Erpressung

Eine Schachtel Metformin.
User:Ash, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Pharmaindustrie erpresst Millionen von Diabetikern.

Bei der Herstellung des Diabetes-Medikaments Metformin gibt es zwei Marktführer, Zentiva und Sandoz. Jüngst drohten sie, Metformin vom Markt zu nehmen, wenn die „Europäische Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser“ realisiert würde. Diese sieht eine vierte Reinigungsstufe in Klärwerken vor. Durch neue Verfahren können mit dieser zusätzlichen Reinigungsstufe erstmals auch kleinste Stoffe aus dem Wasser gefiltert werden. Dazu gehören zum Beispiel Kosmetika, industrielle Chemikalien, aber auch Medikamente. Mit den gegenwärtigen drei Klärstufen konnten diese Stoffe bislang nicht oder nur kaum entfernt werden. Das hat gravierende Folgen für unser Trinkwasser.

Für mehr als 90 Prozent der Mikroschadstoffe verantwortlich

Schon vor fünfzehn Jahren konnte man 30 Medikamentenrückstände in unserem Trinkwasser nachweisen, insbesondere Diclofenac, Ibuprofen, Metamizol und Östrogene, aber auch Psychopharmaka und Antibiotika wie Amoxicillin. Experimente mit Amphibien konnten immerhin zeigen, dass östrogenbelastetes Wasser aus einem Froschmännchen ein Froschweibchen macht. Und in solch belasteten Gewässern kommt es bei Fischen zu Missbildungen, Nierenschäden und Defekten im Immunsystem. Immer wieder wird daher diskutiert, ob die messbaren Östrogenkonzentrationen sowohl für Unfruchtbarkeit bei Männern als auch für den Geburtenrückgang mit verantwortlich sein könnten. Auch könnte die unmerkliche Einnahme von Antibiotika mit dem Trinkwasser zu unerkannten Resistenzen beitragen. Hieb- und stichfest bewiesen ist das bislang noch nicht, aber auf die leichte Schulter kann man es trotzdem nicht nehmen.

Vor mehr als einem Jahr beschloss das Europaparlament daher eine Verschärfung der Abwasserrichtlinie. Diese neue Richtlinie verpflichtet bestimmte Industrien zur Kostenübernahme der Klärwerk-Aufrüstung – man nennt das Verursacherprinzip. Vorgesehen ist eine Kostenbeteiligung der Kosmetika- und Pharmaindustrie an der Abwasserreinigung in Höhe von 80 Prozent durch die Einrichtungen dieser zusätzlichen vierten Reinigungsstufe. Laut EU sind ihre Produkte für mehr als 90 Prozent der Mikroschadstoffe verantwortlich. Allein in Deutschland müssen nun 570 Klärwerke mit der vierten Klärstufe umgebaut werden. Der Verband der kommunalen Unternehmer schätzt die entstehenden Kosten dafür auf knapp neun Milliarden Euro, mit zusätzlichen Betriebskosten von knapp einer Milliarde Euro im Jahr.

Die Gewinne sollen wohl nicht angetastet werden

Die Reaktion der Pharmaindustrie ließ ein bisschen auf sich warten, fiel dafür aber umso deftiger aus. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie arbeitet an einer Klage gegen die EU-Kommission. Das ist sein gutes Recht. Kritisch wird der massive Widerstand allerdings in dem Moment, wo schiere Drohungen und Erpressung ins Spiel geraten. „Wenn das wirklich so kommt und sich nichts ändert, werden wir Metformin vom Markt nehmen müssen“, erklärt der Geschäftsführer des Pharmakonzern Zentiva, Josip Mestrovic. Metformin ist immerhin das Medikament der ersten Wahl für knapp drei Millionen Typ-2-Diabetiker allein in Deutschland. Alternativen gibt es kaum, und die wenigen sind deutlich teurer. Auch bei Antibiotika und bei Krebsmedikamenten müsse mit Versorgungsengpässen gerechnet werden, wenn die finanziellen Lasten nicht „gerechter verteilt werden“. Gerecht heißt in diesem Sinne wohl, dass die Gewinne der Pharmaindustrie nicht angetastet werden.

Man kann in einer Demokratie verschiedene Meinungen haben, öffentlich streiten und die Differenzen austragen. Im Idealfall kommt es zu einem Kompromiss, mit dem alle leben können – oder müssen. Man sollte allerdings nicht versuchen, mit einer erbärmlichen und sittenwidrigen Erpressung seinen Standpunkt durchzusetzen. Das Strafgesetzbuch sieht dafür in seinem §253 Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vor. Die Versorgung mit Medikamenten gehört zur Daseinsvorsorge, und nicht wenige Stimmen erheben sich immer wieder, die aus diesem Grund eine Verstaatlichung der Pharmaindustrie fordern. Wenn es dafür vielleicht noch an Argumenten gemangelt haben sollte, dann hat die Pharmaindustrie mit dieser Kampagne, mit der Millionen Erkrankter in Angst und Schrecken versetzt worden sind, ein gewichtiges Argument hinzugefügt: Das Gemeinwohl ist gleichgültig, sobald die Gewinne bedroht sind.

Der Text erschien bereits in der ÄrzteZeitung, 12.Juni 2025; „Aufgerollt“, No. 33, und auf www.medizinHuman.de

Bernd Hontschik

Dr. med. Bernd Hontschik, geb. 1952, war bis 1991 Oberarzt an der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses Frankfurt-Höchst und bis 2015 in eigener chirurgischer Praxis tätig. Er ist Autor des Bestsellers „Körper, Seele, Mensch“ und Herausgeber der Reihe „medizinHuman“ im Suhrkamp Verlag. Er schreibt Kolumnen in der Frankfurter Rundschau, ist Mitglied bei der Uexküll-Akademie (AIM), bei mezis und bei der IPPNW und im wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift „Chirurgische Praxis“.
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8 Kommentare

  1. Wie wäre es die Läden einfach zu verstaatlichen und die Verantwortlichen in den Knast zustecken?!?

    Ende! Meine Geduld ist mit den Drecksäcken der Pharmaindustrie am Ende… Und deren Helfershelfer erst recht!

    Und wenn mir jemand von wegen Markt und Privat kommt, den zeige ich nur noch den Stinkefinger! Das sind Auswüchse des Kaputtalismus und dieser gehört endgültig auf den MÜLLHAUFEN der Geschichte!

  2. Da müssen einfach Abschalteinrichtungen in die Abwasseraufbereitung eingebaut werden, und am besten werden die über eine Indische KI gesteuert ‼️

    🤣 Bis 2030 soll die NATO/EU Kriegstüchtiger werden, dabei können nicht alle Industrien verstaatlicht werden, die sowieso seit längerem überhaupt nicht’s mehr in Europa produzieren. Außer Gewinne ‼️

  3. Hätten wir eine Regierung die wirklich dem Gemeinwohl verpflichtet wäre, dann würde nach so einer Drohung sofort die Verstaatlichung der erpressenden Unternehmen ins Auge gefasst. Aber nach westlicher, liberaler Ideologie kommt leider das private Unternehmer-Wohl vor dem Allgemeinwohl. Sie versprechen sich davon den Fortschritt, aber auf Dauer dürften die westlichen Gesellschafen daran zugrunde gehen.

    1. Ich argumentiere bei solchen Dingen auch immer gerne „liberal“ und plädiere für maximale Freiheit. Allerdings als Informatiker mit einem feinen Unterschied:

      Maximale Freiheit bedeutet für mich nicht, dass jeder Teilnehmer „lokal“ seine persönliche Freiheit maximiert, sondern dass diese „global“ (also die Gesamt-Freiheit für alle) maximiert werden soll. Die Ausweitung der persönlichen Freiheit beginnt nämlich irgendwann die Freiheit anderer zu beeinträchtigen. Wenn ich z.B. meinen Nachbarn erschlage und dessen Frau und Kinder in meinen Keller sperre, weil ich mir die „Freiheit“ nehme, auch so eine glückliche Familie haben zu wollen, kann man durchaus argumentieren, dass damit die Gesamt-Freiheit der Gesellschaft eher abgenommen hat. In der Informatik kennt man die sog. „greedy“ oder „gierigen“ Algorithmen, die nach einem ähnlichen Prinzip arbeiten und oft das selbe Problem haben: sie finden meist nur eine „lokal optimierte“ Lösung (auf die Gesellschaft bezogen: einzelne oder nur wenige genießen Wohlstand und Freiheit) die nicht selten weit vom „globalen Optimum“ (maximales Allgemeinwohl) entfernt ist.

      Die Konsequenz daraus sollte sein: Freiheit ja, aber die eigene Freiheit sollte stets dort enden, wo die Freiheit anderer beginnt. Aus diesem Grund finde ich auch unter bestimmten Umständen Eingriffe in die unternehmerische Freiheit absolut gerechtfertigt und argumentiere dabei sogar, dass dadurch ein „freier Markt“ hergestellt werden soll. Der ist nämlich dadurch definiert, dass informierte Teilnehmer die freie Wahl zwischen verschiedenen Angeboten haben. Eine Erpressung durch Monopolisten wie hier der Pharmaindustrie bei lebenswichtigen Medikamenten läuft dem zuwider. Daher hätte ich in einem solchen Fall z.B. kein Problem damit, Unternehmen die es so weit treiben, die entsprechenden Patente zu entziehen und anderen Unternehmen zu ermöglichen, die Medikamente ebenfalls herzustellen. Um eben einen „freien Markt“ wiederherzustellen – also genau das, auf das sich solche Monopolisten immer wieder gerne berufen und dabei insgeheim eigentlich das genaue Gegenteil meinen.

  4. Zwar ist Deutschland innerhalb der EU bereits ein Top-Premium-Markt mit Goldstandard, aber gegenüber den USA sind wir noch echte Billigheimer; da gibs noch viel Luft nach oben…………..

  5. Wie real ist die Gefahr wirklich? Geklärtes Abwasser wird ja nicht direkt zu Trinkwasser. Das fließt ja zunächst in Gewässer die gegebenenfalls gefiltert über Grundwasser zu behandelten Trinkwasser werden. Das wird wenn überhaupt x-mal verdünnt und aufbereitet.
    Ich traue der EU-genauso wenig zu wie der Pharma-Industrie. Was hat dies neutral under realistischen Bedingungen geprüft? Der Abwasserbescheid wird dann schon mal um 25% steigen. Während wonders noch auf die Strasse geschissen wird.

    1. Dazu bitte mal „Natürliches-Mineralwasser illegal gereinigt“ in die Suchmaschine eingeben. Es gibt kaum noch nicht kontaminiertes Wasser in dem natürlichen Kreislauf.

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