Mileis unsinniger Plan

Kabinett Javier Milei
Casa Rosada (Argentina Presidency of the Nation), CC BY 2.5 AR, via Wikimedia Commons

Argentiniens Plan: Unsinn bleibt Unsinn, auch wenn der IWF und „Experten“ ihn unterstützen.

Man kann gar nicht radikal genug sein, wenn man nur liberal oder libertär ist. In einer Gesellschaft, die vor jeder Art von Radikalität zurückschreckt, wird der radikale Liberalismus doch wenigstens klammheimlich bewundert. Argentiniens neuer Präsident, den viele in seinem Land den „Verrückten“ nennen, wird auf diese Weise auf einmal zu einem ernstzunehmenden Politstrategen. Super-liberale Medien wie das Handelsblatt oder die Neue Züricher Zeitung bemühen sich, „Experten“ zu finden, die ihnen das Lob für Argentiniens neuen Präsidenten leicht machen, weil sie vom gleichen Holz wie Milei selbst geschnitzt sind. Kiel (das radikalliberale Institut für Weltwirtschaft in Deutschland) und FIEL (das nicht minder radikale Institut in Argentinien) sind dabei einschlägige Adressen. Auch der Chefredakteur der Welt bescheinigt Milei „ökonomische Kompetenz“ und schaut mit unverhohlener Bewunderung auf diesen revolutionären Versuch.

Nun werden alle liberalen „Experten“ und ihre Medienanhänger dadurch geadelt, dass sich Argentinien mit dem ebenfalls radikalliberalen Internationalen Währungsfonds (IWF) auf die Auszahlung eines Kredites geeinigt hat, der unter dem vorherigen Präsidenten blockiert war. Dieser Erfolg wird „Mileis Plan“ zugeschrieben, das massive Haushaltsdefizit in einen Überschuss von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu verwandeln. Das Handelsblatt zitiert den Chefvolkwirt von FIEL, der mutmaßt, Mileis Strategie scheine darin zu bestehen, das Haushaltsproblem rasch zu lösen, einige der ererbten relativen Preisungleichgewichte zu korrigieren und Strukturreformen voranzutreiben.

Das ist wirklich ein guter Plan. Nichts ist leichter als das. Mitten in einer schweren Wirtschaftskrise löst man mal schnell das staatliche Haushaltsproblem, indem man einfach die staatlichen Ausgaben mit Gewalt zusammenstreicht. Schon erzielt man Überschüsse und gewinnt man das Vertrauen aller liberalen und libertären Experten sowie des IWF, der, man sollte das nie vergessen, auch von der deutschen Regierung und ihren europäischen Partnern getragen wird. Die Europäer sind schließlich die größten Experten im Kürzen von Staatsausgaben mitten in einer Rezession.

Die USA als Vorbild?

Toll ist es allerdings, dass der IWF vor allem von dem Land dirigiert wird, das wie kein anderes auf der Welt in den letzten Jahren und Jahrzehnten staatliche Schulden gebraucht hat, um über die Runden zu kommen. Die USA dirigieren zwar den IWF, aber die Rezepte, die sie anderen verschreiben, wenden sie selbst niemals an. Staatliche Defizite zu verringern oder gar Überschüsse im Staatshaushalt auszuweisen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Einen „Plan“ wie den von Milei in die Tat umzusetzen, käme in den USA einer Revolution gleich und würde die Wirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern.

Die USA haben es geschafft (wie hier gezeigt), ihre Staatsverschuldung von 2007 bis heute mehr als zu verdoppeln, weil es dem Land offenbar vollkommen unmöglich ist, mit den berühmten „Strukturreformen“ sein Wachstum anzukurbeln. In jeder Schwächephase braucht man den Staat, der mit immer neuen Schuldenrekorden dafür sorgt, dass die Wirtschaft läuft. Derzeit liegt das staatliche Defizit (also die laufende Neuverschuldung im Jahr 2023) bei sage und schreibe über sieben Prozent des BIP und hatte 2020 sogar den Rekordwert von fast 15 Prozent erreicht.

Liberalität behindert das Denken

Liberalität ist gut und schön, weil sie aber regelmäßig das Denken behindert, ist sie ungeheuer gefährlich. Wer sagt, man könne mit einem ausreichend großen politischem Willen die staatlichen Ausgaben kürzen und auf diese Weise Überschüsse im Staatshauhalt erzielen, hat ohne Zweifel das Gehirn ausgeschaltet. Man muss ja nur ein ganz klein wenig über den Horizont der schwäbischen Hausfrau hinausschauen, um zu erkennen, dass die Kürzung der Staatsausgaben nicht ohne Folgen bleiben wird. Alle diejenigen, die von der Kürzung auf die eine oder andere Weise betroffen sind, müssen unmittelbar ihre eigenen Ausgaben ihren nunmehr durch den Staat verringerten Einnahmen durch Kürzung nach unten anpassen. Doch damit ist die Sache keineswegs zu Ende.

Denn wer bekommt die Kürzung der Ausgaben der von den Staatskürzungen Betroffenen zu spüren? Diese Frage können liberale Ökonomen niemals beantworten, weil die Antwort mit einem Schlag der eigenen Klientel der Liberalen zeigt, wie abwegig die volkswirtschaftliche Theorie dieser Spezies ist. Wenn das Arbeitslosengeld gekürzt wird, die Sozialhilfe zusammengestrichen oder „Subventionen“ abgebaut werden, schlägt das immer und sofort auf die Gewinne der Unternehmen durch.

Weil die Unternehmen das sogenannte Residualeinkommen beziehen, also das, was übrigbleibt, wenn alle vertraglichen Ansprüche abgegolten sind, sind sie diejenigen, die unmittelbar und andauernd unter einer Kürzung staatlicher Ausgaben leiden. Dass die Unternehmen darauf wiederum mit einer Kürzung ihrer Ausgaben und der Investitionen reagieren, versteht sich von selbst. Das vertieft die Rezession, erhöht die Armut und die Arbeitslosigkeit und zwingt den Staat schließlich sogar noch mehr Schulden zu machen, weil er einen permanenten Absturz nicht verkraften kann.

Liberale Programme, die sich auf Kürzungen kaprizieren, schaden genau denen, die man eigentlich begünstigen will. Milei will, das hat er in Davos explizit gesagt, der „Verbündete“ der Unternehmer werden. Doch was nützt ein Verbündeter, wenn der nicht versteht, was seinen Verbündeten hilft und was ihnen schadet.

Eine Wirtschaft, die immer noch in einer tiefen Rezession steckt und mit einer extrem hohen Inflation zu kämpfen hat, kann man mit liberaler Radikalität weder bei der Fiskal- noch bei der Geldpolitik heilen. Das haben viele versucht, zuletzt Mileis Bruder im Geiste aus Brasilien namens Bolsonaro, aber es ist noch nie gelungen. Wenn Länder, die sich dem IWF ausgeliefert hatten, wirtschaftlich wieder auf die Füße gekommen sind, dann nur dadurch, dass ihre Währung massiv abgewertet wurde und die Exportnachfrage mehr als kompensierte, was an anderer Stelle durch die vom IWF verordnete Austeritätspolitik vernichtet wurde.

Augen zu und durch?

Alle Regierungen der USA in den letzten 20 Jahren haben offenbar verstanden, welch entscheidende Rolle der Staat bei der Stimulierung der Wirtschaft dann zu übernehmen hat, wenn die Unternehmen wegen hoher Zinsen oder allgemeiner Nachfrageschwäche abwarten, anstatt voranzugehen. Haben sie den anderen Ländern und dem IWF verboten, mindestens genauso klug zu sein?

Offenbar, denn den Zusammenhang von Nachfrage und den Gewinnen der Unternehmen darf ein richtiger Liberaler niemals ins Auge fassen, geschweige denn darüber reden. Er müsste ja zugeben, dass die Nachfrage für die Unternehmen eine Rolle spielt – und das, der Himmel behüte, wäre ja geradezu links. Also machen die Radikalliberalen der Welt die Augen fest zu, schalten das Gehirn aus und marschieren durch, genau wie das der Spiritus Rektor von Milei, der damalige Präsident Macri zwischen 2015 und 2019 schon versucht hat. Dass Macri mit der Unterstützung des IWF kläglich gescheitert ist (siehe dazu dieses Papier), will heute keiner der Beteiligten zur Kenntnis nehmen.

Javier Milei wird nicht nur politisch scheitern, sondern auch wirtschaftlich. Dass ihm Libertäre rund um den Erdball zujubeln, hilft ihm nicht, weil die gesamte libertär-liberale Bewegung darunter leidet, ein Weltbild zu haben, in dem ausgerechnet die engsten „Verbündeten“ der Liberalen, die Unternehmen, gründlich missverstanden werden. Wer aus ideologischen Gründen systematisch die Gesamtwirtschaft mit allen Rückkopplungen aus den eigenen wirtschaftspolitischen Überlegungen ausblendet, ist ein schlechter Ratgeber.

Dieser Artikel erschien bereits bei Relevante Ökonomik.

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15 Kommentare

  1. Welche Vorschläge für ein herabgewirtschaftetes Sozialexperiment wie Argentinien oder Venezuela hat der Autor?
    Noch mehr Sozialismus?

    Ich denke, und da hat Milei recht, der Staat ist das Problem. Ich kann nicht mehr ausgeben als einnehmen. Das weiß jede schwäbische Hausfrau.

    1. Das ist die dümmliche, kompetenzbefreite Denkweise der Liberalen. Volkswirtschaft funktioniert nicht in den Kategorien einer ’schwäbischen Hausfrau‘. Die wäre davon eindeutig überfordert.

    2. Also mal eben große Teile der Bevölkerung in den Hunger treiben ist als Lösung besser?!?

      Und dann noch die „schwäbische Hausfrau“ anbringen, beweist komplettes Unwissen in Sachen VWL… Aber so etwas von.

  2. Das mit den Staatsschulden ist eine interessante Sache. Ich bin in der Wirtschaftsgeschichte nicht so bewandert, glaube mich aber zu erinnern, dass die in der gesammten Geschichte der Menschheit Staatsschulden nie zurückgezahlt wurden. Versucht hatte es mal die Sozialistische Republik Rumänien. Weiß gar nicht, ob sie das zuende brachten, sonst aber geht das nicht.
    Und wäre nicht unser kollektives Denken nicht durch die Art, wie unsere materiellen Lebensgrundlagen produziert werden, vollkommen deformiert, müsste uns da was auffallen. All das, was mit Schulden, mit Geld aufgebaut, gekauft, konsumiert wurde, war und ist real vorhanden. Das wäre es auch, wenn durch – ich phantasiere mal – einen Akt der Computersabotage, der Nachweis aller Schulden mit einem Mal verschwunden wäre.
    Alles, was es brauchte, um zu leben und auch die unnützen Sachen, wie Kriegsspielzeug für die war pigs, wären vorhanden.
    Im Kapitalismus wird kein Brot gebacken, wenn, nachdem gebacken wurde, nicht mehr Geld da ist, als vorher. Wenn nicht, gibt es kein Brot . Egal ob es gebraucht wird und auch, wenn alles zum Backen vorhanden ist. Mehl , Ofen, Strom, Bäcker und was weiß ich.

    Unsere Gesellschaft kann sich nur über den Umweg über die abstrakte Geldvermehrung reproduzieren und wir sind, weil wir es so gar nicht anders kennen, außerstande außerhalb dieser verrückten Logik zu denken. Fast gesetzmäßig bringt unsere kollektive Verrücktheit dann Leute, wie diesen neuen argentinischen Bonzen hervor, der den Wahnsinn zwar auf die Spitze treiben möchte, aber eigentlich die Binnenrationalität unserer kollektiven Psychose nicht verlässt.

    1. Die USA hatten Ende des 19.Jhdts ihre Auslandsschulden einfach mal so gestrichen. Das muss und wird bei ggw Staatsschulden auch passieren. Anderenfalls müssten sie gg die angehäuften (spekulativen) Buchvermögen der Milliardäre gegengerechnet werden bis sie Null sind. Aber das wäre ja schon (fast) Sozialismus…

      1. Die Enteignung fandet immer statt auf dem Rücken der leicht gläubigen.
        Aber heute haben wir einen Kandidaten der ‚too big too fail is‘, deshalb wird die gesamte Weltwirtschaft Einbußen hinnehmen müssen, damit das System weiterhin aufrecht erhalten wird.
        Zu den Staatsschulden, die viel beschrieben wurden, steht immer auch ein Gewinner dessen gegenüber.
        Warum fragen die demokratischen Staaten danach, das die Reichen dafür aufkommen sollen?
        Deutschland hatte zwei Währungsreformen, Reichsmark zur Deutschen Mark und von der deutschen Mark hin zum Euro.
        Das wurde einfach so entschieden, jeder nahm das so hin wie die Weiterführung vom System.
        Heute haben wir alte ‚Kapitalisten‘ gegen neue ‚Kapitalisten‘ am kämpfen und welcher der zweien wird. Siegen und wer wird verlieren?
        Die Medien Propaganda verrät sich selbst, bei einer ‚richtigen‘ Analyse.
        Mit Grüsse aus St. Corona dem Heiligen Krahl von der Geldmacht

  3. Schlachtfelder werden dazu benutzt, um den Grad der Zustimmung festzustellen.
    Natürlich existieren mehrere davon, z.B. der ‚Diktator‘ in Mittelamerika wurde wieder gewählt…
    Herr Bukele ein reformierer, genau wie sein Pendant aus Argentinien.
    Wenn ich diese zweien einfach nur die Berichte über ihre Politik durchlese, dann frage ich mich : Ist das wirklich wahr, das so viele Menschen sich ihren ‚Henker‘ wünschen oder wählen?
    Ein wahrliches Fest der ‚Demokratie bzw. Diktator‘, die Leute wollen diesen Kladderadatsch tatsächlich und weniger witzig ist die gleiche oder minder gleiche Situation im Westen, lt. Medien.
    Da kommen irgendwelche, niemals vorher gehörten Personen, in Amt und Würden ohne jegliche Qualifikation. Selbst Leute die im aktiven korrupten System aufstiegen und heuer als demente sich offenbaren, es existiert kein Anlass vom Volke aus, das zu ändern.
    Ist das nicht herrlich? Idioten regieren Idioten, oder ist das das neue normal?

  4. Eigentlich dachte man ja, die Lektion im Nachbarland Brasilien sei verstanden worden. Schon dort krasser Neoliberalismus, kombiniert mit rücksichtsloser Naturzerstörung. Führt das zu erhöhtem Wachstum und besseren Profiten? Die Antwort war ein klares Nein.
    Zur Geschichte: Argentinien war schon de facto in der Staatspleite, als Nestor Kirchner die Regierung übernahm. Er und seine Frau Christina schafften es, sich aus den Klauen des IWF zu befreien, aber genau im diesem Moment mussten die Argentinier den neoliberalen Macri wählen. An diesen wurde der höchste je vergebene IWF-Kredit in Höhe von 59 Milliarden ausbezahlt, womit die Sklaverei von Neuem begann. Früher haben Militärdiktaturen durch massive Verarmung dafür gesorgt, dass diese Kredite zurück bezahlt wurden. Jetzt wurde probiert, ob die Argentinier bereit sind, das Elend selbst zu wählen. Sie sind es. Die Sozialleistungen wurden gestrichen, es herrscht jetzt Hunger und es sind nicht einmal Mittel für öffentliche Suppenküchen da. Mancher Argentinier wird mit seiner Wahlentscheidung den Darwin-Award bekommen. Sie müssen besoffen gewesen sein, den zu wählen. 5 Promille, mindestens. Aber der sorgt für Ernüchterung, das endet mit exakt Null Promille.
    Sozialleistungen sind nicht nur Wohltaten. Sie stabilisieren eine Wirtschaft auch im Krisenfall. Die kepitalistische Krise hat die Tendenz zur Selbstverstärkung, sie setzt eine Spirale aus Lohneinbußen und Konsumverzicht in Gang. Diese Sicherung fehlt jetzt, mit Konsequenzen, die wir vielleicht in Kürze sehen.

  5. Unlängst wollte ich wissen, warum in Argentinien die Inflation so hoch ist. Da stand, dass die Zentralbank immer neues Geld gedruckt habe, um den Staat zu finanzieren. Einleuchtend. Aber dann fragt sich: warum gibt es dann in den USA keine Inflation, die machen das doch auch?
    Viele meinen, es sei die globale Präsenz des Dollar, insbesondere im Ölgeschäft, die einen Absturz verhindert. Nun ist aber Entdollarisierung gerade der Lieblingssport im globalen Süden, ohne dass das den Dollar irgendwie schwächt. Diese Erklärung ist nicht zufriedenstellend.
    Vielleicht sollte sich Profi Heiner mal des Themas annehmen. Laie Artur meint, einen anderen Grund gefunden zu haben. Das ganze Geld wandert in die Finanzindustrie, die beispielsweise Argentinien nicht hat. Dort wird es konsumptiv nicht mehr wirksam. Von einem Dollar im Finanzsystem wird kein Burger und keine Cola mehr gekauft.
    Ist das so?

  6. Früher gab es langlebige Investitionen des Staates in Infrastruktur (Unis, Schulen, Strassen, Brücken, Kommunikation ..). Die Schulden erhielten einen Gegenwert. Die Menschen Arbeit und Geld (also mehr als ein Hungerlohn). Was dazu führte das auch diese investieren konnten. Das nannte man soziale Marktwirtschaft.
    Ich halte dieses Model für das Beste. Aber nach mir geht es ja nicht.

    1. Das betrifft mittlerweile Deutschland auch nicht mehr. Danke der Doppik. Wenn Gemeinden in 10 Jahren ihre neu gebauten Immobilien abschreiben müssen, belastet das ihren Haushalt derart, dass sie weniger in die Infrastruktur investieren. Die Lösung heißt, fremde Investoren und dann mieten. Die Infrastruktur wird also dem Finanzkapital in den Rachen geworfen.

      1. Das meine ich mit die soziale Marktwirtschaft ist abgeschafft.
        Alles andere dient nur der Rendite des Finanzkapitals.
        Wer legt eigentlich fest das über 10 Jahre abzuschreiben ist? Dort liegt das Übel.
        Ich wohne in einen Haus das ein ganzes Stück über 100 Jahre alt ist. Mit den notwendigen Erneuerungen macht es immer noch sein Ding.

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