Der anrüchige Spatenstich

Eli Lilly, 1886
Eli Lilly and Company, Public domain, via Wikimedia Commons

Einst war Karl Lauterbach großer Kritiker von vertraulichen Arzneipreisen. Jetzt hat er sie dennoch ermöglicht.

Über die Pharmaindustrie ist vieles gesagt. Erfundene Krankheiten, gekaufte Anwendungsbeobachtungen, Lobbyarbeit, Preisabsprachen, irreführende Werbung, Unterdrückung von Studiendaten, gekaufte Wissenschaftler, alles bekannt. Man muss das eigentlich nicht immer wiederholen. Dennoch gerät man immer wieder ins Erstaunen über die Unverfrorenheit, mit der Politik und Pharmaindustrie ihr harmonisches Zusammenwirken verharmlosen und verheimlichen. Jüngst ist das geschehen mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG).

Mit diesem Gesetz soll den zunehmenden Engpässen bei der Arzneimittelversorgung entgegengewirkt werden. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt dazu: „Mit dem Medizinforschungsgesetz werden Genehmigungsverfahren für klinische Prüfungen sowie Zulassungsverfahren von Arzneimitteln beschleunigt und entbürokratisiert, bei gleichzeitiger Wahrung der hohen Standards für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten.“ Das hört sich doch sehr vernünftig an!

Kanzler mit Spaten in der Hand

Um verstehen zu können, was jetzt geschehen ist, muss man wissen, was ein Erstattungspreis ist. Seit dem Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 werden zwischen Pharmaherstellern und Gesetzlichen Krankenkassen für nahezu alle neu auf den Markt kommenden Medikamente Preisverhandlungen geführt und Erstattungsbeträge vereinbart. Seit einiger Zeit sind die sogenannten Abnehmspritzen in der Diskussion, die gleichzeitig zur Mitbehandlung beim Diabetes mellitus geeignet sind. Die Behandlung bei Diabetes bezahlt die Krankenkasse, den Lifestyle-Einsatz zur Gewichtsabnahme bezahlt sie nicht. Wenn es den Krankenkassen gelingt, den Erstattungspreis für die Indikation Diabetes so weit wie möglich zu drücken, kann man nicht rechtfertigen, für den gleichen Wirkstoff als Abnehmspritze einen vielfach höheren Preis zu verlangen. Ein weiteres Problem: Deutschland gilt als Referenzpreisland. Bekannte hohe Rabatte würden den Preis einer Arznei auch im Ausland drücken. Doch da hilft nun das MFG, mit dem es die Option für Geheimpreise gibt.

Im April 2024 trafen sich Kanzler, Ministerpräsidentin, Minister und Konzernlenker in Alzey und nahmen je einen Spaten in die Hand: Das US-Unternehmen Eli Lilly investiert dort 2,3 Milliarden Euro in die Errichtung einer Pharma-Produktionsanlage. Große Freude allüberall. Der Bundeskanzler pries die seit Jahrzehnten größte Einzelinvestition in den Pharmastandort Deutschland an. Der Gesundheitsminister prophezeite, dass die meisten Studien der pharmazeutischen Industrie demnächst aus Deutschland kommen werden. Die Ministerpräsidentin sprach von einem Meilenstein für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Rheinland-Pfalz. Der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer sprach von einem eindrucksvollen Etappenziel auf dem Weg zur internationalen Pharma- und Biotech-Region Rheinhessen, man könne mit 1.000 neuen Arbeitsplätzen rechnen.

Keine Vermerke bekannt?

Und Dave Ricks, CEO von Eli Lilly, betonte das fortwährende Engagement von Eli Lilly für Patientinnen und Patienten, um zuverlässig sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittel bereitzustellen, und krönte seine Rede voller Pathos mit „Ich bin ein Alzeyer“. Eli Lilly lud sogleich die ganze Stadt Alzey zum großen Sommerfest am 25. August ein. Worüber sich Herr Ricks eigentlich gefreut haben dürfte, hat er in seiner Rede nicht verraten.

In Alzey wird Eli Lilly Medikamente mit dem GIP/GLP-1-Rezeptoragonisten Tirzepatid herstellen, das gleichzeitig als Abnehmspritze (Zepbound) hohe Gewinne verspricht. Für Tirzepatid als Diabetes-Medikament (Mounjaro) werden die Krankenkassen einen Rabatt auf den Erstattungspreis verlangen. Zunächst gab es nur ein Gerücht, dass die Zusage für die Milliardeninvestition in Alzey mit dem Wunsch nach Geheimpreisen verbunden war. Dieses Gerücht wurde von Eli Lilly dementiert. Doch nun kann man in ministeriellen Unterlagen nachlesen, „dass Befürworter einer solchen Regelung insbesondere die Firma Lilly (ist), die ihre Investitionsentscheidung an einen in Aussicht gestellten vertraulichen Erstattungsbetrag geknüpft hatte“. Auch nach der Veröffentlichung dementiert Eli Lilly einen Zusammenhang. Und laut BMG sind Karl Lauterbach „keine Vermerke bekannt“.

Das Medizinforschungsgesetz heißt seither dennoch Lex Lilly. Karl Lauterbach hat Geheimpreis-Klauseln noch 2016 vehement abgelehnt. Jetzt ist er auf der Unglaubwürdigkeitsskala von 1 bis 10 wieder einen weiteren Punkt nach rechts gerutscht.

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10 Kommentare

    1. Recht einfach.
      Es werden 2 Medikamente, mit unterschiedlichen Namen, jedoch mit demselben Wirkstoff produziert. Das eine ist für Diabetes “bestimmt”, das andere für Abnehmen. Und obwohl es sich um denselben Wirkstoff handelt, wird der Mist unterschiedlich vergütet. Für Diabetes rabattiert, für Abnehmen eben nicht. Und da sind noch die “Geheimpreis-Klauseln” im Spiel.
      Also zusammengefasst: VERARSCHE hoch drei.
      Wie immer.

      Es wundert mich auch sehr, dass Lauterbach überhaupt auf einer
      “(Un)Glaubwürdigkeitsskala” stand.
      Was will man da eigentlich noch “messen”?!

      Als Beispiel kann man sagen:
      Aspirin (allgemein bekannt), oder aber
      “Fiebersenker und Schmerzmittel – 2 in Einem”. Juhuuu. Ganz tolle Sache. Kann ich 3 mal teurer verkaufen. Ist ja ein super “Kombipräparat”. Der Wirkstoff ist aber derselbe – Acetylsalicylsäure.

        1. Eine Erklärung noch dazu.
          Diese “Vorgehensweise” ist eigentlich nichts Neues.
          Wird oft bei homöopathischen Mitteln praktiziert.
          Der “klassische” bekannte Hersteller DHU (Deutsche Homöopathie-Union) nennt seine Präparate genau nach dem Wirkstoff, der drin ist.
          Andere finden für ihre Präparate ausgefallene kommerzielle Namen und verkaufen das Zeug bis zu 5 mal teurer oder mehr. Wenn man sich aber die Zusammensetzung anguckt, ist sie identisch mit der, des DHU Produkts.
          Ist aber ziemlich klein gedruckt und vor allem, wer guckt schon so genau auf die Zusammensetzung, bzw. Inhaltsstoffe?

          Im Fall von Lilly ist das aber noch viel schlimmer weil es sich um DENSELBEN Hersteller handelt.
          Ein Haufen Verbrecher.

  1. Robert Kennedy gilt in den USA als schärfster Kritiker der Pharmaindustrie. Unter anderem hat er festgestellt, dass 70 Prozent aller Werbeeinnahmen von der Pharma kommen. Die Presse ist von diesen Geldern existentiell abhängig und das heißt, dass Pharmakritik so gut wie unmöglich geworden ist. Die Pharma kann machen, was sie will, sie hat immer eine gute Presse. Pharmakritik kam früher von Blättern, die von der Tabakwerbung lebten, so ist das nun mal im Kapitalismus. Diese hat man nun verboten und der brave Bürger glaubt, dies sei aus Sorge um seine Gesundheit geschehen. Lasst mich ganz zart andeuten, dass es ein zweites Motiv geben könnte.

    Kennedy ist nun zum Gesundheitsminister ernannt worden. Aber ehrlich gesagt habe ich dann doch Zweifel, ob das der richtige Mann ist, um den Laden aufzuräumen. Und ob sich Trump wirklich mit der Pharma anlegt, glaube ich auch erst, wenn es passiert. In seiner ersten Amtszeit tat er das nicht.

    1. Die USA haben bekanntlich das teuerste Gesundheitssystem der Welt. Was sich allerdings nicht in der Gesundheit der Bevölkerung niederschlägt. Woran das wohl liegt?
      Das deutsche Gesundheitssystem holt aber auf – zum US-amerikanischen.

  2. Der Arzt Hontschik macht sich Sorgen um das Vertrauen der Patienten,
    das ist der Grund seiner Kritik am Arzt Lauterbach. Der Politiker Lauterbach lügt, was ja alle wissen. Das inzwischen entstandene Problem ist doch das er selbst seine eigenen Lügen glaubt – bzw genauer/politischer: Er muß es glauben damit das mörderische Konglomerat aus Wirtschaft und Ärzten nicht gesprengt wird. Nicht “Die Pharma” bringt die Patienten zu Tode und stellt die Totenscheine aus, das machen ausschließlich diejenigen mit einer Approbation. Die wird auch ein Dr. med. Hontschik niemals aus Protest und freier Entscheidung zurückgeben.

    Die lateinischen Vokabeln diabetes mellitus terrorisieren niemanden, welcher sich von den Ärzten abwendet. Stoffwechselvorgänge infolge von Nahrungsaufnahme, Zusammensetzung der Nahrung, Atmung, physische Aktivität, etc pp sind kein Hexenwerk sondern für jeden verstehbar und gemeinsam mit anderen Kranken veränderbar.

  3. Das ist am Donnerstag in Gaza passiert:

    https://vimeo.com/1036986183

    Betroffene berichten über den Angriff im Al-Mawasi Flüchtlingslager vom Vortag bei dem mehr als 20 Personen ums Leben kamen. Dem Zuschauer wird gezeigt wie die Vertriebenen wohnten. Augenzeugen berichten.

    Bei einem Luftangriff in Gaza-City gibt es mindestens 25 Tote. Kinder konnten aus den Trümmern geholt werden. Es liegen jedoch noch Opfer unter den Trümmern.
    Ibrahim Al Khalili zeigt dem Zuschauer den Ort des Angriffes im Al-Daraj Viertel der Stadt. Man sieht das zerstörte Gebäude und die ebenfalls stark beschädigten Nachbargebäude. Mindestens 50 Personen wurden verletzt. Mehrere Betroffene äussern sich zum Angriff und zum Krieg.
    Bei einem Angriff in Beit Lahia gibt es 15 Tote.

    Das Kamal Adwan Hospital wird täglich angegriffen.
    Quadcopter werfen Granaten auf einen Platz im Hospital ab und beschiessen Menschen auf dem Platz.
    Es gibt mehrere Tote [mindestens sieben], darunter einen Rollstulfahrer.
    Die Belagerung dauert seit mehr als 60 Tage an.
    Im Abspann sieht man Vertriebene.

    Sie können den Link gerne rumschicken, wenn Sie möchten.

  4. Karl Lauterbach hat ausgebrannt. Er hat das Gesundheitswesen nicht reformiert, sondern wie seine VorgängerInnen weiter konsequent erodiert und möge daher ebenfalls seinen Hut nehmen und seine umfängliche Beamtenpension nebst opulenter Privatvorsorge in Anspruch nehmen. CDU, FDP und das Schwarzgeld benötigen an seiner Statt etwas Frisches und Unverbrauchtes, das den Rotstift am Gemeinwesen wesentlich schärfer ansetzt als dieser altgediente Bürokrat (und Dummschwätzer wäre eine Beleidigung). In jedem Fall konnte er für die Superreichen und Impfstoffproduzenten nicht in einem Umfang am Gemeinwohl sparen und gleichzeitig Gewinne generieren, dass es nicht notwendig wäre, nach anderen, deutlich effektiveren Werkzeug des Vermögenszuwachses Ausschau zu halten.

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