Wo der Zufall reagiert

CIA-Karte zur Kuba-Krise.
CIA, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Der Einsatz von Atomwaffen ist potenziell möglich im aktuellen Konflikt in der Ukraine. Wir leben in Zeiten, da die Kuba-Krise als Warnung dienen kann.

So etwas wie ein Test auf die Funktionsfähigkeit der atomaren Abschreckungsdoktrin war die Kuba-Krise im Oktober 1962. Unbestritten ist, dass die Welt damals direkt am Abgrund des atomaren Holocausts stand.[1] Ähnlich wie gegenwärtig, denn der Ukrainekonflikt ist  erneut eine Konfrontation zwischen Atommächten. Was aber waren die speziellen Risikopunkte während der Kuba-Krise? Sie genau ins Auge zu fassen, lehrt uns, wo auch heute die generellen Schwachpunkte atomarer Abschreckung liegen.

Tappen im Dunkeln

Das Abschreckungskonzept zeigte im damaligen Stresstest, dass es vor allem drei Sollbruchstellen aufwies. Erstens durch den Mangel an ausreichender Information, zweitens dadurch, dass die Zentralen einfach nicht alles im Griff haben können und daher untergeordnete Stellen ihre eigenen Entscheidungen treffen, und drittens schließlich durch den menschlichen Faktor. Denn alle Beteiligten machten sich davon abhängig, wie jene gerade drauf waren, die unter unvorstellbarem Stress und enormem Zeitdruck darüber zu Gericht sitzen sollten, ob nun der Weltuntergang stattzufinden habe oder nicht.

Zur Erinnerung: Auf Kuba hatte 1959 eine Revolution stattgefunden, die sich zunehmend in das Fahrwasser der Sowjetunion begab. Durch Spionage- bzw. Aufklärungsflüge hatten die Vereinigten Staaten festgestellt, dass auf Kuba sowjetische Atomraketen stationiert wurden. Im Oktober 1962 entschloss sich die US-Regierung Kennedy, sowjetischen Frachtern mit weiterem Material für solche Raketen die Zufahrt nach Kuba durch eine Seeblockade im Atlantik zu sperren. Die Frage stellte sich, ob die Sowjetunion diese Blockade akzeptieren und die bereits auf Kuba stationierten Raketen wieder abziehen würde.

Zunächst einmal: Der Konflikt war keineswegs unvermeidlich oder notwendig. Auch zwischen Staaten sind Konflikte ja keine Naturereignisse. Die Beteiligten selbst definieren, sie hätten einen Konflikt. Beispielsweise einen, für den es sich lohne, einen Krieg zu führen, auch mit Atomwaffen. In der Kuba-Krise ging es um Macht, Einfluss, Hegemonie. Im Hintergrund lauerte das Berlinproblem und nicht zuletzt die Frage, wer den größeren Einfluss auf den globalen Süden haben würde, die USA oder die Sowjetunion. Um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Ost und West – was natürlich behauptet wurde – ging es kaum. Der Historiker und Amerikanist Bernd Greiner, einer der besten Kenner des Kuba-Konflikts, urteilt so: „Die nationale Sicherheit war nicht berührt, die Logik der beiderseitigen Abschreckung war und blieb in Kraft. In Kuba ging es einzig und alleine um ein politisches Problem, dass die sowjetischen Raketen die politischen Gewichte der Macht zu verschieben drohten.“ Unannehmbar „waren die Raketen einzig und allein aus politischen Gründen. […] In anderen Worten: Eine Weltmacht, die in ihrem Hinterhof zur Untätigkeit verdammt ist, ist die längste Zeit Weltmacht gewesen.“[2]

Wie gesagt, es gab drei Sollbruchstellen des Abschreckungskonstrukts in der Kuba-Krise. Zunächst der Mangel an Information. Er spielte die gesamte Krise über eine wichtige Rolle. Greiner: „In der Regel tappte man in Washington stundenlang, oft tagelang im Dunkeln, ohne die leiseste Ahnung vom Stand der Dinge auf dem Atlantik …“[3] Leicht könnte gezeigt werden, dass nicht rationale Entscheidung durch eine gut informierte Führung den Ausschlag gab, sondern der pure Zufall. Was wäre zum Beispiel geschehen, hätten die USA Kuba besetzt, was während der gesamten Krise im Beraterstab um den Präsidenten, dem Executive Committee of the National Security Council (ExComm), fast täglich besprochen und geplant wurde. Der Atomkrieg wäre ausgebrochen. Denn die Amerikaner wussten nicht, dass auf Kuba auch taktische Nuklearwaffen stationiert waren, die selbstverständlich gegen eine Invasion eingesetzt worden wären. Der kubanische Führer Fidel Castro wäre der Letzte gewesen, der damit gezögert hätte. Eine böse Überraschung also, schlicht weil man etwas Wichtiges nicht wusste. Ein Berater Präsident Kennedys, Theodore Sorensen, kommentierte es später so: „Dann hätten die Vereinigten Staaten mit Sicherheit auch Atomwaffen gegen die Sowjetunion und Kuba eingesetzt. Das hätte dann vielleicht auf einer taktischen Ebene begonnen, aber eines ist doch klar: auf der nuklearen Rolltreppe geht es schnell nach oben.“[4] Etwas nicht zu wissen, was unbedingt dazu gehört, ohne das die Lage als Gesamtheit einfach nicht beurteilt werden kann, ist am Rand eines Atomkriegs ein wirkliches Problem. Alles weiß aber nur Gott. Die Tatsache, dass der Mensch sich eine „Waffe“ zugelegt hat, die Allwissenheit verlangt, spricht Bände. Fehlertoleranz tendenziell gleich null.

Präsident Kennedy hätte sich diese Allwissenheit sicher gewünscht. Am 24. Oktober befanden sich zwei russische Frachter nur noch wenige Meilen von der Blockadegrenze entfernt, deren Übertretung den Casus Belli bedeutet hätte. Zwischen den beiden Schiffen sei ein russisches U-Boot in Stellung gegangen. Würden die Schiffe einfach weiterfahren? Was wäre dann zu tun? Wäre das der Atomkrieg? Totale Unsicherheit. Der Bruder Präsident Kennedys, Robert Kennedy, hat später eine Art Tagebuch der Ereignisse vorgelegt. Er war Mitglied des Beraterstabs ExComm. „Ich glaube, der Präsident wurde in diesem Moment von tiefsten Zweifeln beunruhigt. Stand die Welt am Rande der Vernichtung? […] Er hob die Hand und legte sie über seinen Mund. Er ballte sie zur Faust und öffnete sie wieder. Sein Gesicht wirkte durchfurcht, seine Augen fast grau, mit gequältem Ausdruck. […] Tausend Meilen von uns entfernt, im weiten Raum des Atlantischen Ozeans, wurde der Verlauf jetzt entschieden. Präsident Kennedy hatte die Richtung bestimmt, aber er konnte die Ereignisse nicht mehr lenken.“[5]

Wieder also das Informationsproblem. Wie gerne wüsste man alles. Was ist wo passiert, was geschieht als Nächstes? Vor allem, was wird der Gegner tun? Was geht ihm durch den Kopf? Von wem wird er beraten? Zugleich aber auch verlangt eine atomare Krise perfekte Organisation. Alles muss wie am Schnürchen klappen. Niemals darf eine Situation entstehen, in der untergeordnete Stellen Entscheidungen treffen, die von oben nicht mehr korrigiert werden können. Kennedy hatte keine Ahnung, welche Order die sowjetischen Frachter hatten. Welche Anweisungen würde der Kommandant des U-Bootes geben, das zwischen den beiden Frachtern in Stellung gegangen war? Musste sein Erscheinen überhaupt als aggressives Signal aufgefasst werden? Deutlich wird an diesem Vorfall jedenfalls, dass sich Entscheidungen, die die ganze Welt betreffen, unter Umständen auf eine ziemlich niedrige Ebene der militärischen Hierarchie verlagern, wo sie von ganz wenigen Menschen oder auch nur von einer Einzelperson getroffen werden. Der Führungsspitze, dem Präsidenten, blieb nur noch die Möglichkeit sich zu sorgen und zu grämen. Bei Licht betrachtet, ist es der Zufall, der dann Schicksal spielt. Der Mensch, dumm genug, Selbstmordwaffen gebaut und installiert zu haben, darf zuschauen, was passiert.

Entscheidungswirrwarr

Setzen wir einmal Allwissenheit voraus, eine Führungsspitze, die in jedem Moment den totalen Überblick hat, so muss sie zugleich in der Lage sein, dass ihre Kommandos genau in der Weise ausgeführt werden, wie sie gemeint waren. Vorausgesetzt, die Spitze ist sich selbst im Klaren darüber, was genau sie will, woran nicht selten mit gutem Grund gezweifelt werden kann. Während der Kuba-Krise gab es eine ganze Reihe von Vorfällen, die jeder von sich aus den finalen weltweiten Atomkrieg hätten auslösen können, obwohl sie von der jeweiligen Regierung überhaupt nicht angeordnet worden waren. Es wurde also nicht oben, sondern auf einer der unteren Ebenen entschieden.

Besonders dramatisch war hier wohl die eigenmächtige Entscheidung des Oberkommandierenden des Strategic Air Command, General Thomas Power, die angeordnete Mobilisierung der Luftstreitkräfte zwar durchzuführen, aber auf eigene Faust völlig unverschlüsselt. Die Sowjets waren darüber sofort voll im Bilde und verstanden die Maßnahme als Signal, dass es gleich losgehen würde. Mehr als 200 Interkontinentalraketen im Westen der USA wurden für den Abschuss vorbereitet, 12 Polaris U-Boote mit 144 Atomraketen näherten sich der  Küste der Sowjetunion, 62 B-52 Bomber mit 196 Wasserstoffbomben und weitere 628 Bomber mit 2026 Atombomben an Bord waren von nun an entweder dauernd in der Luft oder einsatzbereit.[6] Objektiv war die Situation eine klassische Provokation und hätte ohne weiteres zu einem Präemptivschlag der UdSSR führen können. Präemptivschläge im Unterschied zu Präventivschlägen gehören zum Einmaleins atomarer Abschreckung. Man zerstört den Gegner, bevor dessen Bomben überhaupt abgeworfen werden oder dessen Raketen eingeschlagen sind. Beobachtet man, wie die andere Seite atomar mobilisiert, könnte man noch rechtzeitig einen Großteil des eigenen Arsenals abfeuern, bevor der Feind alles vernichtet hat.

Nach eigenem Gusto und ohne seine Regierung zu konsultieren, ging auch ein sowjetischer Kommandeur vor, der auf Kuba stationiert war. Auf dem Höhepunkt der Krise ließ er eigenmächtig ein amerikanisches Spionage-Flugzeug vom Himmel holen. Dessen Pilot, Rudolf Anderson, kam dabei ums Leben.  Der Vorfall wirkte wie der Funke in einem Pulverfass. US-Präsident Kennedy stand wieder vor der Frage, ob er jetzt losschlagen solle, hatte er doch verfügt, dass jeder Versuch, Aufklärungsflüge über dem kubanischen Luftraum zu verhindern, als kriegerischer Akt angesehen werden sollte.[7] Er tat es nicht, obgleich er in diesen Tagen stündlich den Finger am atomaren Abzug hatte. Nur damalige Insider würden sagen können, woran es lag. Kennedy stand unter dem Druck, sich als harter Hund zu positionieren, aber er war im Grund kein wirklicher Haudegen. Vielleicht lag es daran.

Der bislang berühmteste Zwischenfall, den oben niemand wollte und der denen „unten“ das Schicksal der Welt in die Hände legte, war der Vorfall rund um Wassili Alexandrowitsch Archipow. Dieser Offizier eines sowjetischen U-Boots gilt vielen als der Mann, der den Weltuntergang verhinderte. Wie neuere Forschungen zeigen, ist die Sache vielleicht etwas komplexer.[8] Sowjetische U-Boote waren als Geleitschutz für die Frachter mit dem Material für Kuba eingeteilt. Sie hatten neben konventionelle Torpedos je ein atomares Geschoss geladen. Grundsätzlich war ihnen offenbar freigestellt, ob sie bei einem direkten Angriff der Amerikaner atomar antworten sollten. Außerdem war der Kontakt zu Moskau aus technischen Gründen unterbrochen. Als nun die Amerikaner diese U-Boote unter Einsatz von Unterwasserbomben zum Auftauchen zwingen wollten, kam es zu einem Zwischenfall. Auf einem der sowjetischen U-Boote hatte die Besatzung den Eindruck, sie würden ernsthaft angegriffen, der Krieg hätte also begonnen. Die Besatzung befand sich unter großen Stress, nicht zuletzt weil das Boot, für südliche Gewässer nicht ausgelegt, vollkommen überhitzt war und die Besatzung der Ohnmacht nahe war.

Was  nun kam, ist nicht vollkommen klar. Weshalb wurde das atomare Torpedo gefechtsklar gemacht, aber schließlich doch nicht abgeschossen? Die häufig vorgebrachte Variante lautet, man habe abgestimmt und Archipow habe sich gegen den Abschuss entschieden. Auch wenn diese Version in dieser Weise nicht völlig stimmen sollte, eines bleibt unbestreitbar: Ein paar Marine-Offiziere, alle im Zustand völliger Erschöpfung, ohne Kontakt zu ihrer Führung, entschieden von sich aus über Krieg und Frieden.[9] Vielleicht dachten sie an ihre Frauen und Kinder zuhause, vielleicht waren sie auch deshalb vernünftiger als die Politiker, weil sie nicht dem Gerangel um Macht und Einfluss unterlagen wie diese. Keine Frage, wir dürfen diesen Menschen dankbar sein. Der damalige amerikanische Verteidigungsminister McNamara – er ging davon aus, dass Archipow der Held gewesen sei – kommentierte später diesen Vorfall so: „Er allein hätte einen nuklearen Weltkrieg auslösen können. Wir standen kurz davor.“[10]

Der menschliche Faktor

Allwissenheit, totale Organisation – bei so viel verlangter Perfektion im Umgang mit der perfekten Waffe ist es eigentlich völlig daneben, dass sie letztlich doch durch Menschen bedient wird. Zwar arbeiten die Techniker des Weltuntergangs daran, viele wichtige Entscheidungen an Künstliche Intelligenz zu delegieren. Doch 1962 spielte immer noch der „menschliche Faktor“ eine Rolle. Fast ist man geneigt, zu hoffen, dass es so bleibt, denn Künstliche Intelligenz schafft noch mehr Unsicherheit.

Bernd Greiner schildert anschaulich, wie geradezu besessen es an der Spitze beider Seiten um persönliches Prestige ging. Machtpolitik ist so angelegt, dass sie Imponiergehabe belohnt, Nachdenklichkeit und Vorsicht werden bestraft. Das betrifft vor allem die Politik der Abschreckung, der es um „Glaubwürdigkeit“ geht, die durch hartes Auftreten erzeugt wird. „Kennedy, Chruschtschow und Castro – alle drei neigten dazu, komplexe Zusammenhänge auf eine Frage der persönlichen Ehre zu reduzieren.“[11] Kennedy traute man nicht recht zu, genügend hart aufzutreten, zudem hatte er 1961 die gescheiterte Invasion Kubas in der Schweinebucht nicht so konsequent unterstützt, wie es die Hardliner sich dachten. Er stand unter dem Druck, auch die Falken in seinem Umkreis zu überzeugen. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er letztendlich auf Diplomatie setzte. Er tat es, ohne dass die Hardliner zunächst davon erfuhren. Manchmal sind es Tricks und Täuschungsmanöver, die dazu führen, dass wir am Leben bleiben.

Auch Chruschtschow saß zu dieser Zeit nicht mehr sehr fest im Sattel und musste sich beweisen. Dass er es schließlich war, der das Ende der Kuba-Krise einleitete, und zwar durch einen Verzicht auf die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen auf Kuba, hat wahrscheinlich zu seinem späteren Sturz beigetragen. Der Ablauf der gesamten Krise zeigte, dass sie den Verhaltensgesetzen des Zweikampfs entsprach. Wer aufgibt und in die Knie geht, ist am Ende. In die Knie ging zwar die Sowjetunion, aber ihre Schwäche war zugleich ein Gewinn für die ganze Menschheit. Denn eine Niederlage, die einen Atomkrieg verhindert, bedeutet zugleich, dass Millionen Menschen furchtbares Elend erspart bleibt. Im Sinne des Zweikampfs verlieren wollte die Führung der USA auf keinen Fall. Völlig bewusst dabei war es ihr, dass sie mit dem Leben der gesamten Menschheit spielte. „Die amerikanischen Atomstreitkräfte waren in voller Alarmbereitschaft, bereit jederzeit eingesetzt zu werden. So gesehen, konnte durchaus damit gerechnet werden, dass die nördliche Hemisphäre kurz vor ihrer Einäscherung stand“, so Greiner. Den Mitgliedern des ExComm war vollkommen klar, worauf man sich eingelassen hatte, nämlich Entscheidungen zu treffen, „die möglicherweise die Vernichtung der Menschheit“ im Gefolge haben würden.[12]

Wie ging die Sache aus? Sie ging gut aus. Der Schicksalslenker des Atomzeitalters, König Zufall, war der Welt gnädig gesonnen. Man legte schließlich die Hände in den Schoß und ließ Chruschtschow machen. Wie würde der Choleriker und Polterer jetzt entscheiden? Würde er einlenken oder nicht? 1956, anlässlich der Suez-Krise, drohte er, London und Paris mit Atombomben auszulöschen. In Beschimpfungen ausbrechend hatte er 1960 in der UNO-Vollversammlung mit seinem Schuh auf den Tisch getrommelt. Dem Bauernsohn und Kommunisten war alles zuzutrauen. Die Amerikaner wussten nicht, wie sehr ihn zudem Fidel Castro, Kubas Machthaber, bearbeitet, es den „Imperialisten“ atomar zu zeigen.

Greiner beschreibt die damalige Situation so. “Niemand kann erwarten, dass dieses Spiel gutgeht, allenfalls hoffen. Hoffen, dass Chruschtschow blufft, hoffen, dass auf der Gegenseite völlig rationale und nach wie vor im Vollbesitz ihrer körperlichen und psychischen Energien entscheidende Politiker sitzen, hoffen dass der Krisenstab im Kreml auch in diesem Fall Einsicht in die Notwendigkeit hat… Fehlt diese Einsicht oder orientieren sich Chruschtschows Berater an ähnlichen Koordinaten wie das ExComm [nämlich an harter Kompromisslosigkeit] – dann ist der Eskalation Tor und Tür geöffnet.“[13] Und im Hinblick auf die amerikanische Seite: „Alle hatten nur den ‚Zwang zum Handeln‘ vor Augen. Nach den Voraussetzungen und Konsequenzen des Handelns wurde nicht mehr gefragt. Hauptsache, man reagierte schnell, entschieden, glaubwürdig und wirksam. Kritisches Abwägen hatte in dieser Gedankenwelt keinen Platz mehr. […] tagelanger Stress und Überforderung“ forderten jetzt ihren Tribut.[14] Hätten in Moskau ähnliche Handlungszwänge bis zum Schluss Regie geführt, wir würden heute vielleicht nicht leben. Aber Chruschtschow entschied sich anders, als er es vielleicht als amerikanischer Hardliner getan hätte. Er lenkte ein.

 

[1] Gaddis, John Lewis, Der Kalte Krieg, Eine neue Geschichte, 3. Aufl. München  2008, S. 102.

[2] Greiner, Bernd, Die Kuba-Krise, Die Welt an der Schwelle zum Atomkrieg, 2. Aufl. München 2015, S. 10 und 52.

[3] Ebenda, S. 77.

[4] Am Rande des Atomkrieges – Kubakrise 1962 – YouTube    (25.7.2022)

[5] Zit. nach: Afheldt, Horst. Atomkrieg, Das Verhängnis einer Politik mit militärischen Mitteln, München 1987, S. 210.

[6] Greiner, Die Kuba-Krise, 2015, a. a. O., S. 62, – Greiner, Bernd, Die Kuba-Krise, 13 Tage im Oktober, Analyse, Dokumente, Zeitzeugen, Nördlingen 1988, S. 89 – Cooke, Stephanie, Die Geschichte des nuklearen Irrtums, Köln 2011, S. 244 –  Rolf Steininger, Die Kubakrise 1962, Dreizehn Tage am atomaren Abgrund, München 2011, S. 81.

[7] Westad, Odd Arne, Der Kalte Krieg, Eine Weltgeschichte, Stuttgart 2017, S. 344.

[8] Plokhy, Serhii, Nuclear Folly: a New History of the Cuban Missile Crisis, London: Allen Lane 2021, S. 261ff.

[9] Roberts, Priscilla, Cuban Missile Crisis, The Essential Reference Guide, Santa Barbara, Calif.: ABC-Clio 2012, S. 13.

[10] Brauburger, Stefan, Die Nervenprobe, Schauplatz Kuba: Als die Welt am Abgrund stand, Frankfurt am Main, New York 2002, S. 178.

[11] Greiner, Bernd, Die Kuba-Krise, 2015 a. a. O, S. 23.

[12] Greiner, Bernd, Die Kuba-Krise, 1988 a. a. O., S. 81 u. 73,

[13] Ebenda, S. 131.

[14] Ebenda, S. 136.

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24 Kommentare

  1. Die Vergangenheit ist Geschichte! Die Gegenwart und die Zukunft der Menschheit, wird nicht durch den Zufall bestimmt, aus der Arbeitssicherheit und der Technologiefolgen-Abschätzung wissen wir das Unfälle nicht Passieren sondern gemacht werden. Die Herstellung von Kernwaffen ist genauso gewollt, genauso wie deren Einsatz, da ist Nicht’s vom Schicksal oder dem Verhalten von Untergebenen Abhängig!

    YIPPIE YA YEAH! SCHWEINEBACKEN!
    „Major Kong rides the Bomb“

  2. Durch Spionage- bzw. Aufklärungsflüge hatten die Vereinigten Staaten festgestellt, dass auf Kuba sowjetische Atomraketen stationiert wurden.

    Sie stellen es einseitig dar. Als ob die Sowjets ohne einen Grund dort Atomraketen stationierten.

    Die Sowjetunion stationierte die Atomraketen als Antwort auf die Stationierung der amerikanischen Atomraketen in der Türkei. Und die Einigung zwischen Chrustschew und Kennedy schloss den Beidseitigen Abzug ein. Die Sowjets zogen ihre Atomraketen aus Kuba ab und im Gegenzug zog auch USA ihre Atomraketen aus der Türkei ab.

  3. Ein Artikel der auch in die MSM passen könnte. Dort würde man ihn wohl zu den aufgeklärten Artikel zählen. Hier im o-m ist er ein Artikel der mit Halbwahrheiten arbeitet. Die sogenannte „Kubakrise“ wäre nie entsstanden, hätte die USA nicht einseitig und heimlich in der Türkei Atomwaffen stationiert. Die sowjetische Auslandaufklärung kam aber dahinter und darauf hin wurden auf Kuba heimlich die ersten Atomraketen aufgestellt.

    Der Artikel von Herrn Waldrich verlagert die einseitige Schuld zu den Sowjets und auch wie der Experte Greiner zitiert wird, unterstützt diese Halbwahrheit. Dabei hätte es der Autor besser wissen können, siehe hier : https://www.gutefrage.net/frage/kubakrise-warum-liess-die-usa-atomwaffen-in-die-tuerkei-und-italien-abziehen.
    Diese erreichten die USA im Januar 1959 mit der Aufstellung von nuklearen Mittelstreckenraketen des Typs Thor in England sowie Jupiter-Raketen in Apulien (Süditalien) und in der Nähe von Izmir in der Türkei. Die Kubakrise war 1962 also haben die USA zuerst eskaliert und als Kuba mit der Revolution (Ende 1.Januar 1959 – Fluchtdes kubanischen Diktators Fulgencio Batista) auch ein sozialistisches Land war, konnte die Sowjetuinion gespiegelt reagieren. Darauf hin wertete die USA-Regierung diese Spiegelung durch die Aufstellung von Atomraketen auf Kuba als Kriegsgrund und eskalierten zur Kubakrise.

    Warum wundern sich Journalisten, wenn ihre Arbeit als „Lückenpresse“ abgekanzelt wird?

    Der menschliche Teil des Artikels war ja gut. Warum erwähnt man nicht diese Raketen, die die USA zuerst aufgestellt hat? Damit hat der Autor Hans-Peter Waldrich seine ganze Arbeit kaputt gemacht.

  4. Morgen, 22.10., 12 Uhr in Nörvenich:
    Demo gegen das dortige NATO-Atomkriegsmanöver Steadfast Noon
    Veranstalter: „Büchel ist überall! Atomwaffenfrei jetzt“, Friedensgruppe Düren, Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstverweigerer u. a.

    Ab 11.30 Shuttlebus von Hbf Düren (Nordausgang, Busbahnhof) nach Nörvenich und später auch wieder zurück
    Anfahrt über Köln Hbf: 10.47 Uhr RE 9, Gleis 8

    Klar, eine abgelegene und vermutlich eher kleine Demo wird nicht allzu viel erreichen, aber das Thema ist gerade jetzt furchtbar wichtig.
    Jedenfalls finde ich diese Demo sinnvoller als die gleichzeitig stattfindenden „Solidarisch durch die Krise“-Demos, die anscheinend Putin die alleinige Schuld an unseren Gaspreisen und sonstigen Problemen zuschieben wollen.

    Mehr Infos:
    https://www.friedenkoeln.de/?p=17286

    PS:
    Bin gestern in der Innerstadt ahnungslos auf ein paar „Demonstranten“ gestoßen, die sich als Antifa herausstellten und gegen eine Aktion von „Leuchtturm ARD“ agitierten, indem sie diese lautstark als „rechtsextremistisch“ beschimpften.
    Als ich fragte, warum: „Weil die die Öffentlich-Rechtlichen als einseitig darstellen und beim Ukraine-Krieg Verhandlungen bis zum Abwinken wollen und gegen die Corona-Maßnahmen sind die auch noch!!!!!“
    Auf meine Nachfrage „Halten Sie die Tagesschau denn für ausgewogen?“ kam: „Ich weiß nicht, muss ja auch nicht zu allem eine Meinung haben – ich bin hier als Antifaschist!!!!!“
    Die Antwort auf meine Nachfrage, ob sich die Antifa denn auch gegen den Rechtsextremistmus in der Ukraine wende, war „ausweichend“ und der Typ wurde dann sehr laut und unsachlich……
    Es ist traurig, dass jetzt schon als „rechtsextrem“ etikettiert wird, Verhandlungen gegenüber Krieg zu bevorzugen.

      1. Diese sogenannte linke Antifa fehlt die Bildung.

        Leider fehlt heute diese Bildung auch in den unteren Schichten, weil diese nicht mehr über die Gewerkschaften in den Betrieben stattfindet. Die Gewerkschaften sind tot. Die Arbeiterschaft zersplittert.

        Auch deshalb siegt im Moment das Kapital.

        Eine schöne Demo morgen aus Sachsen-Anhalt!

        1. @oskarwagenrecht
          „Leider fehlt heute diese Bildung auch in den unteren Schichten, weil diese nicht mehr über die Gewerkschaften in den Betrieben stattfindet. “
          und wie bedeutsam dein Punkt „Bildung“ dabei tatsächlich ist, wissen wahrscheinlich wirklich nur wenige.
          „Strukturell“ eines unserer großen Probleme.
          In der Öffentlichkeit berichtet es k.e.i.n.e.r.

          Statt dessen ging es bei uns in Bayern immer nur um die Probleme des „Gymnasiums“.
          G12 oder G13.
          Ja, war wichtig für die Betroffenen, aber eben nur eine Folgeerscheinung der ganzen Kacke.
          Und klar, zudem Nabelschau und Klassenkampf und Kosmetik.

          Das Wesentliche. Ausgespart. Und jetzt löffeln wirs aus.

    1. „,.. ich bin hier als Antifaschist!!!!!“

      Ach ja: dazu brauch man ja keine Befähigungen. Der Titel, ohne geistige Mittel, reicht ja dann wohl.

  5. Die WAA Düren ( Werkstatt für Aktionen und Alternativen ) und Lützerath “ Lützi bleibt !“ wissen gewiss bescheid. Dann kommen Viiieeele ! 😉

  6. Der Kubakrise-Hype ist eine Mystifikation. Viel näher liegend, wenngleich etwas untergründig, ist die Eskalationsgeschichte um Kaliningrad, der mit der „Navalny-Affäre“ ein mächtiger Schub gegeben wurde. Wer dem nachgehen will, muß mal zur „Suwalki-Lücke“ ein paar Strategiepapiere studieren und die timeline des Aufbaus der NATO-Front dort nachvollziehen.

    Kurz und schmutzig hingesagt: Mehr oder minder selbständig operierende NATO-Kräfte können dort blitzartig eine „Krise“ provozieren, auf die Russland unweigerlich gemäß seiner Strategie „escalate to deescalate“ mit einem begrenzten Nuklearschlag reagieren würde, der mit hoher Sicherheit zwei bis drei prominenten NATO-Stützpunkten in Deutschland gälte, namentlich Ramstein.
    Und was würde man darauf in Downing Street entscheiden, was im White House?
    Ich bin ziemlich sicher – obwohl natürlich weit entfernt von Gewißheit – daß dieser Umstand einen wesentlichen Teil der militärpolitischen Hoheit der NATO über Westeuropa generiert.

    1. Kann ganz gut sein, daß Russland hofft, durch einen taktischen Nuklearschlag gegen Stützpunkte in Deutschland (aber NICHT in anderen NATO-Staaten) eine Warnung zu formulieren. Und danach kommt es dann darauf an, ob
      1- die NATO diese Warnung versteht,
      2- verstehen will,
      3- die Stützpunkte in Deutschland als verschmerzbares Opfer ansieht und deeskaliert,
      4- oder ob dies der willkommene Anlaß für einen bereits geplanten Großangriff auf Russland (TINA, ergo WW3) sein wird.
      Das sind so viele völlig unberechenbare Faktoren, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß der durchgeknallteste und zugedröhnteste Pokerspieler solch ein Risiko eingehen würde…
      Ich vermute, wenn irgend jemand den letzten Punkt 4 setzen will, wird er das auch machen (können).

      1. Ein bisschen Wahrheit über den Hintergrund der morbiden Wette, die EU / NATO mit dem Russlandkrieg eingehen.

        https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-china-117.html

        Merkt auf das „good cop, bad cop“ – Spielchen, das Flintenuschi da treibt.
        Hintergrund aus meiner Sicht: Die EU ist derart meilenweit von einer territorialen Grundlage für „Industrie 4/5.0“ – Technologien entfernt, daß aus ihrer Sicht eine Lage zwischen Skylla und Charybdis im US-Handelskrieg gegen China, gemessen an ihren Ansprüchen, nicht weniger „vernichtend“ wäre, als die Kriegslasten und vielleicht selbst ein russischer Nuklearschlag auf zwei bis drei deutsche NATO-Standorte.

        Das halte ich mindestens für einen beachtenswerten Faktor, der sich obigem zugesellt.

    2. Es gibt keine “ begrenzten Atomschläge“ !
      Die Militädoktrien, technischen und militärischen Gegebenheiten sehen so etwas nicht vor !
      Einfach und platt beschrieben, wird aus allen Rohren gefeuert, sobald eine Anzahl von 0-10 Atomraketen ( einfach mal eine Zahl ) ihre Silos im Start auf Gegner X verlassen haben.
      Es tritt ein Automatismus ein.

      Ende aus, Nikolaus ! Welt nach Halbwertszeit von 50000 bis 100000 Jahren wieder bewohnbar.

      1. Du glaubst also an das Kindermärchen, daß, sobald Russland eine Pappel in Richtung Diego Garcia in Marsch setzt, die Herren des UK (Territorialherr) und die Herren der USA (Stützpunktherr), erweiterten Selbstmord unter Mitnahme des Globus begehen.
        Na, mit dir möcht ich nicht unter einem Dach leben müssen.

        1. Beim Pokerspiel gibt es das „All In“. Danach ist dann entweder Schluss oder einer gibt nach oder es geht daneben. Beim Schachspiel gibt es das nicht.

          Lass einen durchgeknallten hirnamputierten (ich will jetzt nicht sagen dementen) Pokerspieler/Politiker an die Spitze kommen, dann ist alles möglich.
          Der militärische Abschirmdienst der USA ist, wie man munkeln hört, derzeit damit beschäftigt, den großen roten Knopf vor dem POTTUS abzuschirmen. Dafür hatten die wohl bislang keine Konzepte.

  7. 2 Anmerkungen
    Nur am Rande will ich noch anmerken, dass der „beste Bundeskanzler“, den die BRD je hatte damals, damals ein deutlich härteres Vorgehen ggü. Kuba (und damit natürlich auch die SU) forderte, so dass JFK verwundert seinen Bruder fragte „Sind sich diese Länder [gemeint sind BRD und auch die Türkei, die sich auch recht aggressiv gebärdete] eigentlich voll und ganz über die Gefahren für sie im klaren?“
    Siehe dazu auch https://www.spiegel.de/politik/wir-werden-viele-russen-toeten-a-88b46c4d-0002-0001-0000-000013524605
    Auch ganz interessant ist ein Detail aus diesem Artikel
    https://www.jungewelt.de/artikel/436646.kalter-krieg-am-abgrund.html
    Castro war offensichtlich über die Übereinkunft zwischen UdSSR und USA erst im Nachhinein informiert worden und meinte dazu
    »Wir waren nicht gegen irgendeine Lösung, denn es war vorrangig, einen nuklearen Konflikt zu vermeiden. Aber Chruschtschow hätte den US-Amerikanern sagen müssen: ›Man muss das auch mit den Kubanern besprechen.‹ Es mangelte ihm in diesem Augenblick an Besonnenheit und Standhaftigkeit, grundsätzlich hätten sie uns konsultieren müssen«, erklärte Castro.

  8. Der Bulletin of Nuclear Scientists hat sich schon lange dem Anti-Putin Treck angeschlossen.

    Aber immerhin bringen sie zu ihrer eigentlichen Expertise – zu warnen – manchmal sinnvolle Info:

    https://thebulletin.org/2022/10/nowhere-to-hide-how-a-nuclear-war-would-kill-you-and-almost-everyone-else/

    Das hier ist eine etwas aufgeblasene Dokumentation, was eine Atombombenexplosion anrichten würde.

    Ich halte es trotz allem in diesen Zeiten für nützlich. Großformatige Fotos. Eindeutige Headlines. Panik.
    Gut zum Weiterverbreiten.

    1. Warum haben wir in der Schule noch die Wirkungen von Alpha, Beta und Gamma- Strahlung auf den menschlichen Körper in Physik gelernt ?
      Ich finde die Ahnungslosigkeit der Leute von heute zirmlich erschreckend. Wenn die harte Gammastrahlung ein Holundersieb aus einem gemacht hat, sind die Auswirkungen von Druck und Hitze nebensächlich.

      Es fehlt auch wieder die Wechselwirkung einer A-bombenexplosion mit dem Klima.
      Es genügt eine Sarmat und das Weltklima macht einen Satz über sämtliche Kippunkte. Das wars dann so oder so…was den Blödsinn “ begrenzter oder taktischer Atomschläge“ beträfe….

      Diese scheiß Baerbock-Ampel muss weg !

      1. Danke xyz für deinen Link und dir Alf für diesen klaren Standpunkt.

        Diese Abkehr der Bevölkerung von denkenden Menschen hin zu googelnden, hat der Menschheit nicht gut getan.

  9. Ich habe diesen Tagesspiegelartikel aus overton-magazin.de/hintergrund/politik/wo-der-zufall-reagiert-die-kuba-krise-als-warnung/#comment-13317 dreimal gelesen, aber für die Interpretation, dass
    „die NATO gegen den Willen des WH eskaliert“, habe ich keinerlei Anhaltspunkt gefunden. Im Gegenteil betont der Artikel „unter Führung der USA“, und stellt die innereuropäischen Konfliktlinien heraus, ebenso, dass „die NATO“ keine Mittel ausserhalb der Souveränität der Mitgliedsstaaten hat.

    Es geht um einen „Zehnjahresplan“ der Um- und Aufrüstung der Ukraine, als wenn nicht vieles davon in den letzten acht Jahren bereits gemacht wurde. Dazu kommt etwas Gewäsch über die wunderbare Wunderwaffenwirkung von Javelin und Himars. Kein Wort über die logistischen Probleme mit NATO-Ausrüstung. Das aber bloss am Rande.

  10. Aquadrahts Beschwerde ist angebracht, klar. Natürlich sagt der Tagesspiegel-Artikel nicht einfach hin, was ich aus ihm heraus lese und nicht alle Infos, die m.E. zu meinem Schluß führen, habe ich in jüngster Zeit gegeben.
    Ich kann das nicht nachholen, mein Zeitmanagement läßt das nicht zu. Deshalb beschränke ich mich auf einen Punkt: (Zitat)

    Und ein weiterer entscheidender Punkt: Die Nato als Organisation hat keine Möglichkeit, selbst Waffen oder Munition zu liefern, das müssen immer die einzelnen Staaten tun. Die Unterstützung muss also politisch gewollt sein.

    Das ist eine Mystifikation. Warum, das sprach CJCS General Milley indirekt hier aus (12.10.):

    GEN. MILLEY: So Sylvie, put it in context a little bit, what Ukraine is asking for and — and what we think can be provided is an integrated air missile defense system. So that doesn’t control all the airspace over Ukraine, but they are designed to control priority targets that Ukraine needs to protect, and what you’re looking at, really, is short-range, low-altitude systems, then medium-range, medium-altitude, and then long-range and high-altitude systems, and it’s a mix of all of these that deny the airspace to Russian aircraft, fixed-wing or rotary-wing aircraft and Russian missile defense, right? So that’s what you’re trying to create. You’re trying to create a defensive system.(…)
    So what needs to be done here by all of the various countries that were at the conference today is chip in and help them rebuild and ustain an integrated air missile defense system, specifically, older systems like you were just asking about. Ukraine has asked for HAWK, or improved HAWK, I-HAWK, as it’s called. That’s a medium-altitude, medium-range system. It’s an older system, but it’s quite effective. And there’s other systems out there throughout the world that — that are available. Many countries have Patriot. Many countries have other systems. There’s a whole series of Israeli systems that are quite capable. The Germans have systems, as we mentioned. So a lot of the countries that were here today have a wide variety of systems, and — and the — the task will be to bring those together, get them deployed, get them trained, because each of these systems is — is different, make sure that they can link together with the command-and-control and communication systems and make sure they have radars that can talk to each other so that they can acquire targets on the inbound flights. So it’s — it’s quite complicated from a technical standpoint. It is achievable, and that’s what we’re aiming at.

    Einen Teil der Stotterei habe ich aus dem Text rausgenommen, weil klar genug werden sollte, wovon Milley spricht: Von einem Combat Theater Command & Control System der NATO. Nicht der Ukraine, nicht der USA, sondern der integrierten NATO-Streitkräfte unter der taktischen Führung der Allied Command Operations und der strategischen Leitung des International Military Staff, der dem NATO-Rat „Vorschläge“ unterbreitet, die dieser entweder annehmen kann oder ablehnen muß.

    Einer der Kriegsgründe für die RF war, daß die Integration der ukrainischen Teilstreitkräfte in das C2-System der NATO bereits in vollem Gange war. Die HIMARS sind das bekannteste Beispiel für die Ausweitung dieses Systems im laufenden Krieg: Sie erhalten ihre Zieldaten, wenn verfügbar, direkt von der NATO-Aufklärung, d.h. NATO Satelliten- und andere Fernaufklärungsdaten, wie AWACS und NATO-ELINT – Stationen außerhalb der Ukraine.

    Kurzum: Voraussetzung für Friedensverhandlungen im Russlandkrieg wäre eine Bereitschaft zu technischem und logistischen Abbau der bis dato vollzogenen NATO-Integration der Ukraine, und den kann selbstredend kein NATO-Mitgliedsstaat auch nur verlangen, geschweige durchsetzen. Auch das Weiße Haus bleibt daran gebunden, ob es will oder nicht.
    (Links findet ihr dort, wohin ich keinen Link setzen will …)

  11. Ich habe mir das Milley-Interview angesehen. Eine adäquate Zusammenfassung findet sich u.a. bei edition.cnn.com/2022/10/12/politics/milley-ukraine-air-defense .

    Milley sprach davon, dass die Ukraine die verschiedenen Systeme aus verschiedenen Ländern in einem einheitlichen 3C-System integrieren muss. Das ist ein frommer Wunsch, den er selbst als “quite complicated from a technical standpoint,” but “achievable“ bezeichnet.

    Wie das geschehen soll, lässt er unerwähnt, und ich halte es auch für utopisch. Die Ukraine hatte bereits ein integriertes Luftabwehrsystem aus sowjetischen Zeiten, nicht besonders gut gewartet oder modernisiert, aber funktionierend. Dieses System ist den ersten Wellen der russischen Offensive weitgehend zum Opfer gefallen und danach weiter zerbröselt. Wie man jetzt, unter Kriegsbedingungen, ein neues System unter neuen Standards einen Zoo zusammengekaufter Luftabwehrsysteme integrieren lassen soll, das ist mehr als „quite complicated“. Milley selbst erwähnt die Problem von Integration der Systeme und Ausbildung der Bediener. Die logistischen Probleme, gerade unter den Bedingungen der derzeitigen Luftoffensive der RF, erwähnt er vorsichtshalber gar nicht.

    Wo da etwas vom Übergehen des Weissen Hauses und Übergabe der Kontrolle an NATO-Stäbe gesagt sein soll, erschliesst sich mir immer noch nicht.

  12. Du redest abermals, wie es ein NATO-Bot tun würde. Von „Übergehen“ und „Übergabe“ habe ich nichts erzählt, sondern von Entzug der Kontrolle.
    Für die Mitleser ein wenig Geschichte (die Aquadraht übrigens kennt, falls sein Avatar nicht die Hände gewechselt hat)
    Das bisher krasseste Beispiel für eine operative Emanzipation alliierter US-Streitkräfte vom politischen Kommando ist dies gewesen:
    https://en.wikipedia.org/wiki/September_2016_Deir_ez-Zor_air_raid
    Allerdings muß man die Vorgeschichte kennen.
    Im Sommer 2014, inmitten der ersten Phase des Ukrainekrieges, rief Barak Obama in Polen (!), wo man von ihm erwartete, einen Russlandkrieg auszurufen, einen „Weltkrieg gegen ISIL“ aus.
    Doch das lief zunächst völlig ins Leere. General Breedlove, Eucom Commander, und Lloyd Austin, Centcom Commander, weigerten sich platt, lenkten vielmehr die ISIL Horden mit vermehrtem Nachdruck gegen Syrien, wobei sie sich u.a. auf den Saudischen Geheimdienst und die britischen Basen im MENA stützten, namentlich Al Tanf, das CENTCOM etwas später übernahm, um von dort aus eine ISIL Offensive auf Damaskus zu steuern.
    Die von Wikileaks veröffentlichten Breedlove-Mails zeigen, warum Breedlove diese Freiheit in Anspruch nahm. Austin war möglicherweise einfach machtlos gegen die Eigenmächtigkeiten der Centcom – Unterkommandos, die in Al Udeid stationiert sind (abermals zusammen mit einem britischen Außenposten).
    Obama konnte diese Typen nicht absetzen, aber er konnte versuchen, ihnen mit Hilfe von USSOCOM Feuer unter dem Hintern zu zünden, und das unternahm er mit der Nominierung von General Votel. USSOCOM kann Befehlshoheit über beliebige Teilstreitkräfte beanspruchen und ist unabhängig von der Kommandolinie des Pentagon. Zur Kontrolle des Kontrolleurs berief Obama John Allen zum allein ihm verantwortlichen Sonderbotschafter für den „Kampf gegen ISIL“. Allen erwies sich als zu schwach oder beugsam gegenüber Breedlove und Austin, also ersetzte Obama ihn 2015 durch Brett McGurk.
    Es nutzte alles nichts.
    Deshalb gewährte Obama Putin 2015 einen „Kaperbrief“ für Operationen gegen ISIL von Syrien aus, den er damit rechtfertigte, daß er der RF erlaubt habe, sich in einen „Sumpf“ (quagmire) zu begeben, aus dem sie sich nur unter hohen Lasten und Verlusten werde befreien können.
    Erst das machte Centcom Beine – allerdings sehr bedingt. Die „Schlacht um Mossul“ wurde im März 2016 begonnen, aber Centcom hielt sie mit Widerständen gegen die Teilnahme schiitischer Verbände und ineffizienten Luftschlägen über Monate auf, bis Mossul so gut wie „ISIL-frei“ war. Anschließend schlachtete man die in Mossul verbliebenen Kollaborateure und unbeteiligten Zivilisten.
    Der Beginn der „Schlacht um Mossul“ fiel zusammen mit der Übernahme des Centcom-Kommandos durch General Votel, aber Centcom und Eurom hatten seit Mai 2015 von Jordanien und dem KSA aus vorsorglich eine neue ISIL – Front unter dem Namen „Maghaweir al-Thowra“ aufgebaut, die im Westen nur unter „NSA“, New Syrian Army verhandelt wurde. Ihr Hauptquartier wurde die schon erwähnte, zunächst britische, später amerikanische Basis Al Tanf. Die NSA fiel einfach nicht unter „ISIL“, obwohl sie nichts anderes war, und so war Votel so gut wie machtlos gegen die im Juni begonnene
    https://en.wikipedia.org/wiki/2016_Abu_Kamal_offensive
    Allerdings unterband er die US-Luftunterstützung für sie, und damit sind wir zurück bei der Deir ez Zor-air raid, die ostentativ eine NATO-Operation war, unter Beteiligung dänischer und belgischer Flieger, A-10 von der Eucom-Basis Incirlik, zuzüglich australischer Einheiten, die das US-Kommando in Al Udeid mobilisiert hatte.
    Diese Geschichte ging natürlich unentwegt weiter, prominent z.b. in Gestalt der False-Flag – Übergriffe auf den Tankerverkehr in der Straße von Hormus, als Trump Anstalten machte, den Irankrieg abzusagen.

    So, jetzt müßt ihr nur noch wissen, daß es für die technische und operative Eingliederung der Ukraine in die NATO keinerlei Beschlußgrundlage des NATO-Rates gibt! Die Basis ist die
    https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Ukraine-Charta
    Aufgelegt 1997 zu Beginn der ersten Phase des Kosovo-Krieges der NATO.
    Und das, obwohl Deutschland und Frankreich im NATO-Rat 2009 ein Veto gegen ein formelles Eingliederungsversprechen der NATO an die Ukraine eingelegt hatten, ein Novum in der Geschichte der NATO.

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