Über den Putsch in Chile am 11. September 1973, der sich heute zum 50. Mal jährt.
„Das Volk muss sich verteidigen, aber es darf sich nicht opfern. (…) Gehet voran in dem Wissen, dass eher früher als später sich die großen Straßen wieder öffnen werden, auf denen der freie Mensch schreitet, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen.“
(Salvador Allende in seiner letzten Botschaft über Radio, 1973)
Am 11. September 1973 putschte das Militär die gewählte Regierung von Salvador Allende in Chile. Ich habe noch die Bilder vom Präsidentenpalast im Kopf, der bombardiert wurde, umzingelt von Militärs, die auf den umliegenden Dächern postiert waren.
Viel später ging ein Bild um die Welt, auf dem man den 65–jährigen Präsidenten sieht, der einen Helm trägt und nach oben schaut. Er hält eine Pistole in der rechten Hand und wird von Bewaffneten begleitet.
Was wir als Schüler im Alter um die 20 Jahre darüber wussten, war sicherlich nicht viel. Offiziell verurteilte die SPD-FDP-Regierung unter Willy Brandt den Militärputsch. Aber genauso offiziell und lauter waren Stimmen derer zu vernehmen, die zu bedenken gaben, dass damit das Land, also Chile vor dem Kommunismus gerettet worden wäre. Das war eine mehr oder wenig versteckte Sympathiekundgebung für den Militärputsch. Ganz sicher wussten wir auch nicht sehr viel darüber, ob es sich tatsächlich um Sozialismus handelte, den das Parteienbündnis „Unidad Popular“ anstrebte.
Wir wussten nur eines sehr sicher: Wie schnell man als Kommunist oder Sozialist denunziert wurde, wenn man aus der Reihe tanzt und nicht so werden wollte, wie unser Mütter und Väter.
Auch wenn man das unserem Alter nicht ansah: Wir hatten bereits „außenpolitische Erfahrungen“ gesammelt. Die erste Demonstration, an der ich teilnahm, war eine Demonstration gegen den Vietnam-Krieg, den US-Regierungen seit Jahren führten. Auch dort wollten sie die Demokratie verteidigen und das vietnamesisches Volk vor dem Kommunismus retten. Dafür hatte man unter anderem alle BewohnerInnen im Dorf My Lai ermordet, um sie so vor dem Kommunismus zu retten. Dieser Irrsinn prägte sich beim mir ein und wurde eine Haltelinie in meinem Leben: Glaube ihnen kein Wort, wenn sie Krieg führen, um die Demokratie und die Freiheit zu retten.
Das sollte eigentlich auch nicht schwer sein, wenn man zuhören kann und will. Der chilenische General Augusto Pinochet ließ niemand im Unklaren:
„Die Demokratie muss gelegentlich in Blut gebadet werden, damit die Demokratie fortbestehen kann.“
Wir mussten also nicht alles wissen, um gegen den Putsch in Chile zu protestieren. Also verfassten wir schnell ein Flugblatt und verteilten es anschließend in der Schule.
Genauso schnell, einen Tag später, ließ mich der Direktor zu sich rufen. Mir schwante nichts Gutes. Er kam sofort zur Sache und hielt mir besagtes Flugblatt wie einen stinkenden Putzlumpen unter die Nase.
„Du hast eine Erklärung unterschrieben, das weißt du wohl noch.“
„Ja, ich erinnere mich an etwas.“
Diese völlig rechtwidrige „Erklärung“, mich allen politischen Betätigungen zu entsagen, war der Preis dafür, dass ich wieder auf die Schule durfte. Der Direktor hatte etwas Triumphierendes in den Augen, als er fortfuhr.
„Du hast unser Vertrauen gebrochen, das ist dir doch klar?“
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“
„Du hast dieses Flugblatt verteilt und das ist eine politische Betätigung, die du zu unterlassen hast.“
Zur Unterstreichung wedelte er mit dem Flugblatt herum.
„Es stimmt, dieses Flugblatt wurde verteilt. Aber woher wollen Sie wissen, dass ich es verteilt habe?“
„Ein Schüler hat dich dabei gesehen und es mir gemeldet.“
Was wäre die Macht der Direktoren ohne ihre Lakaien? Was wäre der Herr ohne den Knecht? Der Direktor gab mir eine „letzte Chance“ und die nutzte ich, in und außerhalb der Schule.
Diktaturen als Reinigungsanlagen für Demokratien
„Ich sehe nicht ein, wieso wir stillhalten und nur zuschauen sollten, wenn ein Land aufgrund der Unverantwortlichkeit seines Volkes kommunistisch wird.“
(US-Außenminister Henry Kissinger)
Wie sehr Diktaturen und Militärputsche gar keinen Widerspruch zu demokratischen Systemen sind, sondern ineinandergreifen, machten Stellungnahmen von namhaften Politikern in Deutschland deutlich:
So ließ der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß noch im selben Jahres des Putsches im Bayernkurier die Welt wissen, dass „das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang“ bekommen hätte.
Im selben Jahr reiste der damalige CDU-Generalsekretär Bruno Heck als Zeichen der Solidarität nach Chile. Auf die Frage nach Berichten, denen zufolge das Nationalstadion in Santiago unter Pinochet in ein Gefangenenlager verwandelt worden sei, in dem Dissidenten gefoltert würden, sagte Heck nach seiner Rückkehr in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ den berüchtigten Satz:
„Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm“.“
(BND, Chile-Putsch und viele offene Fragen, Ben Knight hka vom 5. Januar 2019)
Wenn gerade mit der Causa Aiwanger die lobenswerte Idee aufkommt, jemanden für etwas verantwortlich zu machen, was er vor 30, 40 Jahren (und mehr) gesagt, getan und unterstützt hat, dann könnte man hier weitermachen. Ich bin mir sicher, danach könnte man den Bundestag um drei Viertel verkleinern. Wenn ich die Debatte richtig mitbekommen habe, dann ist jetzt Reue und Geschichtsbewusstsein ganz hoch im Kurs.
Dazu gehören eben auch die zahlreichen deutschen Konzerne, die nach dem Putsch ideale Investitionsmöglichkeiten sahen, mit dem Versprechen, dass sie alles bekommen und vor allem geschützt werden, wozu im Reich Pinochet die Zerschlagung der Gewerkschaften gehörte und die Suspendierung von Arbeitsrechten. Die Mittäterschaft deutscher Firmen an dem terroristischen Regime in Chile war evident und profitabel: Der Handel mit Chile im Jahr nach dem Militärputsch erlebte einen sagenhaften Aufschwung: „Die Ausfuhren stiegen 1974 um über 40 Prozent, die Einfuhren um 65 Prozent.“
Es geht um mehr als um Erinnerung
Der Militärputsch in Chile jährt sich jetzt zum 50. Mal. Es geht um mehr als um die Zehntausende Ermordete, für die nicht nur die chilenische Militärjunta verantwortlich ist:
„Während des Militärstreichs in Chile starben über 3000 Chilenen. Innerhalb der 17 folgenden Jahre unter Pinochet starben über 100.000 durch Staatsterrorismus. Doch Hunderttausende starben in Süd- und Mittelamerika nach 1973 auf Grundlage des Modells, das Kissinger in Chile etabliert hatte.“
(Nachhall/Nation ohne Grenzen, Francisco Letelier, Die Schlacht um Chile)
Die Mittäter sitzen auch in den USA, die Profiteure in vielen Ländern in Europa.
Denn der Terror darf nicht vergessen machen, dass er einem Wirtschaftsmodell diente, das dort ausprobiert wurde und nun seit ein paar Jahrzehnten in Europa das Leben von Millionen Menschen prägt.
Damals, also in den 1970er Jahren, trauten sich die „Wirtschaftsexperten“, die Think Tanks nicht, diesen Wirtschaftsterrorismus im eigenen Land einzuführen, weder in den USA, noch in Europa. Dort war man noch ganz damit beschäftigt, einen Kapitalismus anzubieten, der sich mit Blick auf den sozialistischen Ostblock als attraktiv herausputzen musste. Das nannte man dann „Wohlfahrtsstaat“.
Also musste man auf den lateinamerikanischen Kontinent ausweichen und dafür bot sich Chile an. Das Parteienbündnis „Unidad Popular“ wollte die Kupferindustrie verstaatlichen, die fast vollständig in der Hand ausländischer Konzerne war.
So kamen die „Chicago Boys“ zum Zug: Sie entwarfen für Chile einen Kapitalismus sans phrase. Es wurde privatisiert, was Profite versprach (wie die Kupferminen z.B.) und die Ausbeutung der Bodenschätze für einen Apfel und ein Ei zementierte die Vorherrschaft der westlichen Staaten. Dazu gehörte eben auch die Privatisierung von Grundressourcen wie Wasser und Strom, Bildung und Gesundheit, worauf niemand verzichten kann.
Was man heute als „Neoliberalismus“ bezeichnet, die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche, war genau das, was die Militärjunta in Chile absichern und garantieren sollte.
Wie resümiert die FAZ diese Zeit:
„Vor 50 Jahren putschte sich der Militär Augusto Pinochet in Chile an die Macht. Es folgte blutiger Terror gegen Oppositionelle. Der Neoliberalismus aber erlebte einen Triumph – und gleichzeitig ein ethisches Debakel.“
(FAZ vom 11.8.2023)
50 Jahre später braucht man dafür – in Europa und in den USA –keine Militärjunta. Noch nicht.
Quellen und Hinweise:
Schlacht um Chile, Ein Dokumentarfilm von Patricio Guzmán, 1972-1979, insgesamt circa 263 Minuten, Regie: Patricio Guzmán. „In seiner dreiteiligen Dokumentation zeichnet Patricio Guzmán die Endphase der Regierungszeit von Salvador Allende nach. Der Film besteht nicht aus Archivmaterial, Guzmán und sein Team drehten kontinuierlich zwischen 1972 und 1979. Chiles bedeutendstem Dokumentarfilmer gelang es, das Rohmaterial ins kubanische Exil zu retten und dort sein monumentales Zeugnis des “Kampfes eines unbewaffneten Volkes” – so der Untertitel des Films – zu gestalten.“ Ein ausgezeichnetes Werk!
Nachhall/Nation ohne Grenzen, Francisco Letelier, Die Schlacht um Chile. Der Kampf eines Volkes ohne Waffen, LAIKA-Verlag, 2011 (mit den CDs des Dokumentarfilmes: Schlacht um Chile)
MIR. Die Revolutionäre Linke Chiles, LAIKA-Verlag, 2011
BND, Chile-Putsch und viele offene Fragen, Ben Knight hka vom 5. Januar 2019: https://www.dw.com/de/die-bundesregierung-mauert-zu-bnd-chile-putsch-und-vielen-offenen-fragen/a-46959310
Der Neoliberalismus aber erlebte einen Triumph – und gleichzeitig ein ethisches Debakel, faz vom 11.8.2023: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/chicago-boys-in-chile-pinochet-putsch-vor-50-jahren-19065596.html
50 Jahre Militärputsch in Chile, amerika21-Dossier, 2023: https://amerika21.de/dossier/50-jahre-militaerputsch-chile
Hallo Wolf, vielen Dank, dass Du heute an den Putsch in Chile gedacht und einen Artikel geschrieben hast.
LG Otto0815
Das freut mich sehr! Es ist ja ein lachendes und sehr weinendes Auge, das auf diese Zeit zurückblickt.
Übrigens, auch der BND hat mit gemischt, wie eine ausnahmsweise mal recht gute Doku der ARD aufzeigt und die Stasi bei der Rettung von Verfolgten. https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MTA2MC8yMDIzMDkwNTIxNDUvZmFrdC1ibmQtZ2VnZW4tc3Rhc2ktMTAw
Und es gibt einen wunderbaren Essayfilm ‘Der Perlmuttknopf’, der sich dem Thema über die chilenische G eschichte der Vernichtung der Indigenen nähert. Auch von Patricio Guzmán https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Perlmuttknopf
Vielen Dank für diese Ergänzungen. Und Patricio Guzmán ist ein großartiger und ungebrochener Filmemacher!
Die größte Kupfermine der Welt Chuquicamata in der Atacamawüste ist seit 1915 im Besitz des chilenischen Staates, woran selbst Pinochet nichts änderte.
Ungern führe ich hier mal Wiki als Beweis an
https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftsgeschichte_Chiles
Daraus folgt, nicht mal die Chicago-Boys waren in der Lage alle sozialen Errungenschaften wie z.B. die Landreform zu beseitigen. Selbst auf das gequälte Chile ist der westliche, eurozentrische Blick selbst unter Linken oft falsch und einseitig.
Um den Umsturz vorzubereiten, legten Chiles Unternehmer das Transportwesen lahm und provozierten damit eine Wirtschaftskrise. Zuvor war Allende in der Sowjetunion und bat um einen Kredit, den die Sowjets verweigerten. Sie wollten wohl weit weg von ihren Grenzen, mitten im amerikanischen Einflussbereich, kein zweites Kuba?
Sehr positiv ist die Haltung der DDR zu bewerten, die sofort und unbürokratisch zahlreiche Flüchtlinge aus Chile aufnahm, darunter Regierungsmitglieder der Allende-Regierung. Westdeutsche Politiker stiegen auf die Leichenberge im Stadion von Santiago und fanden das Wetter sehr schön. Übrigents hat das christdemokratisch regierte Chile später aus Dankbarkeit für die Rettung politischer Flüchtlinge durch die DDR Erick Honecker aufgenommen, der in Chile begraben ist.
Der CIA-Putsch in Chile ist gut dokumentiert und es gibt zahlreiche Bücher und Filme. Man könnte gerade heute – an unseren 11.September – mal wieder einen Chilefilm anschauen.
Heute gedenken wir auch den Volkssänger Victor Jara, den die Punta im Stadion von Santiago die Hände brach und dann ermordete
Ich erinnere an ihn mit einen deutschen Beitrag, denn es gab und gibt auch „gute Deutsche“
https://www.youtube.com/watch?v=WNHyGclTqEc
Derweil lagen die Asyl-Gesuche bei BND und VS, die Pflichtgemäß vor Sozialisten, Kommunisten und Schlimmeren warnten.
Daß Chile der 1973 Jahre hat gezeigt daß eine Demokratie die nicht der Akkumulation des Kapitals dient schnell vernichtet werden kann.”Denn der Terror darf nicht vergessen machen, dass er einem Wirtschaftsmodell diente, das dort ausprobiert wurde und nun seit ein paar Jahrzehnten in Europa das Leben von Millionen Menschen prägt.”
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Cybersyn
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Viable_System_Model
Venceremos
Cybersyn war aber auch zum scheitern verurteilt. Auch ohne Pinochets Putsch. Eine zentralisierte Wirtschaftspolitik ist einfsch viel zu kompkex und nicht beherrschbar. Jede Planwirtschaft ist bisher gescheitert an ihrer Trägheit und Rigidität und Ferne von den Problemen vor Ort. Das Fernschreibernetzwerk von Cybersyn erwies sich aber als nützlich und hat gezeigt daß ein Netzwerkansatz besser ist um Probleme mit so vielen Einflussgrößen zu lösen statt alles zu zentralisieren.
Richte er mal den Blick nach Eurasien, wer scheitert da genau?
Eine Woche lang via Buxus Stiftung zu sehen: SALVADOR ALLENDE von Patricio Guzmán
https://www.fritz-bauer-forum.de/film-salvador-allende-eine-woche-kostenfrei-zu-sehen/
Danke für den Hinweis! Es gibt von ihm auch den wunderbaren Essayfilm “Der Perlmuttknopf”, diese Ganze Geschichte über die Lebensweise und die baldige Vernichtung der Indigenen angeht. https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Perlmuttknopf
Schade, dass der spanische Text nicht übersetzt wurde.
Danke. Ausgezeichnet. Ein tolles Dokument über eine wagemutige Zeit, die zeigt, das es mehr gibt als Überleben.
Kissinger ist inzwischen über 100 Jahre alt und Allende seit 50 Jahren tot. Jene die den Chilen damals vor 50 Jahren am nächsten standen (und das war der sozialistische Block, die DDR insbesondere, Kuba, die Sowjetunion) sind inzwischen auch größtenteils Geschichte, Teil jener Konterrevolution geworden die damals insbesondere in Chile seinen Ausgangspunkt nahm und seit dem neuen Jahrtausend und beschleunigt seit etwa 3 Jahren die Zentren der westlichen Welt erreicht.
“… Noch bis zum Ende des Jahrzehnts konnten die Genossen also weitere Fähnchen auf ihre Weltkarten stecken und schienen begründeten Anlass zu den schönsten Hoffnungen auf einen Planeten ohne Ausbeutung zu haben. Was sie damals kaum wissen konnten: Die Welle revolutionärer Erschütterungen brach genau zu jener Zeit. Der real existierende Sozialismus war auf eine abschüssige Bahn geraten, seine Krise jedoch anfangs, zu Beginn der 70er Jahre, lediglich latent und daher nur schwer erkennbar. Der Putsch in Chile und seine Folgen allerdings erweisen sich in der Rückschau von einem halben Jahrhundert als sehr viel bedeutungsschwerer denn als bloßer Dämpfer für eine Welt auf dem Weg zum Sozialismus. Das Jahr 1973 markierte mit der Zerstörung des 1944 geschaffenen Weltwährungssystems, der Durchsetzung marktradikaler Strategien bzw. einer Zurückdrängung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft einen epochalen Wendepunkt, eine neue Periode in der Geschichte des Kapitalismus wurde eingeleitet. Vor dem Hintergrund der damals gerade in Gang gesetzten »dritten industriellen Revolution« in der Informationstechnologie hob ein Zeitalter an, das bisweilen – ungenau genug – neoliberale Globalisierung genannt wird. Was auch immer sonst damit bezeichnet ist, diese Wende bedeutete eine Zurückdrängung der Macht der Lohnabhängigen in der gesamten kapitalistischen Welt, und in dieses Zeitalter fällt auch der Untergang der sozialistischen Staaten. Dieser Umschlag im Weltmaßstab verdichtet sich zu einem Tag an einem Ort: dem 11. September 1973 in Santiago. Das Terrorregime der Militärjunta in Chile schuf die Voraussetzung, gleichsam unter Laborbedingungen neoliberale Wirtschaftskonzepte zu probieren, die bald auch andernorts Anwendung finden sollten. Insofern steht dieser Tag nicht nur für das gewaltsame Ende des Versuchs, in Chile eine Ökonomie der Gleichheit und Gerechtigkeit aufzubauen, sondern auch für eine globale Konterrevolution.”
https://www.jungewelt.de/beilage/art/458297
Was selbst die jW gerne vergißt, bzw. eurozentristisch interpretiert ist, 1989 ging der europäische Sozialismus ziemlich ruhmlos unter. Der asiatische Sozialismus in Vietnam, Laos und China überlebte. Auch Kuba, fast zerdrückt von den US und verraten von Gorbatschow, hält am sozialistischen Modell fest.
Das liegt meiner Meinung nach daran, daß Asiaten mehr Gemeinsinn als Europäer besitzen und in der Lage sind, die Wirtschaft pragmatisch anzupassen…..denn egal ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie frißt Mäuse…
Das alte Europa mit seinen amerikanischen Ableger war schon immer ideologisch verbohrt, konnte nur in Schwarz-Weiß-Kategorien denken. Vielleicht kommt diese ideologische Verbohrtheit vom missionarischen Christentum, das seine Dogmen mit Feuer und Schwert verbreitete?
Selbst im posfaschistischen Chile denkt man wenige dogmatisch als in der BRD! Es ist kein Zufall das Erich Honecker in Chile seinen kurzen Lebensabend mit chilenischen Kommunisten verbringen konnte und würdevoll beigesetzt werden konnte. Im ideologisch durchgeknallten, illiberalen Deutschland wäre dies nicht möglich gewesen.
Chile – wie übrigens auch Griechenland – machte seinen faschistischen Verbrechern den Prozeß, in der BRD konnte sie Bundespräsident werden…..
Der Lieblingsort der deutschen Politik in Chile sollte auch ruhig Erwähnung finden, sowie einer ihrer wichtigsten Protagonisten
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Hartmut_Hopp
Genau, das ist der Giftmischer und Folterer des chilenischen Geheimdienstes (und BND), der nach Deutschland floh, um seiner 5-jährigen Haftstrafe in Chile zu entgehen, und nicht ausgeliefert wird. Nicht nur dass er so eine milde Strafe bekommt für solche monströsen Verbrechen – die BRD sorgt sogar noch dafür, dass er nicht einmal die absitzen muss. Da können wir den Rechtsstaat in seiner ganzen Pracht bewundern.
Die fünf Jahre sind meines Wissens lediglich wegen des, mit Kindesmissbrauch nur unzureichend beschriebenen, Sachverhalts der Folterungen “sekteneigener, ungehorsamer” Kinder im Krankenhaus der Colonia Dignidad (“Kolonie der Würde”) vom chilenischen Gericht ergangen.
Die Details möchte ich hier nicht wiederholen, könnten aber im Normalfall auch Anlass für Sicherungsverwahrung oder Unterbringung in der Forensik sein.
Über diese Taten berichteten Opfer neulich auch in einer Doku des “öffentlich-rechtlichen” Fernsehens.
Heute, an „unseren“ 11. September wollen wir uns noch einmal an die letzte Rede des demokratisch gewählten chilenischen Präsidenten, Dr. Salvador Allende, erinnern. Es lohnt sich, seine Worte nochmals anzuhören:
https://www.youtube.com/watch?v=o0ursrrRUEQ
Seit seiner Ermordung hat die Linke, vor allen die lateinamerikanische Linke, kontrovers diskutiert, warum es in Chile so weit kommen konnte. Viele Linke meinen, Dr. Salvador Allende glaubte zu sehr an die Demokratie westlicher Prägung und vergaß die alte Weisheit von Mao Zedong „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen“
Dr. Salvator Allende glaubte, die Armee Chiles müsse sich den Willen des Präsidenten, den Volkswillen unterordnen. Das war ein Irrtum, den Dr. Salvador Allende mit seinen Leben bezahlen mußte. Diese Armee putschte mit Hilfe der CIA. Dabei gab es auch in Chile loyale militärische Kräfte, die dem Volke dienten. Das war die MIR, die auch die Leibwache des Präsidenten stellte. Darüber gibt es zahlreiches historisches Material.
Heute wird Chile von einen linken Präsidenten regiert, der erst vorschnell eine Verfassungsreform in den Sand setzte und jetzt mit dem US-Imperium flirtet, ganz anders als Präsident Lula.
Es bleiben also gemischte Gefühle, aber ein wenig Optimismus schadet nicht
Verceremos
https://www.youtube.com/watch?v=TCIf8iK5Jzo
Demokratischer Wille des Volies ist schön und gut, aber der muss dann auch durchgesetzt werden können. Allende und seine Leute hätten wohl erst die Loyalität von Polizei, Militär usw. sicherstellen müssen um sich abzusichern bevor sie visionäre Wirtschaftsexperimente und andere Reformen starteten.
@Bella
Bei jeder Schweinerei ist die Deutsche Regierung mit dabei
Los CENTROS DE TORTURA más ESCALOFRIANTES de la Dictadura de Pinochet en Chile
https://www.youtube.com/watch?v=b5GU7yamPJo
Deutsche Geheimdienstler und Diplomaten in Chile ’73
https://www.youtube.com/watch?v=kKwP3hrhFr0
Ergänzend zu Deutschlands Vassallentum füge ich noch eine Rede aus der heutigen Zeit anbei
Quelle: Nachdenkseiten
https://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/230911-EFF-Rede-Bautzen-7923.pdf
[…] von Wolf Wetzel 11. September 2023 […]
Das freut mich sehr. Danke.
Lieber Wolf Wetzel,
Ihre allen politikgeschichtl. Hinweisen zum Putsch in Chile am 11. Sept. 1973 (im Guzmán-Film anschaulich erinnert https://www.fritz-bauer-forum.de/film-salvador-allende-eine-woche-kostenfrei-zu-sehen/) vorangestellte Schülererpisode regte mich an: in Iserlohn (NRW), damals so schwarz, daß auch in der Mittagssonne besser´s Fernlicht anzuschalten war, war ich als angestellter Junglehrer noch in der Probezeit. Und sprach öffentlich gegen die örtlichen CDU-Putschfans, die Pinochet unterstützten. (Mußte also nicht denunziert werden.) Merkte aber schon bald: daß ich an den Beruflichen Schulen der Stadt nicht alt werden würde … und konnte im nächsten Herbst als wissenschaftl.-pädagogischer Angestellter nach Köln wechseln.
Besten Gruß,
Ihr Richard Albrecht
Vielen Dank!
Ich war selbst überrascht, wie schnell all das präsent war und wie nahe es geblieben ist. Die (fast) allerbesten Veranstaltungen gab es in dieser Zeit, zu Chile, mit der Gruppe INTI ILLIMANI und vollen Hörsälen …
Die wortwörtliche Wiedergabe eines Dialogs, der angeblich so vor 49 Jahren stattgefunden hätte, kann man getrost als Lügengeschichte verbuchen.
Ganz unabhängig von der politischen Bewertung des Putsches in Chile.
phz (2000)
Du hättest die Chance zu diesem Ereignis hunderte Stunden Material und Texte zu studieren, um zu einem eigenen Urteil zu kommen.
Aber statt dessen verschwendest du seit Jahren leider deine und unsere Zeit mit solchen Posts.
Ich habe mir bisher zur Causa selbst nicht geäußert. Aber sei beruhigt: Ich halte die die Jahre der Nixon Administration auch für ein düsteres Kapitel in der amerikanischen Geschiche.
phz (2000)
Ich danke für diese Erwiderung. Sie hat mir erspart, ihm vorzuschlagen, dass er seine “Panzerhaubitze 2000” mal einfach auf sich selbst richtet und uns verschont, das Ergebnis dieses Experiments mitzuteilen.
Da Du gerade uns mit Deiner Anwesenheit beehrst, kannst Du ja vielleicht ein Missverständnis aufklären. Auf Deiner Webseite schreibst Du
Da der Putsch ja erst am 11. September 1973 stattfand und eine „Entlassung“ aus der Schule in der Regel zum Schuljahreswechsel, finde ich die Geschichte mit dem Rektor ein wenig erklärungsbedürftig.
Abgesehen davon erstaunt mich der Ton in diesem Forum immer wieder. Gerade heute erging an ein anderes Forenmitglied die Empfehlung “sich an den nächsten Ast zu hängen”, Du rätst mir, mich selbst zu richten. Da kann man ja nur von Glück reden, dass solche Friedensengel wie hier es im Leben zu keiner nennenswerten Verantwortung gebracht haben.
phz 2000
phz 2000
welchen Dialog meinen Sie denn? Und welche Aussagen darin sind Ihrer Meinung nach Lügen?
Der Dialog mit meinem Schuldirektor.
phz
Bezogen auf den mit dem langen Rohr:
Sagt einer, der gerade begriffen hat, dass sein ganzes Leben ihm nichts Erinnernswertes zu bieten hatte. Und dass sich daran bis zum Schluss nichts mehr ändern wird.
Die Musik zum Thema:
Floh de Cologne: Mumien. (Rockoper von 1974, 38 Minuten)
Danke für die Flohs, ihre Videos auf YouTube erfordern Anmeldung, man muß über 18 sein! So schützt das Regime die deutsche Jugend vor rebellischen Gedanken
« Die moerderischen US-Programme fuer die Putsche in Indonesien und Chile
Die Bundesrepublik trug Mitverantwortung. »
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9341
Das ehemalige NSDAP Mitglied Kurt Luedde-Neurath war ab 1973 Botschafter in Chile,
seine Empfehlung zum Umgang mit dem Pinochet-Regime lautete « Schnauze halten » !
1969 bekam er das Bundesverdienstkreuz, aus Bonner Sicht wurde er diesem auch in Chile gerecht.
1975 trat er in den Ruhestand.
Adenauer und seine US-Spiessgesellen machten es moeglich, dass diese Leute im diplomatischen Dienst ihre faschistische Arbeit ungehindert fortfuehren konnten und dafuer auch noch ausgezeichnet wurden. Ekelhaft.
Chile war sicher eine der ganz dunklen Stunden der heute gerne verklärten Regierung Brandt. Neben ihrem Mitwirken am Abwürgen der Nelkenrevolution (noch so eine Rettung vor „dem“ Kommunismus), dem Radikalenerlass, der Gleichsetzung von Anarchismus mit dem Terror der RAF und einigem mehr…
Ja, früher galt: Ein schlaues Wort, schon biste Kommunist. Heute gibt es keine relevanten echt-linken Kräfte mehr, also zieht diese denunziatorische Keule nicht länger. Darum setzt man statt „Kommunist“ eben „Querdenker“, „Verschwörungstheoretiker“ oder „Rechtsextremer“ in die Gleichung ein, wenn man andere madig oder besser gleich mundtot machen will, siehe Aiwanger und Lipp…
Hat sich nichts verändert seither. Blockwärter- und Vasallentum feiern noch heute fröhliche Urständ. Siehe Pandemiemaßnahmen und einiges mehr. An den (Hoch)schulen ist dieses Verhalten heute noch Usus. Versuchen Sie mal dort ein kritisches Referat über Klima / Ukraine / Migration / S21 / Euro et cetera zu halten, viel Spaß dabei. Wenn Sie nicht von ihren Kommilitonen oder Mitschülern gecancelt werden, dann eben von Ihren Lehrern und Dozenten. Wer aufmuckt oder gegen den Strom schwimmt, kriegt die volle Breitseite ab. Und Notendruck und Ausgrenzung ziehen immer…
Manchmal könnte man wirklich meinen die Welt habe sich nicht fünfzig, achtzig oder hundertfünfzig Jahre weitergedreht, sondern spule einfach bloß stets die gleiche Platte ab und dieselben Lieder kämen nach geraumer Zeit wieder an die Reihe. Manchmal dauert’s schneller, manchmal spielen sie’s leiser, aber eben immer wieder von vorn. Andererseits – das grundlegende System hat sich in der Zeit ja auch nicht geändert, warum und woher sollten also neue Lieder kommen?
Man sollte die Verhältnisse der 1970er aber auch nicht verklären (nicht dass ich das dem Autor unterstelle). Viele Menschen haben bereits damals keineswegs von den Segnungen des „Wohlfahrtsstaates“ profitiert. Mag sein, dass der Neoliberalismus erst im Aufkommen war (in Deutschland sickerte er ab Schmidt II ein und dann natürlich mit der Wende von ’82), aber auch früher gab es in Westeuropa schon genügend Armut und Schikanen (was auch nicht heißt, dass der DDR-Modell besser war).
Was das Experimentieren mit neoliberalen Praktiken betrifft, muss man im deutschen Fall aber gar nicht bis nach Chile schweifen. Was mit Mittelostdeutschland nach der Wende von ’89 angestellt wurde, ist mit dem Begriff der „Schocktherapie“ ja eher freundlich umschrieben, „Wirtschaftsterrorismus“ und „Siegerjustiz“ scheinen mir da in der Tat tauglichere Begriffe. Im ehemaligen DDR-Gebiet wurde ausprobiert, was mit der Agenda 2010 dann auch im Westen eingeführt worden ist und man seit Ende der 2000er Jahre den als „PIIGS“-verunglimpften Euro-Nachbarn oktroyiert hat. Aber auch hier gilt: natürlich waren bloß die faulen, dummen „Ossis“ schuld. Haben halt nie zu arbeiten gelernt. Kein Wunder, dass bis heute nichts aus ihnen wurde und sie sich nicht impfen lassen oder unsere gute Sanktionspolitik ablehnen, dieses undankbare, rassistische Pack…
@ Altlandrebell
“Ein schlaues Wort, schon biste Kommunist”
Wie, Sie wollen auch noch mehr Lohn? Sind Sie Kommunist?
Auch das gab es.
Ansonsten haben Sie es gut beschrieben, denn auch unter Brandt war nicht alles Gold was glänzt.
“Manchmal könnte man wirklich meinen die Welt habe sich nicht fünfzig, achtzig oder hundertfünfzig Jahre weitergedreht, sondern spule einfach bloß stets die gleiche Platte ab und dieselben Lieder kämen nach geraumer Zeit wieder an die Reihe. Manchmal dauert’s schneller, manchmal spielen sie’s leiser, aber eben immer wieder von vorn. Andererseits – das grundlegende System hat sich in der Zeit ja auch nicht geändert, warum und woher sollten also neue Lieder kommen?”
Das erinnert mich ein wenig an F.J. Degenhardt´s Lied “Hier im Innern des Landes ”
https://www.lyrix.at/t/franz-josef-degenhardt-hier-im-innern-des-landes-fae
@Otto0815
Danke für Ihre freundliche Rückmeldung und die Liedempfehlung.
Stichwort Dauerplatte – ich hörte unlängst wieder Meys “Sei wachsam”. Ist gut 30 Jahre alt das Stück, trifft aber heute noch mit jedem Satz ins Schwarze. Nur nimmt der Minister heute vielleicht nicht mehr den Bischof, sondern eher den Chefredakteur oder den Influencer am Arm und flüstert “Halt Du sie dumm, ich halt sie arm”…
@ Altlandrebell
👍👍👍👍👍
Es geht nun mal nicht unter fünf Sternen! Absolut professionell und auf den Punkt gebracht. Hervorragend kurz und treffend die Beschreibung der Besetzung, Enteignung, gewerbsmäßigen Diebstahls, sozialen und wirtschaftlichen Vernichtung, Veruntreuung und Zerstörung der fünf Neuen nebst Inhalt… Das bisher größte wirtschaftliche, skrupelloseste und soziale Desaster nach dem WK II in deutschen Landen.
Zitat SAHB: To Be Continued…
“Was das Experimentieren mit neoliberalen Praktiken betrifft, muss man im deutschen Fall aber gar nicht bis nach Chile schweifen. Was mit Mittelostdeutschland nach der Wende von ’89 angestellt wurde, ist mit dem Begriff der „Schocktherapie“ ja eher freundlich umschrieben, „Wirtschaftsterrorismus“ und „Siegerjustiz“ scheinen mir da in der Tat tauglichere Begriffe.” (Altlandrebell)
Die Hälfte der DDR-Bevölkerung (genauer: 48,5%) hat im März 1990 die “Allianz für Deutschland” gewählt, weil sie die schnellstmögliche Einführung der D-Mark versprochen hatte. Lafontaine hatte davor gewarnt und für ein allmähliches Zusammenwachsen plädiert, sogar der Präsident der Bundesbank Pohl hatte davor gewarnt, ein paar aus dem Neuen Forum ebenfalls ….
Mit Vollzug der Währungsunion am 1. Juli 1990, also etwa drei Monate, nachdem die neue Regierung im Amt war, war das Schicksal der DDR-Industrie besiegelt. (Wer glaubt, das habe an der “ineffektiven DDR-Wirtschaft” gelegen, sollte sich vor Augen führen, dass der Einführung des Euro und also der europäischen Währungsunion eine ökonomische Anpassungsphase von ca. 8 Jahren vorausging. 1992 in Maastricht wurde sie beschlossen, im Jahre 2001 erfolgte die Euro-Einführung in den Staaten, die die makroökonomischen Maastricht-Kriterien erfüllt hatten.)
Die meisten Ex-DDR-Bürger haben bis heute nicht begriffen, was sie damals angestellt hatten. Selbstbezichtigungen a la “Was für einen ökonomischen Unsinn habe ich damals nur gewählt!” sucht man vergebens. Stattdessen wird für alles die Treuhand verantwortlich gemacht, die letztlich nur noch den “Gnadenstoß” versetzte.
Und da sie hier immer die Fahne des “demokratischen Sozialisten” hochhalten und gegen die Stalinisten giften darf ich doch mal die Frage stellen, wie Sie mit dem Problem umzugehen gedenken, dass echte Demokratie (bzw. “Selbstverwaltung”) – und die Entscheidung für die sofortige Einführung der D-Mark erfolgte ja durchaus demokratisch; vermutlich war’s die letzte demokratische Entscheidung der letzten 35 Jahre – eben eine ganze Menge Kompetenz der “mündigen Bürger” erfordert.
@ Besdomny
Ich weiß nicht, ob Sie in Ostdeutschland leben und in welchem Milieu dort genau, aber da habe ich schon ganz anderes erlebt. In meinem letzten Urlaub (2003/04) war ich auf Rügen. Zeit der Agenda 2010. Dort kam ich mit mehreren Leuten ins Gespräch, die sich darüber aufregten, dass die Leute Schröder 2002 vertraut hätten und sich beklagten, wie viele bereits den falschen Versprechungen von Kohl auf den Leim gegangen seien. Darunter waren einige SED-PDSler, aber auch Nichtwähler und sogar SPDler. Die SEDler haben 1990 schon mal sicher nicht die Kohlsche AFD gewählt. Ich erinnere mich auch an ein Ehepaar, das laut eigenen Angaben erst unlängst zum PDS-Wähler geworden war. Die waren früher SED-Kritiker und Befürworter der Währungsunion und meinten offen zu mir „wie dumm“ sie damals gewesen seien. Sie hofften, dass die PDS nun noch etwas zu ändern vermöge (wohlgemerkt 2003/04, mit nur 2 MdBs und trotz den Erfahrungen von Magdeburg und Gysi). Mag sein, dass es auch viele gibt, die einfach nur auf die Treuhand oder Bonn zeigten, wie Sie es schildern, ich habe eben auch andere kennen gelernt. Ist nur Alltagsempirie, aber ich würde sagen, dass es doch sehr Milieu-abhängig ist, ob Leute Kritik üben und sich hinterfragen. Nicht von ungefähr gibt es in Ostdeutschland noch immer vergleichsweise viele Anti-System- oder Nichtwähler.
Nun, ich ganz sicher nicht. Die DDR war weder pleite (der Schuldenstand von Gesamtdeutschland sank 1991 sogar) noch vollkommen marode. Sie hatte gewisse wirtschaftliche Probleme, aber nichts was man hätte beheben können. Die Schwarzzeichnung der DDR ist in meinen Augen nichts als systemstabilisierende Meinungsmache (und ich bin beileibe kein DDR-Nostalgiker).
Also irgendwelche Fahnen halte ich ganz sicher nicht hoch, da würden meine Arme schon rein körperlich nicht mehr mitspielen. Sozialist würde ich mich aber sicher nicht nennen. Was das “Giften” betrifft – ich “gifte” nach Laune gegen jeden, inklusive mich selbst. Die “Abteilung Attacke”, das Vorrecht des Krüppels. Ich verteidige aber auch, wenn es darauf ankommt.
Demgemäß: Man kann Lenin verteidigen, sollte aber auch seine Schattenseiten kritisieren. Man kann (und muss) Stalin oder auch die diversen stalinistisch-geprägten Staaten kritisieren (wobei einem alten Sozialdemokraten wie Wippermann zuzustimmen ist, dass SU wie DDR diverse Phasen durchlebten und nicht nur alles auf „die“ Stalinisten zu schieben ist), sollte ihn aber auch gegen ungerechtfertigte Kritik in Schutz nehmen. Stalin war nach dem Einmarsch der Deutschen beispielsweise nicht lethargisch wie immer behauptet wird (nicht, dass ich Ihnen unterstelle dies behauptet zu haben), sondern hat etliche Dekrete für die Einleitung der Verteidigung erlassen und beispielsweise früh die Verlegung von Fabriken angeordnet (etwa aus Mariupol und dem übrigen Donbass, so klein ist die Geschichtswelt). Das war in dem Moment eine kluge Entscheidung Stalins (wenn auch in späteren Jahrzehnten für den Donbass nachteilig).
Ich habe auch etliche Werke von Losurdo hier herumstehen, der ja als böser Stalin-Versteher gebrandmarkt wurde und wird und teile vieler seiner Analysen. La sinistra assente (dt. soweit ich weiß „Wenn die Linke fehlt…“ genannt) ist eine sehr schöne Zusammenfassung von Fehlentwicklungen der letzten Jahre, inklusive denen auf der politischen Linken. Würde ich nicht lesen, wenn ich nur gegen Stalinisten giftete.
Zunächst was die „durchaus demokratische“ Einführung der D-Mark betrifft. Diese Auffassung teile ich absolut nicht. Das liegt einerseits daran, dass ich das bundesrepublikanische System nicht als „durchaus demokratisch“ bewerte. Was gegenwärtig hierzulande erlebt und beobachtet werden kann, ist für mich nur die Fortführung und Zuspitzung länger bestehender undemokratischer Entwicklungen, die die BRD in ein postdemokratischen Kartellparteienregime (in Weiterentwicklung der Gedanken von Crouch, Mair und Katz) überführt haben. Schon für die Zeit davor kann man diskutieren, wie „demokratisch“ sie überhaupt war. Die laut Ihnen „letzte demokratische Entscheidung der letzten 35 Jahre“ dann erfolgte mittels massiver Beeinflussung, Einsatz staatlicher Ressourcen und Agit-Prop von Seiten der Regierung Kohl II sowie der Springer-Presse. Albrecht Müller hat das hier nachgezeichnet. Mag sein, dass Lafontaine und andere ihre Kritik in den Diskurs einbrachten – doch wenn Sie zurückblicken, werden Sie feststellen, dass Einbringen nicht mit Gehörtwerden zusammenfällt. Kritiker und Abweichler wurden auch damals schon gezielt überrollt und madig gemacht. Kurzum: Es war kein fairer Diskurs, es ist vielmehr wie heute bei Lafontaines Gattin Wagenknecht, die auch viel warnt und eben unter anderem deshalb viel medial plattgemacht wird. Oder bei den Forschern, die vor Schulschließungen warnten und kein Gehör fanden. Oder oder oder.
Und so mögen die Wahlen im Frühjahr 1990 vieles gewesen sein – „frei“ und „demokratisch“ waren sie in meinen Augen nicht. Damit sage ich zugleich explizit nicht, dass die DDR-Bürger bloß „dumme, umgedrehte Schafe“ waren, die statt Honecker jetzt einfach Kohl nachblökten. Ich entlasse sicherlich auch nicht einfach die Leute ihrer „Verantwortung“. Die Meinungsmache hatte aber in diesem Fall einen extrem gewichtigen und manipulativen Einfluss auf die Wahlentscheidung. Und selbst wenn es sie nicht gegeben hätte – die Maßnahmen der Regierung Kohl III und IV – da muss gar nicht mal die Treuhand gescholten werden, da genügt es in Bonn zu bleiben – waren in meinen Augen eine Schocktherapie und der von Wolf umrissene „Wirtschaftsterrorismus“. In der Essay-Sammlung „Abgewrackt“ von Jörg Roesner finden sich dazu viele anschauliche Beispiele. Da gehe ich zunächst die Regierung und ihre Entscheider an und nicht die Bevölkerung. Letztere kann man danach immer noch bemäkeln.
Was Ihren Punkt betrifft, dass „echte Demokratie (…) eine ganze Menge Kompetenz der “mündigen Bürger”“ benötige. Da stimme ich Ihnen zu und bis dato ist es ein weiter Weg. Patentrezepte habe ich nicht zur Hand; die muss ein Kritiker aber auch nicht haben, wie Cioran treffend festhielt. Vorschläge meinerseits: Es braucht neben einem Systemwechsel, der solche Agitprop wie rund um die Volkskammerwahl reduzierte (ganz abstellen wird wahrscheinlich immer schwierig bleiben), viel Bildung und Anleitung zur Mündigkeit. Gleichwohl wird der Wechsel, so er überhaupt verwirklicht werden kann, wohl noch geraume Zeit auf sich waren lassen. Wie sagte Souchy? „Früher dachte ich in Zeiträumen von zehn Jahren, heute in Jahrhunderten.“
Wenn sich dann am Ende die Mehrheit der zukünftigen Wähler bei einer Volksabstimmung falsch entscheidet – der Mensch ist nicht perfekt und wird es hoffentlich auch nicht sein, sonst würde er ein Roboter (und auch die gehen oft genug fehl). Aber immerhin irrte er sich dann nach unter besseren systemischen Bedingungen.
Sie mögen es anders sehen – oder auch nicht. Das sind nur meine Groschen; vielleicht kommen wir bei diesem Thema nicht zusammen.
Gruß
Altlandrebell
PS: Ich werde die nächsten Tage hier überwiegend „off“ sein, sehen Sie es mir also bitte nach, so ich nicht schnell oder adäquat zu antworten vermag.
Für Interessierte: Ein paar kurze Gedanken von Jacob Hornberger zum Putsch in Chile und die Rolle des US-Sicherheitsapparats, inklusive des Falls „JFK“. Der erste Putschversuch von 1970 (mitsamt der Ermordung des chilenischen Oberbefehlshabers René Schneider) sowie die Folgen (u.a. Ermordung Orlando Leteliers) kommen auch zur Sprache.
Triggerwarnung (nicht dass mich wieder besorgte Eltern kontaktieren und sich beschweren): Hornberger ist ein pöser Rechtslibertärer.
Ergänzung zum chilenischen Kupfer:
Die Mehrheit der Kupferminen wurden schon vor Allende verstaatlicht und blieben es auch unter Pinochet. Es blieb dann der chilenischen Sozialdemokratie vorbehalten Zweidrittel der Kupferproduktion zu privatisieren, aber lest selbst:
„ Der Kupferbergbau ging indes seinen gewohnten Gang, die von der Regierung Allende vorgenommenen Verstaatlichungen blieben unangetastet, vor allem um das chilenische Militärbudget zu finanzieren. Bis heute sind zehn Prozent des Bruttokupferverkaufwerts der staatlichen Kupfergesellschaft CODELCO fest für das chilenische Militär vorgesehen. Dies erklärt, warum entgegen der sonst stramm neoliberalen Wirtschaftspolitik der Militärdiktatur 1990 noch 85 Prozent des in Chile geförderten Kupfers vom Staatsunternehmen CODELCO gefördert wurden.
Was in den Jahren der Herrschaft von Diktator Pinochet nicht geschah, schafften dann die verschiedenen Regierungen des sozialdemokratischen Parteienbündnisses Concertación. Der Anteil des Kupfers, das von privat betriebenen Unternehmen gefördert wurde, stieg bis 2007 auf 72 Prozent, gleichzeitig verdreifachte sich die Menge des in Chile geförderten Kupfers von etwa 1,59 Millionen Tonnen im Jahr 1990 auf 5,56 Millionen Tonnen im Jahr 2007. Chile ist damit der Staat, in dem weltweit mit Abstand am meisten Kupfer gefördert wird und in dem auch ein Drittel der weltweiten Kupferreserven liegen, was Chile zu dem Kupferland schlechthin macht.“
Quelle: https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/kupferland-in-privater-hand/
50 Jahre nach den Putsch ist es an der Zeit mit einigen Mythen aufzuräumen, was an der Barbarei des CIA-Putsches nichts ändert.
Vielmehr erprobte die CIA in Chile Foltermethoden, die später in Guantanamo zum Einsatz kamen!
Vielen Dank für diese Ergänzungen!
Die “Kupfer”-Geschichte ist bemerkenswert und spricht ja ganz und gar nicht gegen den Chicago-Boys-Wirtschaftsterrorismus. Wirklich interessant ist, dass der Übergang von der Diktatur zur bürgerliche Demokratie nichts am “Neoliberalismus” geändert hat – die Privatisierung des Kupfers ist da sicherlich ein Beispiel.
Jetzt wären zwei Dinge zu klären: Die Militärjunta hatte den “Übergang” diktiert und die Verfassung wurde auch nicht verändert. Was sind dazu die Details?
Zweitens belegt die Kupfer-Geschichte, dass die Sozialdemokratie und die Umsetzung prekärer Arbeitsverhältnisse einschließlich der Privatisierungen (Agenda 2010) kein Alleingang der deutschen Sozialdemokratie war.
Die Amtsübernahme Allendes galt vielen Linken als Beweis dafür, dass der Bernsteinsche Weg doch möglich sei.
Der Putsch hingegen gab den Orthodoxen Oberwasser, die meinten, dass es ohne Gewalt nicht gehe.
In Lateinamerika, in Chile, war irgendein Deutscher namens Bernstein, ziemlich egal, weil ziemlich wenig bekannt. Europäer sollten endlich lernen nicht immer von sich auf andere zu schließen. Die chilenische Linke hatte eigene, andere Idole und Europa ist nicht der Nabel der Welt….Sie sollten lernen den arroganten eurozentrischen Blick abzulegen, denn die Welt ist sehr viel mehr als das kleine, bald rückständige Europa….was ihr deutschen Linken über Chile denkt ist zweitrangig. Wichtig ist, was die Chilenen selbst über sich und ihr Land denken…
Legen Sie ihr typisch deutsches dogmatisches Denken ab und lernen Sie, jedes Land bestimmt seinen eigenen Weg in die Zukunft und deutsche Oberlehrer braucht die Welt nicht…lernen Sie RESPEKT
Man muss schon ziemlich mit dem Klammerbeutel gepudert sein meine Anmerkung explizit auf die chilenische Linke zu beziehen.
Ist doch Quatsch. Dass Sozialdemokraten oder Sozialisten über Wahlen an die Regierung gelangen könnten hatten schon “die Orthodoxen” Marx und Engels nicht ausgeschlossen bzw. für Deutschland sogar angenommen.
Die Frage stand aber, wie’s weiter geht. Bernstein hatte nun als einer der Ersten die Auffassung verbreitet, eine sozialdemokratische/sozialistische majoritäre Parlamentsfraktion könne sich ganz allmählich “in den Sozialismus hineinreformieren”. Deshalb auch das Motto: “Das Ziel ist nichts, die Bewegung ist alles”
Zur Beantwortung dieser Frage hat die Regierung der Unidad Popular nichts beigetragen, was nicht schon aus Westeuropa bekannt war.
Übrigens ist der Labour-Premier Harold Wilson 1976 vom britischen Militär gestürzt worden. Es kam zwar zu keinem Putsch, aber das Militär übte ganz öffentlich, woraufhin Wilson zurücktrat. (auf Youtube gibt’s ‘ne birtische Doku dazu).
Seit wann gehören M&E zu den Orthodoxen?
Sie sind deren Gründer.
Die vom Klassenfeind gerne als “orthodox” bezeichneten aktiven ML-Parteien der Zeit nach dem 2. Weltkrieg ab den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis heute (Stichwort: “Friedliche Koexistenz”) als Apologeten revolutionärer Gewalt zu outen, ist lächerlich und zu viel der Ehre. Das Gegenteil war der Fall. Nicht nur in Chile, dem Präzedenzfall für eine “radikal-kapitalitische” Rosskur des gesamten Kontinents und der Zerschlagung aller unbotmäßigen “Volksorganisationen” und Regierungen.
Selbst katholische “Befreiungstheologen” waren damals schon weiter:
https://www.youtube.com/watch?v=ynIlOphns34
Die Textkorrektur unmittelbar nach Veröffentlichung funktioniert leider nicht.
Die Unterscheidung in „Bernsteiner Weg“ den die Masse der Chilenen gar nicht kannte, und „Orthodoxe“ bringt doch nichts.
Wichtig ist doch, was Allende umsetzen wollte. Das war Bildung und soziale Gerechtigkeit, ein besseres Leben für die Armen… das war richtig und nicht falsch!
Er wollte dies auf legalen Weg durchsetzen. Seine Gegner, die Amis haben dies laut und offen gesagt, wollten das nicht. Für seine Interesse geht das Imperium über Leichen, wie es täglich demonstriert.
Das Fazit ist doch, in Chile funktionierte der legale Weg nicht. Man muß Allende als würdigen, aufrechten Menschen ehren, muß aber fragen dürfen, warum hat er keine revolutionären Streitkräfte zu seiner Verteidigung aufgebaut? Die MIR war dazu bereit und Kuba hat Kämpfer ausgebildet und im bescheidenen Umfang auch Waffen an die MIR geliefert.
Man darf auch, bei allen Respekt vor Dr. Salvador Allende fragen, warum hat er sich selbst geopfert? Lebendig hätte er seinen Volk und Land mehr genutzt. Vielleicht wäre die Diktatur weniger hart ausgefallen, wenn er über eine ausländische Botschaft ins Exil gegangen wäre und von dort aus den Widerstand organisiert und die Weltmeinung beeinflusst hätte…..Fragen, die genauso chilenische Arbeiter äußerten…..