. Das Nichtsingen der iranischen Hymne wurde von Reportern als Protest gewertet.

      Wie ist das dann bei der deutschen Elf? Wenn man das Gesummsel und Gebrummsel bei der Hymmne hört, teils meilenweit von der richtigen Melodie entfernt – muss das nicht auch als handfester Protest gewertet werden? Wegegen, weiß ich allerdings auch nicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert