Kapitalismus bis zum bitteren Ende

Wall Street
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Die schwerste Bankenkrise seit der Lehman-Pleite scheint für die USA vorerst überstanden. Auch der Streit um die Schuldengrenze ist fürs erste beigelegt. Die Zahlungsunfähigkeit der größten Volkswirtschaft der Welt konnte im letzten Moment abgewendet werden. Ist nun die Welt des Kapitalismus wieder in Ordnung?

Notenbank und Regierung der USA haben mit der Bereitstellung von Finanzmitteln und Bürgschaften verhindern können, dass der Untergang mehrerer mittelgroßer Banken sich zu einer großen Finanzkrise ausweitet. Kaum ist  an dieser Front Ruhe eingetreten, tun sich bereits neue Abgründe auf. Das Beben rund um die Silicon Valley Bank hat zum Abfluss von „fast 600 Milliarden Dollar … aus dem US-Bankensystem“ (1) geführt.

Kapital auf der Flucht

Ein Großteil dieser Gelder wurde längerfristig in Geldmarktfonds angelegt. Das kommt der US-Regierung sehr ungelegen, wo doch gerade jetzt der amerikanische Staat auf jeden kaufwilligen Investor angewiesen ist. Denn die USA, die reichste Volkswirtschaft der Welt, sind knapp bei Kasse, wie der Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze deutlich machte.

Schon jetzt erreichen die Staatsschulden die unvorstellbare Summe von rund 31,5 Billionen Dollar. Die Einigung im Streit um die Schuldenobergrenze erlaubt eine Erhöhung um zusätzliche 1,5 Billionen. Da die US-Regierung sich während dieser Auseinandersetzung keine neuen Mittel beschaffen durfte, ist nun der staatliche Finanzierungsbedarf entsprechend groß.

Die US-Bank J.P. Morgan schätzt, dass die Regierung bis September 2023 neue Gelder in Höhe von 850 Milliarden Dollar über Anleihen aufnehmen muss. Nur so kann der Staat seine Zahlungsverpflichtungen erfüllen und weiter funktionieren. Ausgerechnet die reichen westlichen Staaten sind die am höchsten verschuldeten und verfügen nicht über genügend Einnahmen, um die Staatsausgaben zu schultern.

Im Geschäftsjahr 2023 hatte die US-Regierung Staatseinnahmen von 2,99 Billionen Dollar, denen aber Ausgaben von 4,16 Billionen gegenüberstanden.(2) Angesichts ihrer gewaltigen Verschuldung ist die US-Regierung abhängig von der Bereitschaft privater Anleger und institutioneller wie Geldmarkt-Fonds, ihr Geld in amerikanischen Staatspapieren anzulegen. Anderenfalls ist die Zahlungsfähigkeit des Landes in Gefahr. Doch Finanzministerin Janet Yellen hat Zweifel, ob „die Geldmarktfonds die Anleiheflut des US-Staates allein aufnehmen können“.(3)

Um Investoren anzulocken, müssen die USA schon jetzt an den Finanzmärkten Zinsen zahlen, die im Schnitt um 1,5 Prozentpunkte über denen deutscher Staatsanleihen liegen. Zudem sind durch die Maßnahmen der FED zur Inflationsbekämpfung inzwischen die Renditen kurzlaufender Anleihen höher als die von langlaufenden, normalerweise ist das umgekehrt. Angesichts solcher Nachteile dürfte es für die US-Regierung schwierig werden, Käufer für langfristige Anleihen zu finden.

Unter den Bedingungen des kapitalistischen Finanzmarktes gibt es da nur eine Lösung: Es müssen höhere Zinsen für die Langläufer angeboten werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die USA für neue längerfristige Anleihen bald einen Zinssatz mit einer Fünf vor dem Komma bieten müssen. Das aber wird den ohnehin schon angespannten US-Haushalt zusätzlich belasten.

Interessenkonflikte

„Alleine in den letzten vier Quartalen … musste die US-Regierung auf die gesamte Staatsverschuldung 853 Milliarden Dollar an Zinsen bezahlen.“(4) Das entspricht fast einem Drittel der gesamten Staatseinnahmen des Landes von 2,99 Billionen Dollar. Dabei wachsen die Zinsforderungen schneller als die Wirtschaftsleistung zunimmt. Allein innerhalb eines Jahres haben sie sich von 600 Mrd auf 853 Mrd Dollar erhöht und das bei wesentlich niedrigeren Zinssätzen als den aktuellen.

Erschwerend kommt hinzu, dass zu den größten Gläubigern der USA nicht nur private und institutionelle Anleger gehören sondern auch Staaten wie China, mit denen die USA immer heftiger in Konflikt geraten. Russland hat seinen Bestand an US-Anleihen bereits weitgehend abgebaut und der chinesische sinkt auch. Das bedeutet, dass bei steigendem Finanzbedarf der USA die Kundschaft für deren Anleihen schrumpft. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen scheint sich auszuweiten.

Die politischen Folgen dieser Situation haben sich bereits während des Streits um die Erhöhung der Schuldenobergrenze angedeutet und dürften in den nächsten Jahren immer mehr in den Vordergrund treten. Wessen Interessen wird die amerikanische Regierung bei einer Verschärfung der Schuldenlage zuerst bedienen? Erfüllt sie die Zinsforderungen ihrer Gläubiger oder aber wiegen für sie die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung schwerer? Beides zu bedienen, wird immer schwieriger.

Geht immer mehr Geld aus den Staatseinnahmen in die Zinsaufwendungen, wird die Regierung Abstriche machen müssen an den staatlichen Leistungen gegenüber der eigenen Bevölkerung, wenn es zu keiner wesentlichen Steigerung der Wirtschaftsleistung kommt. Denn die Alternative wäre die Reduzierung oder gar Einstellung der Zinszahlungen, was dem Zahlungsausfall gleich käme. Dieses Vorgehen aber wird durch die amerikanische Verfassung selbst verboten. Der 14. Zusatzartikel stellt klar, dass „der Wert der amerikanischen Staatsschulden nicht infrage gestellt werden dürfe“(5).

Würde irgendeine amerikanische Regierung die Zinszahlungen nicht erfüllen, würde sie gegen die amerikanische Verfassung verstoßen und sich einer Welle von Klagen gegenübersehen, die zugunsten der Gläubiger ausgehen dürften. Zudem würde wohl kaum ein Anleger noch amerikanische Staatsanleihen kaufen. Vielmehr wäre mit einer Verkaufswelle zu rechnen, denn jeder würde verkaufen wollen, solange die Papiere noch einen gewissen Gegenwert haben. Die Folge wäre ein Anstieg der Zinsen in astronomische Höhen.

So bleibt den USA gar nichts anderes übrig, als dem systemischen Rivalen China, dessen Aufstieg man mit aller Macht verhindern will, weiterhin seine Zinsen zu zahlen auf den Anleihebestand von etwa einer Billion Dollar, während die eigene Bevölkerung Gefahr läuft, die Gürtel enger schnallen zu müssen. Insofern sind die Drohungen der USA gegenüber China etwas vollmundig. Die Amerikaner sind von chinesischem Wohlwollen viel stärker abhängig als umgekehrt. Eine Verkaufswelle aus China wäre eine Katastrophe für die amerikanische Wirtschaft.

Die Prioritäten sind klar: Zinsen und Tilgungen gehen vor, alle anderen Zahlungen müssen warten. Das gilt auch für die Zahlungen an die ungefähr 60 Millionen Rentenbezieher. Im Konflikt  zwischen den Interessen der Investoren und der eigenen Bevölkerung, werden die Regierungen der USA denen der Investoren den Vorzug geben müssen – aus rechtlichen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen.

So wurde der aktuelle Kompromiss mit den Republikanern über die Anhebung der Schuldengrenze erkauft mit der Zusicherung der Demokraten, staatliche Ausgaben für die nächsten zwei Jahre einzufrieren und Verschärfungen bei den Empfängern sozialer Leistungen einzuführen. Das sind die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, an denen aller guter Wille welcher Regierung auch immer scheitern wird, so lange sie sich der privatwirtschaftlichen Ordnung verpflichtet fühlt.

Kapital-Kannibalismus

Die führenden kapitalistischen Staaten, allen voran die USA, taumeln dem finanziellen Zusammenbruch entgegen, wenn sich an den derzeitigen Gegebenheiten nichts ändert. An der Zahlungsverpflichtung für den Schuldendienst führt kein Weg vorbei. Es bleibt ihnen folglich nur,  die Ausgaben für die Bevölkerung einzudampfen, oder aber die Wirtschaftsleistung muss in einem Maße gesteigert werden, dass höhere Staatseinnahmen zum Abbau von Schulden und der Verringerung der Zinsverpflichtungen führen.

Darin aber gerade liegt das Problem für die Gesundung der westlichen Staatsdefizite. Besonders die bisherigen staatlichen Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftskraft sind ein bedeutender Beitrag zur Verschuldung der Staaten. Speziell bei den USA kommen die gewaltigen Ausgaben für Rüstung und Kriegsführung hinzu, bei denen aber auch in Zukunft gemäß dem Kompromiss zwischen Demokraten Republikanern nicht gespart werden soll.

Die Ertragskraft der Wirtschaft in den führenden kapitalistischen Staaten reicht nicht aus, um die   staatlichen Ausgaben zu finanzieren. Um diesen Niedergang der Ertragskraft aufzuhalten, hatten die Regierungen immer mehr Zugeständnisse an die Wirtschaft gemacht. Unternehmenssteuern wurden in Milliardenhöhe gesenkt, um den Wirtschaftsstandort für Investoren attraktiv zu machen oder seine Attraktivität für die ansässigen Unternehmen zu erhalten.

Auf der anderen Seite wurden Subventionen in Milliardenhöhe gewährt, um die Konkurrenzfähigkeit von Wirtschaftszweigen zu erhalten, die auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Aufstrebenden Wirtschaftszweigen wiederum wurden durch Subventionen oder Kaufanreize unterstützt, um Marktreife zu erreichen. Milliarden wurden ausgegeben für Bankenrettungen und Abwrackprämien zur Stützung der Autoindustrie.

All das geschah in der Hoffnung und sicherlich auch dem guten Glauben, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen, und dadurch zum Wachsen der Staatseinnahmen beizutragen. Aber stattdessen es belastete die Haushalte und führte nicht zu den erwarteten Mehreinnahmen in der Staatskasse. Dabei waren doch all diese Maßnahmen sogar wissenschaftlich durch die Theorien der Wirtschaftswissenschaften.

Aber diese Politik diente nicht allein der Verbesserung der Haushaltslage sondern auch einem politischen Ziel: der Erhaltung der privatwirtschaftlichen Ordnung.  Das private Unternehmertum als Stütze und Träger der kapitalistischen Ordnung galt es zu schützen beziehungsweise zu fördern. Dieses Handeln befand sich  in Übereinstimmung mit dem Denken der gesellschaftlichen Mehrheit, und weil diese Mehrheit so denkt, ist sie auch immer noch bereit, die Nachteile dieses Systems weiterhin zu ertragen.

Eine Beschleunigung der Verschuldung erfährt die westliche Wirtschaft durch die Sanktionen gegenüber Staaten, die sich nicht den westlichen Vorstellungen unterwerfen wollen. Diese Sanktionen schädigen immer mehr die eigene Wirtschaft statt die der Sanktionierten. Das wird im Konflikt mit Russland, aber auch mit China immer deutlicher. Westliche Unternehmen müssen sich aus lukrativen Märkten zurückziehen und Umsatzeinbußen hinnehmen. Das mindert ihre Ertragskraft.

Wenn auch Markt und Ertragskraft westlicher Unternehmen schwinden, die Verschuldung und Zinsverpflichtungen ihrer Staaten jedoch werden nicht geringer. Inzwischen ist ein neuer Subventionswettlauf unter den westlichen Staaten entbrannt. Man wirbt sich gegenseitig die Unternehmen ab. Der Wertewesten kannibalisiert sich selbst.

Besonders die Europäische Union und die USA überbieten sich gegenseitig mit staatlichen Zuwendungen für Unternehmen, die sich im jeweiligen Wirtschaftsraum ansiedeln wollen. Ständig werden neue Förderprogramme aufgelegt, um Zukunftsindustrien wie die Produktion von Batterien, Solartechnologie oder Chips anzulocken oder selbst aus dem Boden zu stampfen. Das kostet enorm viel Geld und der Erfolg ist zweifelhaft. Denn der Vorsprung Chinas in vielen dieser Industrien scheint uneinholbar. Im Vergleich dazu ist die heimische Industrie ein „Trabi mit kaputtem Motor“. (6)

Während die westlichen Staaten die Zinsen erhöhen müssen, um Kapital anzulocken oder die Inflation zu bekämpfen, hat China zuletzt Zinsen auf 1,9%(7) gesenkt und steigert mit den dadurch sinkenden Investitionskosten die Ertragslage seiner Unternehmen.  Während die USA die Zinsen erhöhen müssen, um Anleger für ihre Anleihen zu finden, profitiert China von den höheren Zinsen des systemischen Rivalen USA.

 

Fußnoten:

(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.06.2023: Anleger erwartet eine Flut von US-Staatsanleihen
(2) https://fiscaldata.treasury.gov/americas-finance-guide/
(3) Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.06.2023: Anleger erwartet eine Flut von US-Staatsanleihen
(4) https://finanzmarktwelt.de/us-staatsverschuldung-zinslast-schuldenobergrenze-das-grosse-problem-268101/
(5) FAZ 11.5.2023: Die US-Regierung spielt Zahlungsausfall durch
(6) FAZ 19.6.2023: Trabi mit kaputtem Motor
(7) Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.06.2023: Anleger erwartet eine Flut von US-Staatsanleihen

Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse. Dort ist auch dieser Text am 27. Juni 2023 erschienen.

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11 Kommentare

  1. Wem es immer noch nicht klar ist, wo die Reise hingeht, der sollte sich z.B. “scenery of china” auf tiktok reinziehen und mit den Bildern der Obdachlosen in LA vergleichen. Verschärfend kommt hinzu, dass die westliche Welt von Marionetten der thinktanks regiert werden, die ihr eigenes Süppchen kochen. Aber was will man von Leadern erwarten, denen stets der Weg von der Bühne gezeigt werden muss oder die noch nicht einmal naturwissenschaftliche und geografische Grundkenntnisse haben. Wenn der mittelfristige Absturz des Westens noch abgewendet werden soll, ist eine grundlegende Richtungsänderung erfoderlich, Aufrüstung und Krieg werden nicht helfen.

  2. Man kann sich winden wie man will, die ganze Diskussion um einen Ausweg aus jeder Krise bleibt eine, die den richtigen Schritt zur Verlängerung des Kapitalismus sucht, aber nie finden kann. Jede “goldene” Variante schafft nur ein wenig Zeitgewinn zu dem Preis, dass an anderen Stellen die Widerspüche verstärkt werden und die nächste Gefahr droht. Aber auch das hat einmal ein Ende, der Tag kommt zwangsläufig auf Grund der Wirkung des Wertes, dem Bewegungsgesetz des Kapitalismus, dass kein Instrument gegen die Krise noch Wirkung zeigt.
    Die Wirtschaftswissenschaft dreht sich dabei um sich selbst, die Halbwertzeiten der ökonomischen Modelle werden immer kürzer. Es ist langsam an der Zeit aufzuwachen und die Ursachen zu suchen, die Produktionsverhältnisse (Wert) zu analysieren und die Warenproduktion kritisch anzugehen.
    Bin da eher skeptisch, denn dann müsste man ja seine oft gut dotierten Stellen gefährden. Deshalb werden die meisten weiter im Wirtschaftzirkus auftreten und die Lösung anbieten, die von ihnen erwartet werden. Wie hieß die Definition von Planung? Den nächsten Irrtum vorbereiten.

    1. Die eigentliche Ursache ist immer, dass man sein Gescbäftsmodell nicht versteht und deshalb mit alten Rezepten hantiert, deren Misslingen in aller Regel nicht die Verursacher ausbaden müssen. Ein typisches Moral-Hazard-Problem also.

      Aber die Zeit und die Umstände sind reif, dass sich die MMT etabliert, womit dann viele kapitalistische Restriktionen umgangen werden können und sogar die Möglichkeit eröffnet wird, an das Tor zum Überschreiten der Vorgeschichte der Menschheit anzuklopfen….

  3. Heute hatte ich mich ein wenig um die Geschichte vom Staat Benin angelesen.
    Weit ab von jeglicher ‘Kapitalistischen Idee ‘.
    Das Netz der Information gibt angeblich Antworten auf alles, aber dieser kleine Staat hatte angeblich Fähigkeiten die dann auch andere Staaten entdeckten.
    Was ist Kapitalismus? Nichts anderes als die Schwäche von anderen Teilnehmern auszunutzen und zu verwirklichen, oder subtil :Raub.
    Der Kapitalismus ist nicht am Ende, sondern der Kapitalismus entwickelt ‘final’ dorthin wo Angebot und Nachfrage herrscht. Das Monopol vom Narrativ wird aufgelöst in ein Oligarches System der Nationen. Supranational Institutionen können etwas beitragen, um Monopole entstehen zu lassen oder diese zu zügeln. Das Zügeln hängt letztendlich vom Demos ab, inwieweit dieser sich verführen lässt oder nicht.

  4. Guter Artikel.
    Schade – und doch auch wieder bemerkenswert und aussagekräftig, dass dieser wichtige Beitrag hier auch nach vier Tagen bislang erst vier Kommentare hat …

    Ja, man darf wirklich gespannt sein, mit welchen Rettungsversuchen, Tricks, Schweinereien usw. die Herren des Geldes das absehbare Ende dieser “Spielrunde” angesichts einer letztlich krebsartig wuchernden Verschuldung noch ein bisschen hinauszuschieben versuchen werden. Die gewählten Schritte und Maßnahmen sind hierbei für den Beobachter im Grunde weniger unklar als der Zeitpunkt. Eine Rettung vor dem “Schuldenkrebs” gibt es nicht mehr.

    Über die Überschrift dieses Artikels von Herrn Rauls, nämlich “Kapitalismus bis zum bitteren Ende” habe ich aber öfters nachdenken müssen.
    Kann der Kaitalismus denn überhaupt je enden?

    Kommt darauf an, was man unter “Kapitalismus” versteht. Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich von der jeweiligen Kapitalismus-Theorie ab und ein Marxist würde gewiss sogleich antworten: selbstverständlich.

    Ich weiß aber nicht, ob das wirklich so selbstverständlich ist, denn in gewisser Weise ist das, was wir heute “Kapitalismus” nennen, doch lediglich eine zeitabhängige Variante des uralten Musters, dass die Reichen und Mächtigen ihre Einkünfte zu vergrößern suchen. Der Varianten gab und gibt es viele. Und der heutige Kapitalismus unterscheidet sich natürlich auch schon von der Kapitalismusspielart, die etwa in den 1950er oder noch in den 1990er Jahren vorherrschte. Es ist diese enorme Wandlungsfähigkeit des Musters “Herrschaft”, das die auf lediglich ganz bestimmte (oft von Marx/Engels geprägte) Strukturen fixierte Linke immer wieder verblüfft und genarrt hat.

    Auch nach einem durchaus möglichen globalen Finanzcrash nebst dem Bankrott zahlreicher Staaten, diversen Währungsreformen, Lastenausgleichen und womöglich auch revolutionären Erhebungen wird es noch Leute und Gruppierungen geben, die mächtiger und reicher sind als andere …
    Man könnte auch sagen: Fett schwimmt eben immer oben!

    Was nach so einem Crash an sein Ende gekommen sein wird, ist lediglich eine bestimmte “Spielrunde”, eine Variante des nahezu ewigen Spiels – das “Spiel” selbst geht aber mit etwas anderen Regeln und Merkmalen weiter – vielleicht auch mit teilweise neuen Mitspielern.

    Weder Revolutionen und zerstörerische Kriege noch die Einführung neuer Produktionsweisen haben an diesem Muster etwas geändert. So dürfte es auch künftig sein.

    1. Sehr geehrter Herr Wirth,
      vorab vielen Dank für die positive Kritik und auch für ihren sehr sachlichen Beitrag. Beides ist hier wie auf fast allen Foren besonders in dem Milieu, das sich als links versteht, eher selten.
      Ihr Beitrag wirft wichtige Fragen auf, zu denen ich eine Antwort versuchen will:
      „Kann der Kapitalismus denn überhaupt je enden?“
      Ich habe in meinem Beitrag einen Hinweis auf diese Frage gegeben: „weil diese Mehrheit so denkt, ist sie auch immer noch bereit, die Nachteile dieses Systems weiterhin zu ertragen.“ Kapitalismus wird erst enden, wenn jene Gruppen der Gesellschaft, die dieses System am Laufen halten und seinen Reichtum mehren durch ihre tagtägliche Arbeit, wenn diese Gruppen nicht länger bereit sind, ihren Beitrag zum Funktionieren des Systems zu leisten. Erst wenn die gesellschaftliche Mehrheit im Kapitalismus ein System erkennt, das ihren Interessen nicht mehr gerecht wird und für die Zukunft ihrer Kinder keinen freundlichen Ausblick mehr hat, wenn deutlich wird, dass der K. überwunden werden muss, damit das Leben eine Perspektive hat, und diese Mehrheit auch bereit ist, sich aktiv für diese Überwindung des K. einzusetzen, erst dann dürften seine Tage als Gesellschaftssystem gezählt sein. Das ist aber im Moment nicht der Fall, auch nicht ansatzweise.
      Das beantwortet auch ihre nächste Frage nach dem, was kommt, wenn es zu einem Crash kommen sollte, den ja viele Kaffeesatzleser immer wieder mit Inbrunst voraussagen. Das kann natürlich eintreten, aber das bedeutet nicht zwangsläufig das Ende des Kapitalismus. Sie haben sehr richtig festgestellt, dass er im Laufe der Jahrhunderte immer wieder seine Erscheinung gewandelt hat. Der K. von heute ist ganz anders als der der 1950er Jahre und noch einmal anders als der Manchaster-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts. Auch wenn ein Crash die heutige Form des Kapitalismus zerstören sollte, was danach kommt ist auch wieder Kap., wenn nicht die Menschen seiner überdrüssig geworden sind und ein neues Gesellschaftssystem schaffen. Das ist das Entscheidende: die Bereitschaft der Menschen, sich eine neue Grundlage für ihr Wirtschaften und ihr Zusammenleben zu geben und den Kap. damit hinter sich zu lassen.
      Ich teile auch Ihre Ansicht, dass die meisten Linken in der Weltsicht der marxistischen Gründerväter festhängen. Viele von ihnen haben die Werke von Marx und Engels in sich hineingepresst, wenn überhaupt, und beurteilen die Vorgänge in der heutigen Welt nach den Erkenntnissen und Zitaten, die aus einer anderen Zeit stammen. Das heißt nicht, dass die grundlegenden Erkenntnisse und Lehren von M+E falsch oder überholt wären, aber sie stammen aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Entwicklungsstufe des Kapitalismus. Zum Beispiel hat es für den Faschismus keine Aussagen bei den beiden gegeben, weil der auf dem damaligen Entwicklungsstand noch überhaupt kein Thema war. Gleiches gilt für die Inflation. Diesen Begriff für die Geldzustände hat es zu dieser Zeit noch gar nicht gegeben. Trotzdem aber versuchen gerade die bibeltreusten Linken, mit Theorien, die sich nach Marx und Engels anhören, diese Erscheinungen zu deuten. Sie haben eine der wesentlichen Lehren der Urväter nicht beherzigt, dass nämlich die Erscheinungen der Welt immer wieder neu erforscht und gedeutet werden müssen mittels materialistischer Analyse, nicht mit dem Herunterbeten alter Zitate.
      Gleiches gilt für den Glauben vieler sogenannter Linken an die Unausweichlichkeit des Sozialismus. Er ist entgegen aller Dogmen und Lehrmeinungen jener, die sich als Marxisten verstehen, nur eine von zwei Möglichkeiten der menschlichen Entwicklung. Die andere, die die Bibeltreuen immer wieder gerne zu überlesen scheinen, ist die, die Marx selbst in Aussicht stellte, dass die Menschheit absinken wird in die Barbarei, wenn ihr der Übergang zum Sozialismus nicht gelingt. Insofern ist der Sozialismus für einen wirklichen Marxisten gerade nicht selbstverständlich, sondern abhängig vom Kampf der Menschheit um eine bessere Zukunft.

      1. Als deutscher Immigrant im Ausland, erzähle bzw. schreibe ich Ihnen :
        Diese ganzen Ideologien werden durch die Leute im Ausland wohlwollend aufgenommen, aber ihre Realitäten zu dessen ist eine ganz einfache Aussage :
        “Fuck you”!
        Alle Religionen oder anderen importieren Müll aus E zeptionalism ist eine Müllfabtik, bringt rein gar nichts für gelebte Realitäten!
        Herr Rauls, bitte nicht falsch verstehen was ich schreibe, aber diese Welt der PR funktioniert so nicht!
        Das letzte Wochenende nahm ich Teil an einer nationalen, aber unterschiedlichen Ethnien teil, ich schreibe jetzt nur, Sie haben keine Vorstellung von dessen was dort geschah!
        Das geschriebene von mir ist nicht gegen Sie gerichtet, aber die Wahrnehmung macht den Unterschied…
        MfG PTO1

        1. @ Pro1

          Nehmen Sie´s mir bitte nicht übel, aber ich habe Mühe, Ihre Ausführungen zu verstehen.
          Was ist denn das Wesentliche, das Sie mitteilen wollen?

        2. Wovon reden Sie? Wäre es möglich, dass Sie EINE klare Aussagen machen, anstatt mit nichtssagenden Andeutungen um sich zu werfen? Ich kann in Ihren Aussagen überhaupt keine Richtung erkennen, nicht einmal eine gegen mich gerichtete.

      2. Vielen Dank, lieber Herr Rauls, für Ihre freundliche, interessant-vertiefende und weiterführende Antwort.
        Wir sehen die Dinge ziemlich ähnlich – und wohl auch ähnlich skeptisch.

        Kommen Sie gut durch die Woche!

  5. Die Protagonisten des Kapitalismus haben vor allen das Problem, ihr Geschäftsmodell hinreichend gut zu verstehen, damit sie es, hinreichend modifiziert, auch für sich selbst besser nutzen.
    Aber lieber geilt man sich an Glaubenssätzen auf und erkennt nicht deren Fesseln und eigentlich unnötige Zwänge.
    Als Stichwort sei hierbei nur der Begriff “MMT” eingefügt.

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