Keine Revolution im Krankenhauswesen

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Deutsche Krankenhäuser stehen mit dem Rücken zur Wand. Auch und ganz besonders wegen der Fallpauschalen.

Nie zuvor gab es so viel Unruhe und Chaos in der Krankenhauslandschaft unseres Landes. Die Ankündigung Revolution vor einem Jahr schien daher überfällig. Als Grundübel benannte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Vergütungssystem der Krankenhäuser, das sogenannte DRG-System: „Es geht darum, dass wir das System der Fallpauschalen systematisch überwinden.“ Insider staunten, schließlich hatte Lauterbach doch maßgeblich zu dessen Einführung im Jahr 2003 beigetragen und es zwanzig Jahre lang verteidigt, bis auch er jetzt endlich erkannte, dass eine Krankenhausfinanzierung nach Fallzahlen und Schwere der behandelten Diagnosen den eigentlichen Auftrag des Gesundheitswesens pervertierte.

Fast kein Krankenhaus kann seine Ausgaben decken

Plötzlich waren die Krankenhäuser zu einem ökonomischen Denken in Gewinn- und Verlustkategorien gezwungen. Gewinne machte der, dem es gelang, mit möglichst wenig Personal und möglichst geringen Kosten möglichst viele Kranke in möglichst kurzer Zeit zu behandeln. Verluste machte, wer in erster Linie zeitraubende, empathische Medizin betreiben wollte und erst in zweiter Linie auf die Vergütung achtete. Nicht mehr die Kranken waren Gegenstand der Heilkunst, sondern die Krankheit wurde zum Gegenstand von Fallpauschalen.

Wo diese Fallpauschalen Bilanzgewinne versprachen, da blühten die Abteilungen auf, so etwa in der operativen Augenheilkunde oder der Orthopädie, besonders in der Chirurgie der Wirbelsäule und den Gelenkersatzoperationen. Da explodierten die Fallzahlen. Wo die Fallpauschalen regelmäßig zu Defiziten führten, verkümmerten die Abteilungen und wurden reihenweise geschlossen, so etwa in der Kinderheilkunde oder den Entbindungsstationen. Mit Medizin hatte das alles fortan nichts mehr zu tun.

Das System der Fallpauschalen ist aber nicht allein dafür verantwortlich, dass in den vergangenen vier Jahren knapp sechzig Krankenhäuser geschlossen wurden und über siebzig akut von Schließung bedroht sind. Der zweite Grund ist, dass sämtliche Landesregierungen allesamt über Jahrzehnte ihren gesetzlichen Auftrag ignorierten, in die Krankenhaussubstanz zu investieren. Sie ließen ihre Krankenhäuser sozusagen verhungern und eines nach dem anderen in die Schuldenfalle laufen. Und so kommt es, dass heute knapp siebzig Prozent der Kliniken ihre Existenz akut gefährdet sehen. Fast kein Krankenhaus kann seine Ausgaben aus den laufenden Einnahmen decken. Die Situation der Krankenhäuser ist also im ganzen Land dramatisch.

Fallpauschalen endlich abschaffen

Doch halt: Da gibt es noch die privaten Klinikkonzerne. Dort ist gar keine Rede von Schließungen oder von Unterdeckung der laufenden Ausgaben. Im Gegenteil: Die vier größten Konzerne expandieren ständig und erwirtschaften im Jahr rund eine Milliarde Gewinn für ihre Aktionäre. Wie geht das denn? Das Rätsel ist schnell gelöst: Kündigung der Tarifverträge, Outsourcing aller nichtmedizinischen Leistungen, Personalverknappung über Schmerzgrenzen hinaus und Konzentration auf lukrative Leistungen, mit anderen Worten: Kosten senken und Einnahmen steigern. Medizin wird nur noch in lukrativen Sektoren betrieben. Ein allgemeiner Versorgungsauftrag im Sinne einer öffentlichen Daseinsvorsorge gilt für börsennotierte Konzerne nicht.

Eine wirkliche Revolution im Krankenhauswesen müsste völlig anders aussehen. Erstens: Zunächst muss man das Fallpauschalensystem nicht nur ein wenig zurückdrängen, wie jetzt geplant, sondern ganz und gar abschaffen. Stattdessen muss ein Selbstkostendeckungsprinzip auf der Basis einer klugen Bedarfsplanung zum Zuge kommen. Damit würden dem Krankenhaus die entstandenen Kosten von den Krankenkassen erstattet, rote Zahlen gäbe es nicht mehr. Zweitens: Das macht aber nur Sinn, wenn der profitorientierten Medizin endlich ein Ende gemacht wird, andernfalls würde die Allgemeinheit weiterhin die Dividenden von Aktionären mit ihren Krankenkassenbeiträgen finanzieren. Krankenhäuser müssen der staatlich garantierten Daseinsvorsorge, also der Gemeinnützigkeit verpflichtet werden – kein Platz mehr für die Börse. Drittens und nicht zu vergessen: Die Länder müssten endlich ihren Investitionsverpflichtungen nachkommen.

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11 Kommentare

  1. »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. (Einstein).«

    Das heißt, die Probleme werden bleiben, solange man Lauterbach nicht das Handwerk legt.

  2. Das Problem sind die gnadenlose Kommerzialisierung im Gesundheitswesen
    und die Weigerung, die Leistungserbringer angemessen zu bezahlen,
    gepaart mit irren Vergütungen für den industriellen Komplex.
    Dazu noch die Überalterung der Gesellschaft mit zunehmender Multimorbidität.

    Auf diesem Boden irre Schulden für einen Krieg, den keiner braucht,
    und Energiekosten bis zur Decke.

    Es ist angerichtet.

    1. “Die Leistungserbringer angemessen zu bezahlen.” Ein Chefarzt verdient mehr hunderttausend Euro im Jahr. Ist das angemessen?
      In der Medizintechnik, das weiß jeder Ingenieur, wird satt verdient.

      Und dass die Qualität, das heißt ganz konkret die Überlebensrate z.b von Krebspatienten in kleinen Krankenhäusern deutlich schlechter ist als in großen, ist statistisch belegt.

      Jeder Cent, der im Gesundheitsbereich verdient wird, kommt aus unseren Kassenbeiträgen.

      Ich bin froh, dass es wenigstens einige Akteure gibt, die ich auf Kostendämpfung im Gesundheitswesen achten, statt ungebremst auszugeben und unsere Kassenbeiträge durch die Decke gehen zu lassen.

  3. Hat die Fallpauschale eigentlich geholfen, die Gesundheitskosten zu senken? Hier die Kurve:

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76458/umfrage/deutschland-entwicklung-der-gesundheitsausgaben-seit-1997/

    Nach 2003ein leichter Rückgang, aber insgesamt ist das alles andere als ein Erfolg. Warum eigentlich?
    Fallpauschale heißt eben, dass man dem Arzt misstraut. Man will ihm auf die Finger schauen und das quantifizieren, was er da tut. Überall Pauschale, obwohl doch alle wissen, dass derselbe “Fall” einmal mehr oder weniger Behandlung benötigt. Dermaßen als potentieller Betrüger eingeordnet, wird der Arzt genau dieses Verhalten an den Tag legen. Er wird tricksen, um Pauschale zu bekommen. Wozu er nebenbei auch noch gezwungen wird. Denn die Rosinen haben sich zuvor schon die Privaten herausgepickt. Die aber Gewinn machen müssen und mitnichten billiger sind.

    Wie bei der Bahn: zurück zur sozialen Marktwirtschaft des Ludwig Erhard. Das ist der Che Guevara des 21. Jahrhunderts. Sahra Wagenknecht liegt gar nicht so falsch.

    Allerdings: wenn das erreicht ist, sollte dann doch noch etwas obendrauf kommen.

    1. “Dem Arzt misstraut.”
      Ja, so hart es klingt, tatsächlich: Wenn der Arzt selber entscheidet, welchen Umsatz er macht und damit, welchen Gewinn er für sich bzw seinen Arbeitgeber erwirtschaftet, wird es mit der ärztlichen Objektivität schnell eng. Alles andere ist Traumdenken.

      1. Die meisten Ärzte sind auch nur abhängig beschäftigte und müssen tun, was der Arbeitgeber will. Ärztliche Unabhängigkeit. Ja nee klar. Aber es sind ja nicht nur diese wirtschaftlichen Umstände. Der Rest wird durch Gruppendenken getrieben, weil wenn man es so wie alle anderen macht, riskiert man natürlich auch nichts. Egal wie falsch die Bheandlung eigentlich sein mag. Wer ausschert ist verdächtig.

      2. Es kann jeder seinen Arzt kontrollieren, so er will…
        ich war 15 Jahre ohne KV, habe alle selber bezahlt, einschließlich 2er Grauen Stare…alle Modalitäten und Pekunia ausgehandelt…geht alles, ist der “Normale” Deutsche nur nicht gewohnt!
        Einfach beim nächsten Arztbesuch eine Rechnung verlangen (macht auch keiner, zahlt ja die Kasse)

  4. Solche Luftsprünge mit Luftpumpen kann nach der Orgie Corona, nur mit den besten Denker und Dichter in Landen durch exerziert werden.
    So mal neben bei, vor Lauterbach war der cdufritze jenschen am Werke und erhielt eine Villa für schnäppschchen Geld.
    Und wer hat’s bezahlt?, der Strolch Steuerzahler.

    1. Lauterbach hat damals der Ulla Schmid die Fallpauschalen eingeflüstert. Der Spahn hat da nix mit zu tun gehabt.

      Ich bin ja der Meinung die Minister und Bundestagsabgeordneten sollten verpflichtend gesetzlich krankenversichert sein. Damit nicht Blinde von Farbe reden, sondern sie ganz konkret selbst die Folgen ihrer Beschlüsse ertragen müssen.

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