Lachgas – Eine philosophische Droge?

N2O, Lachgas
Tommaso.sansone91, CC0, via Wikimedia Commons

Drogenmissbrauch? Unbedingt ist davon abzuraten. Das betrifft auch Lachgas, gegen das zurzeit gerade Maßnahmen ergriffen werden (Soll Lachgas wirklich verboten werden?). Wer aber weiß, dass es ausgerechnet Lachgas (Distickstoffmonoxid) war, dass den großen Philosophen und Psychologen William James in Begeisterung versetzte?

1874, zwei Jahre, bevor er Professor für Philosophie und Psychologie an der Harvard Universität wurde, bekam William James eine merkwürdige Abhandlung zugeschickt. Sie stammte von Paul Blood, einem Poeten und Philosophen aus Amsterdam in Bundesstaat New York. Der seltsame Titel ließ James aufhorchen: „The Anaesthetic Revelation and the Gist of Philosophy“ (Die anästhetische Offenbarung und die Quintessenz der Philosophie).[i]

Erleuchtung beim Zahnarzt

Fast noch interessanter war der Anlass, zu dem diese Schrift verfasst wurde. Blood hatte sich einer Zahnoperation unterziehen müssen. Zur Schmerzlinderung hatte er Lachgas erhalten. Dabei, so behauptete er, habe er eine unglaubliche innere Erfahrung gemacht. Augenblicklich sei er in einen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand katapultiert worden, den er nur als Erleuchtung bezeichnen könne, als eine gewaltige, aber letztlich durch eine Anästhesie ausgelöste Offenbarung.

Begeistert schilderte Blood sein Erlebnis mit dem Betäubungsmittel. Seine Stimmung sei von bestürzender Feierlichkeit gewesen. Das sichere Empfinden habe ihn ergriffen, „mit dem Ursprünglichen und Universalen eins geworden zu sein.“ Die Welt sei „nicht mehr das Schrecken einflößend Fremde“ gewesen, „als die man sie mich zu betrachten gelehrt hat.“ Die Lachgaserfahrung habe ihn direkt ins „heile Zentrum des Alls“ getragen und ihm die Gewissheit gebracht: „Das Himmelreich ist innen.“

James, der den Bericht durchaus ernst nahm, war davon so fasziniert, dass er ein Lachgasexperiment an sich selbst vornahm. Seine eigene Beurteilung war kaum weniger euphorisch:

„Für mich, wie für jede andere Person, von der ich gehört habe, besteht das Grundlegende der Erfahrung in dem unerhört aufregenden Gefühl einer eindringlichen metaphysischen Erleuchtung. Die Wahrheit öffnet sich dem Blick in immer neuen Tiefen, deren Offenkundigkeit einen beinahe erblinden lässt. Der Geist erkennt alle logischen Beziehungen des Seins in einer offenkundigen Subtilität und Unmittelbarkeit, für die es im normalen Bewusstsein nichts Vergleichbares gibt.“

Freilich ist es kaum anzunehmen, dass Jugendliche, die gegenwärtig Lachgas inhalieren, unbedingt die gleichen Erlebnisse haben. Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen hängen nicht nur von der Art der Substanz, sondern ebenso von der psychologischen Disposition des Users und vor allem vom Setting –  der Umgebung und Situation – ab, in der die Substanz eingenommen wird. Ist man wie James gegenüber spirituellen Erfahrungen offen und ausreichend philosophisch beschlagen, besteht die Chance, solche Erfahrungen mit ausgewählten Substanzen zu intensivieren, ist man es nicht, werden sie möglicherweise ausbleiben.

Bewusstseinserweiterung und Psychotherapie

Wie auch immer: Durch seine Bereitschaft, Lachgas im Selbstexperiment zu prüfen, wurde William James zu einem der Vorläufer der modernen Bewusstseinserforschung mit Drogen. Ein Dreivierteljahrhundert später fand sie ihren vorläufigen Höhepunkt durch die Synthetisierung von LSD, dessen Ausbreitung in der Hippie-Bewegung und der Nutzung von Halluzinogenen in der Psychotherapie. An der Psychiatrischen Klinik Göttingen – um nur ein Beispiel zu nennen –  wurde LSD in den 1960-Jahren von dem Psychiater Hanscarl Leuner zur Vertiefung psychotherapeutischer Prozesse eingesetzt und erforscht. Unter dem Namen Psycholytische Therapie ist dieses Vorgehen, wenn auch in der Regel illegal, heute weit verbreitet.[ii]

William James verband seine Lachgaserfahrung aber mit einem anderen Aspekt der Nutzung psychoaktiver Substanzen. Die intellektuelle Ausbeute dieser Sichtweise wird in seinen berühmt gewordenen Vorlesungen zur „Vielfalt religiöser Erfahrungen“ deutlich, die er 1901 und 1902 hielt. Ganz offensichtlich hatte dabei auch sein eigenes Erlebnis mit Lachgas Einfluss ausgeübt. Denn ebenso wie bei Blood spielt bei James die Erfahrungswelt der Mystik eine besondere Rolle. Mystik, hier verstanden nicht als eine Theorie oder Theologie, sondern als emotional-affektive Erfahrung.

Die von James vorgetragenen Berichte über die entsprechenden Erlebnisse ordnete er in die 16. und 17. Vorlesung ein, die von der Mystik handeln. Sowohl im Haupttext der Buchausgabe, wie auch in den Anmerkungen bezieht er sich dabei über viele Seiten hinweg auf psychoaktive Substanzen – heute pauschal als „Drogen“ bezeichnet – und deren Ekstase erzeugende Wirkungen. Keinen Moment zweifelt er daran, dass auch bestimmte Drogenerlebnisse eine durchaus echte Spiritualität widerspiegeln können. „Drogenmystik“ und echte Mystik seien nicht zu unterscheiden.

Illusion oder „Transzendenz“?

Das war eine folgenreiche Aussage. Wenn sie zutrifft, kommen wir nicht daran vorbei, eines der schwierigsten und philosophisch umstrittensten Kapitel aufzuschlagen. Es handelt, oberflächlich betrachtet, von einer bestimmten psychopharmakologischen „Intoxikation“, also einer Art Vergiftung, zugleich jedoch von der möglicherweise bedeutsamsten menschlichen Bewusstseinserweiterung, die bekannt ist. Im Hintergrund stellen sich weitreichende metaphysische Fragen, die über Psychologisches weit hinausreichen: Handelt es sich um Illusionen oder wird hier etwas „Wahres“ widergespiegelt? Verweisen solche Erfahrungen auf etwas, das Philosophen Transzendenz nennen oder bedeuten sie lediglich, dass hier jemand einen hochinteressanten „Trip“ hatte? Um was geht es also?

Bei James wird deutlich, dass er die „Offenbarungen“ im Rauschzustand nicht als Illusionen befrachtet, sondern ihnen eine Art objektive Wahrheit zuspricht.  Unter geeigneten Umständen, so die Auffassung von William James, führen Rauschzustände wie der mit Lachgas auf den „mystischen Kern“, der in jedem Menschen schlummere. Dieser mystische Kern verweise jedoch, jenseits der rein psychologischen Ausdeutung, auf etwas Objektives. Sein diesbezügliches Resümee lautet so:

„Ein Ergebnis drängte sich mir damals auf, und mein Eindruck seiner Wahrheit ist seitdem unerschüttert geblieben. Es ist der Sachverhalt, dass unser normales waches Bewusstsein, das rationale Bewusstsein, wie wir es nennen, nur ein besonderer Typ von Bewusstsein ist, während überall jenseits seiner, von ihm durch den dünnsten Schirm getrennt, mögliche Bewusstseinsformen liegen, die ganz andersartig sind. Wir können durchs Leben gehen, ohne ihre Existenz zu vermuten; aber man setze den erforderlichen Reiz ein, und bei der bloßen Berührung sind sie in ihrer ganzen Vollständigkeit da: wohlbestimmte Typen von Mentalität, für die wahrscheinlich irgendwo ein Bereich besteht, in dem sie angewendet werden können und passen. Keine Betrachtung des Universums kann abschließend sein, die diese anderen Bewusstseinsformen ganz außer Betracht lässt.“

Obwohl William James –  als Philosoph einer der einflussreichsten amerikanischen Begründer des so genannten Pragmatismus – ein durchaus nüchterner Denker war, wies seine eigene Weltsicht einen unverkennbar spirituellen Akzent auf. Denn „auf jeden Fall“ – so James weiter –  verböten die unter dem Einfluss psychoaktiver Substanzen zugänglichen Bewusstseinsformen „einen vollständigen Abschluss unserer Rechnung mit der Realität. Wenn ich auf meine eigenen Erfahrungen zurückblicke, konvergieren sie alle in einer Art von Einsicht, der ich eine gewisse metaphysische Bedeutung zusprechen muss. Ihr Grundton ist unveränderlich eine Versöhnung. Es ist, als wenn die Gegensätze der Welt, deren Widersprüchlichkeiten und Konflikte all unsere Schwierigkeiten und Sorgen begründen, zu einer Einheit verschmelzen.“

Sinnsuche mit Drogen

Hier hatte William James einen Akzent gesetzt, den später noch unendlich viele Sinnsucher bedeutsam fanden. Unter ihnen etwa der Schriftsteller Aldous Huxley, der Psychologe Timothy Leary oder jener Chemiker, der 1943 erstmals das LSD synthetisierte: Der Schweizer Albert Hofmann.  Besonders aufschlussreich in dieser Hinsicht ist Aldous Huxleys berühmter Bericht „Die Pforten der Wahrnehmung“.[iii] Er basiert auf Selbstversuchen mit Meskalin. Oder dessen Roman „Eiland“. Die Inselutopie schildert eine Gesellschaft, die zum Frieden und zum liebevollen Miteinander gefunden hat. Wichtiges Hilfsmittel sind dabei die mystischen Erfahrungen unter dem Einfluss psychoaktiver Pilze (magic mushrooms).[iv]

Der Missbrauch solcher Substanzen ist ein ganz anderes Kapitel. LSD, so betonte Albert Hofmann immer wieder, sei ein Heilmittel.[v] Man nutzt es nicht, um aus dem Leben auszusteigen und in einer Wahnwelt unterzutauchen, sondern eher selten und zielgerichtet, um das Leben besser zu verstehen und angemessen zu bewältigen. Hanscarl Leuner setzte LSD bei seinen Patienten oft nur ein einziges Mal ein.  Das im Rauschzustand auftauchende seelische „Material“ reichte anschließend, um es in einer Vielzahl von Sitzungen zu bearbeiten.[vi]

Denn der Rausch, so meinte James, – allerdings keineswegs jeder Droge, aber eben doch bei einigen ausgewählten – kann so etwas wie die „Ja-Funktion“ in uns stimulieren. Wir lehnen dann das Leben nicht mehr ab, sondern nehmen es zustimmend an. Dabei weist die Drogenerfahrung oft über sich selbst hinaus in eine weitere und größere Dimension, die unser nüchternes Alltagsbewusstsein übersteigt. So könnte der Rausch ein Sinnvermittler sein. Zu wissen, dass das Leben sinnvoll ist, passt gut zu einer gesunden und optimistisch gestimmten Psyche.

Die Potentiale psychoaktiver Substanzen sind noch lange nicht ausgeschöpft.

 

Fußnoten

[i]Dieser Text basiert auf meinem Buches: Abenteuer Drogenmystik. Abenteuer zwischen Ekstase und Tod, Hamburg 20126.

[ii]Hans-Peter Waldrich: Gehirnwäsche oder Heilverfahren? Erfahrungen mit drogengestützten Psychotherapien, Hamburg 2014.

[iii]Aldous Huxley: Die Pforten der Wahrnehmung. Himmel und Hölle, 1970, Nachdruck Piper München.

[iv]Aldous Huxley: Eiland, München 23. Aufl. 1984.

[v]Albert Hofmann: LSD. Mein Sorgenkind. Die Entdeckung einer „Wunderdroge“, Stuttgart 2010.

[vi]Torsten Passie, Michael Schlichting, Ralf Bolle: Psycholytische Therapie nach Hanscarl Leuner. Grundlagen –  Praxis –  Perspektiven, Solothurn 2023.

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6 Kommentare

  1. Die Evolution hat Filter eingebaut, die das “zu viel” unterdrücken. Wenn die nicht funktionieren, kommt ADHS, Asperger oder gar Angstpsychose raus.

    Manisch Depressive kennen beide Seiten.

  2. Ob man mit einer bewusstseinsverändernden Substanz ins Leben ein- oder aussteigt, das lässt sich doch von außen oft gar nicht beurteilen und weiß man, wenn überhaupt, erst hinterher. Mir missfällt der moralische Unterton (gut/schlecht), der oft mit solchen Unterscheidungen mitschwingt. Im politischen Liberalismus wird davon ausgegangen, dass die Menschen frei sind und vor allem für sich selbst entscheiden.

    P.S. Man möge z.B. die angeblich ewigen Wahrheiten dieses Herrn Blood selbst lesen und beurteilen, was an seinen Trips dran war.

  3. Und was lernen wir jetzt daraus?
    Was hat die psychedelische Erfahrung mit Lachgas zu tun?
    Ich bin sehr überrascht, dass Lachgas nun überhaupt zu einem Thema wird. Lachgas wurde lange Zeit als Supplement während Narkosen benutzt. Es ist kein Betäubungsmittel und auch kein Schlafmittel, sondern ein gasförmiges Schmerzmittel mit euphorisierender Wirkung. Von Jugendlichen aus Lufballons inhaliert, ist es wegen seiner schnellen An- und Abflutung aber nicht ungefährlich, da es bei der Abflutung bei Atmung von Raumluft zur sog. Diffusionshypoxie führt. das ist der Grund, warum Atemgemische in Nrkosegeräten immer mindestens 30% Sauerstoff enthalten müssen.
    Nachdem Lachgas wegen des ohnehin bei Narkosen notwendigen Einsatzes von Opioiden überflüssig geworden war, hat die Industrie versucht, den Zahnärzten das Lachgas schmackhaft zu machen, da im Gegensatz zu Opioiden keine Atemdepression zu befürchten ist. Ich habe als ehemaliger Anästhesist keine Einwände gegen diese Anwendung, wenn sie fachgerecht durchgeführt wird.
    Wenn man verhindern will, dass Jugendliche das Zeugs inhalieren (was ich für richtig halte), dann sollte es für alle anderen Anwendungen außer der Medizin verboten werden. Als Treibgas für Sahne und Ähnliches kann man auch andere Gase (z.B. CO2) verwenden.

    Was das LSD betrifft. Als junger Mann habe ich in den siebziger Jahren mehrfach Cannabis., Meskalin und LSD genommen. Das bereue ich nicht, da das veränderte Bewußtsein unter dem Einfluss dieser Drogen eine sehr essentielle Erfahrung war. Dennoch ist der unkontrollierte Konsum von Meskalin und LSD gefährlich und gut, dass diese Drogen weitestgehend vom Schwarzmarkt verschwunden sind.
    Im Übrigen habe ich während meiner mehr als 33-jährigen Berufstätigkeit als Anästhesist, nie das Bedürfnis verspürt, Kokain oder Opiate zu probieren, obwohl ich täglich damit umgegangen bin.
    Wenn der Autor meint, dass er Lachgas ausprobieren sollte, nur weil ein bekannter Philosoph davon schwärmte, dann soll er es eben tun.
    Aber warum dieser Artikel?

    1. Ich will nur auf einen weniger wichtigen Punkt eingehen, der Zweifel an Deiner Selbstbeschreibung weckt: CO2 in wäßriger Umgebung ist sauer und prickelt auf der Zunge. Ich hab schon mal aus Neugier CO2 statt N2O zum Sahne aufschäumen verwendet, das will sicher niemand als normale Schlagsahne haben.
      Ich bin über einen Anästhesisten verwundert, der die Eigenschaften von CO2 und Unterschiede zu N2O offenbar nicht genau kennt, aber ersteres als Alternative anpreist.

      1. Hinsichtlich der Wirkung auf den Körper kenne ich Co2 und N2O sehr genau. Aber muss ich deswegen auch die Wirkung als Treibmittel fur Sahne kennen?

  4. Schon der einmalige Lachgaskonsum stiehlt dem Körper bis zu 50% seiner Vitamin B 12 Vorräte. Ein längerfristiger Konsum führt ohne Substitution zu schwersten Körperlichen Schäden. Das sollte in einem solchen Artikel nicht unerwähnt bleiben.

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