Eine/r wird gewinnen: Die OB Wahl in Frankfurt

OB-Wahlkampfplakate vor der Paulskirche.
Frankfurt am Main, Roberto De Lapuente (eigenes Werk), gemeinfrei

Heute wird in Frankfurt ein neuer Oberbürgermeister gewählt: Nach der Affäre um Peter Feldmann ist in der Stadt wenig Wahlbegeisterung zu spüren.

Es herrscht Euphorie im Römer. Sozialdemokrat*innen und Grüne liegen sich in den Armen und träumen von einer neuen Epoche in der einstmals roten Stadt. Wir schreiben das Jahr 1989. Bei der Stadtverordnetenwahl erzielt die SPD nach langer Durststrecke 40,1 Prozent, die Grünen erreichen 10,2 Prozent. Die CDU, die unter Wallmann zwölf Jahre regiert hat, stürzt mit ihrem Spitzenkandidaten ab.

Es kommt zur rot-grünen Koalition, die erstmals in Hessen gewollt ist und nicht nur aus Notwendigkeit gebildet wird. Die Rede ist vom rot-grünen Projekt, das von Frankfurt aus in die ganze Republik strahlt. Eine OB-Direktwahl gibt es noch nicht. Volker Hauff wird als Spitzenkandidat der SPD neuer Oberbürgermeister. Erstmals gibt es ein (ehrenamtliches) Dezernat für multikulturelle Angelegenheiten. Keine zwei Jahre später tritt Hauff zurück, angeblich sabotiert aus den eigenen Reihen.

Labor für die „neue Mitte“

Warum ist das wichtig? Aus zwei Gründen: zum einen, man mag es kaum glauben, war die Wahlbeteiligung bei dieser Wahl 77,2 Prozent hoch – für heutige Verhältnisse utopisch. Zum anderen war es für die inhaltliche Orientierung der SPD ein Labor, das bundesweit ausstrahlte. Man setzte offensiv auf das Milieu der sogenannten „neuen Mittelschichten“. Fast zehn Jahre später wurde daraus unter Schröder und Lafontaine die „neue Mitte“. Die SPD richtete sich neu aus, zunächst erfolgreich. Aber schnell wurde klar, dass dieser Kurs die klassischen Wähler nicht mitnahm. Das Experiment in Frankfurt funktionierte in der „Theorie“. In der Praxis sowohl in der Stadt als auch später im Bund war es der Auftakt einer neoliberalen Wende der ehemals linken Volkspartei.

Heute wird wieder gewählt – diesmal direkt. Die Wahlbeteiligung dürfte zwischen 40 bis 50 Prozent liegen. Maximal. Notwendig wurde die OB-Wahl, weil am 7. November 2022 mehr als 90 Prozent der Wähler*innen, die teilnahmen den „Sonnenkönig“ Feldmann (SPD), der mit seiner Hybris und seinem Narzissmus einfach gewaltig überzogen hatte, abwählten. Zudem bestand der Verdacht, der Vorteilsnahme im Amt, den das Gericht bestätigte. Wenn auch das Urteil ausschließlich auf schwachen Indizien fußt und nicht wenige zu Recht kritisieren, es sein ein politisches Urteil, das in der Revision nicht standhalten wird.

Noch am gleichen Abend der Abwahl begann schon die Aufstellung der Parteien für die nun folgende außerordentliche Neuwahl des Oberbürgermeisters.

Schlichte Slogans

Man kann den Parteien und Kandidaten dabei nicht vorwerfen, dass ihre Plakate die Wähler intellektuell überfordern. „Der Beste“ für Frankfurt: Becker (CDU), grüßt uns schon als „ihr Oberbürgermeister“. Da kann man dankbar sein, dass die CDU nicht den Schlechtesten nominiert hat. „Schneller ans Ziel“ verspricht, ein Fahrrad fest im Griff, die Kandidatin der Grünen, also jener Partei, die mal entschleunigen wollte, Manuela Rottmann. Nach zehn Jahren Abstinenz kehrt sie zurück. Entweder als OB oder als Durchreisende.

Die FDP will kreativ sein. Ihr Kandidat, der selbsternannte Aufklärer Pürsin, fordert ein Transparenzregister. Das war wohl selbst bei den Liberalen so schwer zu verstehen und auszusprechen, dass das Plakat schnell wieder eingemottet wurde. Jetzt soll Frankfurt nur noch funktionieren – fragt sich nur: für wen? Aber das beantwortet sich bei der FDP in der Regel von selbst – natürlich für die Oberen. Anders die Linke: Sie klebt „Frankfurt gehört euch allen“. Mal abgesehen davon, dass wohl nicht alle Frankfurter*innen mit der Partei „per du“ sind, wäre das ja schön. Realistisch ist es weniger. Die Kandidatin Mehler-Würzbach ist durchaus fleißig dabei, aber sie wird wohl auch die Quittung für die zerstrittene Bundespartei bekommen.

Erstaunlich agil und klar positioniert sich die Sozialdemokratie mit ihrem Kandidaten Mike Josef, ein tatsächlich respektabler Politiker. Man könnte fast meinen, sie sei engagiert und habe Lust. Da werden Mieterschutz, starke Wirtschaft für soziale Sicherheit (was nicht immer so einfach zusammenpasst – aber egal) und ganz konkret eine Milliarde für die Schulen gefordert. Wenn sie nicht zwölf Jahre den OB stellen würde, seit fast zehn Jahren u.a. das Schuldezernat führt, wäre das noch einmal anders glaubwürdig.

Kommunales Wahlrecht benachteiligt sogenannte „bildungsferne Schichten“

Gleichwohl sieht man von den Funktionären und Plakaten ab, will sich in der Stadtgesellschaft so eine richtige Wahlkampfstimmung nicht einstellen. Es knistert nicht, es bewegt die Bürger*innen nicht so richtig. Was wohl auch damit zu tun hat, dass die meisten Themen nur in Nuancen zwischen den drei Favorit*innen strittig sind. Alle sind für Klimaschutz, ob früher oder später, für den Wohnungsbau und so weiter: das sind sie irgendwie immer. Einzig bei der Sozialpolitik wagt sich die grüne Spitzenkandidatin Rottmann ein wenig auf das (neoliberale) Glatteis. In der FAZ erklärte sie, gezielt helfen zu wollen: „Sozialpolitik ist für mich nicht die Gießkanne“, so Rottmann wörtlich. Nur derjenige, der wirklich Hilfe brauche, sollte sie auch erhalten.

Man ahnt, was damit gemeint sein könnte. Die inhaltlich spannenden Zukunftsfragen werden aber ausgespart. Es wundert, dass nicht einmal die Linke sie aufgreift. Was wird aus dem Projekt der Untertunnelung der Innenstadt mit einem unterirdischen Bahnhof? Ein zweites Stuttgart 21 droht, aber keiner spricht darüber. Was wird mit dem begrenzten Boden zum Wohnungsbau in den Städten? Die Rekommunalisierung von Grund und Boden war im Frankfurt der 70er Jahre schon bei den Hausbesetzer-Kämpfen im Westend ein Thema. Man ist zwar endlich weg von der primitiven Parole, „Bauen, Bauen, Bauen“, aber noch nicht bei den Fragen, die es zu klären gilt. Oder gar bei Konzepten, die in anderen Städten wie in Holland bereits umgesetzt werden. Dort zum Beispiel können Studierende ein Zimmer im Alten-oder Pflegeheim günstig mieten, wenn sie bereit sind, ein- oder zweimal die Woche soziale Arbeit dort zu leisten. Es gibt noch mehr Beispiele.

Die kritischste Frage wird weder von den Parteien noch den zwanzig(!) Kandidat*innen gestellt: was hat uns eigentlich die Einführung der Direktwahlen und des Kumulierens und Panaschieren bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung seit 1992 gebracht? Vorgeblich sollte dadurch mehr Demokratie geschaffen werden. Aber schon bei den ersten Direktwahlen beteiligten sich nur etwas mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten, Tendenz weiter sinkend. Bei den Wahlen zu den Kommunalparlamenten und Kreistagen sieht es noch düsterer aus.

Was kein Wunder ist: Ein Frankfurter Wahlzettel zum Kommunalparlament ist so umfangreich, dass er gerade noch so auf den Küchentisch passt. Viele verstehen nicht, wie sie kumulieren und panaschieren können, oder dass sie das sogar gar nicht müssen. Direkte Demokratie sieht anders aus. Das kommunale Wahlrecht ist eines, welches die sogenannten „bildungsfernen Schichten“ klar benachteiligt. Ein Wahlrecht gegen die einkommensschwachen Klassen: nicht ihnen ist vorzuwerfen, dass sie es nicht verstehen, sondern denen, die es als Fortschritt direkter Demokratie verkaufen und insgeheim wissen, dass dies nur für die Privilegierten gilt. Die meisten Menschen haben weder Lust noch Zeit sich intensiv und ausdauernd mit Stadtverordneten zu beschäftigen.

Kleine Duodezfürsten

Noch weniger beschäftigen sie sich mit einem Wahlkampf der Kandidat*innen, der mehr Germany‘s Next Topmodel als einer politisch-inhaltlichen Auseinandersetzung gleicht.  So wird Kumulieren und Panaschieren zum neoliberalen Optimierungswettbewerb, wo es nicht um Programm, sondern um individuelle Performance geht. Bei den Direktwahlen der Oberbürgermeister*innen und Landräten wird das Dilemma freilich noch größer. Tatsächlich ist ihr Einfluss in der HGO (Hessische Gemeindeordnung) nicht stark erweitert worden. Zugleich sieht sie der Bürger als kleine Duodezfürsten. Und so benehmen sie sich dann auch.

Nicht zufällig wurden in Hanau, Frankfurt, aber auch vielen kleineren Städten Oberbürgermeister*innen in quälenden Bürgerentscheiden abgewählt. Dem Vertrauen in die kommunale Politik war das sicher nicht zuträglich. Man kann viel Kritisches über Fraktionszwänge denken und schreiben – mit einigem Recht. Aber OB und LR, die völlig entkoppelt vermeintlich über allen schweben, sind nicht die bessere Option. Das wahlmüde Volk jedenfalls hat sein Urteil an der Urne (nicht) gesprochen. Es geht einfach nicht mehr hin.

Trotzdem ist der heutige Sonntag spannend. Bei drei Favoriten werden sich nur zwei für den sicherlich notwendigen zweiten Wahlgang qualifizieren.

Dabei scheinen die Grünen dem Steinbrück-Syndrom aufgesessen zu sein. Ähnlich wie bei der Bundestagswahl 2014 setzen sie auf die Kandidatin, die die Medien hochschrieben. Ihre emphatische Bürgermeisterin Eskandari-Grünberg musste hintenanstehen. Doch der Wahlkampf von Rottmann zündet bisher nicht. Die CDU setzt auf den Frust über Feldmann und die Seriosität von Becker, der in der Partei eher die katholische Soziallehre als den schwarzen Sheriff und rechten Hardliner verkörpert. Die SPD bangt und hofft gleichzeitig. Das Porzellan, das Feldmann zerschlagen hat, ist nur schwer zu kitten. Zugleich haben sie mit ihrem Kandidaten Josef ein sozialdemokratisches Vorzeigemodell: jung, sozial, als syrischer Flüchtling aufgewachsen und klassische Karriere in den Arbeiterorganisationen absolviert – das Gegenteil zum selbstverliebten „Pattex Peter“.

Eine/r wird gewinnen. Heute Abend wissen wir mehr.

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5 Kommentare

  1. Naja. Also Artikel mit Sterninnen oder Doppelpunktinnen sind immer abscheulich zu lesen. Dem Fazit, dass schwer verständliche und lustlos verständlich gemachte Wahlverfahren und entpolitisierte Wahlkämpfe die Politik- und Wahlmüdigkeit eher vorantreiben, ist zuzustimmen. Auch, dass sich die Linke in Frankfurt in keinem besseren Zustand befindet als anderswo. Erstaunlich, dass auf die Lokalpäpstin Ditfurth und ihre Sekte nicht eingegangen wird.

  2. @aquadraht

    Schließe mich an, zumal bei uns auch eine Bürgermeisterwahl ansteht, wo mir als erstes auffällt, dass keiner der Kanidaten bekannt ist – und das wo doch bald gewählt werden soll – und nur einer, etwas verschämt, zugibt in der SPD zu sein – als Gewerkschafter, und das ist kein Witz, sich auch noch dafür entschuldigt SPDler zu sein, und meint, dass seine Parteizugehörigkeit keine Rolle für seine Wahl spielen soll….verrückte Zeiten, auch in so einer kleinen Gemeinde wie hier, nicht nur in Frankfurt…..ich setze übrigens, auch ohne wahlbegeistert zu sein, darauf, dass wenigstens in einem kleinen Ort ein Fachmann – eben Verwaltungsfachmensch – gewählt wird…..ich weis, zum Bürgermeister darf sich jeder aufstellen lassen, was auch hier der Fall ist, aber ich geh mal davon aus, auch ohne den zu unterstützen, dass der Verwaltungsfachwirt das Rennen gewinnt – kleine Gemeinden setzen, anders als die Berliner Bundesregierung, eben noch auf Kompetenz, hoffe ich. Beim letzten mal war es übrigens genau so, dass auch damals schon der Bürgermeister, den ich nicht gewählt habe, dessen Chancen ich aber sah weil er vom Fach – Verwaltungsfachwirt – war, letztendlich gewählt wurde.

    Hoffe ist diesmal nicht anders…..

    Sarkastische Grüße
    Bernie

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