»Zahlreiche Bevölkerungsgruppen nutzten die Chance, die ihnen der dynamische Veränderungsprozess bot«

Horace Vernet-Barricade rue Soufflot
Horace Vernet, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft versuchten die reaktionären Kräfte, insbesondere Österreich, Preußen und Russland, das Rad der Geschichte in ihrem Einflussbereich zurückzudrehen. Die Zeit der Restauration begann. Die Jahre 1848/49 änderten alles.

Pfalz und Pfälzer in der Revolution, Reichsverfassungskampagne und Aufstand 1848/49. Vierter und letzter Teil.
Der erste Teil findet sich: Hier. Den zweiten Teil können Sie an dieser Stelle lesen: Hier. Und für den dritten Teil klicken Sie: Hier.

Der Beitrag ist dem 175. Jahrestag der deutschen Revolution von 1848 gewidmet. Im Mittelpunkt stehen die (radikal-)demokratische Volksbewegung und ihre verschiedenen revolutionären Initiativen. Diese führten zu institutionalisierten Reformbestrebungen, die in der Frankfurter Nationalversammlung (Mai 1848 bis Mai 1849) mit der Ausarbeitung der Grundrechte des deutschen Volkes (27. Dezember 1848) und einer konstitutionellen Verfassung mündeten.

Auch deren (leider erfolglose) Verteidigung in der sogenannten Reichsverfassungskampagne im Mai/Juni 1849 in Südwestdeutschland war in der Bevölkerung gut verankerten radikaldemokratischen Akteuren geschuldet. – Der Text ist dem 2014 veröffentlichten Band Pfalz & Pfälzer. LeseBuch Pfälzer Volksaufstand 1849 (1a) entnommen. Er fußt auf Vorarbeiten aus der Zeit, als die Autorin in der Region lebte, sich dort (im Vorfeld der damaligen Friedensbewegung) politisch engagierte und Orginaldokumente in Archiven in Kaiserslautern, Speyer und Kirchheimbolanden einsah.

Ausblick

Die historische Verortung des pfälzer Volksaufstands im Revolutionsprozess 1848/49 möchte ich kurz so bewerten:

1) Der pfälzische Volksaufstand des Jahres 1849 war ein volkstümlich-demokratisches Ereignis. Der am 2. Mai 1849 gebildete Landesverteidigungsausschuss ging aus einer Volksversammlung hervor, die Organisation der Volkswehr erfolgte aufgrund eines Beschlusses des Volkswehrkongresses vom 3. Mai 1849, Bildung der provisorischen Regierung der Pfalz und Lossagung von Bayern am 17. Mai 1847 beruhte auf dem Beschluss der Volksvertretung, die sich aus den am 12. Mai direkt gewählten Vertretern der 31 Kantone (bei 29 Anwesenden) zusammensetzte.

2) Die 1848/49 in weiten Teilen der pfälzer Bevölkerung auferweckte aufklärerische, republikanische und demokratische Ideenwelt drückte sich in mannigfaltigen politischen Aktionen aus. Was auch letztendlich zum Volksaufstand im Mai 1849 führte, hatte mehrere Ursachen: einerseits gab es positive Erfahrungen mit der französischen Besatzung (seit 1792) und der Zugehörigkeit zur französischen Republik (1801 bis 1813/14), die in der Pfalz zur Abschaffung des Feudalismus, zur Säkularisierung und zur Übernahme des französischen Rechtes führte. Damit einhergehende Errungenschaften wie Abschaffung des Zehnten und der Fronden, Auflösung klösterlichen Besitzes, Trennung von Justiz und Verwaltung und Zusicherung persönlicher und Eigentumsrechte wurden, nachdem die Pfalz zu Bayern kam, beibehalten. Andererseits gab es im gesamten südwestlichen Raum starke Traditionen aufklärerischen, demokratischen und jakobinischen Denkens, das unter anderem durch Pressevereine und „Feste“ gepflegt wurde. Weiters gab es, ebenfalls von der Aufklärung geprägten, Protestantismus und Pietismus.

3) Herausbildung und Festigung demokratischer Ideen ging auch einher mit neuen politischen Erfahrungen, die in der Revolutionszeit gesammelt wurden. Die Einsicht in die nachhaltige Wirkungslosigkeit von Petitionen an König und königliche Minister, die Militanz der Reaktion besonders in Preußen und Österreich seit September 1848 und die kompromisslose Haltung in der Verfassungsfrage der Nationalversammlung der vier großen deutschen Herrscherhäuser begünstigten den Schritt zur eigenständigen politischen Aktion. Insofern waren revolutionäre Handlungen und der pfälzer Volksaufstand 1848/49 auch Ergebnis eines zeitverdichteten Revolutionsprozesses.

4) Im gesamten Verlauf der Revolution wandten sich die politischen Akteure in der Pfalz bewusst an große Teile der Bevölkerung und versuchten, sie aktiv handelnd einzubeziehen. Nachdem im März 1848 Presse- und Organisationsfreiheit erkämpft worden war, wurden neue Zeitungen, Volksvereine gegründet und Volksversammlungen abgehalten. Diese achteten besonders darauf, dass die Abgeordneten zumindest liberale und vorwiegend demokratische Positionen vertraten, ständigen Kontakt zu den Wählern hielten, um deren Erwartungen in den Repräsentativorganen, der Nationalversammlung und der zweiten bayerischen Kammer, zu vertreten und eine Verselbständigung der Politiker zur politischen Klasse zu verhindern. Darüber hinaus gab es permanente Aufklärung über parlamentarische Entscheidungen und politische Ereignisse – auch im Ausland – durch Presse und Flugschriften. Früh erkannt wurde auch, dass zum Schutz der Revolution und zur Abwehr reaktionärer Angriffe Bürgerwehren zu gründen sind. Weiters ging es den aktiven Demokraten auch darum, eine Spaltung der Bewegung zu verhindern, das Gemeinschaftsgefühl der Bevölkerung über Volksfeste zu stärken, Frauen und Minderheiten mit einzubeziehen und insgesamt einen regionalen Patriotismus zu fördern. Schließlich erkannten die politischen Verantwortlichen, dass Bündnispartner und Unterstützer außerhalb der Region gewonnen werden mussten, damit den der pfälzer Volksaufstand erfolgreich durchgeführt werden konnte.

5) Dass der pfälzer (wie der badische Volksaufstand) militärisch blutig niedergeschlagen werden würde, war bei allen ersichtlichen militärischer Mängel der Revolutionsarmeen nicht zwingend notwendig und damit auch nicht eindeutig voraussagbar. Plan wie Hoffnung war es, die sogenannte zweite Revolution in benachbarte Regionen zu entfachen und sie in ihre militärischen Aktionen einzubeziehen. Diese scheiterte nicht nur an den zersplitterten deutschen staatlichen Verhältnissen, sondern auch an den sich abzeichnenden neuen klassenpolitischen Konstellationen.

Über diese zusammenfassende Beschreibung hinaus verwies Frank Lorenz Müller zu den revolutionären Prozessen 1848/49 auf eine historiographisch weitgehend vernachlässigte empirische Tiefenschicht, die der marxistische Historiker Eric Hobsbawn als Vielschichtigkeit von Menschen in der Gesellschaft („multidimensionality of human beings in society“)(55) vorstellte:

„Das Gesamtphänomen der Revolutionen von 1848/49 war weniger bürgerlich-elitär, weniger liberal, national und parlamentarisch, weniger städtisch und weniger fortschrittlich (gewesen ist) als lange angenommen. Vielmehr nutzten zahlreiche Bevölkerungsgruppen die Chance, die ihnen der dynamische Veränderungsprozess bot. Ebenso unterschiedlich wie spezifisch wie die Interessen, die nun zum Ausdruck kamen, waren die zu ihrer Durchsetzung gewählten Politikformen. Erst wenn man Wirtshausdebatten, Katzenmusiken, Leseabende und Schmucksammlungen – neben den Märzforderungen, den Barrikadenkämpfen und der Paulskirche – miteinbezieht, kommt man zu einer angemessenen Gesamtbewertung. In ihrem Zentrum steht nicht die Frage nach dem Misserfolg eines bürgerlichen Projekts, sondern die Tatsache eines tiefgreifenden, umfassenden Wandels, eines bis dahin beispiellosen Politisierungs-, Mobilisierungs- und Kommunikationsprozesses.“(56)

Anmerkungen

(1a) https://dhubw.de/622-1-pfalz-und-pfaelzer

55) Hobsbawm, Erich J.: Working-class Internationalism; in: Contributions to the History of Labour & Society, vol. I, 1988, S. 3-16; vgl. Albrecht, Richard: Zwischenwelten und Übergangszeiten. Eric Hobsbwams letztes Buch; in: Zeitschrift für Weltgeschichte, 12 (2011) 1: 173-179; ders., Eric J. Hobsbawm 1917-2012: http://soziologieheute.wordpress.com/2012/10/02/eric-j-hobwsbawm-1917-2012/

56) Müller, Frank Lorenz: Die Revolution von 1848/49, aaO, S.143

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3 Kommentare

  1. Tolle Artikelserie, Daumen hoch!
    Der letzte Absatz kommt mir in einer heutigen Form bekannt vor.
    Wie sich die Zeiten doch ähneln!
    Simulationen sind dazu da, das Simulanten weiterhin simulieren.

  2. Huch, im letzten Teil der Artikelserie ist einmal sogar die Rede von Feudalismus und einmal taucht das Wort Klasse auf, allerdings als „politische Klasse“. Was die Autorin mit den „sich abzeichnenden neuen klassenpolitischen Konstellationen“ meinen könnte, wenn im gesamten Text nie von Klassen die Rede ist, bleibt wohl ihr Geheimnis.

    Die gesamte Artikelserie ist m.E. ein Musterbeispiel für den geradezu körperlichen Abscheu bürgerlicher Historiker gegenüber jeder Andeutung des Klassenbegriffs, obwohl der Begriff ja gerade in jener Zeit, in der Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Revolutionen von 1789 und 1848/49 und zum Zweck der angemessenen Erfassung des Wesens dieser revolutionären Umwälzungen formuliert wurde.
    Aber klar, lässt man sich zum Zwecke der Beschreibung selbst der entfernteren Vergangenheit, des Aufstands des vom Bürgertum angeführten „Dritten Standes“ gegen die Adelsherrschaft, einmal auf den Klassenbegriff ein, dann öffnet man ungewollt auch der Klassenanalyse der bürgerlichen Gesellschaft Tür und Tor. Und wer kann dergleichen schon wollen, außer nach Blut lechzenden Kommunisten.

    Also erhoben sich für den bürgerlichen Historiker 1848/49 „demokratische Kräfte“ gegen „reaktionäre Kräfte“.
    Und zu guter Letzt schrieb ja sogar der marxistische Historiker Hobsbawn – in einem Artikel mit dem Titel „Working-class Internationalism“, dass die Revolution von 1848/49 viel unübersichtlicher war, als es sich der orthodoxe Marxist üblicherweise vorstellt.

  3. Und während wir 175 Jahre Revolutionsromantik betreiben – mit dieser Rückschau brennen in Paris echte Barrikaden und erklingt die Marseilles aus tausenden von „Volkes Stimme“

    Tja, Deutschland eben – uns wurde dieser Geist ja schon 1848/49 sowie 1918/19 ausgetrieben – und mir bleibt nur der eifersüchtige bzw. neidische Blick auf die 1 km entfernte französische Grenze – und denen viel Erfolg zu wünschen beim Sturz von Macron, und seiner markradikalen Bande, die doch nichts anderes will als eine Agenda2010 für Frankreich.

    Auf die 6. Republik und den Sturz Macrons👍😁😁😁😁😁😁

    Sarkastische Grüße
    Bernie

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