Wozu das Theater? 15 Jahre Trödelzeit

Schauspiel Frankfurt
dontworry, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Längst sind in Frankfurt ein neues Schauspiel und eine neue Oper fällig. Aber der Stadt fehlt es an Visionen – und vor allem am Mut.

„Die Kultur muss bluten“: Das ist nicht, wie man meinen möchte, ein Zitat der AfD –  es stammt von den Grünen im Römer. Anfang der Neunzigerjahre war die selbstbewusste und nicht selten überhebliche Stadt Frankfurt in einer ersten Finanzkrise nach der deutschen Einheit. Es musste gespart werden. In ihrem kulturpolitischen Positionspapier sahen die Grünen vor allem die Städtischen Bühnen als zu teuer, unbeweglich und elitär.

Es war die klassische Debatte: Hoch- gegen Soziokultur, Soziales gegen Kunst. Tatsächlich hatte diese Debatte (ungewollte) Konsequenzen. Das TAT, wohl eines der erfolgreichsten Avantgarde Theater in Deutschland, wurde geschlossen. Ein paar Jahr später folgte das international erfolgreiche Ballett von Forsythe. Davon möchten die heutigen Grünen nichts mehr wissen. Sie sitzen nun selbst in der Oper oder dem Schauspiel und haben mit der Hochkultur, spätestens in der schwarz-grünen Koalition mit der ehemaligen Oberbürgermeisterin Roth zwischen 2006 und 2014, ihren Frieden gemacht.

Ihr Nachfolger Peter Feldmann (SPD) sah die Kultur als Schmiermittel des Sozialen. Schon die Wortwahl zeigt, wessen Kind da am Werk war. Der neugewählte Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) erkennt immerhin die Zweckfreiheit der Kultur.

850 Millionen, 1,27 Milliarden oder gar 2 Milliarden?

Das gehört dazu, wenn man das Getrödel um den Neubau oder die Sanierung der Städtischen Bühnen verstehen und nachvollziehen will. Seit 15 Jahren wird darüber diskutiert, dass der jetzige Standort marode ist. Längst nicht mehr den Brandschutzauflagen, geschweige dem künstlerischen Prozess genügt. Bereits 2014 übergab der abgewählte Kulturdezernent Semmelroth seiner Nachfolgerin Hartwig ein Gutachten, aus dem verschiedene Optionen hervorgingen. Sie legte es wahrscheinlich auf die Ablage, las gelegentlich ein paar Zeilen, bis sie in einem fulminanten Aufsatz zur Erkenntnis gelangte, dass das Glasfoyer ein Spiegelbild der Stadtgesellschaft „Geist und Geld“ spiegelte.

So vergingen die Jahre und es wurde ein weiteres Gutachten erstellt. Das wurde 2020 vorgestellt, ermittelte Kosten von ca. 850 Millionen Euro und kam fast zu einem identischen Ergebnis, was mögliche Standorte oder die Sanierung betraf. Inzwischen sind die Kosten gestiegen. Man geht nun von 1,27 Milliarden Euro aus. Manche sprechen sogar schon von 2 Milliarden.

Nur zur Erinnerung: Für die Hamburger Elbphilharmonie in der Speicherstadt wurde in der Planung mit 50 Millionen gerechnet. Daraus wurden dann 500 Millionen. Man möchte jetzt gar nicht auf Frankfurt hochrechnen.

„Das ist sehr schade. Man hätte früher entscheiden können, wenn die Bereitschaft dagewesen wäre“, erklärt die verantwortliche Kulturdezernentin Hartwig. Die genau dafür verantwortlich ist, aber keine Entscheidungsvorlage in die Stadtverordnetenversammlung einbrachte.

Man kann sich nur wundern, wie milde das Feuilleton und die Lokalpresse mit der Posse umgeht.

Da wurde über Standorte hin und her philosophiert, ohne den Mumm zu haben, darüber politisch zu entscheiden. Nur der Stellenwert der Oper und des Theaters wurde beschworen. Und nebenbei 1.000 Mitarbeitern zugemutet, über 15 Jahre unter unzureichenden Bedingungen zu arbeiten.

Freier Eintritt für freie Bürger

Klar, man entscheidet nicht so aus der Hüfte über eine Milliarde. Aber man sollte wenigstens wissen, über was man diskutiert. Wir sprechen hier nicht über irgendwelche Kleingärten, sondern das geistige Zentrum der Stadt  – mitsamt überregionaler Bedeutung. Hier wagte der Schauspiel-Intendant Buckwitz im Kalten Krieg die Aufführung von Brechts Dramen. Hier „erfand“ Gielen die moderne, zeitgenössische Oper, Ruth Berghaus inszenierte den Ring von Wagner – eine epochale Aufführung.

Seit 2002 ist Bernd Loebe Intendant. In der Frankfurter Fußballgeschichte vergleichbar mit Charly Körbel – „der treue Bernd“. Ein Glücksgriff für diese Stadt. Er schaffte es, das Haus sechsmal zur Oper des Jahres zu führen. Und geduldig mahnt er, es müsse vorangehen.

Das sind nur kleine Ausschnitte einer Frankfurter Theatergeschichte, die immer den Anspruch hatte, auch ein Labor, ein Katalysator gesellschaftlicher, musikalischer und politischer Entwicklungen in der Bundesrepublik zu sein. Die sich unter Hilmar Hoffmann und Rainer Werner Fassbinder den gescheiterten Versuch der Basisdemokratie leistete.

Die Städtischen Bühnen sind Stadtgeschichte und Zukunft. Man behandelt sie aber wie „das Bellen des toten Hundes“. Schon längst könnte eine neue Oper und ein Schauspiel stehen. Wenn man den Mut gehabt hätte, sich – statt für den freien Eintritt für Kinder in den Museen feiern zu lassen – kulturelle Weichenstellungen zu beschließen. Denn der freie Eintritt ist gerade unter dem Aspekt der kulturellen Bildung eine Selbstverständlichkeit. In der Ära Hoffmann durfte sogar die Erwachsenen ohne Ticket in die Museen, die mit ihren Steuergeldern gebaut wurden und unterhalten werden.

Kulturstätten sind immer auch Multiplikatoren

Zumal es auch andere Möglichkeiten für einen Standort der Theater gab und gibt. Die gescheiterte Idee des Neubaus in der Wallanlage, wo man überrascht nach Jahren feststellte, dass es da noch Verträge und andere Neubauten geben wird, steht exemplarisch für das Zaudern.

Das ist alles umso bemerkenswerter, weil es eben nicht nur um die Kulturinstitutionen geht. Kulturpolitik, würde sie denn ernst genommen, ist auch Stadtentwicklung und Gestaltung. Vorschläge wie der Osthafen als Standort der Oper wurden weggewischt, wurden abgetan. Obwohl  der Vorschlag von der CDU kam, stand immerhin eine Idee dahinter. Der Vorschlag des ehemals, durchaus früher umstrittenen Ex-Planungsdezernenten Wentz, den Neubau in das schlafende Großprojekt Bockenheimer Kulturcampus zu integrieren, eine nicht ganz so dumme Idee, wurde ebenfalls ungeprüft verworfen. Im Kulturdezernat und Magistrat denkt man im kleinen Karo, das dann aber was kosten darf.

Zugleich beklagt man die Krise der Innenstädte, nicht nur ein Frankfurter Problem. Warum niemand auf die Idee kam, in der bankrotten Kaufhof-Galerie beispielsweise das Schauspiel neu zu errichten, erschließt sich nicht.

Kulturstätten sind immer auch Multiplikatoren. Gerade die Innenstädte brauchen neue Ideen, Konzepte und Experimente. Vielleicht benötigt das gar nicht so viel Fantasie, sondern ein wenig kulturgeschichtliches Bewusstsein. Wo Theater sind, entwickelt sich im unmittelbaren Umfeld auch Gastronomie, Musik und Kleinkunst. Es kommt Leben dahin, das wiederum auch den Geschäften und Läden Umsatz bringt. Aber vor allem entstünde ein neuer künstlerischer, lebendiger Ort. Das könnte die Zeil gut gebrauchen.

Die kulturelle Identität einer kleinen Metropole

Das ist alles perdu. Der neue OB ist um seine vielen Herausforderungen nicht zu beneiden. Aber besonders eine so bedeutende Großinvestition sollte Chefsache werden, nachdem das Kulturdezernat eindrucksvoll bewiesen hat, dass es Projekte nicht kann. Es geht um mehr als Bühnen, Werkstätten und Aufführungen. Es handelt sich um die Zukunft der kulturellen Identität einer kleinen Metropole, die doch immer gerne ganz groß scheinen will.

Mit Sicherheit kann man schon jetzt prognostizieren, dass wenn eine finanzielle Konsolidierung der Finanzen der Stadt ansteht –und das ist ziemlich wahrscheinlich – die alten Debatten Kultur gegen Soziales, Hoch- gegen Soziokultur neu entflammen. Wie viele Kindertagesstätten oder Schulen könnte man eigentlich mit zwei Milliarden Euro bauen und unterhalten?

Diese Gegensätze wären in einer richtigen Gesellschaft falsch. In der Falschen sind sie in gewisser, tragischer Hinsicht richtig.  Und genau daher gefährlich für die Kunst und Kultur. Denn diese wird diese „Konkurrenz“ emotional verlieren. Umso wichtiger wäre es gewesen, in den guten Jahren Fakten zu schaffen. Heute sind in Hamburg alle stolz auf ihr neues Wahrzeichen – die Elbphilharmonie. Ob das beim Frankfurter Theater in zehn Jahren genauso sein wird, ist die Frage.

Also: Vorhang zu und alle Fragen offen! Anders wäre es schöner und besser.

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2 Kommentare

  1. OT

    Die Wahlstatistik, aka die Deutschen, möchte die CDU zurück ( Mit welchem Personal ? ). Die SPD kämpft mit Grün um Platz 2 ( Hä ? ).
    Die FDP berappelt sich mit Schwiegersohn Lindner und dem Heizungsverbot. Die Linke verabschiedet sich ohne Direktmandate und Zugpferd Sahara Wagenknecht für immer. Die Nationalsozialisten von der AfD müssen bloß noch die Protestwähler am Straßenrand aufsammeln.

    Wirr ist das Volk – Die Sonntagsfrage

    https://www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm

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