“Schleppendes Wachstum” erwartet: Die EZB versucht sich zaghaft in Konjunkturpolitik

EZB-Zentrale. Bild: Gerade Arendt/CC0

Wie zuletzt erwartet, wurden die Leitzinsen angesichts wachsender Rezessionsängste früher als zunächst angekündigt gesenkt, da die Inflationsrate unter die Zielmarke von zwei Prozent gesunken ist. Die EZB-Geldpolitik ist bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Dagegen stehen ein möglicher Handelskrieg mit China oder der Flächenbrand im Nahen Osten. Dass die Notenbank einer Rezession im Euroraum eine Absage erteilt undnur ein „schleppendes Wachstum“ ausmacht, könnte sich als eine weitere schwere Fehleinschätzung herausstellen.

Zuletzt war es allgemein erwartet worden, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen am Donnerstag zum dritten Mal senken würde, früher als eigentlich angekündigt. Die Zinswende hatte die Frankfurter Notenbank im Juni eingeleitet und danach im September nachgelegt. Beim letzten Zinsschritt hatte die EZB-Chefin Christine Lagarde im Anschluss an die Sitzung des EZB-Rats eher signalisiert, dass die dritte Zinssenkung voraussichtlich im Dezember und nicht im Oktober stattfinden würde. Doch nur fünf Wochen später wurden die drei Leitzinssätze um weitere 0,25 Prozentpunkte gesenkt.

Das war allgemein erwartet worden, nachdem die Inflationsrate zuletzt auf 1,7 Prozent gesunken ist, wie die europäische Statistikbehörde Eurostat gerade am Mittwoch bestätigt hatte. „Die aktuellen Daten zur Inflation zeigen, dass der Desinflationsprozess gut voranschreitet“, hatte deshalb die EZB-Präsidentin schon zu Beginn ihrer Begründung herausgestrichen. Der zentrale Leitzins, zu dem sich die Geschäftsbanken mit Geld in Frankfurt versorgen können, liegt nun bei 3,25 Prozent. Offen bleibt, ob die EZB schon im Dezember die Leitzinsen weiter senkt. „Wir legen uns nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest“, erklärte Lagarde.

Das hat mit zwei zentralen Faktoren zu tun. Sogar die EZB geht davon aus, dass es bei der nun niedrigeren Inflation nicht bleiben wird. Ohnehin heißt das nur, dass die hohen Preise nun nur etwas langsamer weiter ansteigen. „Die Inflation dürfte in den kommenden Monaten anziehen“, meint auch Lagarde. Aber mit Blick in die Glaskugel darf eine positive Prognose nicht fehlen, „bevor sie im Laufe des nächsten Jahres auf den Zielwert zurückgeht“. Auf welcher Grundlage sie diese Aussage trifft, weiß sie wohl selbst nicht wirklich. Aber sie weiß, dass Psychologie eine bedeutsame Rolle spielen kann.

Dass man mit dem ständigen Verkünden von positiven Szenarien aber massiv Schiffbruch erleiden kann, das zeigt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nun schon seit Jahren. Er muss ständig seine positiven Prognosen kassieren und die Rezession, der auch er eine Absage erteilt hatte, beherrscht Deutschland nun im zweiten Jahr in Folge.

Lagarde selbst ist eine Art Lehrmeisterin für diese Vorgehensweise. Denn es war die Lagarde-EZB, die die Inflationsentwicklung vollständig verschlafen hatte. Deshalb bekam sie auch den Spitznamen „Madame Inflation“ verpasst. Sie hatte vor gut Jahren die ständig steigende Inflation schöngeredet. Sie wollte sie aussitzen. Sie hatte eine völlig falsche Analyse. „Einige Einflussfaktoren dürften bald wieder verschwinden, etwa die preistreibenden Effekte, die sich aus gestörten Lieferketten ergeben oder aus der Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung in Deutschland”, hatte sie im Herbst 2021 erklärt. Sie kündigte dabei immer wieder ein baldiges Sinken der Verbraucherpreise an. Alle wissen nun, dass es ganz anders kam. Eigentlich hätte sie für ihre fatalen Fehleinschätzungen längst den Hut nehmen müssen. Ein Jahr später war die Inflation im Oktober 2022 im Euroraum auf 10,6 Prozent explodiert, da die Lagarde-EZB lange nicht gegengesteuert hatte, wie es andere Notenbanken längst vorgemacht hatten.

Ein Blick auf die Kerninflation – dieses Wort nahm Lagarde nicht einmal in den Mund – zeigt auch, dass die Lage längst nicht im grünen Bereich ist. Rechnet man nämlich Energie- und Nahrungsmittelpreise aus der Inflationsrate heraus, dann ist die Inflationsrate mit 2,7 Prozent noch deutlich über der Zielmarke. Vor allem die langsamer steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreise waren für die Inflationsrate unter der Zielmarke verantwortlich. Dass es bei denen aber nicht bleiben dürfte, müsste eigentlich auch Lagarde wissen. Aber sie macht – wieder einmal – auf schönes Wetter.

Doch sogar Lagarde stellt fest: „Die jüngsten Daten deuten jedoch auf ein schleppenderes Wachstum hin.“ Genau das soll über die Zinssenkungen nun stimuliert werden. Aber dafür fallen die, angesichts der allgemeinen Verunsicherung und Konfliktherden, viel zu zaghaft aus. Wieder einmal überschätzt Lagarde eine mögliche Wirkung. Sie prognostiziert positiv nebulös und ohne zeitliche Festlegung: „Wir gehen davon aus, dass die Konjunktur im Laufe der Zeit anziehen wird, da steigende Realeinkommen es den privaten Haushalten ermöglichen, mehr zu konsumieren. Konsum und Investitionen dürften von den allmählich nachlassenden Auswirkungen der restriktiven Geldpolitik profitieren.“ Sie glaubt auch, dass die Exporte „angesichts einer steigenden globalen Nachfrage zur Erholung beitragen“ dürften, woran man auch ein Fragezeichen setzen kann, vor allem wenn man in Richtung China schaut, wie es weiter unten geschieht.

Die EZB-Prognosen sind auf Sand gebaut

Allein die Ölpreisentwicklung lässt an der positiven Inflationsprognose zweifeln. Die Energiepreise schlagen sich letztlich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auch wieder in steigenden Nahrungsmittelpreisen und anderen Preisen nieder. Klar ist, dass die Inflation im September relativ niedrig war, weil der Preis für ein Fass der Nordsee-Referenzsorte Brent sogar kurzzeitig unter die Marke von 70 US-Dollar gefallen ist. Zwischenzeitlich stieg der Preis aber wieder auf fast 80 Dollar, da es einen Flächenbrand im Nahen Osten gibt.

Zuletzt ging der Ölpreis nur deshalb wieder etwas auf etwa 75 Dollar zurück, da es Gerüchte darüber gibt, dass Israel in seinem geplanten Vergeltungsschlag gegen den Iran weder Öl- noch Atomanlagen angreifen wolle. Das hatte die „Washington Post” berichtet. Sie bezog sich dabei auf ein Telefonat vom 9. Oktober zwischen dem israelischen Ministerpräsiden Benjamin Netanjahu und dem US-Präsidenten Joe Biden. Israel wolle seine Angriffe auf militärische Einrichtungen konzentrieren.

Wir können also beruhigt sein? Nein. Es dürfte doch allen klar sein, dass der Iran seinerseits danach wieder einen Vergeltungsschlag gegen Israel ausführen wird, das gerade seinen Feldzug auf den Libanon ausgeweitet hat. Die wird in deutschen Medien allerdings als „Bodenoffensive“ schöngeredet. Die gleiche Tagesschau kritisierte aber lange, dass Russland seine Invasion in der Ukraine nur euphemistisch als „militärische Spezialoperation” bezeichnete. Nun wird davon gesprochen, Israel habe „eine neue Front“ eröffnet oder euphemistisch selbst erklärt, dass Militär sei im Libanon „aktiv“.

Eine weitere Eskalation im Nahen Osten ist vorgezeichnet. Ob sich Netanjahu tatsächlich an angebliche Zusagen gegenüber Biden hält, darf angesichts seines Vorgehens im letzten Jahr stark bezweifelt werden. Der ist ohnehin längst eine sogenannte „lahme Ente“ vor den anstehenden Wahlen. Da keine Seite in dem Konflikt an einer Deeskalation interessiert ist, dürften die Zuspitzung und mögliche Angriffe auf Öl- und Atomanlagen im Iran und ein damit steigender Ölpreis nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben sein und damit wieder ein deutliches Ansteigen der Inflation. Dass sich auch der Konflikt mit dem großen Energielieferanten Russland weiter zuspitzen könnte, sei hier nur kurz angemerkt, jedenfalls sieht es auch dieser Front nicht nach Entspannung aus.

Deshalb dürfen auch an den Konjunkturprognose der Lagarde-EZB große Fragezeichen angebracht werden. Anders als Lagarde verkündet, rückt eine Rezession im Euroraum immer stärker auf die Tagesordnung. Gerade noch ein schwaches Wachstum von 0,2 Prozent konnte die europäische Statistikbehörde Eurostat kürzlich für den Euroraum ausweisen. Neben Deutschland sinkt die Wirtschaftsleistung auch schon in Österreich, Lettland und Irland.

Wird aus dem Handelsstreit mit China ein Handelskrieg?

Und es darf abgewartet werden, wie sich das weiterentwickelt, was bisher noch als „Handelsstreit“ mit China bezeichnet wird. Schließlich ist die Volksrepublik der größte Handelspartner der EU in Asien und seit 2002 ihr zweitgrößter Handelspartner nach den USA. Dazu kommt, dass die chinesische Wirtschaft schwächelt und mit einer Immobilienkrise zu kämpfen hat, die bekanntlich besondere Spuren hinterlässt.

Nun gab das Statistikamt in Peking bekannt, dass sich das ohnehin schwache Wachstum weiter verlangsamt hat. So wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft offiziell im dritten Quartal verglichen zum Vorjahresquartal nur um 4,6 Prozent. Das waren noch einmal 0,1 Prozentpunkte weniger als im Vorquartal. Um die Wirtschaft anzukurbeln, hat die Regierung ein umfassendes Konjunkturpaket angekündigt. Unter anderem sollen 774 Milliarden Euro neue Schulden für Konjunkturhilfen aufgenommen werden.

Im Konflikt mit der EU, der sich auch schnell zu einem ausgewachsenen Handelskrieg auswachsen könnte, bleiben noch einige Tage, um eine Lösung in der Frage von Elektroautos zu finden. Die EU will in China subventionierte E-Autos ab November mit „Strafzöllen“ von bis zu 35,3 Prozent belegen, die offiziell „Zusatzzölle“ genannt werden. Es wird noch verhandelt, doch nach Angaben der chinesischen Regierung konnten die Differenzen auch in einer achten Gesprächsrunde nicht ausgeräumt werden. Es soll aber in einigen Themenfeldern Fortschritte gegeben haben. Deshalb sei die Delegation aus der EU zu weiteren Verhandlungen eingeladen worden.

Klar ist, dass China seinerseits längst eine Drohkulisse aufbaut und Strafzölle auf Produkte aus der EU einführt, androht oder prüft. Als eine erste deutliche Warnung hat China vorläufige Maßnahmen gegen europäischen Branntwein (Brandy) verhängt. Das chinesische Handelsministerium hatte zwischenzeitlich mitgeteilt, dass Importeure relevanter Brandy-Sorten nun eine Kaution in Höhe von 30,6 bis 39 Prozent des Warenwerts beim chinesischen Zoll hinterlegen müssen. China wirft hierbei seinerseits der EU „Dumping“ vor. Die Maßnahme werde getroffen, da sonst dem Brandy-Sektor des eigenen Landes ein „erheblicher Schaden“ drohe.

Das trifft vor allem Frankreich. Das Land war, anders als Deutschland, für die Strafzölle auf E-Autos. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich dafür besonders starkgemacht. Er fordert eine gemeinsame europäische Strategie und hatte schon vor gut einem Jahr erklärt, die EU müsse „aufwachen“. Er hatte bereits im vergangenen Jahr Subventionen für die eigenen Autobauer angekündigt. „Wir werden als erstes europäisches Land die Kriterien für die Förderung von Elektroautos reformieren.” Es ist also kein Zufall, dass China zunächst in Richtung Frankreich zurückschlägt. Im vergangenen Jahr kamen 99 Prozent der Brandy-Importe in die Volksrepublik aus Frankreich. Das Volumen hatte einen Wert von etwa 1,5 Milliarden Euro.

Das chinesische Handelsministerium deutete aber auch schon an, dass dies nur die erste gelbe Karte an die EU sein wird. So laufe eine Antidumping- und Antisubventionsuntersuchung in Bezug auf EU-Schweinefleisch noch. Geprüft würden auch europäische Milcherzeuger. Die könnten zum „Bauernopfer“ in dem Konflikt werden. Dabei wirft China der EU „protektionistische Praktiken“ vor. Das chinesische Handelsministerium prüft derzeit Importbeschränkungen für Molkereiprodukte von FrieslandCampina aus den Niederlanden und Belgien, von Elvi in Frankreich und Sterilgarda in Italien, die große Mengen nach China exportieren.

Eurostat weist aus, dass EU-Molkereien im vergangenen Jahr Milchprodukte im Wert von 1,8 Milliarden Euro nach China exportiert haben. Die EU war der wichtigste Lieferant der Volksrepublik nach Neuseeland. Die Frage ist, ob sich hier die Strafpolitik, ganz ähnlich wie im Fall Russlands, als Bumerang erweist und der eigenen Wirtschaft mehr schadet als nutzt.

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11 Kommentare

  1. Ob EU oder EZB, beide ‘Vorstände’ zeichnen durch ‘korruptes’ Personal aus.
    Die EU hat vor allem ein bürokratisches Problem, ist extrem langsam in ihren Entscheidungen.
    Den Agrarsektor in der EU wird es besonders hart treffen, neben China ist auch der russische und afrikanische Markt vor ihren Augen am schwinden. Das betrifft auch die Chemieindustrie als Lieferant.
    Und wenn man Berichte glauben schenkt, dann werden tausende Arbeitsplätze verschwinden, das bedeutet sinkende Kaufkraft und weniger einnahmen für den/die Staaten. Das wiederum wird die Stabilität vom Euro schwächen. Madame spricht von zunehmenden Exporten, verlängerte Laufzeiten bedeutet erhöhte Kosten und der Wettbewerb aus Asien bietet alternativen.
    Japan lustigerweise exportiert wieder vermehrt nach Russland, trotz Sanktionen…
    Ein Siemens Manager sagte, man investiere mehr im Ausland, da D zu hohe Energiekosten /zuviel Bürokratie und generell keine positiven Aussichten herrschen.
    By by madame Konjunktiv…

    1. Weil die wissen was komnt verschärft man vorab schon Hartz4.
      Große Einkaufcenter stehn bereit halb oder ganz leer, die Gastronomie klagt über massiven Umsatzrückgang, usw., usw..
      Nur Habeck und Scholz sehen rosige Zeiten kommen wie auch bei den Klinikschließungen, den einseitigen Zusatzbeiträgen für die Krankrankassen, die Plünderung der Rentenkasse durch Kürzung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen, ständig steigende Preise für Kebensmittel vei gleichzeitiger Verschlechterung der Qualität uvm, uvm.. Wahrlich rosige Zeiten! 🙁
      Kommt es da noch auf die verurteilte kriminelle La Garde an deren Strafe nicht volkzogen wzrde um ihren Ruf nicht zu schädigen?

  2. Ja, es wird vermutlich noch viel schlimmer kommen. Wir rasen mit Vollgas auf eine Wand zu und keiner will auf die Bremse treten. Klimakrise, Kriege, Peak-Oil…

    1. Und eine überzeugte Transatlantikerin ist EU-Präsidentin, die ständig nach den USA schielt um nichts falsch zu machen. Da kann man ja nur noch auf den National-Staat hoffen – und ein Populist werden.

  3. Europas Gelddruckereien waren bisher nur zu Gunsten transatlantische Spekulanten, sowie der Waffen- und Pharma, Migration, und Kriegslobby. Es ist wie ein Sheriff der sich ständig selbst ins Knie schießt.

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