Spaniens Strompreise explodieren weiter

Atomkraftwerk Asco. Bild: Ralf Streck

Die Energieunternehmen drohen mit der Abschaltung von Atomkraftwerken, wenn die Regierung ihre Milliarden-Gewinne beschneidet, die für sie über die abgeschriebenen Anlagen angesichts eines absurden Tarifsystems verstärkt „vom Himmel fallen“.

Auch in Spanien explodieren die Tagespreise für Strom. Am heutigen Mittwoch wurde ein neuer Rekord von fast 173 Euro pro Megawattstunde (MWh) verzeichnet. Damit ist der bisherige Rekord um fast 13 Prozent übertroffen worden, in nur 24 Stunden hat sich der Großhandelspreis um weitere 19 Prozent verteuert. Seit dem Frühjahr hat er sich mehr als verdreifacht.

Das schlägt sich weiter enorm extrem preistreibend auf den Rechnungen der Endverbraucher nieder. In nur einem Jahr sind die Strompreise für die Durchschnitts-Endverbraucher um 35 Prozent gestiegen. Seit Januar ist der Preis bis August um 26 Prozent gestiegen. Im Vergleich zum Vormonat waren es schon fast acht Prozent.

Zwar steigen die Strompreise auch in Deutschland auf immer neue Rekorde, doch an der Leipziger Strombörse wird der Strom in Deutschland derzeit nur zu etwa der Hälfte des spanischen Preises gehandelt.  Nach dem Verivox-Verbraucherpreisindex  bezahlen auch private Haushalte hier immer höhere Preise für Strom. Aber die Großhandelspreise sind in Deutschland nicht derart explodiert wie in Spanien, zudem schlagen höhere Preise nicht so schnell und so stark wie dort durch. Innerhalb eines Jahres ist deren Strompreis in Deutschland um knapp sechs Prozent statt um 35 Prozent wie in Spanien gestiegen. In Deutschland hat der Strompreis in zehn Jahren um etwa 25 Prozent zugelegt.

Die sozialdemokratische Regierung Spaniens hat den Anstieg der Strompreise ohnehin schon ab Juli durch zeitlich befristete Notmaßnahmen begrenzt. So wird seit Juli der verminderte Mehrwertsteuersatz von zehn Prozent (statt 21) für etwa zehn Millionen Kleinverbraucher fällig, dazu wurde für die Stromerzeuger eine Steuer (7%) gestrichen.  Das hat nachhaltig nichts gebracht, bestenfalls steigen die Verbraucherpreise nur etwas weniger stark. Die Großhandelspreise für Strom steigen dagegen schnell weiter und haben alle Vorhaben, den Endverbraucherpreis zu senken, zunichte gemacht. Und obwohl die Sommer-Hitzewellen längst vorbei sind, in der Klimaanlagen auf Hochtouren liefen, steigen die Großhandelspreise auf immer neue Rekorde. An der Nachfrage kann es aber nicht liegen. Insgesamt ist der Strombedarf sogar noch immer niedriger als vor der Finanzkrise ab 2008.

Neues Tarifmodell ließ die Einnahmen der Stromerzeuger sprudeln

Sogar im Urlaubssommer kam es zu Protesten gegen die steigenden Endverbraucherpreise, die auch über ein neues Tarifmodell der Regierung in die Höhe getrieben wurden. Die Regierung hat drei Tarifzonen eingeführt. Begründet wurde das mit Klimaschutz und der „ökologischen Nachhaltigkeit“. Es solle ein bewussterer Umgang der Konsumenten mit der Energie erreicht und die Infrastruktur besser genutzt werden, erklärte die Regierung im Juni.

Das führte trotz der zuvor beschlossenen Notmaßnahmen aber dazu, dass schon Anfang August in der teuren Tageszeit (hora punta) von 10 bis 14 und von 18 bis 22 Uhr spanische Verbraucher mit 31 Cent pro Kilowattstunde mehr als in Deutschland bezahlen mussten.  Genau das ist die Zeit, wenn die Menschen kochen, kühlen oder heizen müssen. Dann muss nun besonders tief in die Tasche gegriffen werden. Im Tagesdurchschnitt sollen es nach Angaben von Verbraucherschützern schon gut 22 Cent gewesen sein. Das war zwar noch billiger als in Deutschland, bezieht man aber die Kaufkraft in die Rechnung ein, dann ist der Strom in Spanien schon deutlich teurer als in Deutschland, wie auch hier herausgearbeitet wurde.

Auf die führenden spanischen Stromerzeuger Endesa, Iberdrola und Naturgy fielen schon vor dieser Entwicklung über das spanische Tarifsystem Milliardengewinne „vom Himmel“, die auch „Windfall Profits“ genannt werden. Sie wurden in den letzten Monaten immer größer. Getrieben durch weiter steigende Großhandelspreise und Proteste will die sozialdemokratische Regierung nun aber wenigstens zum Teil an diese Profite heran, die seit vielen Jahren aus einem absurden Tarifsystem entstehen. Das hatte auch der konservative EU-Energiekommissar Günther Oettinger schon vor fast einem Jahrzehnt heftig kritisiert und gleichzeitig gemahnt, stärker in erneuerbare Energien (EE) zu investieren.

Schon Oettinger hatte damals kritisiert, dass abgeschriebene Anlagen wie Atom- und Wasserkraftanlagen für die Betreiber riesige Gewinne schaffen. Denn das absurde Tarifsystem sorgt dafür, dass sich der Tagespreis für Strom nach der zuletzt versteigerten und damit teuersten Erzeugungsart richtet und alle Erzeugungsarten diesen Tarif erhalten. Derzeit treibt Gas den Preis wegen der hohen Einkaufspreise und den gestiegenen Kosten für CO2-Zertifikate. Wie es aussehen könnte, wenn verstärkt auf EE gesetzt worden wäre, rechnet die große Tageszeitung El País vor. Sie zeigt auf, dass am 31. Januar der Großhandelspreis pro MWh nicht über 170 Euro lag, sondern unter einem Euro. Denn damals konnte der Strombedarf zu fast 50 Prozent über Windkraft gedeckt werden konnte.

Doch die ultrakonservative Vorgängerregierung, auf deren Mist das privatisierte Tarifsystem gewachsen ist, hatte nicht nur das Tarifsystem eingeführt, sondern auch beim EE-Ausbau massiv auf die Bremse getreten. Das ist ein weiterer Faktor, der die Preise treibt. An die „nicht akzeptablen“ Sondergewinne, die für die Stromerzeuger immer stärker vom Himmel fallen, will die Regierung von Pedro Sánchez nun zum Teil heran. Auch um die Steuerausfälle durch gewährte und nun verlängerte Vergünstigungen auszugleichen, will die Regierung 2,6 Milliarden Euro aus diesen Sondergewinnen umleiten. Abgeschriebene Anlagen sollen, allerdings auch nur bis März begrenzt, nicht mehr vom Preisanstieg profitieren, der auch über die Verteuerung durch CO2-Zerifikate entsteht.

Zudem sollen sie, aber auch nur zeitlich befristet, einen Teil des Stroms aus der Atom- und Wasserkraft zum realen Preis außerhalb der Strombörse verkaufen, um die Strompreise zu senken. Bis zu 22 Prozent, so hofft die Regierung, soll das Maßnahmenpaket den Strompreis für die Verbraucher bis zum Jahresende senken. Die Unternehmen könnten „es sich leisten“, erklärte der Regierungschef. Ob eine Senkung der Strompreise, noch dazu in diesem Ausmaß, realistisch ist, ist eher zweifelhaft. Mit dem bisherigen Senkungsversuch ist die Regierung jedenfalls kläglich gescheitert.

Halbherzige Reform, die AKW-Betreiber drohen mit Abschaltung

Eine wirkliche Reform, die schon Oettinger gefordert hatte, ist das aber ohnehin nicht. Das absurde Tarifsystem soll nicht wirklich abgeschafft und dafür gesorgt werden, dass die Preise tatsächlich im Zusammenhang mit ihren Gestehungskosten stehen. Das streben die Sozialdemokraten (PSOE) nicht einmal an, sie versuchen nur mit Flickenpolitik die Öffentlichkeit zu beruhigen. Der Unmut über die Regierung wächst auch allgemein, weil viele andere Versprechen einfach nicht umgesetzt werden, wie die Abschaffung der Arbeitsmarktreform oder des Maulkorbgesetzes der Vorgänger.

Dass der politische Wille zu wirklichen Änderungen bei den Sozialdemokraten gering ist und der linke Koalitionspartner „Unidas Podemos“ bisher fast jede Kröte fast widerstandslos frisst, stellt sich das Stromoligopol nun auf die Hinterfüße. Es geht schon gegen die geplante temporäre Begrenzung der Zusatzgewinne, die für sie vom Himmel fallen, auf die Barrikaden. Das „Foro Nuclear“ (Nuklearforum) hat nun mit der vorzeitigen Abschaltung der Atomkraftwerke gedroht, wenn das Vorhaben in der vorgesehenen Form umgesetzt werde.  Man kann darin eine Erpressung sehen, dass mit einer nicht organisierten Abschaltung einer Energiezeugungsform gedroht wird, die noch zu etwa 20 Prozent zur Stromerzeugung beiträgt.

Die Atomlobby meint, dass die Strompreise alsbald stark fallen würden, spätesten wenn ab 2024 „massiv erneuerbare Energien mit marginalen Kosten“ ans Netz gehen würden. Dann würden die Großmarktpreise unter die Marke von 50 Euro pro MWh fallen, meint die Atomlobby, und „zur wirtschaftlichen und finanziellen Unrentabilität“ der Atomanlagen führen, was die „vorzeitige Einstellung der Aktivität zur Folge“ habe. Eigentlich stärkt sie die Argumentation, endlich den billigen EE-Ausbau voranzutreiben. Geplant ist bisher, dass 2035 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht.

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