Vom Kunden zum Bürger befördert

Schild mit Aufschrift Hartz IV.
PantheraLeo1359531 (Diskussion)Nach den amtlichen Vorgaben digital umgesetzt durch: Mediatus, CC0, via Wikimedia Commons

Die Einigung zum Bürgergeld ist ein für die deutsche Konsensdemokratie typischer Kompromiss. Man findet einen wohlklingenden Namen, es ändert sich nichts Wesentliches und doch – oder gerade deshalb – sind am Ende fast alle zufrieden.

Nun ist es also vollbracht. Hartz IV heißt ab dem 1. Januar 2023 „Bürgergeld“. Dass sich sonst nicht viel ändern wird, war schon lange klar. Dank der Union gibt es nun noch weniger Verbesserungen. Immerhin lohnt sich nun das Arbeiten für Jugendliche aus „Hartz-IV-Familien“ – die bald wohl „Bürgergeld-Familien“ heißen werden. Denn das Geld, dass sie mit Ferienjobs oder Minijobs verdienen, wird nun nicht mehr auf das Einkommen der „Bedarfsgemeinschaft“ angerechnet. Ob sich das Arbeiten auch für Deutschlands Niedriglöhner mehr lohnen wird, da Bürgergeldbezieher nun doch von Anfang an sanktioniert werden können und statt 60.000 Euro Schonvermögen nur 40.000 Euro behalten dürfen?

Gleicher Inhalt, neue Verpackung – und alle sind zufrieden

CDU-Chef Friedrich Merz jedenfalls zeigte sich nach der Einigung im Vermittlungsausschuss am Dienstag hocherfreut, dass damit „der Kern des Bürgergeldes komplett gestrichen“ sei. Auch gab er sich überrascht, dass die Koalition nicht nur sehr schnell, sondern auch „sehr weitgehend“ zu Kompromissen bereit gewesen sei. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt freute sich: „Wir haben in den Verhandlungen schwere Systemfehler im Hartz-IV-Update, das ja missverständlich als Bürgergeld bezeichnet wird, also schwere Fehler im Hartz-IV-Update beseitigen können.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schwärmte derweil von einer „ganz großen Sozialreform“, die „jahrzehntelang“ Wirkung entfalten werde. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel behauptete, es sei gelungen, „ein gutes Gesetz noch besser zu machen.“ Und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann sprach von einem klaren Signal „der Befähigung, der Unterstützung und der Empathie“.

So hat am Ende jeder bekommen, was er wollte. Die SPD hat sich von „Hartz IV“ befreit, wenn auch nur von dem Begriff, was den Genossen aber zu genügen scheint. Die Grünen haben einmal mehr der Moral zum Sieg verholfen, wenn auch nur auf dem Papier. Für die FDP war das Bürgergeld ohnehin kein Herzensanliegen. Und die Union hat der Ampel gezeigt, wo der Hammer hängt.

Dass am Ende alle an den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss beteiligten Parteien zufrieden sein können, hat einen einfachen Grund: Es ging dabei um alles Mögliche, nur nicht um die Betroffenen. Was unschwer daran zu erkennen ist, dass SPD und Grüne schon lange vor der Verabschiedung des Gesetzentwurfs jene Reformvorhaben, die wirklich etwas geändert hätten, geräuschlos fallengelassen hatten: die komplette Abschaffung der Sanktionen und eine echte Erhöhung der Regelsätze, die „mehr Teilhabe“ ermöglichen sollte, statt nur so gerade die Inflation auszugleichen. Anzulasten ist dies aber nicht allein den beiden Parteien. Arme Menschen, neuerdings „Armutsbetroffene“ genannt, haben keine Lobby in diesem Land.

Auch Linken-Anhänger finden Sanktionen gut

Laut ZDF-Politbarometer vom 25. November finden es 74 % der Bundesbürger gut, dass es nun doch „strengere Sanktionen“ geben wird als ursprünglich vorgesehen. Selbst unter den Anhängern der Linken sind es 58 %, mehr noch als unter den Grünen-Anhängern (55 %). Und fast ein Viertel hält den neuen Regelsatz, der nicht einmal das Existenzminimum abdeckt, noch für zu hoch.

Solche Zahlen sind nicht allein mit der Schmierenkampagne der Union und ihrer Claqueure in den Redaktionsstuben zu erklären. Die absurde Erzählung, dass es denjenigen, die „jeden Morgen aufstehen, um zur Arbeit zu gehen“, besser ginge, wenn es den Arbeitslosen schlechter ginge, konnte nur verfangen, weil der Boden dafür längst bereitet war. Eine Mischung aus traditionellem Duckmäusertum, neoliberaler Gehirnwäsche und Abstiegsängsten der Mittelschicht machte es möglich.

Die Aussage „Jede Arbeit ist besser als keine“, inklusive Bullshitjobs und unabhängig von der Entlohnung, würde sicher auch eine satte Mehrheit unterschreiben. Und der bewährte Slogan „Wer arbeiten will, findet auch Arbeit“ wird vielen angesichts des grassierenden „Fachkräftemangels“ als Binsenweisheit erscheinen.

Wie könne es nur sein, dass einige Flughäfen im Sommer Probleme gehabt hätten, genügend Mitarbeiter zu finden, fragte denn auch CSU-Chef Markus Söder, wo es da draußen doch so viele Arbeitslose gebe. Sich dumm zu stellen, ist eine altbewährte Strategie, um die Massen aufzuwiegeln. Dumm auch, dass der Gastronomie, die Corona-Maßnahmen-bedingt viele Mitarbeiter entlassen musste, die Bewerber noch immer nicht die Bude einrennen. Woran das wohl liegen mag?

Die Dienstboten werden knapp

Ärgerlich ist so etwas weniger für Niedriglöhner als für die Angehörigen der „fleißigen Mitte“, die sich Urlaubsflüge und Restaurantbesuche noch leisten können. Leute wie der „Welt“-Kolumnist Harald Martenstein, der kürzlich darüber klagte, dass er keine Putzhilfe mehr finde. Vielen seiner wohlhabenden Nachbarn ergehe es ähnlich. Alle hätten sie genug Geld, doch eine Reinigungsfirma zu beauftragen, die 40 oder 50 Euro pro Stunde verlange, sei auf Dauer doch zu teuer.

Vielleicht sollte sich Martenstein einmal erkundigen, wie hoch der Anteil der Reinigungskräfte an diesen 40 oder 50 Euro ist, und er würde das Problem besser verstehen. Immerhin hat er erfasst, was vielen seiner „linksliberalen“ Kollegen verschlossen bleibt: „Für Paketboten, Kellner, Putzhilfen, für Kanalreiniger oder Verkäuferinnen hat Arbeit meist nicht viel mit Selbstverwirklichung zu tun. Man tut es, weil man muss – warum denn sonst? Gibt es einen vernünftigen Grund, es zu tun, wenn man fast das gleiche Geld sowieso kriegt?“

Um Martensteins Frage zu beantworten: Es spricht einiges dagegen, aber es gibt auch Gründe dafür: Zum Beispiel den Wunsch, etwas beizutragen und damit eine feste Tagesstruktur, soziale Kontakte und Anerkennung zu erlangen. Deshalb schleppen sich Paketboten und Verkäuferinnen immer wieder zur Arbeit. An der erhofften Anerkennung, die sich auch in der Bezahlung niederschlägt, hapert es leider oft.

Und damit eröffnete sich für die Union überhaupt erst die Chance, ihre Hetzkampagne gegen die ach so faulen Hartzer an die Frau und den Mann zu bringen. Denn Neid beeinträchtigt das Denkvermögen, bei Niedriglöhnern, die lieber auf Arbeitslose herabsehen statt für höhere Löhne zu kämpfen, ebenso wie bei so manchen Gutverdienern, die meinen, nicht genug zu verdienen, und dafür ebenfalls nicht ihren Arbeitgeber, sondern die ach zu hohen Steuern und Sozialabgaben verantwortlich machen, mit denen der Staat sie schröpfe, um die vielen Arbeitsverweigerer durchzufüttern.

Bürger werden ist nicht schwer, bürgerlich sein dagegen sehr

Das ist alles nichts Neues. Neu ist nur der Begriff „Bürgergeld“. Und damit hat die Ampel weder sich selbst noch den künftigen Bürgergeldempfängern einen Gefallen getan. Nicht etwa, weil es politisch korrekt „Bürger:innengeld“ hätte heißen müssen, sondern weil Begriffe, die nicht ernst gemeint sind, in der Regel auch nicht ernst genommen werden. Ausnahmen bestätigen die Regel. Offenbar versteht nicht jeder, dass nicht jeder Bürger Bürgergeld beziehen kann.

Bis vor kurzem fand sich in der FAQ-Liste des Bundesarbeitsministeriums zum Bürgergeld noch unter Punkt 3 die Antwort: „Nein, das Bürgergeld ist eine Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, es stellt sicher, dass sie ihren Lebensbedarf (Existenzminimum) sichern können.“ Der zweite Teil des Satzes ist natürlich glatt gelogen. Und wenn man es nicht wüsste, würde man tatsächlich kaum darauf kommen, dass „Bürgergeld“ der neue Name für das Arbeitslosengeld II sein könnte. Entsprechend leicht fiel es der Union, gegen das Bürgergeld als angeblich drohenden Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen zu polemisieren, obwohl nicht nur Dobrindt erkannt haben dürfte, dass es in Wahrheit nur ein „Hartz-IV-Update“ ist.

„Deutschlands frechster Arbeitsloser“ Arno Dübel traf den Nagel auf den Kopf, als er auf Facebook seine gespielte Freude darüber kundtat, dass er „am 1. Januar zum Bürger befördert“ werde. Der Gedanke liegt nicht fern, dass ALG-II-Empfänger bisher nicht wirklich als Bürger betrachtet wurden, auf jeden Fall nicht als „bürgerlich“.

Nur wenige sagen das so offen wie Jan Fleischhauer in seiner Focus-Kolumne: „Wenn etwas dezidiert nicht bürgerlich ist, dann, sich auf die Anstrengungsbereitschaft anderer zu verlassen, statt für sich selbst zu sorgen.“ Ja, was waren das noch für Zeiten, als die Genossen Clement und Müntefering Arbeitslose öffentlich als Schmarotzer diffamierten – und sie anschließend als „Kunden“ verhöhnen ließen. Der Unterschied zu damals könnte kaum geringer sein.

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12 Kommentare

  1. Ich bin geneigt dem Autor dieses Artikels Recht zu geben:

    Als Langzeitarbeitsloser gehört man eben nicht mehr zur deutschen Gesellschaft, und wird ausgegrenzt, daran ändert sich auch bei der Umbenennung vom unveränderten Hartz IV in Bürgergeld nix. Ist übrigens unerheblich ob hier geboren, oder nicht, als Arbeitsloser.bist ein „Fremdkörper“ in .de, und das sehen alle Parteien – insbesondere die AFD – so, das sollte man denen nie vergessen.

    Apropo vergessen, bei Einführung der „Hartz-Reformen“ wurden Betroffene als „Kunden“ bezeichnet, und lernten schon damals sehr schnell, dass sie nur von Begriff her als „Kunden“ zählten, und ansonsten eben minderwertige „Sozialleistungenempfänger“ blieben

    „Nichts Neues im Westen“ also.

    Zynische Grüße
    Bernie

    1. Liebe Duodezfürstin,

      herzlichen Dank für den Hinweis. Ich habe das eben geändert. Wahrscheinlich lag hier eine Verwechslung mit Gerade Hasselfeldt vor.

  2. Mich würde es mal interessieren warum daß Ganze als Bürgergeld bezeichnet wird? Den die Bürgerrechte werden ja dadurch nicht verbessert oder geschützt? Mit einem Sozial/Wohlfahrtsstaat hat daß seit Jahren nicht’s mehr zu tun. Ist das nur Neusprech für eine Sinnlose Neiddebatte! Oder??

    1. Ich denke, Bürgergeld kommt bei vielen Leuten, die nichts damit zu tun haben, sympathischer herüber und klingt besserr als ARBEITSLOSENGELD, SOZIALHILFE und auch als HARTZ. Es stört nicht mehr das Wohlfühlklima der besser Verdienenden.
      Wie schon gesagt, eine Schummelpackung. Raider heisst jetz Twix, sonst ändert sich nix.

      1. ARBEITSLOSENGELD, ARBEITSLOSENHILFE, SOZIALHILFE

        Heiß es mal in den guten alten Zeiten, und Heutzutage Bürgergeld ohne eine einzige wirkliche Verbesserung.

        Verschlimmbesserung wäre die perfekte Bezeichnung dafür!

    2. Damals hieß der wehrpflichtige Soldat „Bürger in Uniform“ weil er stellvertretend für alle den Arsch hinhielt, wenns knallte.
      So ähnlich ist das auch mit dem
      „Bürgergeld“.

      1. Früher die Bürger in Uniformen zur Landesverteidigung! Heute zur Bündnisverteidigung sind es nur Humanitäre Ressourcen die einen Robusten-Stabilisierungs-Einsatz für die Regelbasierte Ordnung ausführen! ?

      2. Früher die Bürger in Uniformen zur Landesverteidigung! Heute im coolen Gear, zur Bündnisverteidigung sind es nur Humanitäre Ressourcen die einen Robusten-Stabilisierungs-Einsatz für die Regelbasierte Ordnung ausführen! ?

        1. Der Bürgergeldsöldner verteidigt die Gewinne der Bourgeoisie an der Front der Armut.

          Alle können sozial aufsteigen, aber nicht jeder.

          Deshalb müssen viele fallen; ins Bodenlose, wenn notwendig.

  3. Egal wie man es benennt, der Ursprung und Kern ist immer noch der selbe:
    Die „Fürsorge für Juden“ vom 19.11.1938, in Kraft getreten am 01.01.1939.

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