In der Arche

Draußen leben und wühlen im wendländischen Sand - das können die Angler Sattelschweine vom Hutewaldhof. Sie müssen es sogar, denn sie suchen sich ihr Futter zumeist selbst und sie haben gar keinen Stall. | Alle Fotos: Florian Schwinn
Draußen leben und wühlen im wendländischen Sand – das können die Angler Sattelschweine vom Hutewaldhof. Sie müssen es sogar, denn sie suchen sich ihr Futter zumeist selbst und sie haben gar keinen Stall. | Alle Fotos: Florian Schwinn

Vom Wert der alten Rassen auch für die Zukunft unserer Landschaften und unserer Landwirtschaft erzählte der letzte Podcast und der zugehörige Blog. Dabei ging es um die Arche Warder, den einzigen Tierpark, der sich ganz den alten Haus- oder Nutztierrassen verschrieben hat.

Was die Arche Warder trotz ihrer vielen landwirtschaftlichen und naturschützerischen Außenstationen alleine nicht schaffen würde, ist der Erhalt der vielen alten Rassen, die der Tierpark zeigt, und der vielen Nutztierrassen, die dort keinen Platz finden. Darum kümmern sich die sogenannten Arche-Höfe. Um die geht es jetzt.

Über hundert Arche-Betriebe, die sich der Erhaltungszucht alter Haustierrassen verschrieben haben, listet die GEH auf, die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen. Drei dieser Betriebe habe ich besucht, um zu erfahren, warum sie alte Rassen halten und was dabei anders ist.

Freilandschweine

Fangen wir an im niedersächsischen Biosphärenreservat Elbtalaue im Dörfchen Riskau, das zur Kreisstadt Dannenberg im Wendland gehört. Dort im Hutewaldhof züchten Kathrin Ollendorf und Holger Linde Schweine. Und das machen sie ganz anders als konventionelle Schweinehalter und auch ganz anders als die meisten Bio-Höfe. Im Hutewaldhof leben die Schweine nicht im Stall, auch nicht in einem Stall mit Auslauf, sondern draußen — und das ganzjährig.

Vor fast 15 Jahren haben die beiden den kleinen Hof gekauft und ihr Projekt angefangen. Zwei Jahre dauerte es, bis sie die Genehmigungen hatten, ihre Schweine ganzjährig im Freiland zu halten. Dann ging es darum, welche Schweine: »Als wir die ersten Schweine gekauft haben, war klar: die müssen das mitmachen, also aushalten. Sommer, Winter, Regen, Schnee – egal«, sagt Kathrin Ollendorf. Die Tiere sollten nur ein paar Schutzhütten bekommen und sie sollten gerne Grünfutter fressen wollen und auch körperlich verwerten können, sich also hauptsächlich vom Acker ernähren. Dass das mit den heute üblichen Hybridschweinen nicht geht, war von Anfang an klar. Weder können die ganzjährig draußen leben, noch können sie mit wenig energiereichem Futter ernährt werden.

Zwei alte Schweinerassen kamen infrage, das Wollschwein und das Sattelschwein. Letztlich haben sich die beiden für das Angler Sattelschwein entschieden, weil dem nachgesagt wird, dass es sehr menschenbezogen und menschenfreundlich sei. »Und das war eine gute Entscheidung. Die sind topp für das, was wir hier tun.«

Im Hutewald

Abkühlung sehr willkommen: Die Bäuerin mit dem Wasserschlauch bei ihren Schweinen.
Abkühlung sehr willkommen: Die Bäuerin mit dem Wasserschlauch bei ihren Schweinen.

Hinter dem Hutewaldhof geht es eine Kuppe hinauf durch den Wald zu den Feldern, auf denen die Schweine die meiste Zeit des Jahres leben. Wobei der Name des Hofes Programm ist, denn im Herbst und angehenden Winter dürfen die Schweine dann auch in den Wald, zum Ernten von Eicheln. Wobei sie dabei auch Kräuter und Pilze mitnehmen und auch Käfer, Larven und Schnecken und allerlei Bodengetier, das sie hochwühlen.

Nachdem Kathrin Ollendorf und Holger Linde nach zwei Jahren Hickhack mit den Behörden schließlich die Sondergenehmigung hatten und ihre Schweine tatsächlich in den eigenen Wald lassen durften, hat ihnen die Untere Naturschutzbehörde zur Auflage gemacht, ein jährliches Waldmonitoring vorzulegen. Dadurch ist jetzt über zehn Jahre lang dokumentiert, dass die zeitweilige Nutzung durch die Schweine dem Wald sogar gutgetan hat. Er ist vielfältiger geworden, es gibt mehr Kräuter und mehr junge Bäume. Auch weil die beiden den Wald langsam in einen Mischwald umbauen, indem sie immer mal wieder eine der alten Kiefern fällen, um Platz für den Nachwuchs der Eichen zu schaffen. Die übrigens gut wachsen, obwohl die Schweine Eicheln wegfressen.

Heutige Förster mögen das kaum glauben. Dabei wurden die Wälder früher sogar nach der Menge an Huteschweinen und anderen Waldweidetieren bewertet, die sie ernähren konnten. Heute ist die Waldweide verboten, was unseren Wäldern nicht gutgetan hat, was ich ja auch hier in einer anderen Episode von Podcast und Blog schon erzählt habe.

Die meiste Zeit leben die Schweine des Hutewaldhofes aber nicht im Wald, sondern auf den rund zehn Hektar großen Ackerflächen. Die sind zwiefach umzäunt und mit einem hohen äußeren Sicherheitszaun umgeben, auf dass keinerlei Kontakt der Schweine mit ihren draußen lebenden wilden Verwandten zustande kommt. Die Schweinehaltung im Freien unterliegt hohen Seuchenschutz-Auflagen. Besucher wie ich dürfen auch nur mit hofeigenen Gummistiefeln zu den Tieren.

Auf den Äckern leben die Schweine in Gruppen in jeweils noch einmal umzäunten Arealen, die ausgestattet sind mit einer Schutzhütte, einer Tränke und – ganz wichtig im Sommer – einer Suhle.

Mindestens einmal am Tag, an heißen Tagen und in trockenen Zeiten auch mehrmals, spannt Kathrin Ollendorf einen kleinen Traktor vor einen Wasserwagen und fährt damit den Hügel hinauf.

Schweine können sich nicht durch Schwitzen abkühlen. Sie haben gar keine Schweißdrüsen. Auch deshalb brauchen sie die Suhle. Der Schlammüberzug, den sie sich darin zulegen, schützt aber auch die Haut vor Parasiten und Sonnenbrand. Die Angler Sattelschweine sind zwar hauptsächlich schwarz, der namensgebende weiße Sattel ist aber doch sehr sonnenbrandgefährdet.

Und jetzt, wo die Schweine gerade umgezogen sind in neue Wohnbereiche, sind die Suhlen noch nicht richtig eingeschlämmt und halten das Wasser dadurch noch schlechter. Also muss öfter nachgefüllt werden.

Ernteschweine

Die Schweine sind gerde erst umgezogen in dieses Areal, deshalb ist die Suhle neu und muss noch eingeschlämmt werden - überlebenswichtig für die Schweine an heißen Sommertagen.
Die Schweine sind gerde erst umgezogen in dieses Areal, deshalb ist die Suhle neu und muss noch eingeschlämmt werden – überlebenswichtig für die Schweine an heißen Sommertagen.

Die Hutewald-Schweine müssen auf den zehn Hektar Ackerflächen immer mal wieder umziehen, damit die verlassenen Wohnbereiche neu eingesät werden können, und damit die Schweine neue Ackerflächen neben ihren jeweiligen Wohnarealen abweiden können. Das gehört zum Bewirtschaftungskonzept des Hutewaldhofes: Die Schweine suchen sich einen Großteil ihres Futters selbst, sie ernten und düngen dabei auch gleich.

Gerade erntet eine Gruppe jüngerer Mastschweine ein Areal ab, auf dem die Saat wegen der anfänglichen Trockenheit dieses Jahres nicht wirklich aufgegangen ist. Statt einer Mischung aus Kleegras, Getreide und Bohnen wächst dort hauptsächlich etwas, was anderswo als ein dringend zu bekämpfendes Ackerunkraut gilt: die Melde. Den Schweinen schmeckt sie, was eigentlich auch kein Wunder ist, hatte die Melde es als Kulturpflanze doch auch auf menschliche Speisekarten geschafft, da allerdings unter dem Titel »Spanischer Salat«. Früher wurde sie in Gärten angepflanzt, ist heute aber weitgehend vom Spinat verdrängt worden.

»Was die Tiere da tun, das zeigt den Vorteil der Angler Sattelschweine«, sagt Kathrin Ollendorf: »Sie sind sehr gute Futterverwerter.« Das heißt andererseits: Wenn man sie in einen modernen Schweinestall stecken würde und ihnen die Bewegungsfreiheit nehmen, und wenn man sie dann noch mit den heute üblichen Futtermitteln versorgen würde, dann würden sie verfetten und höchstwahrscheinlich auch krank. Wobei – das werden die »modernen« Hybridschweine auch.

Holger Linde, der aus einer alten Bauernfamilie stammt, hat in seinem Bücherregal noch landwirtschaftliche Lehrbücher von Urgroßvater und Großvater. »In diesen alten Lehrbüchern wird das Aufstallen der Schweine sehr kritisch gesehen«, sagt er. Schweine müssen mindestens fünf, sechs Stunden am Tage draußen sein, steht in den alten Büchern, weil sie sonst krank würden und verhaltensauffällig. »Das stimmt auch«, sagt er, »Schwanzbeißen nennt man das heute.«

In seiner Kindheit lebten die Sauen im elterlichen Hof noch ganzjährig draußen und kamen nur zum Ferkeln für kurze Zeit in den Stall. Genauso wie die Sauen im Hutewaldhof jetzt wieder. Wobei Holger Lindes Vater damals sicher schon als rückständig galt, weil er die Sau noch rausließ. Dann kamen die modernen Hybridschweine und die Tiere verschwanden in den Ställen. Womit sie auch zu Nahrungskonkurrenten für uns Menschen wurden, weil sie mit einem hohen Anteil an Nahrungsmitteln aufgezogen werden, die letztlich auch wir essen könnten. Die Stallschweine sind Nahrungskonkurrenten für uns, die alten Rassen waren früher eher Abfallverwerter und Weidetiere.

Leasingschweine

Auch deshalb gibt es heute ein paar einzelne Schweinehalterinnen und Schweinehalter wie die beiden vom Hutewaldhof, die es wieder ganz anders machen. Wegen der deutlich anderen Ernährungsweise, aber auch schlicht und einfach wegen der Tiere.

»Wir wollten hier keinen Streichelhof aufbauen, sondern zeigen, dass man auch überleben kann, wenn man seine Tiere gut hält«, sagt Holger Linde. »Das Projekt Hutewaldhof sollte zeigen, dass man die Tiere nicht ausbeuten muss, um mit ihnen und von ihnen zu leben.« Dass das funktioniert, haben die beiden bewiesen. Allerdings zu einem deutlich höheren Preis, sowohl für die Kunden als auch für die Bäuerinnen und Bauern. Die Kunden zahlen mehr, die Bauern verdienen weniger als im üblichen Schweinesystem.

Das Geschäftsmodell des Hutewaldhofes ist so besonders wie das Betriebssystem mit den selbst erntenden Freilandschweinen. Es beruht auf Direktvermarktung mit Fleisch- und Wurstverkauf und einem Leasingsystem. Dabei zahlen die Kunden einen Monatsbetrag ab der Geburt »ihres« Ferkels. Dafür wird das Schwein aufgezogen und gehört nach frühestens einem Jahr dann den Kunden, kostet dann allerdings noch die Verarbeitung.

Heraus kommen dabei recht teures, dafür aber sehr hochwertiges Schweinefleisch und beste Wurstwaren und Schinken. Angeregt durch ein Gourmetrestaurant, das das berühmte Porco Iberico auf seiner Speisekarte durch ihr Schweinefleisch ersetzt hat, haben die Hutewaldhofer sich die Marke »Porco Wéndico« schützen lassen. Für ihren geräucherten Schinken haben sie dann im vergangenen Jahr den »Arca-Deli Award« der Save-Stiftung erhalten, die sich für den Erhalt und die Wiederherstellung der landwirtschaftlichen Biodiversität in Europa einsetzt.

Das hört sich alles gut an und das schmeckt auch gut. Es reicht aber noch nicht ganz, um auch die am Hof arbeitenden Menschen ausreichend zu bezahlen. Die ständige Mitarbeiterin und eine Minijobberin sind bezahlt, Kathrin Ollendorf muss aber immer noch ein wenig nebenher jobben. Das macht sie als Bodenwertschätzerin beim Finanzamt Stendhal.

Unersetzliche Ressource

Der Hutewaldhof züchtet jetzt seit über zehn Jahren Angler Sattelschweine und ist nicht nur ein von der GEH gelisteter Arche-Betrieb. Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen hat auch dabei geholfen, dass der Hof als UTR-Betrieb registriert wurde. Das Kürzel UTR steht für »Unersetzbare Tierische Ressource« und soll dafür sorgen, dass selbst im Seuchenfall, wenn die Region zum Beispiel von der Afrikanischen Schweinepest heimgesucht würde, die Zuchtsauen nicht sofort gekeult werden.

Vom Angler Sattelschwein stehen derzeit noch um die einhundertzwanzig Tiere in den Zuchtbüchern. Man könnte auch sagen, da stehen wieder einhundertzwanzig Tiere, denn 1997 waren es gerade mal vierzig. Von der Zuchtlinie A des Angler Sattelschweins gab es allerdings nur noch sieben Sauen, von denen vier auf dem Hutewaldhof lebten, als der die Anerkennung als Betrieb mit einer unersetzbaren tierischen Ressource erhielt.

Weideprojekt

Ortswechsel. Über die Elbe nach Nordwesten, aber immer noch im Biosphärenreservat Elbtalaue und gleichzeitig auch in der ersten Arche Region, die die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen ausgewiesen hat.

Dass es die Arche-Region Flusslandschaft Elbe seit 2011 überhaupt gibt, ist auch Hans-Jürgen Niederhoff zu verdanken, der seinen Nebenerwerbsbetrieb zum Arche-Hof umbaute und mit einer großen Herde der urtümlich anmutenden Heckrinder und einer kleinen Herde Konik-Ponys die Sude-Niederung beweidet. Die Sude ist einer der nördlichen Nebenflüsse der Elbe.

Auf dem Hof halten die Niederhoffs Pommersche Landschafe und Vorwerk-Hühner. Das sind Vertreter alter Rassen. Dazu kommen noch drei Thüringer Wald Ziegen und ein einsamer Poitou-Esel, für den eine Partnerin gesucht werden muss. Und auch der Hofhund gehört zu einer gefährdeten alten Rasse: Bella ist ein Altdeutscher Hütehund – ein rothaariger »Harzer Fuchs«.

Aber die Heckrinder, die die Attraktion des Arche-Wanderwegs durch die Sude-Niederung sind, gehören eigentlich nicht zu den alten regional angepassten Nutztierrassen. Sie wurden in den 1920er Jahren von den Brüdern Heinz und Lutz Heck erzüchtet. Die waren damals die Direktoren der Zoos in München und Berlin und wollten durch Kreuzung verschiedener Hausrinder den ausgestorbenen Auerochsen in Form und Aussehen wieder auferstehen lassen. Und die Koniks, die mit den Heckrindern zusammenleben, sind ebenso wenig Wildpferde wie die Heckrinder Auerochsen sind. Sie sind ursprünglich polnische Arbeitsponys. Konik heißt einfach Pferdchen

Warum also Heckrinder und nicht eine der alten, vom Aussterben bedrohten Rinderrassen, habe ich Hans-Jürgen Niederhoff gefragt. »Daran ist Hartmut Heckenroth schuld«, sagt er; »Er wollte da keine normalen Rinder laufen sehen. Er wollte was Besonderes und hat mich für die Heckrinder begeistert.«

Hans-Jürgen Niederhoff bei seinen Koniks im Weidegebiet an der Sude, einem nördlichen Zufluss der Elbe.
Hans-Jürgen Niederhoff bei seinen Koniks im Weidegebiet an der Sude, einem nördlichen Zufluss der Elbe.

Der Landwirt Hans-Jürgen Niederhoff hat sich also vom damaligen Vorstand der Stork-Stiftung von den Heckrindern überzeugen lassen. Der Ornithologe Hartmut Heckenroth war Leiter der niedersächsischen Vogelwarte, bevor er Vorsitzender der Stork-Stiftung für die Erhaltung der Störche und ihres Lebensraums wurde. Die Stiftung des Süßwarenherstellers Storck kaufte nach der Wende Äcker und Wiesen am Lauf der Sude auf und wandelte sie in Dauergrünland um. Das Gebiet ist feucht, im Winter und bis in das Frühjahr oft überflutet. Tiere, die dort weiden und das Zuwuchern mit Büschen verhindern sollen, müssen mit den eher widrigen Bedingungen zurechtkommen.

Zu den hundertfünfzig Hektar Weideland, das die Rinder und Ponys der Niederhoffs dort offenhalten, gehört auch ein kleines, etwas höher gelegenes Wäldchen, in das sich die Tiere zurückziehen können. Dort wird dann auch zugefüttert, wenn der Rest der Weidelandschaft unter Wasser steht.

Dass diese ganze Landschaft heute Teil einer großen Arche-Region ist, dürfte auch ein Verdienst des schon erwähnten Hartmut Heckenroth sein. Er machte nicht nur Hans-Jürgen Niederhoff zum Betreiber eines Arche-Hofes, sondern mit dessen Hilfe auch viele andere in der Gegend. »Mensch, sagte er, die ganzen Höfe hier, die haben alle so viel Platz, da könnte man doch bedrohte Rassen halten. Die Leute hatten ja alle paar Schafe und Hühner zu Hause. Und dann haben wir eben viele überzeugt, dass sie alte Schaf- und Hühnerrassen halten.«

Nebenerwerb

Das nordelbische Amt Neuhaus, das heute wieder zu Niedersachsen gehört, war nach dem Krieg der DDR zugeschlagen worden. Landwirt Hans-Jürgen Niederoff arbeitete in der Pflanzenproduktion der LPG, nahm seine 35 Hektar Acker- und Grünland aber gleich nach der Wende aus der Zwangsgenossenschaft heraus und wurde Nebenerwerbslandwirt. Im Hauptberuf arbeitete er bei der Flurbereinigungsbehörde des Landkreises Lüneburg. Eine eher glücklich verlaufene Nachwendegeschichte.

Inzwischen ist Hans-Jürgen Niederhoff längst Rentner und auch seine Frau arbeitet nicht mehr als Buchhändlerin. Die Tochter Sabine managt das Schießen der Rinder auf der Weide, den Transport zum Metzger und den Fleischverkauf, und der Enkelsohn bereitet sich darauf vor, den Hof zu übernehmen. Der lernt aber erstmal Handwerker, denn der Hof wirft nicht genug ab, um davon zu leben, trotz Bio-Zertifizierung, Arche und Fleischverkauf.

Vollerwerb

Ortswechsel – und ein großer Sprung nach Norden, in die Grenzregion zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, ins Biosphärenreservat Schaalsee. Hier wirtschaftet Detlef Mohr auf seinem Arche-Hof Schnuckenschäferei, wie der Name schon vermuten lässt, mit Heidschnucken. Aber nicht nur. Zum Betrieb gehört auch das Rauwollige Pommersche Landschaf und das rote Coburger Fuchsschaf, und auch wieder einer der Altdeutschen Hütehunde. Hier ist es ein Schafpudel.

Mit rund zweitausend Schafen in sechs Herden pflegt Detlef Mohr, zusammen mit seinem Sohn und einer Mitarbeiterin, die Weiden des Biosphärenreservats, sowohl in den feuchten, moorigen Niederungen, als auch in den kargen Trockenrasengebieten. Was er mit seinen Tieren macht, das ist Landschaftspflege, Landschaftsschutz. Und — um das in diesem Fall gleich vorweg zu sagen: Er kann davon leben.

»Es hat viele Jahre gegeben, in denen ich keinen Gewinn gemacht habe«, sagt er. Da reichte es nur gerade so zum Überleben. Aber heute stehe er mit seiner Art der Schafhaltung mit dem Schwerpunkt Naturschutz und Landschaftspflege ganz gut da. »Was wir machen, ist gesellschaftlich gewollt, und es findet in Euro und Cent seine Anerkennung.« Das sind Sätze, die man von einem Landwirt selten hört. Vielleicht ist Detlef Mohr mit seinem Schnuckenhof im Biosphärenreservat etwas ganz Besonderes.

Stiftungsschäfer

Heckrindkuh mit Neugeborenem an der Sude. Die Abbildzucht des Auerochsen verdanken wir den Zoodirektoren Heinz und Lutz Heck. Sie wollten den ausgestorbenen Ur wieder erstehen lassen.
Heckrindkuh mit Neugeborenem an der Sude. Die Abbildzucht des Auerochsen verdanken wir den Zoodirektoren Heinz und Lutz Heck. Sie wollten den ausgestorbenen Ur wieder erstehen lassen.

Besonders jedenfalls ist seine Geschichte. Der gelernte Landwirt ist durch eine kuriose Wendung seiner Biografie zum Schäfer geworden. Es war Uwe Barschel, der spätere skandalumwitterte schleswig-holsteinische Ministerpräsident, der Ende der 1970er Jahre noch als CDU-Kreisvorsitzender zusammen mit dem Schwarzkopf-Unternehmer Ballhaus eine Stiftung gründete, die Kultur und Landschaft des Herzogtums Lauenburg fördern sollte, das heute schlicht ein Landkreis ist. Für das Kapitel Landschaftspflege des Stiftungslandes sollte ein Schäfer her. Und der wurde dann Detlef Mohr.

Die Stiftung gab Geld und der neue Schäfer, der von der Schäferei nach eigenem Bekunden wenig bis gar nichts wusste, kaufte ein paar Heidschnucken zusammen. Die sollten es sein, die Stiftung wollte eine richtige Wanderschäferei etablieren. Uwe Barschel kannte das aus der Lüneburger Heide, »und das wollte er auch in Schleswig-Holstein«.

Dann hatte Detlef Mohr gut hundert Schafe beisammen, eine vergleichsweise winzige Herde, aber auch um mit der wandern zu können, brauchte es einen Hund. Also fuhr er zum ersten Mal in seinem Leben zu einem sogenannten »Leistungshüten«. So nennen die Schäfer Veranstaltungen, bei denen sie sich gegenseitig vorführen, was ihre Hütehunde können.

Dort kaufte sich Detlef Mohr einen prämierten Hütehund. Und der mischte ihm dann seine kleine Herde ordentlich auf. Heute kann der seit Jahrzehntgen erfolgreiche Schäfer über seine Anfangsschwierigkeiten gut lachen: »Das hat gedauert, bis das Hüten mit diesem Hund klappte.« Was nicht am Hund lag, der war perfekt ausgebildet. »Letztlich hat der Hund mir beigebracht, was das heißt, Schafe zu hüten.«

Landschaftspfleger

Am Ende seiner Zeit als Stiftungsschäfer hat sich Detlef Mohr dann mit einer kleinen Herde von zweihundert Schafen selbstständig gemacht und dann den Hof in Mecklenburg am Schaalsee gekauft und dort die Landschaftspflege übernommen. Seine Herde hat sich potenziert auf das Zehnfache und besteht heute zu einem großen Teil aus gefährdeten alten Rassen. Wobei er die feinen Unterschiede der Herdzuchtbücher nicht so ganz einsieht. Es gibt da zum Beispiel eine Weiße Gehörnte Heidschnucke und eine Weiße Hornlose Heidschnucke. Letztere heißt auch Moorschnucke, weil sie besonders gut mit feuchten Weidegründen umgehen könne und dort keine Klauenprobleme bekäme. Detlef Mohrs Erfahrung erzählt etwas anderes.

»Für mich ist die Weiße Gehörnte Heidschnucke genauso eine Moorschnucke wie die Weiße Hornlose«, sagt er. Die kommen beide in Feuchtgebieten zurecht und machen ihm jedenfalls weniger Arbeit mit der Klauenpflege als jede der modernen Fleischrassen.

Eher unfreiwillig hat Detlef Mohr noch in seiner Zeit als Schäfer bei der Stiftung in Schleswig-Holstein eine Art Feldvergleich mit alten und modernen Rassen gemacht. Er hatte damals zu wenig Tier für seine Flächen und hat deshalb ein paar der heute weit verbreiteten Schwarzkopfschafe von einem befreundeten Schäfer in seine Herde hineingenommen. »Das war für mich sehr lehrreich«, sagt er, »zu sehen, wie Heidschnucken und Schwarzkopfschafe parallel nebeneinander auf einer Fläche grasen und die einen den Kopf unten haben und den ganzen Tag fressen. Und die anderen, die eigentlich viel mehr Futter brauchen, in den Hungerstreik treten und den Kopf oben haben.«

Der Schäfer bei seinen Schafen: Detlef Mohr macht Landschaftspflege mit seiner Schnuckenschäferei im Biosphärenresrvat Schaalsee. Wobei diese Schafe hier Pommersche Landschafe sind.
Der Schäfer bei seinen Schafen: Detlef Mohr macht Landschaftspflege mit seiner Schnuckenschäferei im Biosphärenresrvat Schaalsee. Wobei diese Schafe hier Pommersche Landschafe sind.

Es war eine Magerrasenfläche, die da beweidet werden sollte und bei der die Schwarzkopfschafe ihre Mitwirkung schlicht verweigerten. Mit denen ging die Pflege dieser Landschaft nicht. Er musste den Versuch abbrechen. Also war die Entscheidung für die alten Rassen für ihn eine ganz und gar logische. Er baute seine Herde mit weiteren alten Rassen aus. »Auch weil die für die Landschaftspflege einfach die besseren Schafe sind.«

Wobei – das hört sich alles so an, als sei Detlef Mohrs Entscheidung für die Schäferei mit alten Schafrassen eine rein rationale gewesen: »Ich mache Landschaftsschutz mit Schafen, das können die alten Rassen besser.« Sein Betriebsmodell funktioniert, ernährt Tiere und Menschen – und erhält die alten Rassen. Letzteres könnte dabei ein nettes Nebenprodukt sein. Könnte so sein, ist aber nicht so. Es ist eben doch einige Emotion mit den alten Rassen verbunden.

Das spürt man, wenn er von der Entscheidung für die Weiße Gehörnte Heidschnucke erzählt, die in seiner Herde die nicht gefährdete Graue Heidschnucke ersetzt hat. Er besuchte einen befreundeten Schäfer und fand in dessen Schlachthofstall ein paar Schafe der damals vom Aussterben stark bedrohten Weißen Gehörnten. »Die kaufe ich Dir ab, die dürfen nicht geschlachtet werden«, sagte er dem Kollegen — und kam so zu seiner ersten gefährdeten alten Schafrasse.

Dann hörte er vom Rauwolligen Pommerschen Landschaf, das in Restbeständen noch auf Rügen in der damaligen DDR gehalten wurde. Westdeutsche Schäfer hatten von dort ein paar wenige Tiere geholt. »Im Farbatlas Nutztierrassen von Hinrich Sambraus habe ich dann ein Bild von solchen Schafen gesehen und habe gedacht: Wow, so eine Herde musst du später mal haben!« Heute hat er sie – na klar. Und auch die roten Coburger Fuchsschafe.

So wurde die Schnuckenschäferei Schaalsee zu einem Arche-Vorzeigebetrieb. Der heute allerdings auch Kreuzungsschafe hält. Gekreuzt wird mit niederländischen Swartbless-Schafen, weil die schwarze Wolle haben. Die ist für Marco Scheel, der mit seiner Stoff- und Kleidungsproduktion Nordwolle auf Rügen gerade für eine kleine Renaissance der Schafwolle sorgt und den Schäfern anständige Preise zahlt. Dank Marco Scheel lohnt es sich wieder, die Schafe scheren zu lassen, auch die der alten Rassen, denn genau deren Wolle möchte Nordwolle haben.

 

Bis hierhin der zweite Teil der Kolumne zum Wert der alten Nutztierrassen. Die nächste Kolumne dann ausnahmsweise nicht in einem Monat, sondern erst nach einer kurzen Sommerpause Anfang Oktober.

Florian Schwinn

Florian Schwinn ist Journalist und Sachbuchautor. Er hat für Print und Hörfunk gearbeitet, Radiofeature produziert und moderiert. Seit vielen Jahren beschäftigen ihn Themen aus dem Bereich Umwelt und Landwirtschaft.
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14 Kommentare

  1. Ah – endlich wieder ein erhellender Beitrag, auf den die Welt wartete.

    „Allerdings zu einem deutlich höheren Preis, sowohl für die Kunden als auch für die Bäuerinnen und Bauern. Die Kunden zahlen mehr, die Bauern verdienen weniger als im üblichen Schweinesystem.“
    •Bei ganzjähriger Freilandhaltung, die Investitionen/Kosten/Betrieb von Anlagen und Technik obsolet machen, sollte sich dies doch immerhin in monatlich eingesparten „Centbeträgen“ niederschlagen – oder nicht?

    Aber wie vieler Schweine (in Deutschlands üppig vorhandenen, aber brach liegenden Misch- und Eichenwäldern) bedürfte es, um unter Umständen ca. 50-60 Mio den Zugang zu (Schweine)Fleisch in einem Akt der Großzügigkeit zu gewähren?
    Oder soll der größte, „ignoranten“ Teil doch eher als neues Hausschwein genutzt werden, das ausschließlich industriell und mit Mehlwurm & Co. „ernährt“ wird?

    Die Verkaufspreise – leider fehlen aus gutem Grund prinzipiell Schwinn’sche „journalistische“ Angaben; ob bei Rind, Schaf oder Schwein, Bio/von glücklichem Gemüse/Obst – sei hier beispielhaft nachgereicht.

    Porco Wéndico=Hutewaldhof/je kg:
    Schnitzel 32€
    Nacken 33€
    Filet 56€
    Leber 37€
    Bauch 20€
    Bockwurst 27€
    Wiener 31€

    Porco Iberico (schmeckt speziell, aber exzellent) vom Feinkosthändler:
    z.B. Nacken +/-36,23€
    (Differenz ergo marginal)

    Darum an all die vielen „Jammerlappen“ wie Rentner, Arme, Arbeitslose, Kranke, Geringverdiener, Aufstocker, Familien, Durchschnittsverdiener etc. = die absolute Mehrheit:
    !Nicht nur so tun, als sei Geld knapp/er, es aber heimlich (noch als „Bargeld“) horten und in allen Lebensbereichen schwäbischer Sparsamkeit frönen.
    Sondern endlich mal aus freien Stücken Wert auf gute Ernährung, Gesundheit, Nachhaltigkeit, persönliche Verantwortung sowie Gesellschaftsverträglichkeit legen!

    Wie oft soll’s der GUTE hier denn nun noch hoch und runter predigen, bis es auch der letzte Depp versteht!?

    1. Ich habe in diesem Beitrag von Herrn Schwinn keine Predigt gefunden.
      Sollte ihr Beitrag ein Plädoyer für Billigfleisch sein?
      Die Massentierhaltung ist ein Problem der Industriegesellschaft, unabhängig vom Gesellschaftssystem.
      Empfehlung: „Der Dschungel“ von Upton Sinclair. Alt aber Aktuell. In fast jeder Stadtbibliothek.
      Und ansonsten gilt Tolstoi: „Solange es Schlachthöfe gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.

      Den „Jammerlappen“, zu denen ich mich zähle, helfen höhere Löhne und Renten, aber kein Industrie- und Quälfleisch.
      Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die andere Herangehensweisen ans Leben haben, als den höchstmöglichen Profit.
      Da ist mir sogar egal, ob sie zu den GUTEN gehören. 🙂

    2. Es ist ihnen doch unbenommen, ihr krankes PSE-Fleisch, für das sie hier offenbar werben, zu fressen, bis sie selber so aussehen. Oder sind sie einfach nur ein „Bio“-Hasser? Diese armselige Gattung gibt es ja auch.
      Übrigens geht auch: weniger, dafür teurer und besser. Niemand muss 3 x täglich Mettwurst essen, auch sie nicht.

  2. Nun esse ich ja manchmal Wildschwein. Keine Hormone, keine Medikamente, kein gekauftes Soja. Aber es schmeckt halt etwas seltsam. Jetzt hat man diese Vorteile, ohne dass es eine Wildsau ist.

    Prima!

  3. Wenn das Wildschwein leicht nach Pipi und Maggi schmeckt,
    war es ein rauschiger Keiler.
    Wird von Knochensammlern oft wegen der Trophäe ( Gewaff = Eckzähne auf Holzbrettchen ) erlegt. Eigentlich als Wildbret zu verwerfen.
    Wildschwein schmeckt sonst wie
    Hausschwein.

    1. „Wildschwein schmeckt sonst wie Hausschwein.“
      Ey, Toni, da hast Du entweder noch keins gegessen, oder jemand hat dich richtig veräppelt. Wildschwein ist schon mit bloßem Auge zu erkennen, weil viel weniger fett als Zuchtschweine. Der geschmack ist leicht süßlich und hat mit Hausschwein rein gar nix zu tun.

      Der Rest Deines Postings stimmt!

  4. Der Artikel ist prima und ich würde mir von ganzem Herzen ein Fortsetzung wünschen, die alte Nutzpflanzen betrifft. Die EU hat den Handel mit alten Gemüse-und Salatsorten auch im privaten Bereich gesetzlich verboten, und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, daß die neuen Sorten lange nicht so gut sind wie die Alten. Dies betrifft praktisch alle Nutzpflanzen von Obst über Gemüse bis zu Küchenkräutern. Meinen alten Salbei habe ich verloren, der neue taugt nix, aber das Bohnenkraut wird gehegt und gepflegt…..

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