Heike Egner und Anke Uhlenwinkel haben eine Studie über die Entlassung oder öffentliche Degradierung von Professoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlicht. Wie kam es dazu? Was hat sie zu dieser Forschung motiviert?
60 Fälle haben wir zusammengetragen und analysiert, wobei wir keinen davon im Detail erzählen, sondern uns auf die Strukturen und Hintergründe konzentrieren, die hinter der Praxis der leichtfertigen Entfernung von Professoren steckt. Jeder Fall wäre eine Geschichte wert. Jede Geschichte erzählte eine Tragödie, in dem Schurken und Helden sowie eine Menge von anderen Akteuren mitspielen. Anders als im Theater reicht es hier, laut zu schweigen, um eine Dynamik voranzutreiben.
Wir haben allen Studienteilnehmern Anonymität zugesichert; für die meisten war das ausschlaggebend für ihre Entscheidung, sich an der Studie zu beteiligen. Zu groß die Wunden, zu groß die Befürchtung einer Re-Stigmatisierung. Diese Zusage gilt. Die Geschichte hinter der Geschichte handelt daher von uns, den beiden Autorinnen. Sie erzählt den Beginn unserer Zusammenarbeit als Geschichte in sechs Akten.
Akt 1: Ein überraschender Anruf
Im Frühling 2016 sollte in Klagenfurt die Stelle eines Senior Lecturers in der Didaktik an meinem (H.E.) Institut besetzt werden. Anke Uhlenwinkel rief mich an und fragte, ob sie sich bewerben könne. Sie war überrascht, dass ich weder ihren Namen noch die damit verbundenen Geschehnisse kannte. Und ich war überrascht, als sie mir von ihrer völlig unerwarteten Entfernung als Professorin aus der Universität Potsdam in 2013 erzählte, bei dem sehr kreativ ein Verfahren zum Einsatz kam, das für ihre Position gar nicht vorgesehen war. Ich fühlte gleichzeitig Betroffenheit (ob ihrer Erfahrungen) und … Freude: Eine ehemalige Professorin der Geographiedidaktik bewarb sich auf eine Stelle, für die sie weit überqualifiziert war. Ich dachte nicht lange nach, denn ich hielt ihren Anruf für ein Geschenk für das Institut – wer bekommt schon so viel Qualität auf einer so gering dotierten Stelle? Ich zog noch einige Erkundigungen ein. Nichts sprach gegen sie. Am 1. September 2016 trat sie ihre Stelle in Klagenfurt an.
Akt 2: Überraschende fristlose Entlassung
Anfang Mai 2018 erhielt ich (H.E.) von der Sekretärin des Rektors eine dringende “Vorladung” in mein eigenes Büro. Ich war zu der Zeit anlässlich einer Tagung in Deutschland und hatte geplant, erst in der folgenden Woche zurückzukehren. Ich reiste überstürzt nach Klagenfurt und bat eine enge Kollegin um Unterstützung bei dem Gespräch, nichts Gutes ahnend aufgrund des Tonfalls der “Ladung” und der Weigerung der Sekretärin, mir am Telefon mitzuteilen, worum es denn ginge. Der Rektor erschien mit der Justiziarin und erklärte mir, ich sei fristlos entlassen. Ich wisse ja wohl warum. Ich wusste nichts. Meine Nachfrage, ebenso wie jene meiner bestürzten Kollegin, beschied er mit den Worten, dass er mir keine Gründe nennen müsse, da ich daraus einen unangemessenen Vorteil vor Gericht hätte. Er müsse allenfalls einem Arbeitsrichter die Gründe darlegen. Das Gespräch dauerte sieben Minuten. Rektor und Justiziarin verlangten die Schlüssel und geleiteten mich aus dem Büro. Für die Räumung meiner persönlichen Sachen sei ein Termin zu vereinbaren.
Vor Gericht erfuhr ich die Vorwürfe: Psychische Gewalt, Atmosphäre der Angst, Mobbing. Eine Gelegenheit, dies vor der Entlassung zu erfahren, wurde mir nicht eingeräumt.
Akt 3: Rektor kann keine Gründe nennen
Kurz nach der Entlassung gab es ein Gespräch des Rektors mit den Mitarbeitern des Instituts. Er wollte die neue Lage erörtern. In der Fragerunde nach seinen Darlegungen wollte ich (A.U.) von ihm wissen, welches die Gründe für die Entlassung von Heike Egner gewesen seien. Der Rektor versuchte meiner Frage zunächst aus dem Weg zu gehen: Dazu könne er schon aufgrund des Persönlichkeitsschutzes der Beschwerdeführenden nichts sagen. Ich hakte nach: Ich wolle auch gar nicht die konkreten Gründe wissen, sondern den Passus aus dem § 27 des österreichischen Angestelltengesetzes, auf den er sich beziehe. Das Angestelltengesetz kennt insgesamt sechs Gründe für eine fristlose Entlassung, darunter Untreue, Arbeitsverweigerung, Freiheitsstrafen und “Verletzungen der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen”. Der Rektor konnte mir keine Antwort geben. Vielleicht war es schlicht naiv von mir, anzunehmen, dass ein Rektor, der eine derart drastische Maßnahme wie die fristlose Entlassung ausspricht, die einschlägigen Rechtsgrundlagen benennen könnte, und auch wollte. Ich war irritiert.
Akt 4: Haus- und Betretungsverbot zum Schutz der Mitarbeiter
Wenige Wochen nach der Entlassung sprach der Rektor mir (H.E.) gegenüber ein Haus- und Betretungsverbot für die Universität sowie anderswo angemieteter Räumlichkeiten aus, um den “Schutz und die Sicherheit der Mitarbeiter/innen” zu gewährleisten. Als Anlass nannte er eine Begegnung von mir mit einer vormals engen Projektmitarbeiterin und Doktorandin auf einer Tagung etwa dreißig Kilometer von Klagenfurt entfernt. Ich hatte sie gefragt, ob wir reden könnten, sie lehnte ab und wir gingen ohne weiteres auseinander. Nach der Entlassung hatte ich mich immer wieder mit jenen Mitarbeitern, die das wollten, und mit Studenten, deren Arbeiten ich noch betreute, an der Universität getroffen. Nach dem Haus- und Betretungsverbot erhielt ich von der Katholischen Hochschulgemeinde eine besondere Art des “Kirchenasyls”: Ich konnte in ihren Räumlichkeiten die Betreuungsarbeit fortsetzen. Bis auf jene Doktorandin, die ich auf der Tagung getroffen hatte, hatten alle Studenten und Doktoranden, deren Abschlussarbeit ich vor der Entlassung betreut hatte, die Fortsetzung der Betreuung durch mich gewünscht. Dies sogar entgegen massiven Drucks der Hochschulleitung und der (nicht zutreffenden) Information, dass mit der Entlassung das Betreuungsverhältnis mit mir erloschen sei. – Das Haus- und Betretungsverbot gilt bis heute.
Akt 5: Verwunderte Studenten
Die Senior-Lecturer-Stelle war befristet. Sie wurde nach drei Jahren nicht (wie anfänglich vereinbart) verlängert, sondern neu ausgeschrieben. Ich (A.U.) bewarb mich trotzdem, hatte aber trotz dürftiger Bewerberlage (meine war im ersten Durchlauf die einzige Bewerbung) keine Chance. Das war mir zwar klar, aber es war nicht offiziell und so fragten in einer der letzten Seminarsitzungen des Semesters die Studenten, wer die Kurse im nächsten Semester durchführen würde. Ich erläuterte ihnen die Lage. Und sagte dabei auch, dass ich vermuten würde, dass meine Zeugenaussage für Frau Egner ein Grund für den Wunsch der Universität nach einer Trennung von mir sein könnte. Darauf fragte ein Student, ob ich eine solche Zeugenaussage wieder in Betracht ziehen würde, wenn mir die Konsequenzen bewusst gewesen wären. Dies schien alle sehr zu interessieren, denn in dem kurzen Moment zwischen Frage und Antwort hätte man die berühmte Stecknadel auf den Boden fallen hören können. Meine Antwort war kurz und eindeutig: “Ja.” Die Stille hielt an, bevor eine Diskussion über das Ja einsetzte.
Akt 6: Die Entscheidung, eine Studie durchzuführen
Nach meiner Entlassung hörten wir von anderen Fällen, die ebenfalls in die Jahre 2018 und 2019 fielen. Erste Kontaktaufnahmen ergaben eine verblüffende Ähnlichkeit der Geschichten. Das war nicht nur uns aufgefallen, sondern auch anderen. Im Februar 2020 fand in Passau die wissenschaftliche Tagung “Absender unbekannt. Verfahren der Wissenschaft zum Umgang mit anonymen Anschuldigungen” statt, die ein zentrales Element all jener Fälle, die wir zu dem Zeitpunkt kannten, zum Thema machte: Dass anonyme Vorwürfe ausreichen, um zu einer Entlassung oder Degradierung von einem hohen Amt zu führen. Anonyme Vorwürfe spielten auch in meinem (H.E.) Fall eine zentrale Rolle und hatten sogar vor Gericht Bestand. In der Planung der Tagung hieß es kurze Zeit, dass wir einen Beitrag leisten sollten. Dann war davon nicht mehr die Rede. Während der Tagung hörten wir, dass es solche Fälle wie uns nicht geben könne, da die Verfahren doch alle “best practise” seien. Selbst wenn, dann handele es sich um Einzelfälle, die nichts aussagen.
In unserem Buch ist nachzulesen, dass dies nicht der Fall ist.
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“Wie kam es dazu?”
Weil überhaupt keine Argumente für diesen Wahnsinn vorhanden sind, nicht mal in Spurenelementen. Wenn man pleite ist, einfach ein anderes Land in diesem Fall Russland und Ukraine ausrauben, geht`s noch?
Ich gönne den Russen und auch den BRICS+ Unterstützern ihren grandiosen Sieg der für immer in die Geschichtsbücher eingehen wird der den Zeitpunkt des Zusammenbruchs des US- Hegemon markiert.
Man hat den Eindruck zum ersten mal seit 80 Jahren hat das gute gesiegt. Und dafür ist es alle mal wert in welcher Form auch immer zu kämpfen.
Den Wertewestlern kann ich nur zurufen. Heult doch!
NOCH LAUTER BITTE. Die Antikriegsfraktion begleitet bestimmt gerne mit einer kleine Violine. Der kleinsten die wir für ein Duet finden konnten.
https://borepatch.blogspot.com/2013/08/worlds-smallest-violin.html
So wird das bestimmt ein schönes Gejaule.
“Heult doch!” Diese Begrifflichkeit kannte ich bisher eher von vorpubertären Rotzlöffeln in Fussball-Foren… Wie alt bist du, Tommy?
Otto Waalkes hatte es schon früh auf den Punkt gebracht: Iiidi-Amin, Iiidi-Amin – Mao-tsetung-King-Kong – Mao-tsetung-King-Kong. Honnegga-Honnegga…
Willkommen in einem Totalitarismus-Remake wie vor 40 Jahren = EU cancel-“culture” heute.
Klingt ja wie eine Geschichte aus der DDR.
na denn, herr korf, dann erzählen sie doch mal, wie es in der ddr so war. sie können es nicht? hab ich geahnt. immer dann, wenn jemand seinen senf zu dingen meint dazugeben zu müssen, obwohl völlige ahnungslosigkeit herrscht, kommen begriffe wie ddr, stasi, honecker, planwirtschaft, sozialismus, stalin blablablabla. das ganze verleumderische gedöns eben, was das thema nicht im entferntesten trifft bzw. überhaupt nichts damit zu tun hat.
hier werden doch marktwirtschaftliche realität und die totale verkommenheit der hochschullandschaft geschildert und keine (mutmaßlichen) ddr-verhältnisse, oder irre ich? was sollen dann solche doofen bemerkungen?
übrigens: wenn c. morgenstern wüßte, dass sie den namen seines protagonisten aus den ‘galgenliedern’ mißbrauchen…kennen sie die wenigstens?
Aha. Haben sie ein Beispiel, das so wie oben beschrieben, in der DDR stattfand?
NEIN!
Es klingt wie eine Geschichte aus den
’30-’40-igern, wo ein anonymer “Vorwurf”, ohne Beweise, ohne alles, ausreichte um in den Gestapo-Kellern auf nimmer Wiedersehen zu verschwinden. Ekelerregendes Denunziantentum mit fatalen Folgen.
Wie viele “Geschichten” aus der DDR kennen Sie denn?
Wenn Sie nichts Vernünftiges beizutragen haben, schweigen Sie lieber.
Ich hätte auch sagen können “Maul halten” aber dafür bin ich viel zu höflich.
Es lebe die Freiheit, kann man da nur sagen. Es ist nur die Frage, WELCHE…
Schlichtfrage: nicht entfristet – was soll das sein?
Wo im Artikel kommt der Begriff vor? Als Beschäftigter in der deutschen Akademenz kann ich Deine Frage möglicherweise beantworten, sobald sie mir klar verständlich ist.
Falls der Beginn von Akt 5 gemeint ist, da stellst Du die falsche Frage. Eine projektgebundene Stelle kann mit einem konkreten Geldbetrag oder (Besoldung x Zeitraum) finanziert sein. Eine vereinbarte Verlängerung muss nicht unbefristet sein, das kann auch nochmal $Geldbetrag2 sein für ein weiteres Zeitintervall.
Entfristung als formaler Akt kommt eher bei Stellen vor die zwar unbefristet benötigt werden, aber etwa als “zunächst befristet auf (z.B.) 2 Jahre” ausgeschrieben werden. Das ist für den Arbeitgeber dann sowas wie eine verlängerte Probezeit, die ohne Entfristung einfach den Vertrag beendet.