Warten, bis die Bargeldinfrastruktur zerfällt

Bargeld, cash
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Die Deutsche Bundesbank schlägt sich auf die Seite der Banken und argumentiert gegen ein Gesetz zur Sicherstellung der Bargeldversorgung. Dialoge sollen die Bargeldinfrastruktur vor dem Zerfall retten.

Zwei Automaten abgeschaltet, der dritte will kein Bargeld. Am anderen Ende des Bahnhofs wird dann doch noch etwas daraus. Als Barzahler in der Berliner U-Bahn, das ist abenteuerlich. Keine gute Idee, wenn man einen Vortrag über Bargeld hält und pünktlich ans Ziel kommen möchte: Am 13. November 2024 sprach ich in Berlin auf der Jahresversammlung des deutschen Verbands der Geldtransportunternehmen (BDGW). Die anderen beiden Redner waren die Verbraucherschutzstaatssekretärin der Hauptstadt, Esther Uleer, sowie der oberste Beamte der Bargeldabteilung der Bundesbank, Stefan Hardt.

In seinem Grußwort versprach der Leiter der Staatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters, Florian Graf (CDU), man werde noch einmal mit den Berliner Verkehrsbetrieben ins Gespräch gehen. Nicht wegen der U-Bahn, sondern mit Blick auf die Busse. Dort gibt es seit dem 1. September 2024 beim Fahrer kein Ticket mehr für Barzahler. Er glaube nicht, »dass es so viel ausmacht«, aber die Annahme von Bargeld wäre »ein Symbol und wichtig«, so Graf. Kinder bräuchten Banknoten und Münzen, um den Umgang mit Geld zu erlernen.

Kinder müssen Eintrittskarten online buchen

Der Regierungsbeamte, der in der Vergangenheit kurzzeitig dem Geldtransportverband als Geschäftsführer diente, bestätigte den Rückgang bei Geldautomaten und Bankfilialen in Berlin. Er fügte an: »Wenn das einmal weg ist, wird es verdammt schwer, das wieder zurückzubringen.« Erst am 23. Oktober 2024 hatte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, Stefan Genth, gefordert, »den Bargeldkreislauf zu sichern«. Durch die Schließung zahlreicher Bankfilialen werde der Umgang mit Bargeld für den Handel immer herausfordernder und kostenintensiver. Wenn »immer mehr Bankfilialen schließen, droht der Bargeldkreislauf zusammenzubrechen«, so Genth.

Die Verbraucherschutzstaatssekretärin Esther Uleer hob in ihrem Vortrag die Mitverantwortung der Konsumenten hervor: »Bei sinkender (Bargeld-) Nutzung steigt der Kostendruck.« Die Verbraucher sollten aber »selbst entscheiden, wie sie bezahlen«, so Uleer. Man unterstütze als Senat die Digitalisierung und bekenne sich »natürlich auch zur Freiheit des Bezahlens«. Uleer erwähnte die Bedeutung des Bargelds für den Schutz der Privatsphäre und die Anfälligkeit digitaler Systeme. Die Bundesländer hätten auf der letzten Verbraucherschutzministerkonferenz im Juni 2024 die flächendeckende Akzeptanz von Bargeld beschlossen. Zum Hintergrund: Auf der Konferenz hatten Minister und Staatssekretäre aller Länder den Beschluss gefasst, die Bundesregierung aufzufordern, »auch auf EU-Ebene für den flächendeckenden Erhalt und die Nutzungsmöglichkeit von Bargeld als Zahlungsmittel einzutreten«.

Auf die sehr konkreten Probleme in der Hauptstadt ging Esther Uleer weniger ein. Das konnte ich später in meinem Vortrag nachholen. Die Berliner Bäderbetriebe zwingen Kinder an einigen Standorten seit dem Sommer, die Eintrittskarte online zu buchen. Nach repräsentativer Untersuchung der Bundesbank waren die Deutschen im Jahr 2023 in Behördenangelegenheiten in 50 Prozent der Fälle genötigt, digital zu bezahlen. 2021 waren es noch 37 Prozent. Der Staat lehnt das einzige staatliche Zahlungsmittel ab. Und das betrifft zum Teil auch Bürgerämter in Berlin.

Stefan Hardt als zweiter Redner brachte die Perspektive der Bundesbank ein. Man sende eine schlechte Botschaft, wenn der Staat sein eigenes von ihm in Umlauf gebrachtes Zahlungsmittel ablehne. »Das ist wirklich nicht hinzunehmen«, sagte Hardt mit gewisser Entrüstung. Zum Teil würden staatliche Akteure die Bargeldablehnung damit rechtfertigen, dass sie Betriebe in GmbHs ausgelagert hätten.

Bargeld muss attraktiver werden

Der sehr gesteigerte Rückgang der Barzahlungen lasse »Schlimmes befürchten«. Der Zugang zu Bargeld werde in der Bevölkerung als schwieriger empfunden. Hintergrund sei das Schwinden von Bankfilialen und Geldautomaten. Man müsse alles tun, damit »das Bargeld im Wettbewerb (gegen digitale Zahlungsmittel) bestehen kann«.

Auch Hardt hob die Bedeutung von Banknoten und Münzen für Kinder hervor. Ihm fehle die Phantasie, wie er sonst seinen Söhnen »den Umgang mit Geld hätte beibringen können«. Die FAZ habe frisch berichtet, selbst Achtklässler könnten laut Studie nicht mit Smartphone und Tablet umgehen, nur wischen und klicken. An diesem Punkt blühte Hardt sichtlich auf: Die Forschung zeige, dass man mehr Wertschätzung für das besitze, was man für sein Geld ersteht, und weniger Müll kaufe, wenn man Bargeld nutze. Bei den digitalen Zahlungsmitteln bezahle man mit seinen Daten.

Nach den Vorträgen fand eine Podiumsdiskussion mit einigen neuen Gesichtern statt, darunter Kolja Gabriel aus dem Vorstand des Deutschen Bankenverbands. Die Debatte eröffnete Michaela Schröder vom Bundesverband der Verbraucherzentralen mit der Forderung, der Gesetzgeber solle den Zugang zu Bargeld sicherstellen. Man müsse »fortschrittlicher rangehen«, anstatt zu warten, bis die Bargeld-Infrastruktur abgebaut ist, um dann eine »Rolle rückwärts« zu machen.

Stefan Hardt warf ein, es gebe 80.000 Zugangsstellen zu Bargeld in Deutschland (50.000 Automaten plus 30.000 Händler, die Bargeldauszahlung anbieten). Da könne man nicht sagen, die Leute wollen nicht mehr mit Bargeld bezahlen, weil sie keinen Zugang hätten. Einige Zuhörer fragten sich an dieser Stelle, weshalb die reine Anzahl auf einen guten Zugang schließen lässt, denn an den Automaten fremder Banken werden oft hohe Gebühren fällig. Auf die Bühne fand dieser Gedanke aber nicht. Hardt appellierte, Bargeld müsse attraktiver werden. Eine Abschaffung der 1- und 2-Cent-Münzen könne die Last des Geldbeutels mildern.

Maßnahmen für die Verfügbarkeit von Bargeld sind notwendig

Friedemann Berg sieht darin den Einstieg in den Ausstieg aus dem Bargeld. Der Jurist arbeitet als Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks und steht der neuen Organisation »Bargeld zählt« vor. Diese Initiative soll dem Bargeld eine Stimme in der Politik schaffen und setzt auf die Unterstützung durch kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Sozialverbände. Berg will die Gebühren für die Bargeldeinzahlung und Bargeldauszahlung begrenzen und fordert Maßnahmen für die Akzeptanz und Verfügbarkeit von Bargeld. Auf dem Podium beklagte er, die Bundesbank tue zu wenig: »Meinen Sie wirklich, es reicht, nur ein (Dialog-) Forum einzurichten, Herr Hardt?«

»Ganz klar«, antwortete der Bundesbankbeamte. »Wir sind der Meinung, das reicht – im Moment.« Wenn es um neue Vorschriften gehe, sei »doch das Mindeste«, dass ganz klar anhand von Analysen belegt werden könne, dass ein Verfügbarkeitsproblem besteht, wenn wir als Gesellschaft »in Vertragsfreiheiten eingreifen«, »die im Grundgesetz geregelt sind«. Wenn aber der Gesetzgeber bei der Bundesbank eine Analyse anfragen würde, dann käme dabei nicht heraus, dass ein Zugangsproblem bestehe, so Hardt. Vertragsfreiheit bedeutet zum Beispiel, dass Bank und Bankkunde frei darin sind zu vereinbaren, wie der Zugang zu Bargeld (über Automaten, Filialservice) auszusehen hat oder nicht. Stefan Hardt selbst nannte keine Definition für den Begriff.

Zustimmung kam sogleich von Kolja Gabriel vom Bankenverband. Die Vertragsfreiheit sei ein »sehr wichtiges Gut, das man nicht einfach so aushebelt«. Michaela Schröder entgegnete mit viel Einfühlsamkeit, dass eine gesetzliche Regulierung gut sei, »wenn man sie mal vorausschauend macht«. Man müsse klären, wo der Punkt sei, an dem man sage, dass die Verfügbarkeit nicht mehr ausreichend gewährleistet sei. »Was ist es uns wert als Gesellschaft?«

Wann tritt der Kipppunkt ein?

Stefan Hardt bat darum, dem Nationalen Bargeldforum der Bundesbank eine Chance zu geben. Im Februar waren erstmals relevante Akteure aus Handel, Finanzwirtschaft und Geldtransportbranche zusammengekommen, um an einer Lösung für die Probleme im Bargeldsystem zu arbeiten. Man könne, so Hardt, immer noch über gesetzgeberische Maßnahmen reden, falls die Idee mit dem Bargeldforum irgendwann scheitere.

Der Moderator hakte nach: Wann tritt der Kipppunkt für das Bargeld ein, wird das im Forum diskutiert? Er tue sich schwer, antwortete Stefan Hardt, mit 25.000 Automaten eine absolute Untergrenze zu nennen. Wenn die Automaten schwinden, weil die Leute wenig Bargeld nutzen, und nicht andersherum (also die Leute wenig Bargeld nutzen, weil die Automaten schwinden), dann falle es ihm schwer zu sagen, »die Zahl muss fix so sein«. Eine eisige Atmosphäre machte sich im Raum breit.

Friedemann Berg gab zurück, man spreche hier über ein öffentliches Gut. »Der soziale Aspekt bleibt außen vor, wenn wir nur noch nach der Mehrheit schauen, was die denn will«, so Berg. Der Bundesbankbeamte Stefan Hardt verteidigte sich sofort: Das sei nicht seine Position gewesen. Er sei einfach nicht in der Lage, heute eine fixe Zahl zu nennen.

Den Vortrag von Hakon von Holst auf der Tagung in Berlin gibt es zum Nachlesen hier.

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13 Kommentare

  1. Wenn irgendwas an der Bargeldlos Agenda stimmen sollte gehören als erstes die Banken, Geldhäuser und die Finanzdienstleister Abgeschafft. Eine KI kann das günstiger, besser und ist nicht gewinnorientiert. Das wäre die beste Erfindung seit der Bargeldschöpfung aus dem Nichts.

    Das Ende der Schuldknechtschaft

  2. Attraktivität erhöhen? Wie wärs, wenn der Barzahler nicht mehr die Kreditkarte mitbezahlen muß. Wieviel drückt der Händler dafür ab, 3%, 2% oder 5%? Sind schön in den Preisen enthalten, für Konzerne, die nichts zum Produkt oder zur Dienstleistung beitragen, Parasiten.
    Allein durch den höheren Preis würde schon viel mehr Bar gezahlt werden, denn schon die ständige Ausweisung der Kosten für die Karte im Einzelfall wäre eine psychologische Hürde. Mit dem Wegfall des Bargeldes fällt die Ausweisung weg und damit diese Hürde.
    Im Digitalen könnte man natürlich ebenfalls an Kostenwahrheit denken. Lasset sie vollständig für sämtliche Folgen bei Ausfall haften. Die Ausweisung dieses Preises würde wohl durch dessen Höhe solche Zahlungsweisen scheitern lassen.

    1. Wieviel drückt der Händler dafür ab, 3%, 2% oder 5%?

      Keine Ahnung ob es irgendwo wirklich so viel ist. Im Alltag bei Aldi oder Lidl sicher nicht. Denn 5% ist in etwa schon deren gesamte Gewinnmarge.

      1. Nein, die Kosten hat der OP zu hoch angesetzt. Es handelt sich um einen fixen Betrag pro Transaktion, aber der wird ebenfalls fällig, wenn mit EC-Karte bezahlt wird. Das ist, was den “Abschied vom Bargeld” so attraktiv macht für Banken. Weitere Kosten für den Händler fallen an, denn auch das Terminal wird in der Regel gemietet, welches wiederum einen Telefon/Online-Anschluss erfordert.
        Anders ist das bei paypal (für den Händler), denn da wird tatsächlich die Transaktionsgebühr als prozentualer Anteil am Umsatz mit dem Artikel abgerechnet.
        Um Bargeld für den Handel unattraktiv zu machen, berechnet z.B. die Berliner Sparkasse Ausgabe von Kleingeld in Münzrollen und nimmt Kleingeld nur in einem Beutel entgegen, dessen Abrechnung ebenfalls Geld kostet.

        Die gesammelten “Finanzdienstleister” empfinden es als Frechheit, dass sie nicht daran verdienen können, wenn du im Späti noch ein Eis oder Bier kaufst. 😉
        Dass man den Zwang, immer eine Karte (und in Zukunft das Handy) mitführen zu müssen als “Freiheit” und “Modernität” (Digitalisierung) verkaufen konnte ist wirklich geniale Propaganda.
        Zumal man die Banken für die Ausgabe dieser Karte(n) bezahlt und für die Nutzung (über den Umweg Handel) auch.

          1. Gern geschehen! 🙂

            Der Wahnsinn in Sachen Zwang zum Handy (und dies ständig mitzuführen) geht noch weiter. Von der Bank-App auf dem Handy und dies als Bezahlmöglichkeit, über die Nutzung eines Online-Kontos ausschließlich per Zwei-Faktor-Authentifizierung, hin zu digitalen Zertifikaten. Die Bahn hat bereits die physische Bahncard eingespart, die nur noch in der App angezeigt wird. M.E. wird das Schule machen. Das Problem beginnt dann, wenn man das Handy verliert oder es gestohlen oder schlicht unbenutzbar (heruntergefallen und Display kaputt) wird.

            Ganz abgesehen davon, alle zu einem Smartphone mit entsprechendem Tarif zu zwingen: faktisch wälzt man die Kosten für “Digitalisierung” auf den Endkunden (und den Handel) ab. Gerade ärmeren Kunden (und älteren) erschwert man jedoch so auch die Einkaufsmöglichkeiten auf bspw. Flohmärkten, Bauernmärkten usw., die ohne Bargeld unattraktiv werden.

            Die Ideologie, man könne mit Technologie alle Probleme lösen IST das Problem, weil penetrant die tatsächlich existierende Gesellschaft ausgeblendet wird.

            1. Ja, das wird alles nicht schön werden. Und es ist kaum vorstellbar, dass sich gegen diese riesige Mechanik der Bargeldverdrängung, die man da in Gang gesetzt hat, und die da schon seit längerem läuft und die immer mehr Kraft gewinnt, ein bedeutender Widerstand entwickeln wird. Die große Masse nimmt es einfach so hin, auch weil es so bequem erscheint.

              Ich komme einstweilen noch ganz gut ohne Smartphone und Bankkarte klar, aber es wird wohl nicht mehr lange dauern.

              Eine kleine Hoffnung können später vielleicht mal sogenannte Lokalwährungen sein, von denen es eine hier in der Region schon gibt.
              Wenn das Digitalgeld immer weiter um sich greift, und die Nachteile immer deutlicher werden, könnten solche Regionalwährungen vielleicht eine Art Widerstandsbewegung unterstützen.

        1. Die Kosten mögen höher oder niedriger sein, ich hatte solche Prozente durchaus mal gehört, aber auch geraten. Es bleibt, das auch der Barzahler sie bezahlt. Plus Hardware, plus Software, plus Handling, plus Ausfall, plus Absicherung (Schwundsüchtiger Datensatz statt Schein und Münze). Kosten für und wegen der Parasiten. Diese wie auch die Nachteile werden mit Zunahme der Unbarzahlung weiter zunehmen. Vorteile für mich: Weiterhin keine nennenswerten.

      2. Wenn man die Digitaltaler auf ein Cyberwallet lädt braucht man keine Bank/Finanzdienstleister mehr. Minimum ist jetzt schon die Bezahlkarte für Geflüchtete.

  3. Je mehr ueber die Abschaffung des Bargeldes debattiert wird, um die Buerger staerker zu kontrollieren, umso kraeftiger waechst der Cryptomarkt.

  4. Einfach das Postscheckamt wieder einführen
    – und viele Gespenster des Kapitalismus verschwinden, und mit ihnen die mehrfach gestaffelten Managementriegen und die Pseudo-Privatisierung / Neoliberalisierung, neo Libber Geglibba: wech damit.

    Ein Postscheckamt = Amt = staatlich, Daseinsvorsorge, Gemeinwirtschaft. – Wie war das noch bis nach dem Mauerfall so einfach: Ein Postminister war verantwortlich, es hat immer funktioniert und war ausgesprochen billig! Jeder Bürger hatte Anspruch auf ein Konto und bestimmte Dienstleistungen. Es musste zu geringen Gebührensätzen kostendeckend arbeiten und durfte, in Abgrenzung von den Geschäftsbanken, keinen Gewinn erzielen.

    In der Schweiz gibt es ein zeitgemäßes Postscheckamt bis heute. Es heißt dort Postfinance.

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