Kreuzzug gegen Landminen

Landminen
WeHaKa, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Der ehemalige Kriegschirurg Flavio Del Ponte engagiert sich gegen die die Anschläge auf Leib und Leben im Krieg. Besonders heimtückisch sind dabei Landminen.

Bei dem Kreuzzug gegen Landminen nutzte ich neben den persönlichen Erfahrungen, welche die nie erloschene Glut immer wieder anfachten, schamlos die vielen Fotos, die ich im Laufe der Jahre gesammelt hatte, um meine öffentlichen Präsentationen lebendiger zu gestalten und das Gewissen der Menschen zu »berühren«. Die Wirkung der Fotos änderte sich je nach Publikum und es mangelte nicht an Überraschungen, einschließlich Übelkeit und plötzlichem Verlassen des Saals beim Anblick von Kindern, die von Landminen zerrissen worden waren und die ich auf dem Operationstisch vor mir hatte.

Heutzutage haben wir uns durch die Medien fast daran gewöhnt, krude Bilder zu sehen, die kaum noch unsere Empfindsamkeit berühren und flüchtig an uns vorbeiziehen. Damals jedoch entdeckte ich eine Wahrheit, die mir bis dahin unbekannt war: dass die Kraft des Wortes in Verbindung mit dem Bild die menschliche Seele in ihrer Tiefe erreichen kann und erschüttert – wenn ein Publikum aufmerksam zuhört und bereit ist, die ihm angebotene Botschaft zu empfangen.

Sieben Prinzipien

Hin und wieder kam es dazu, dass es am Ende einer solchen Präsentation oder am Schluss einer Konferenz tosenden Applaus gab. Eine Zustimmung wie ein überwältigender, mächtiger Luftzug, der über die Kehle bis in die Lungen reicht, sie öffnet und dehnt und ein unfassbares Gefühl des Wohlbefindens erzeugt: ein berauschendes Vergnügen. Die moderne Medizin würde gewiss von einem gewaltigen Serotonin- und Dopaminschub sprechen … aber ein solches Gefühl muss man erst einmal erleben.

Hatte mich der Applaus für Musiker nach einem Konzert (manchmal sogar, bevor der letzte Ton verklungen war) oder für Schauspieler nach einem Theaterstück oder einer Lesung von Natur aus immer eher genervt, so konnte ich an diesen Tagen am eigenen Leib erfahren, was Künstler, Musiker, aber auch Redner empfinden, wenn das Publikum seine Wertschätzung durch Applaus ausdrückt und so an der Freude eines gemeinsamen Erlebnisses teilhat. Ja, Beifall als Belohnung war mir bis dahin unbekannt gewesen. Dann aber hatte ich erleben dürfen, was Applaus vermag: diese Geste der Hände, die einen trockenen, wiederholten Klang erzeugen, der sich zu anderen gesellt, an Intensität zunimmt und bis in die Tiefen der Seele vorzudringen vermag. Seit diesen Tagen glaube ich an die Kraft des Applauses: Er ist eine Hymne geteilter, unmittelbarer, ehrlicher und doch vergänglicher menschlicher Freude. Die Kraft des Applauses kann man allerdings – hin und wieder – auch durch einen Blick, eine Träne, ein Lächeln, ein Wort oder eine einfache menschliche Geste spüren.

Über die Verdienste unsere Strategie zur Unterstützung von Landminenopfern kann man heute wohl sagen, dass sie konzeptionell Hilfe auf alle Opfer von Gewalt und nicht nur auf die von Landminen ausweitete. Die Bereitschaft, Minenopfern und insbesondere Kindern zu helfen, musste auch Opfer von öffentlicher und privater Gewalt im Blick haben, und dies nicht nur in Bezug auf die kurativen, sondern auch auf die präventiven Aspekte. Unsere »Maputo-Strategie« wurde 2001 auf zwölf kleinen Seiten veröffentlicht und basierte auf sieben Prinzipien, die ich hier kurz aufzählen möchte:

  1. der Nicht-Diskriminierung von Opfern,
  2. einem integrierten und umfassenden Ansatz,
  3. dem Prinzip der Mitbeteiligung,
  4. nationaler Eigenverantwortung und institutioneller Unterstützung,
  5. dem Grundsatz der Transparenz und Effizienz,
  6. einem Ansatz für nachhaltige Entwicklung,
  7. der Definition der Rechte der Opfer.

Die Ottwaa-Konvention

Diese Punkte dürften heute wenig überraschen, aber sie weisen klar darauf hin, dass sich exakt in jenen Jahren neue Entwicklungen und konzeptionelle Wege abzeichneten, die inzwischen Allgemeingut geworden sind. Es sind die Leitprinzipien für jedes gültige Entwicklungs- und Kooperationsprojekt in der Welt. Die Erinnerung daran, wie wir uns damals gegen Angriffe und Kritik wehren mussten, lässt mich heute lächeln. Mit unserem Think Tank waren wir unserer Zeit etwas voraus.

Die Maßnahmen, die von der Schweiz im Rahmen des Ottawa-Übereinkommens und insbesondere im Bereich der Hilfe für Minenopfer durchgeführt werden konnten, dienten dazu, das Konzept der Opferhilfe »tout court« zu erweitern, und wurden und werden immer noch als wertvoller Katalysator für Friedensbemühungen genutzt.

Von Anfang an hing allerdings eine schwere Hypothek über der Ottawa-Konvention: die Nicht-Ratifizierung durch die Supermächte USA und Russland, China und Indien. Sie alle hatten unannehmbare Vorwände und lächerliche Ausreden vorgebracht, um das Übereinkommen nicht ratifizieren zu müssen – obwohl sie, wie sie sagten, es »könnten«. Bis heute ist die Konvention von 156 Staaten unterzeichnet worden, dagegen stehen 39 Nichtunterzeichner. Es bedarf hier keines Kommentars, aber einer deprimierenden Feststellung: Antipersonenminen gibt es auch heute noch und sie sind in mehreren laufenden Konflikten und bei einigen tragischen aktuellen Ereignissen wie in der Ukraine und im Gazastreifen wieder aufgetaucht, wo sich die »longa manus« der Großmächte nicht mehr verstecken kann.

Im Lichte der aktuellen Kriegssituationen erscheint es bedeutsam, dass zu den 39 Nicht-Unterzeichnern neben den oben genannten Mächten auch Saudi-Arabien, Armenien und Aserbaidschan, Burma, Nord- und Südkorea, Indien und Pakistan, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate, Israel und Libanon, Ägypten, Libyen und Marokko gehören.

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11 Kommentare

  1. Bei dem Prinzip der Mitbeteiligung denke ich an Firmen in Deutschland, die solche Minen produziert und verkauft. Nicht nur die Nichtnutzung, auch und gerade die Nichtproduktion muss Ziel sein.

  2. Clausewitz bemerkt folgendes Erhellende:

    Nun könnten menschenfreundliche Seelen sich leicht denken, es gebe ein künstliches Entwaffnen oder Niederwerfen des Gegners, ohne zuviel Wunden zu verursachen, und das sei die wahre Tendenz der Kriegskunst.
    Wie gut sich das auch ausnimmt, so muß man doch diesen Irrtum zerstören, denn in so gefährlichen Dingen, wie der Krieg eins ist, sind die Irrtümer, welche aus Gutmütigkeit entstehen, gerade die schlimmsten.
    Da der Gebrauch der physischen Gewalt in ihrem ganzen Umfange die Mitwirkung der Intelligenz auf keine Weise ausschließt, so muß der, welcher sich dieser Gewalt rücksichtslos, ohne Schonung des Blutes bedient, ein Übergewicht bekommen, wenn der Gegner es nicht tut.
    Dadurch gibt er dem anderen das Gesetz, und so steigern sich beide bis zum äußersten, ohne daß es andere Schranken gäbe als die der innewohnenden Gegengewichte.
    So muß man die Sache ansehen, und es ist ein unnützes, selbst verkehrtes Bestreben, aus Widerwillen gegen das rohe Element die Natur desselben außer acht zu lassen.
    Sind die Kriege gebildeter Völker viel weniger grausam und zerstörend als die der ungebildeten, so liegt das in dem gesellschaftlichen Zustande, sowohl der Staaten in sich als unter sich.
    Aus diesem Zustande und seinen Verhältnissen geht der Krieg hervor, durch ihn wird er bedingt, eingeengt, ermäßigt: aber diese Dinge gehören ihm nicht selbst an, sind ihm nur ein Gegebenes, und nie kann in der Philosophie des Krieges selbst ein Prinzip der Ermäßigung hineingetragen werden, ohne eine Absurdität zu begehen.

  3. Wirklich zielführend wäre es doch, jede Körperverletzung im Krieg zu ächten.
    Das sollte doch machbar sein.
    Als Nächstes nehmen wir dass Sachbeschädigung aufs Korn.

    1. Ich nehme ihren Spott zu Kenntnis.
      Haager Landkriegsordnung als (Mit)Grundlage des Völker(kriegs)rechts gebe ich ihnen zur Kenntnis. Ebenso den Vertrag von Helsinki. Etc.

      1. Ich bitte sie, das ist kein Spott. Eher Verzweiflung.
        Wenn der Homo Sapiens schon nicht aufhören kann, sich ständig gegenseitig abzuschlachten, sollte er das wenigstens so human wie möglich machen.

        1. Dann verzweifelst du an der Wirklichkeit, dem Sosein des Seins. Das Sein ist Kampf. Wie dieser Kampf verwirklicht wird ist uns überlassen, aber es ist und bleibt Kampf.

          JEDER steht mit JEDEM AUCH im Widerstreit, im Kampf. Die Wirklichkeit des Seins ist die, das in dieser stofflichen Welt eben diese Welt begrenzt ist und das Weltgeschehen sich in zeitlicher Folge von Ursache und Wirkung vollzieht – den Platz den du einnimmst kann kein anderer einnehmen, was du nutzt, kann kein anderer nutzen.

          Die Welt ist wie sie ist und sie ist kein Wunschkonzert, sie ist eine Welt des Sowohl-als-auch, eine Welt der Liebe und des Hasses, des Kampfes und des Friedens.

          1. Nein, NEIN, N E I N
            Die Welt ist wie sie bisher geworden ist, bzw. wie sie von den früheren Generationen hinterlassen wurden. Der geschichtlich Prozess ist nicht abgeschlossen. Der aktuelle Vorschlag zum Organraub bereits bei Herz-Kreislauf-Stillstand zeigt deutlich genug wo die Klassengrenze durch jeden einzelnen immer wieder von neuem zu ziehen ist.

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