Das Virus aus der Hühnerfarm

Werden hier nicht nur Puten gemästet sondern auch Viren gezüchtet? Truthähne in sogenannter Bodenhaltung: Kaum genug Boden zum drauf Stehen. | Foto: USDA Scott Bauer
Werden hier nicht nur Puten gemästet sondern auch Viren gezüchtet? Truthähne in sogenannter Bodenhaltung: Kaum genug Boden zum drauf Stehen. | Foto: USDA Scott Bauer
U.S. Department of AgricultureScott Bauer/Visual Information Specialist/scott bauer, Public domain, via Wikimedia Commons

Das Virus aus der Hühnerfarm ist das Influenza-A-Virus H5N1, das derzeit die Krankheit auslöst, die wir als Vogelgrippe oder Geflügelpest bezeichnen. Aber wieso »das Virus aus der Hühnerfarm«?

Wird die Vogelgrippe nicht von Zugvögeln eingeschleppt und verbreitet? Ja, das wird uns immer wieder erzählt. Aber stimmt das auch? Es gibt viele Hinweise, dass das Virus durch den Geflügelhandel weltweit verbreitet wurde und dass es in der Geflügelindustrie zuhause ist.

Die Kraniche …

Als die tagesschau Mitte November berichtet, dass sich die Vogelgrippe nun über ganz Deutschland ausgebreitet habe, erklärt das Bundeslandwirtschaftsministerium die Heftigkeit des derzeitigen Seuchenzugs mit den Kranichen. »Wenn ich halt ein Schwarmtier habe, das im Verbund fliegt und engen Kontakt hat, dann ist die Ausbreitung anders, als wenn ich einen einzelnen Raubvogel habe, der allein unterwegs ist«, sagt Staatssekretär Markus Schick, Mediziner, Tiermediziner und Professor für Tierseuchenbekämpfung.

Und, ebenfalls in der tagessschau, schätzt Professorin Christa Kühn, die Präsidentin des Friedrich-Löffler-Instituts, die Gefahr für die Bürger ein, die von der Vogelgrippe ausgeht: »Das Risiko für den normalen Bürger haben wir als gering eingeschätzt. Das Risiko für die Personen, die beruflich mit infizierten Tieren zu tun haben, wird als mäßig eingeschätzt. Das Risiko, dass wir Einträge aus dem Wildvogelbereich in die Geflügelhaltung haben, ist definitiv hoch.«

Ornithologen, die sich um die Wildvögel sorgen, sehen das ganz anders als die Chefin des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit.

… sind die Opfer!

Die Geflügelpest sei wohl zuerst in geschlossenen Geflügelbetrieben zirkuliert, bevor die Kraniche angesteckt wurden, sagt der Ornithologe Martin Rümmler. | Foto: Nabu
Die Geflügelpest sei wohl zuerst in geschlossenen Geflügelbetrieben zirkuliert, bevor die Kraniche angesteckt wurden, sagt der Ornithologe Martin Rümmler. | Foto: Nabu

Martin Rümmler, Ornithologe beim Naturschutzbund, hat sich die Daten über die Ausbrüche der Vogelgrippe in diesem Jahr angeschaut, die das Friedrich-Löffler-Institut veröffentlicht hat, und kommt zu einem anderen Schluss als dessen Präsidentin. Nicht die Kraniche haben die Vogelgrippe von irgendwoher mitgebracht, sondern die Zugvögel sind erst hier in Deutschland mit dem Virus infiziert worden.

Die Dokumentation des Friedrich-Löffler-Instituts zeige, dass schon sehr früh im Jahr erste Fälle in Geflügelbetrieben auftraten. Das begann im Juni und ging im September weiter. Das war lange bevor die ersten infizierten oder toten Kraniche gefunden wurden und lange vor dem Vogelzug.

»Das lässt schon darauf schließen, dass die Geflügelpest schon zirkuliert ist, bevor sie überhaupt bei den Wildvögeln war«, sagt Martin Rümmler. Das sei noch kein Beweis, aber »das sind Indizien, die darauf hinweisen könnten, dass tatsächlich Betriebe zuerst betroffen waren und nicht die Wildvögel selbst.« Beweisen ließe sich das nur, wenn man die Geflügelhaltungen regelmäßig untersuchen würde.

Der Nabu hat im November eine Petition auf den Weg gebracht, mit der er »eine transparente und öffentliche Ursachenuntersuchung bei infizierten Geflügelbeständen« fordert, »sowie ein qualifiziertes Stichprobenmonitoring in den großen Nutzgeflügelbeständen und Schlachthöfen«.

Ach so, das haben wir gar nicht? Wir wissen also gar nicht, ob die Vogelgrippe in irgendeinem der geschlossenen Betriebe umgeht. Wir wissen nicht, ob mit dem bei Landwirten als Dünger begehrten Geflügelmist das Virus über die Äcker verbreitet wird.

»Den Mist und die Gülle müssten wir dringend und regelmäßig auf Virenlast untersuchen«, sagt Martin Rümmler, »und auch das Abwasser der geflügelverarbeitenden Industrie.« Wer verhindern will, dass Wildvögel das Virus weitertragen, muss verhindern, dass sich die hochansteckenden Virenvarianten aus der industriellen Geflügelhaltung in die Wildvogelbestände ausbreiten. Dazu muss man die Stellen kennen, an denen Wildvögel rasten. Die Behörden, die sich um den Seuchenschutz kümmern, müssten also mit den Stellen und Organisationen zusammenarbeiten, die sich um den Vogelschutz kümmern.

Viren in geschlossenen Betrieben

Wo Kontaktpunkte zwischen Wildvögeln und Geflügelhaltung liegen, können wir an den Daten des Friedrich-Löffler-Instituts ablesen. Die zeigen, dass die Vogelgrippe in diesem Jahr zuerst in geschlossenen Geflügelbetrieben ohne Freilandhaltung aufgetreten ist. Das sind hermetisch abgeschlossene Großbetriebe mit Biofiltern, Personalschleusen, mit regelmäßigen Desinfektionsmaßnahmen und automatischer Fütterung. Wie kommt das Virus dort hinein?

Vielleicht werden die Viren gar nicht in die Betriebe eingetrragen - sie sind schon dort. »Wir müssen die gesamte Geflügelhaltung neu denken«, sagt Svenja Furken von Provieh. | Foto: Michael Kukulenz
Vielleicht werden die Viren gar nicht in die Betriebe eingetrragen – sie sind schon dort. »Wir müssen die gesamte Geflügelhaltung neu denken«, sagt Svenja Furken von Provieh. | Foto: Michael Kukulenz

»Vielleicht ist es ganz einfach schon dort«, sagt Svenja Furken vom Vorstand des Nutztierschutzverbandes Provieh. Da helfe dann auch kein noch so gutes und konsequentes Seuchenmanagement. Man müsse sich nur vorstellen, dass das Virus unerkannt in einer der großen Brütereien grassiere, von wo die Tiere in die ganze Welt exportiert werden. »Bis das dann auffliegt, dass diese Tiere vielleicht ein Virus mitgeschleppt haben, hat man schon zig Betriebe infiziert und jedes Land muss dann individuell das Problem lösen.«

Das Grundproblem könnte schlicht die Arbeitsteilung der Geflügelindustrie sein. Das Geflügel, das Huhn zumal, ist das am umfassendsten industrialisierte Tier überhaupt. Es bekommt sein Futter automatisch per Förderband vor den Schnabel gefahren, und aus den Legenestern der Hennen werden ebenso automatisch per Förderband die Eier abtransportiert.

Die Geflügelindustrie ist arbeitsteilig organisiert. Es gibt die Zuchtbetriebe, die die Elterntiere der Hybridhühner halten, die Brütereien, die die Eier ausbrüten, die Mäster und Legebetriebe, die Hähnchen und Eier produzieren. Und am Schluss stehen die Schlachtereien. Es wird also ständig Geflügel durch die Landschaft gekarrt und auch über die Ozeane geflogen, denn das System funktioniert weltweit.

Auch das Friedrich-Löffler-Institut scheint sich inzwischen darüber Gedanken zu machen, woher die aktuellen Infektionen kommen. Es schreibt in seinen aktualisierten Fragen und Antworten zur Vogelgrippe: »Es ist wissenschaftlich gesichert, dass Wildvögel ein natürliches Reservoir für niedrigpathogene aviäre Influenzaviren darstellen und sie verbreiten. Hochpathogene Varianten der Subtypen H5 und H7 entstehen primär jedoch offenbar nicht in Wildvogelpopulationen, sondern nur in Geflügel. Von dort können (Viren) allerdings auch auf Wildvögel übertragen und mit ihnen weiter verbreitet werden.«

Dass die hochansteckenden tödlichen Varianten des Virus nur »in Geflügel« entstehen, ist eine hübsche semantische Nebelkerze, die das Wort »Geflügelindustrie« vermeidet.

Ins Mikrofon wollte mir das Friedrich-Löffler-Institut solche Sätze allerdings nicht sagen. Es fand sich über viele Wochen einfach keine Wissenschaftlerin, kein Wissenschaftler, die oder der eine Viertelstunde Zeit für die Beantwortung solcher Fragen gehabt hätte.

Tierqual durch Stallpflicht

Für den Podcast und diese Kolumne habe ich mal wieder Carsten Bauck auf dem Bauckhof in Klein-Süstedt bei Uelzen besucht. Mit ihm war ich in besseren Zeiten in den Mobilställen und habe den Legehennen beim »Singen« zugehört. So nennt er das, wenn seine Hühner dieses gleichmäßig ruhige Gackern oder Schnurren hören lassen, das ihre Zufriedenheit zum Ausdruck bringt. Für sich, für die anderen, vielleicht auch für uns Menschen, die wir damals ganz ohne Schutzkleidung in den Mobilstall durften.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Hahn und Legehennen draußen unter den Pappeln auf den Hühnerweiden des Bauckhofs in Klein-Süstedt. Freilandhaltung wie sie sein soll. | Foto: Florian Schwinn
Ein Bild aus besseren Zeiten: Hahn und Legehennen draußen unter den Pappeln auf den Hühnerweiden des Bauckhofs in Klein-Süstedt. Freilandhaltung wie sie sein soll. | Foto: Florian Schwinn

Das geht jetzt nicht, die Aufstallpflicht zur Eindämmung der Vogelgrippe bringt zusätzliche Hygienemaßnahmen mit sich und schließt externe Besucher aus.

Derzeit hört sich das in den Mobilställen des Bauckhofs auch nicht so harmonisch an, sagt Carsten Bauck. Da gibt es öfter Streit, weil die Tiere jetzt eingeschlossen sind. »Gut, dass wir die Hähne dabei haben. Die sind gute Streitschlichter und nehmen es auch mal auf sich, dass die Hennen ihren Ärger an ihnen auslassen.« Auf vierzig Hennen läuft beim Bauckhof immer ein Hahn mit. Der legt keine Eier, bringt also keine Einnahmen, ist aber für den Zusammenhalt wichtig.

Mindestens genauso wichtig ist, dass jeder der Mobilställe einen sogenannten Wintergarten hat. Das sind überdachte Freilandareale, deren Klappen nach außen sich schließen lassen. Damit in besseren Zeiten nachts keine Füchse und Marder hinein können, und in Zeiten wie diesen keine Hühner hinaus.

Das Aufstallen wegen der Vogelgrippe ist für echtes Freilandgeflügel eine Qual. »Unsere Tiere sind es gewohnt, rauszugehen«, sagt Carsten Bauck, »und die sind echt unzufrieden, wenn sie ihren Zugang zum Freiland nicht haben.« Wenigstens hätten sie mit den Wintergärten aber noch eine zweite Klimazone und einen Auslauf am Stall. »Wo es jetzt keine Wintergärten an den Ställen gibt, leiden die Tiere richtig.«

Derzeit ist nicht nur der Druck auf die Tiere groß, auch der auf die Bauern, vor allem in den Biobetrieben und in echten Freilandbetrieben. Also da, wo die Tiere in besseren Zeiten tatsächlich raus können ins Freiland.

Carsten Bauck erwähnt das extra, weil es da einen Unterschied gibt zwischen Betrieben, auf deren Kartons steht, die Eier seien aus Freilandhaltung und solchen, die ihre Tiere wirklich rauslassen wollen. Wer will, dass die Hühner ihre Ställe wirklich verlassen, muss ihnen Schutz bieten vor Beutegreifern. Bei den Baucks sind die Hühnerweiden deshalb mit Pappeln bepflanzt. Bei anderen Biohöfen, die ich kenne, sind es Streuobstwiesen. Wer um den Stall nur eine kahle Fläche anbietet, und sei sie auch grün, will seine Hühner nicht wirklich rauslassen. Hühner sind ursprünglich Waldrandbewohner, ohne Schutz bleiben die immer beim Stall.

Die Maßnahmen gegen die Vogelgrippe, die nicht aus diesen Betrieben stammt, bestrafen jetzt also genau die, die ihre Tiere möglichst artgerecht halten wollen. »Wir baden hier gerade etwas aus, von dem wir nicht sicher sind, wo es herkommt und wir sehen, dass unsere Tiere darunter leiden. Und das fühlt sich, mal gelinde gesagt, sehr ungerecht an«, sagt Carsten Bauck.

Geist aus der Flasche

Im Hintergrund der Wintergarten eines Mobilstalls auf dem Bauckhof - hier geöffnet. In Zeiten der Vogelgrippe immerhin ein Auslauf für die eingeschlossenen Tiere. | Foto: Florian Schwinn
Im Hintergrund der Wintergarten eines Mobilstalls auf dem Bauckhof – hier geöffnet. In Zeiten der Vogelgrippe immerhin ein Auslauf für die eingeschlossenen Tiere. | Foto: Florian Schwinn

Svenja Furken von Provieh sieht die Vogelgrippe als Weckruf für die gesamte Geflügelindustrie. Gemeint ist mit diesem Begriff nicht der Bauckhof und ähnliche bäuerliche Betriebe, auch wenn selbst dort die Tierzahlen in die Tausende gehen. Gemeint sind die großen industriellen Strukturen, die hermetisch abgeschlossenen Betriebe, die Tiere auf engstem Raum halten und strukturell durchorganisiert sind — vom Ei bis zum Schlachthof.

»Wenn wir ganz offen damit umgehen, dass die Geflügelpest ein Problem der Geflügelwirtschaft ist«, sagt Svenja Furken — was wir natürlich nicht tun, solange weiter behauptet wird, die Wildvögel trügen die Viren durch die Landschaft. Aber wenn wir es doch täten, dann, sagt sie, »wäre das natürlich ein Schlag ins Kontor.«

Es gebe eine große Nachfrage nach Geflügelfleisch weltweit und man habe die Tiere eben diesem Bedarf angepasst. Sie werden zu Millionen in riesigen Stallanlagen gezüchtet und gemästet. »Wenn jetzt klar wird, dass wir damit den Geist aus der Flasche gelassen haben, indem wir ein Virus in die Welt setzen, das auch ein zoonotisches Potenzial hat, das auch eine Pandemie bei Menschen auslösen kann, ist das eigentlich eine absolute Katastrophe.« Das sei noch gar nicht zu Ende gedacht, sagt Svenja Furken.

Ich habe den Eindruck, dass mit dem Nachdenken darüber noch nicht einmal angefangen wurde. Vielleicht auch aus Angst vor den Folgen.

Svenja Furken sagt: »Die Konsequenz müsste dann eigentlich sein, dass wir die ganze Form der Massentierhaltung im Geflügelsektor komplett überdenken müssen.«

Carsten Bauck sagt: »Das werden wir nicht tun. Wir schauen lieber nicht so genau hin.«

Ultima Ratio: Keulen

Es gibt noch etwas im Zusammenhang mit Tierseuchen, auf das wir nicht so gerne schauen: das sogenannte Keulen. Dieses grausam mittelalterlich oder noch älter anmutende Wort, ist tatsächlich der Terminus technicus für die Tötung aller Tiere eines Bestands, eines Betriebs.

Im Prinzip funktioniert das so: Bei einem Tier wird das Virus nachgewiesen, es muss wirklich nur eines von möglicherweise zehntausend und mehr Tieren in einer Massenanlage sein – und schon rücken die maskierten Männer in den Ganzkörperoveralls an und vergasen alle Tiere. Ja, sie vergasen sie. Zwar nicht mit Gift, nur mit Kohlendioxid, aber die Assoziation zu den an Menschen begangenen Gräuel unserer Geschichte ist dennoch da. Theoretisch schlafen die Tiere schlicht ein, wenn es an Sauerstoff mangelt. Es gibt allerdings Videos, die einen Kampf gegen den Erstickungstod dokumentieren.

Das ist dann am Ende unsere Ultima Ratio im Umgang mit einer Seuche, die wir womöglich selbst hergestellt, recht sicher aber zumindest verbreitet haben.

Kann man das Keulen ganzer Tierbestände ethisch begründen? Der Tierethiker Philipp von Gall hat Zweifel daran. | Foto: privat
Kann man das Keulen ganzer Tierbestände ethisch begründen? Der Tierethiker Philipp von Gall hat Zweifel daran. | Foto: privat

»Was das bedeutet, macht man sich meist gar nicht so klar«, sagt der Tierethiker und Agrarökonom Philipp von Gall, der beim bundeseigenen Landwirtschaftsinstitut Thünen unter anderem zum Tierwohllabel arbeitet. »Keulen heißt ja, gesunde und kranke Tiere zu töten, um einer Krankheit Herr zu werden.« Dürfen wir das? »Aus der Perspektive der Tiere ist das eine sehr schwierige ethische Frage«, sagt Philipp von Gall.

Selbst wenn man kein Tierrechtler sei und also davon ausgehe, dass für Tiere und Menschen unterschiedliche Regeln gelten — welche seien das wohl in diesem Fall für die Tiere? In Paragraph 4 des Tierschutzgesetzes steht, dass Tiere zur Verhinderung von Leiden und Schmerzen und aus Gründen der Tiergesundheit oder Hygiene getötet werden dürfen. Beim Keulen werden aber auch gesunde Tiere getötet. Das ließe sich nur rechtfertigen, wenn man damit ein größeres Leid verhindern will.

Ist das wirklich der Grund für das Keulen? Geht es nicht vielmehr darum, den wirtschaftlichen Schaden zu minimieren, indem die Seuche eingegrenzt wird? Oder indem zumindest der Anschein erweckt wird, man habe mit Seuchenmanagement alles im Griff. Sonst drohen nämlich Exportverbote. Aus dem gleichen Grund ist die Geflügelindustrie auch gegen das Impfen. Geimpfte Tiere unterlägen nämlich einem Exportverbot, weil sie das Virus in sich tragen können, ohne Krankheitssymptome zu entwickeln. Wir kennen das spätestens seit Corona.

Am Ende — der Tiere, in diesem Fall — ist es eher nicht ethisch begründet, dass sie sterben müssen. Es geht nicht um andere Tiere, die vor etwaigem Leiden geschützt werden sollen. Es geht um die benachbarten industriellen Geflügelbetriebe, in denen die Tiere ohnehin genauso leiden, wie die gekeulten das schon zu Lebzeiten getan haben.

Was müsste eigentlich passieren, damit sich dieses System ändert? So wie Svenja Furken von Provieh das gefordert hat. Also damit Umdenken stattfindet, und vor allem dann auch noch Umorganisieren?

Der Tierethiker Philipp von Gall ist wenig optimistisch: »Zuerst einmal müsste sich die Erkenntnis durchsetzen, dass wir die Möglichkeiten hätten, dieses Tierleid zu reduzieren, und damit auch Risiken für unsere menschliche Gesundheit.« Danach sieht es bislang nicht aus.

Entsprechend weit weg ist der zweite Schritt, der dann zu gehen wäre: »Wie findet dieses Bewusstsein dann in die nötigen politischen Prozesse?« Zurzeit eher nicht denkbar, sagt Philipp von Gall: »Tierschutz zählt momentan nicht zu den Themen auf der politischen Agenda.« Anders wäre das wohl, wenn die Gefahr einer neuen Zoonose, also einer von Tieren stammenden menschlichen Krankheit greifbar oder bewusster wäre.

Systemfrage

An dieser Stelle — spätestens an dieser Stelle — stellt sich die Systemfrage, schon mehrfach angedeutet. Letztlich könnte diese Frage auch für viele Menschen existenziell werden, nicht nur für die von uns gehaltenen Nutztiere und ihre wilden Verwandten. Züchten wir hier gerade die nächste Pandemie, die nächste Zoonose? Eine weltweite Seuche, die wir aus rein ökonomischen Gründen nicht verhindern?

Nur weil wir in den Medien erst während des gerade durchlaufenden Seuchenzuges zum ersten Mal zaghafte Anspielungen darauf finden, dass die Vogelgrippe womöglich eine von der Geflügelindustrie induzierte Seuche ist, muss das Thema nicht unbedingt neu sein. Es dauert manchmal, bis die Medien etwas bemerken. Ich schließe mich da ein, auch wenn ich nicht mehr für eines der größeren Medien arbeite.

Noch einer mit Huhn, nein, hier mit Hahn: Carsten Bauck. | Foto: Bauckhof
Noch einer mit Huhn, nein, hier mit Hahn: Carsten Bauck. | Foto: Bauckhof

Hinweise darauf, dass die Vogelgrippe ein Problem der industriellen Massenhaltung von Geflügel ist, gibt es schon lange. Die Fachzeitschrift »Vogelwelt« veröffentlichte schon 2015 einen Beitrag des ehemaligen Artenschutzreferenten des Berliner Senats, der mit anderen Fachleuten die »Wildvogelthese« des Friedrich-Löffler-Instituts infrage stellte, oder eigentlich widerlegte. Die britische Virologin Diana Bell, inzwischen emeritierte Professorin der University of Eastern Anglia, die sich seit zwanzig Jahren mit der Vogelgrippe beschäftigt, war im März in einem Interview mit »Spektrum der Wissenschaft« überdeutlich.

Auf die Frage nach dem vom Friedrich-Löffler-Institut immer noch in allen öffentlichen Statements propagierten Verbreitungsweg über die Wildvögel sagte sie:

»Als Wissenschaftlerin muss ich mich an den Fakten orientieren, und da halte ich den Handel mit Geflügel und auch den illegalen Handel mit Wildvögeln für einen weitaus größeren Faktor. Schon in den 1990er Jahren, als das Virus von China nach Westen kam, wurden Zugvögel verantwortlich gemacht. Die sind aber in der fraglichen Jahreszeit in eine ganz andere Richtung unterwegs gewesen. Die ersten in Europa entdeckten Infektionen stammen dementsprechend auch von illegal im Handgepäck eingeschmuggelten Adlern aus Thailand.«

Diana Bell ist es auch, die davor warnt, die verschiedenen Vogelgrippe-Viren als Kandidaten für eine Pandemie nicht ernst zu nehmen. Die Spanische Grippe, die nach dem Ersten Weltkrieg nach Schätzungen fünfzig Millionen Menschen das Leben kostete, war ähnlich ausgestattet wie die Vogelgrippe. Auch dieses Influenza-Virus besaß ein hitzebeständiges Protein. Was heißt, dass wir — und andere Tiere — es mit Fieber nicht bekämpfen können.

Und es sind schon Menschen an der Vogelgrippe gestorben. Zuletzt ein Baby in Mexiko, zuvor Arbeiter, die mit Geflügel zu tun hatten, oder — in den USA — auch mit Kühen. Dort nämlich hat es das Virus in die Euter der Milchkühe geschafft, und von da über die Melkmaschinen in ganze Betriebe. Und im antarktischen Süden Argentiniens sterben die Seeelefanten an der Vogelgrippe.

Einzig der Kontinent Australien ist bislang verschont. Diana Bell sagt, das sei kein Wunder: Australien importiert nur etwa ein Prozent seines Bedarfs an Geflügelfleisch und offenbar keine lebenden Tiere. Andererseits wird Australien von vielen Zugvögeln besucht, aus Gebieten, in denen die Vogelgrippe weit verbreitet ist.

Beim Friedrich-Löffler-Institut wiederum finden sich Erklärungen, weshalb ein infizierter Zugvogel hunderte und tausende Kilometer über Land und Meere zurücklegen kann, ohne wegen der Krankheit vom Himmel zu fallen. Ja, kann sein – Inkubationszeiten, starke Abwehrkräfte; nur nach Australien fliegen kranke Vögel halt nicht.

Beispiel Pute

Zurück zum Bauckhof in Klein-Süstedt bei Uelzen, wo Carsten Bauck gesagt hatte, dass wir ja lieber nicht genau hinschauen wollen — sowohl auf das Tierwohl als auch die nächste mögliche Pandemie. Wenn wir das nämlich täten, müssten wir, wie Svenja Furken von Provieh gesagt hat, die gesamte Geflügelhaltung neu denken; sie sagt „revolutionieren«.

Carsten Bauck sagt: »Das revolutionäre Haltungssystem gibt es bereits«. Er betreibt es. Die Tiere können sich ausleben, die Tiere leben draußen, den Tieren geht es sichtbar gut. Es ist nur konkurrenzlos teuer, Geflügel so zuhalten.

Der Hühnerhalter Bauck nimmt die Pute, den Truthahn, als Beispiel für die Zurichtung der Geflügeltiere auf die industrielle Haltung. Er hat es selber ausprobiert, ob Truthähne nach biologischen Kriterien im Freiland aufzuziehen wären. Zwei Universitäten haben den Versuch begleitet, der am Ende klarstellte: Ja, es geht, wenn man recht ursprüngliche Truthähne noch findet. Aber das Kilo Putenbrust müsste dann so viel kosten wie Rinderfilet.

»Die Pute war ursprünglich ein sehr robustes Tier«, sagt er. Das lebte in der nordamerikanischen Steppe und hatte seine Brustmuskeln, um sich mit Hilfe der Flügel in die Bäume flüchten zu können. Bei den Mastputen habe die Putenbrust heute einen Anteil von weit über vierzig Prozent am Fleischkörper. »Daraus erschließt sich, dass es hier nicht mehr um das Tier geht, sondern ausschließlich um den menschlichen Konsum.«

Außerdem sei es ja wohl klar, dass das nicht gesund sein kann, wenn ein Großteil des Körpergewichtes in der Brust eines Vogelwesens hängt. »Das macht es auch plausibel, dass wir da mit Medikamenten arbeiten müssen, und dass wir da nicht nur Druck auf das Skelett ausüben, nicht nur auf das einzelne Tier, sondern auf eine ganze Gattung.«

Svenja Furken hat schon Puten einer alten, vom Aussterben bedrohten Rasse gehalten. »Das waren robuste Tiere«, sagt sie. Nicht zu vergleichen mit denen, die in der Massenhaltung vegetieren und nur nicht umfallen vom Gewicht ihrer überdimensionalen Brust, weil dazu kein Platz ist. »Es gibt gar keine Vorschriften für die Besatzdichte. Man kann sie beliebig eng halten, ohne gegen Tierschutzauflagen zu verstoßen.«

Zudem seien Truthähne keine Vögel, die in großen Verbänden lebten. Sie sind keine Koloniebrüter, sondern leben in kleinen Gruppen. »Ihr Immunsystem ist gar nicht darauf eingerichtet, in großer Individuenzahl zusammenzuleben. Und das macht diese Tiere so extrem empfindlich und eigentlich auch absolut ungeeignet für die Massentierhaltung.«

Einkaufswagen

Ich könnte jetzt noch die Geschichte erzählen von dem Biobetrieb, der in einem Beobachtungsbezirk liegt und seine Tiere eigentlich nicht zum Schlachten bringen kann, weil er in der Nähe eines konventionellen Putenhalters liegt, der schon drei Mal die Vogelgrippe im Bestand hatte. Drei Mal in einem hermetisch abgeschlossenen industriellen Betrieb. Wie mag das Virus dort hineingekommen sein? Und warum ist es bei dem Demeter-Nachbarn, der seine Tiere seit Jahren draußen laufen lässt, nie eingeschlagen? Und warum bangt der bäuerliche Biobetrieb jetzt ums Überleben, während der industrialisierte Putenhalter von der Tierseuchenkasse entschädigt wird?

Aber ich mache jetzt hier mal Schluss mit den Horrorgeschichten. Wir wissen ohnehin, was wir zu tun haben, wohin wir unseren Einkaufswagen lenken sollten, was wir dort hineinlegen müssten.

Eigentlich. Der Konjunktiv ist eine angenehme Form der Grammatik, nicht wahr …

Im Januar machen Kolumne und Podcast eine jahreszeitlich bedingte Pause. Weiter geht es also am ersten Donnerstag im Februar. Bis dahin – alles Gute!

Florian Schwinn

Florian Schwinn ist Journalist und Sachbuchautor. Er hat für Print und Hörfunk gearbeitet, Radiofeature produziert und moderiert. Seit vielen Jahren beschäftigen ihn Themen aus dem Bereich Umwelt und Landwirtschaft.
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3 Kommentare

  1. Wenn die Massentierhaltung mit der Massenmenschenexistenz korreliert, was unbestreitbar ist, sollte man evtl. die Ursachen angehen und nicht den Menschen ein schlechtes Gewissen machen, bloß weil sie gerne gut essen. Das soll nicht heißen, dass man nicht auch im Zeitalter der Menschenmassen das Los der Tiere verbessern könnte. Nur sollte man das Pferd nicht verkehrt herum aufzäumen.

    1. …“bloß weil sie gerne gut essen“

      Nichts an den Tieren aus Massenproduktion ist gut.
      Nichts an tierischer Massenproduktion ist gut.
      Kranke Tiere für kranke Menschen.
      Das ist alles.

  2. …………. das gezeigte Foto ist leider ein Fehlläufer. Es zeigt nicht den Bestand eines Vogelmastbetriebes, sondern den Innenhof des Bundestages nach Bekanntgabe der anstehenden Verhaftung seiner Insassen wegen kriminellen Verhaltens während der sogenannten CORONAPANDEMIE ……..

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