Haltungsfragen

Bild eines Schweinekopfes.
Wer bist du, wie geht es dir? Kann ich mich beim Einkaufen darum kümmern, dass es dir zu Lebzeiten gut ging? Das wäre der Sinn einer Haltungskennzeichnung für Schweine, dass die Fleischkäuferinnen und -käufer beim Einkaufen mit bestimmen können, wie die Tiere gehalten werden. Foto: Masezdromaderi / Dreamstime

Wie sollen die Nutztiere in Deutschland leben? Das ist eine Frage, die seit Monaten die Politik in Deutschland umtreibt. Besser gesagt, die Politik wird umgetrieben mit dieser Frage. Von den organisierten Tierschützern, Verbraucherschützern, Umweltschützern, aber letztlich auch von den Agrarorganisationen. Alle wollen wissen, wie die Tierhaltung weiter gehen soll. Manche auch, ob sie überhaupt weitergehen soll.

Die verflossene Bundeslandwirtschaftsministerin hat die Antwort auf die Frage nach der Tierhaltung ausgesessen. So lange, bis das von ihr angekündigte Haltungslabel zur Orientierung im Supermarkt vom Lebensmitteleinzelhandel selbst eingeführt wurde. Mehr schlecht als recht, wie hier mehrfach berichtet, aber immerhin. Der derzeitige Bundeslandwirtschaftsminister hat als Auftakt einen Entwurf für eine staatliche Kennzeichnung für einen Teil der Schweinehaltung vorgelegt, so wie das alle Beteiligten lange gefordert hatten. Mehr schlecht als recht, diesmal ohne immerhin. Denn Cem Özdemirs Entwurf bleibt selbst hinter dem Tierwohllabel des Einzelhandels zurück. Die Kritik war deutlich, wie berichtet auch in dieser Kolumne. Und darin waren sich ausnahmsweise alle einig: Verbraucherschützer, Tierschützer, Bauern. Danach wurde es still um die Kennzeichnung des Tierwohls. Es ist Zeit, nachzufragen!

Schweigen im Ministerium

Der Bauer steht auf Beton, seine Schwein stehen auf Stroh. Und sie haben intakte Ringelschwänze. Man kann das sehen, wenn es den Tieren gut geht. AbL-Vorstand Martin Schulz bei seinen Schweinen im Wendland. | Foto: AbL

Um nicht mit Verlautbarungen abgespeist zu werden, habe ich mit einem gesprochen, der erstens Landwirt ist, zweitens Schweinemäster und drittens im Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung mitarbeitet. Das wird nach ihrem Vorsitzenden meist Borchert-Kommission genannt. Eingesetzt wurde es von der vorherigen Bundesregierung. Allerdings so spät, dass sie nichts mehr umsetzen musste. Das ist der Prokrastinationsministerin Klöckner zu danken, aber Schnee von gestern.

Martin Schulz arbeitet in der Borchert-Kommission mit. Er ist Neuland-Bauer und hält seine Schweine damit nach einem hohen Standard, der noch über die EU-Bio-Richtlinie hinausgeht. Außerdem ist er der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Ihn habe ich gefragt, was der Stand der Dinge ist bei der wichtigen Frage zur Haltung unserer Nutztiere, die auch eine Frage nach der generellen gesellschaftlichen Haltung zu unseren Nutztieren ist.

„Nichts hat sich getan“, sagt er. Auch nach der grundsätzlichen Kritik der Agrarministerkonferenz nicht und auch nach dem Ausstieg der Borchert-Kommission nicht. „Ich habe den Eindruck, dass die auf ihrem Entwurf beharren.“

Nachdem der ministerielle Vorschlag einer fünfstufigen Haltungskennzeichnung für die Mastschweine vorgelegt war, hatte die Borchert-Kommission ihre Arbeit offiziell eingestellt. Auch deshalb, weil es kein Finanzierungskonzept für mehr Tierwohl aus dem Ministerium gab. Das aber war ein Kernpunkt der Vorlage des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung. Der Ausstieg der Kommission war als Eklat gedacht und wirkte auch so. Weil in der ministeriellen Vorlage nichts von dem berücksichtigt war, was das Kompetenznetzwerk bereits in der vergangenen Legislatur vorgelegt hatte, sollte der Dissens deutlich gemacht werden.

EU-Bremse?

Das Bundeslandwirtschaftsministerium begründete seine Ignoranz gegenüber der Vorarbeit der Borchert-Kommission und auch der Zukunftskommission Landwirtschaft mit dem EU-Recht. Es sei so schwierig gewesen, die nationale Haltungskennzeichnung EU-kompatibel zu machen, deshalb der Rückfall hinter alle von allen Beteiligten aus der Zivilgesellschaft abgestimmte Entwürfe. Martin Schulz sagt, es werde immer behauptet, dass das EDU-Recht einem griffigen nationalen Tierwohl-Label im Weg stehe. „Das hat mir aber noch keiner erklären können, wo da genau die Probleme liegen sollen.“

Die Finanzierung von mehr Tierwohl hatte die Borchert-Kommission mit Gutachten juristisch prüfen lassen. Auch die Abstimmung mit dem EU-Recht war Gegenstand der Studie. Das wurde damals auch so vom Landwirtschaftsministerium akzeptiert. Es war klar, dass es eine Abgabe auf Fleisch geben müsste, um den großflächigen Umbau der Ställe zu finanzieren; zumal dann, wenn in den besseren Haltungsstufen die Tiere Auslauf haben sollen. Damals schien das D’accord, aber damals konnte die Bundesregierung das nicht umsetzen. Die Legislatur war zu Ende. Und jetzt regiert die FDP mit, die sich ins Programm geschrieben hat, dass es keine zusätzlichen Steuern geben darf. Und was wäre die Fleischabgabe anderes …

„Mit Tierwohl hat das jedenfalls nichts zu tun, was vom Landwirtschaftsministerium vorgeschlagen wurde,“ sagt Martin Schulz. „Es bleibt bei der Haltung auf Spaltenböden und es gibt kein vorgeschriebenes Beschäftigungsmaterial für die Schweine. Das heißt, die Mäster müssen den Tieren weiter die Schwänze kupieren.“ Und das hat für jeden einsehbar mit Tierwohl nichts zu tun, wenn sich die Schweine aus Langeweile oder Aggression die Ringelschwänze blutig beißen. Das ist eine der Verhaltensanomalien, die die industrielle Tierhaltung zu Tage fördert. Gerade wieder medienwirksam mit Gruselbildern von Tierschützern vorgeführt.

Halbe Schweine

Die Schweine von Martin Schulz leben nicht auf Spaltenböden. Neuland verbietet das seinen Mitgliedsbetrieben. Die Schweine können wühlen im Stroh. Und sie haben Auslauf ins Freie. Auch das eine Neuland-Vorschrift.

Womit wir bei der Diskrepanz zu EU-Bio wären. Ein Bioschwein darf auf Spaltenböden gehalten werden. Es muss auch eingestreute Liegebereiche geben und auch einen Auslauf. Aber es kann eben auch Spaltenböden geben, nach EU-Bio-Verordnung. Und das Bio-Label nach EU-Recht ist bei Cem Özdemir die Haltungsstufe fünf, und damit die höchste, die ein Schweinemäster erreichen kann. Was bedeutet, dass die Neuland-Betriebe diese höchste Haltungsstufe nicht erreichen können. Eine Diskriminierung der in Wahrheit höchsten Ansprüche, denn welche Verbraucherin, welcher Kunde kann das durchschauen und dann doch lieber zum Neuland-Metzger gehen?

Und noch ein Manko hat der Entwurf für die Haltungskennzeichnung der Schweine: Er beginnt erst bei einem Lebendgewicht von dreißig Kilo. Vorher sind die Ferkel nicht bei den Mastbetrieben. Und wie die Sauen gehalten werden und wie es den Ferkeln geht, das ist bei dem jetzigen Entwurf des Landwirtschaftsministeriums überhaupt nicht im Blick. Man kann ja halbe Schweine kaufen. Aber uns halbe Schweinkennzeichnung verkaufen zu wollen, das ist schon dreist.

„Wenn das bei den Schweinen tatsächlich so gemacht werden soll, dann habe ich auch für die anderen Tierarten keine große Hoffnung“, sagt der Schweinehalter Martin Schulz. Im Norden sagt man in so einer Situation, dass jetzt mal Butter bei die Fische soll. In diesem Fall wäre es wohl mindestens mal Stroh zu den Schweinen.

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10 Kommentare

  1. Wie wäre das, wenn jeder Haushalt seine Schweine, Hühner, Ziegen etc. selbst halten könnte?
    Der Fressabfall vom Menschen dient hervorragend zur Viehzuchhaltung, vorrausgesetz man besitzt ein wenig Fläche.
    Ja ich habe es mitbekommen, die Menschheit besitzt keine Zeit mehr um für sein artgerechtes Sein sich zu kümmern…
    Arme Schweine…

  2. Im Grunde frage ich mich, warum es wieder eine Abgabe geben soll, die der Verbraucher zusätzlich zu den enormen Subventionen zu zahlen hat?
    Es geht doch nicht an, dass wir in der EU Milliarden Subventionen in schlechte Landwirtschaft stecken und die Gute soll dann noch zusätzlich bezahlt werden. Was ist denn das für ein Quatsch? Das Subventionsregime ist schlichtweg falsch und schädlich in der heutigen Form. Und es kommt im wesentlichen einigen Großlandwirten zu Gute.
    Es muss doch Ziel sein, dass wir nur noch für gute Landwirtschaft zahlen und die restliche muss eben schauen.
    Zudem ist die Frage, ob Landwirte immer selbständig sein müssen, und ob wir hier nicht zu einem LPG-artigen System übergehen müssen.

  3. Seit der gerade ein paar Tage zurückliegenden Kirchweih mit Schlachtschüssel heißt meine Losung: Meine Avocado heißt Blut- und Leberwurst. Denn es geht ja um die Versorgung mit Vitaminen oder Mineralien an die man in unseren Breiten nicht so leicht kommt. Oder irre ich mich? Was kann ich dafür, wenn andere sich Avocados einfliegen, zufahren oder in Treibhäusern wachsen lassen? Natürlich wegen der Umwelt.
    Die Überschrift sagt es in aller Deutlichkeit: Es geht um Haltungsfragen. Bei den einen um moralische, bei den anderen um materielle.
    Ich wage folgende statistisch begründbare Einschätzung: Die Überlebenschancen für Kriegskinder waren auf dem Land mit einer Sau und und einer Kuh im Haus eindeutig besser als in größeren Städten mit Industrie, Schlachthöfen, Metzgereien und Freibankfleisch (eher wohl sehr wenig Fleisch). Sicher auch noch 10 Jahre nach Kriegsende, denn während meiner Grundschulzeit wurde vielen Eltern für ihre Nachkommen angeboten, was wir „Mastkur“ nannten. Solche Kuren waren meines Wissens hüben wie drüben im Angebot. Da die Betroffenen sich jetzt zumeist der Grenze zum Dasein als „Hochbetagte“ nähern, kann die Muttermilch, Schweine-, Butter-und-Brot-Diät in den ersten Lebensjahren nicht so schlecht gewesen sein.

  4. Und nein, bzw. ja, auch ich habe absolut keine große Hoffnung.
    Alleine das hier (bei den Kommentaren) deutlich werdende (Des)interesse an solchen Themen lässt tief blicken.
    Für mich selbst habe ich seit mindestens 25 Jahren mit einigen wenigen Unterbrechungen die für MICH folgerichtigen Konsequenzen gezogen.
    Und die „fünfstufige Haltungskennzeichnung“ oder 7-stellige Tierwohlskalierung für irgendwelche Tiere, durchdacht von irgendwelchen Bürokraten, geht mir irgendwo vorbei. So gehts nicht. Ich empfinde all das Geschachere um irgendwelche beschissenen Label, möglichst EU-konform (es zählt der kleinste gemeinsame Nenner!) , als einfach zum k………….
    Und: sowas darf man ja hier nicht sagen, aber seis drum, ich tus: mir tut das weh!
    Ja! Und ich KANN mich mit dem Thema gar nicht im Detail befassen, weil es über meine Vorstellungskraft hinausgeht, falsch formuliert, ich kann das, was Realität bzw. Wirklichkeit ist, nicht aushalten. Basta.
    Und dem ist absolut nichts hinzuzufügen.
    Dennoch danke dafür, dass es Leute gibt, die sich dieses Themas annehmen.

    1. Ich kann mich, weil ich auf dem Land lebe und es immer mehr Direktvermarkter gibt, z. T. an die Produzenten meines Vertrauens halten. Die Labelitis von Staat und Verbänden hat m. E. mit der Qualität der tatsächlich gelieferten Nahrungsmittel fast nichts zu tun, sondern dient als Preistreiber zu Gunsten des Handels zum Absahnen derer, die sich künstlich gepushte Preise leisten wollen und können. Mich an diesem Teil der Politik zu beteiligen, habe ich keine Lust.

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