Debatten um Falschnachrichten, insbesondere die argumentativen Muster, zugeschriebenen Ursachen und angestrebten Lösungen widersprechen demokratischen Grundsätzen und Normen auf fundamentale Art und Weise.
So sprechen die dominanten Narrative über falsche oder fehlgeleitete Nachrichten Bürgern die grundsätzliche Fähigkeit dazu ab, sich im politischen Umfeld eigenständig orientieren und sich eine Meinung bilden zu können. Stattdessen verweisen sie auf die Notwendigkeit, falsche und irreführende Informationen oder Meinungen zu zensieren, aus dem Diskurs auszuschließen und diese teilweise sogar zu kriminalisieren, wie es etwa im neuen Straftatbestand der Staatsdelegitimierung bzw. auch der noch ungenauer definierten Staatsverhöhnung geschieht. Im neu sich entfaltenden Diskurs, welcher freie Meinungsäußerung für falsch und gar gefährlich erklärt, wird zunächst einmal die Vielfalt von Informationen und Perspektiven selbst zum Sicherheitsproblem deklariert. So formulierte WHO-Generaldirektor Ghebreyesus 2020 »We’re not just fighting an epidemic; we’re fighting an infodemic«.
Im Folgenden fasste die WHO unter ebendiesem Stichwort ›Infodemie‹ ein »Zuviel an Informationen, auch falscher oder fehlleitender Information in der digitalen oder physischen Umwelt während des Ausbrauchs einer Krankheit« (WHO a, ohne Datum). Diese führe sowohl zu risikobehaftetem Handeln als auch zu Vertrauensverlust in die Gesundheitsbehörden und könne so Krankheitsausbrüche verlängern (ibid.). Die Vielzahl der Informationen und Informationsquellen überfordere den Bürger, führe zu Verunsicherung, Ängsten und Orientierungslosigkeit, dieser Einschätzung schließt sich auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) an (BMBF 2021a; EU, ProWell, kein Datum).
Darüber hinaus werden aber auch einzelne fehlgeleitete (Misinformation) oder bewusst falsche Informationen (Desinformation) regelmäßig als sicherheitsgefährdend aufgeführt. Zuletzt ›transportiert‹ das Konzept der Malinformation, dass auch Informationen, die unseren geteilten Beweisführungsstandards entsprechend als wahr oder wahrscheinlich gelten müssten, durchaus gefährlich und aus dem öffentlichen Raum zu tilgen seien, wenn sie zu falschen Schlüssen genutzt werden (könnten) (Wardle/Derakshan 2017; Böllstiftung 2020; BMBF 2021b Nature 2022).
In der akademischen Literatur, den Veröffentlichungen regierungsnaher Stiftungen wie auch Medienberichten lassen sich insgesamt die folgenden Gefahrennarrative sowohl über ein ›Zuviel‹ an Informationen als auch ›Mis- Des- und Malinformationen‹ zusammenfassen:
- a) Die Herstellung von Verwirrung und Zwietracht in der Bevölkerung durch bewusst gestreute Mis- und Desinformation durch autokratische ausländische Akteure (meist Staaten wie Russland, China, Brasilien, Ungarn)
- b) Die Zerstörung demokratischer Meinungsbildungsprozesse durch die Manipulation von Information
- c) Die Delegitimierung von demokratischen Institutionen durch Kritik an ihnen und ihrer Funktionsweise
- d) Die sicherheitsrelevante Beeinflussung von Verhaltensweisen durch falsche (unwissenschaftlich hergeleitete) Informationen und Sichtweisen auf Krisensituationen
- e) Die Unterstützung von Gewalttaten, Hass und Hetze durch falsche Informationen und Sichtweisen
Mit diesen Gefahrennarrativen geht jeweils eine Inversion grundlegender demokratischer Normen und Begriffsverständnisse einher, die im Folgenden näher analysiert werden sollen.
Die Inversion der Bedeutung des Bürgers
Im Diskurs für Zensur besteht der Bürger, so wie er in den unterschiedlichsten Demokratietheorien verstanden wird, nicht mehr. Die gesellschaftspolitische Rolle des Bürgers besteht aus Annahmen über dessen Aufgaben, Rechte und ethisch-moralische Position im politischen Gefüge – also der regelhaften Ausübung dieser Position. Der Begriff und die damit verbundenen Normen, Werte und Annahmen im klassischen Demokratiediskurs beruhen zunächst einmal auf a) der Annahme der Gleichwertigkeit aller Bürger und b) der Mündigkeit des Bürgers. Sie basiert weiterhin auf der Annahme des Rechtes (und zumindest der moralischen Pflicht) aller Bürger, c) sich mit politischen Angelegenheiten zu befassen, die eigene Perspektive zur Diskussion zu stellen und d) politische Entscheidungsfindungen und -träger zu hinterfragen und zu kritisieren.
Fundamental liegt diesen Annahmen die demokratisch-ethische Notwendigkeit zugrunde, dass e) alle Macht im Staat sich rechtfertigen muss und letztlich nur durch die Zustimmung der Bürger legitimiert werden kann. Die gesellschaftspolitische Rolle des Bürgers ist also die des kritisierenden, evaluierenden, kontrollierenden und letztlich legitimierenden Akteurs aller politischen Macht. Eine wichtige Grundvoraussetzung für die Ausübung dieser Teilnahme am politischen Diskurs ist f) die Akzeptanz demokratisch-kommunikativer Grundnormen – allen voran, dass Akteure nicht an der Ausübung ihrer demokratischen (Rede-)Rechte gehindert, von der Öffentlichkeit ausgeschlossen oder gar tätlich davon abgehalten werden. Es sind diese Rechte und Pflichten, über die sich die Rolle des Bürgers in demokratisch verfassten Gesellschaften von jener in autokratischen oder diktatorisch organisierten Herrschaftsverhältnissen unterscheidet. Alle der genannten Grundvoraussetzungen für das Verständnis der Rolle des Bürgers in demokratisch verfassten Staaten werden im Zensurdiskurs indirekt und teils direkt konterkariert.
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Die Berliner Zeitung hat heute einen interessanten Artikel über das sowohl den Zensurbestrebungen wie auch den Coronamaßnahmen und dem Aufrüstungswahn zugrunde liegende neue ‘Gesellschaftsdispositiv’:
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/corona-krise-verschwoerung-oder-zufall-weder-noch-li.2256408
Daraus folgt geradezu zwingend eine ‘vorsorgliche Aufrüstung’ an allen gesellschaftlichen und sonstigen Grenzen.
Danke für den Link. Die Berliner Zeitung hat wirklich unter den neuen Eigentümern sehr viel erreicht und, wie man hört, schreibt sie schwarze Zahlen.
Was die Autorin kenntnisreich beschreibt, ist das, was ich sehr viel weniger umfassend, die Etablierung eines technokratischen Totalitarismus nenne. Und es nützt nicht mit, die Wahrung unserer Autonomie, unserer bürgerlichen Rechte bei denen einzufordern, die die feste Absicht haben, sie abzuschaffen. Mal einfach gesagt, wenn wir sie nicht hindern können , und es sieht alles so aus, dass wir dazu nicht in der Lage sein werden, dann werden wir es erleiden.
Die Linke, vor allem die radikale von Marx kommende Linke hat seit dem Manifest immer wieder die finale Krise des Kapitals kommen sehen. Die kam sowenig wie der Messias. Nun, da sie tatsächlich kommen könnte und es wird ganz sicher keine emanzipatorische Aufhebung, steht ein Teil der Linken auf und fordert, man möge ihnen Masken geben, die Verweigerer verhungern zu lassen und bald werden sie fordern , in Ketten gelegt zu werden. So wie es läuft, wird das ein erfüllbaren Wunsch.
Nur beschreibt sie eben auch das ‘Warum’ – nur so lässt sich im übersättigten Spätkapitalismus ‘produktiv’ noch mal einigermaßen Kohle machen. Einen wichtigen Aspekt dieser ‘Akkumulation durch Enteignung’ beleuchtet sie indes zu wenig – der Kunde bei all diesen Produkten und Dienstleistungen ist der Staat im Namen seiner willfährigen Bürger, die, bleiben sie passiv oder gar noch einverstanden, damit tatsächlich ihre eigene Kettenlegung nicht nur fordern, sondern auch noch zahlen. Das wäre doch nun wirklich ein würdiges Endstadium.
Das stimmt natürlich und dir kann nicht widersprochen werden. Natürlich können sie Ketten nicht kostenlos sein. Wäre ja noch schöner.
Am besten finde ich, daß er die Ketten auch noch selbst schmiedet. Maske Mist? Einfach nicht aufsetzen und weiterhin frei atmen. Passierte nicht. Radweg schrott? Einfach nach links lenken, auf die Fahrbahn und Luxus genießen. Passiert nicht. Und so weiter. Schon der geringste Widerstand wird verweigert.
Die Kette kann weder zu schwer noch zu dick sein, die der Mensch sich anlegt und dem angeblichen Unterdrücker in die Hand gibt. „Endlich muß ich mich mal wieder für 100 Jahre ordentlich unterdrücken lassen.“ Widerwärtig. Ich habe mal gedacht, der Mensch sei ein Lebewesen mit Augen für die Welt und voll eigener Gedanken. Stattdessen ist er so stumpfsinnig wie mancher Film ihn darstellt, nur der entsprechende Gang fehlt noch, schlurfend, trottend, vielleicht ein wenig sabbernd. Doch stets auf den nächsten Befehl wartend, welchen er eifrig ausführen wird.
Nur eine waschechte Revolution kann das noch verhindern!
Das ist so richtig, wie es auch richtig ist, dass es keine Revolution geben wird. Wenn man es von uns fordert, tragen wir den ganzen Tag Masken, freuen uns, wenn Demonstranten, die das Grundgesetz verteilen, verhaftet werden, werden die Kriegsschuld der Russen nicht anzweifeln und die Amerikaner für unsere Freunde halten. wenn es von uns verlangt wird, werden wir genderastisches Idiotendeutsch sprechen und uns biologischen Unfug gesetzlich vorschreiben lassen. Ach, du kennst das alles selbst. Und da man uns nicht erlauben wird, Revolution zu machen, ist klar, dass wir keine machen.
Das Einzige, was man uns zugute halten kann, ist, dass wir diesmal keinen deutschen Sonderweg gehen. Es ist überall das Gleiche.
Siehe auch
https://www.haaretz.com/opinion/2024-09-23/ty-article-opinion/.premium/the-forced-closure-of-al-jazeera-should-be-a-dire-warning-to-all-journalists-in-israel/00000192-1acc-ddf9-a9fa-7fcc97b50000
Evelyn Gecht-Galinski schreibt
“Mein Fazit:
Immer seinem Gewissen folgen und Widerstand gegen Willkür leisten – in Gedenken an meinen Vater Heinz Galinski, der am 19. Juli 1992 verstarb und der sagte „Ich habe Auschwitz nicht überlebt um zu neuem Unrecht zu schweigen“.
Ich schweige nicht!
Immerhin, sehr nahe dran der Artikel aus der Berliner Zeitung.
Wir sollten nicht vergessen, das die herrschende Klasse und dezimieren und den Rest versklaven wollen.
Das, wird eben leider in dem Artikel nicht erwähnt.
Vielen Dank für den Link!
Ja guter Artikel im Ganzen. Trotzdem: “Im Gegenteil, es ist der stets wachsende Care-Sektor, der für die stagnierende gesellschaftliche Gesamtproduktivität verantwortlich ist.” Oben weiß sie noch etwas von tendenziellen Fall der Profitrate, was ja nur ein anderer Ausdruck für die steigende Produktivität der Arbeit ist. Jetzt ist der wachsende Care-Sektor für die stagnierende gesellschaftliche Gesamtproduktivität verantwortlich. Dabei merke ich nichts von einem wachsenden Care-Sektor und auch die ganzen Neuerungen, Gesundheits Apps usw. sind ja nur eine Form der Produktivitätssteigerung in diesem Bereich.
Hier mag ich an den römischen Kalender erinnern, da dieser Kalender für die gesamte Welt existiert. Offiziell ja, aber es existieren genügend Völker die darauf mit einem Lächeln antworten.
Dieses Lächeln hat heute eine andere Wahrnehmung hervorgebracht, indem Masse, das der Jesuit Papst sich von dem katholischenn Irrglauben verabschiedet hat. Mein Beitrag ist nicht religiös zu bewerten, aber dieser Papst hat sich zur Versöhnung mit der restlichen Welt einen bemerkenwürdigen Status erreicht.
Die Norm vom demokratischen Sein, liegt in der Norm von Jesus Kristus und sein ‘Gebet’ gegen die satanischen Verse. Armen.
Völlig daneben???
Vermutlich ein Opfer des “Verworrenen Jahres”.
Kamen die Oblaten aus der Asservatenkammer?
Staatsdelegitimierung jetzt Straftatbestand? Hab ich was verpasst?
Es geht wohl um die “Verfassungsschutzrelevante Delegetimierung und Verächtlichmachung des Staates”:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/verfassungsschutz-kritik-extremismus-delegitimierung-verfassung-bericht
De facto Ja!
Die anprangernde Aufnahme in die entsprechende ‘Feindesliste’¹ des Verfassungsschutzes kann – und soll – diverse Sanktionen nach sich ziehen: Verlust des Arbeitsplatzes (insbesondere für Beamte, Öffentlicher Dienst, ‘sicherheitsrelevante’ Tätigkeiten in z.B. Flugplätzen usw.), Kontensperrung, Waffenschein weg² usw., davon sicher vieles ‘unter der Decke’ bei Wohnungssuche, Kreditwürdigkeit usw.
Man kann dagegen nur vorm Verwaltungsgericht klagen, dort steht man sich im großen und ganzen schlechter (z.B. Gerichtskosten) als vorm Strafgericht³, abgesehen davon, dass man (vorerst) nicht im Knast landen kann.
Übrigens ist es leider wahrscheinlich, dass die AfD dieses Instrumentarium überhaupt nicht abschaffen, sondern freudestrahlend in die andere Richtung drehen würde, selbst wenn Björn Hocke dem nur unter allergrößten Bedenken zustimmte – So große Bedenken, dass sogar Kubicki vor Neid erblasste.
¹ https://www.alexander-wallasch.de/gesellschaft/wir-verklagen-den-bayerischen-verfassungsschutz-wegen-erstellung-von-feindeslisten
² Natürlich ein gutes Beispiel für Sanktionen, die mir persönlich so was von an der Handkante vorbei gehen…
³ Die auch Geldstrafen, Berufsverbote, Bewährungsauflagen usw. verhängen können
Naja, wenn man schon in der Grundannahme behauptet: “ausländische Akteure (meist Staaten wie Russland, China, Brasilien, Ungarn)” und dann im letzten Satz “in demokratisch verfassten Staaten” hervorhebt, dass man ja so anders ist, dann zweifle ich am Ergebnis. Die genannten Staaten bezeichnen sich auch als Demokratie und sind als Demokratie genauso viel wert wie die “demokratisch verfassten Staaten”. Leere Worte und jeweils ein anderer Typ von Elite, der dem Volk sagt wo es lang geht. Notfalls mit Gesetz und Zensur. Von Demokratie weit und breit nichts zu sehen.