Wie die US-Wirtschaft die Bildung eroberte

Bücher und Tablet im Klassenzimmer.
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Bildung und freier Markt: Mittlerweile greifen Unternehmen ganz ungeniert in der westlichen Welt in Bildungsprozesse ein. Wie kam es dazu, dass die Wirtschaft so viel Einfluss gewann?

Alex Carey zeigt in seinem grundlegenden Buch „Demokratie ohne Risiko“, wie Unternehmen, PR-Agenturen und politische Eliten die öffentliche Meinung systematisch manipulieren, um ihre Interessen durchzusetzen. Ein Auszug.

Die Einmischung von Unternehmensinteressen in das amerikanische Bildungssystem mit dem Ziel, das Aufkommen toleranter Werte einzudämmen, die dem Konservatismus der freien Marktwirtschaft entgegenstehen, fand in den späten 1960er-Jahren einflussreiche Unterstützer. Lewis F. Powell war (bis zu seiner Berufung an den Obersten Gerichtshof im Jahr 1972) ein frühzeitiger und einflussreicher Verfechter der Ansicht, dass die Wirtschaft ihre finanzielle Unterstützung auf Ausbildungs- und Begleitforschungszentren mit entsprechend konservativer Ausrichtung beschränken sollte. George Will, der vielleicht meistgelesene und einflussreichste amerikanische Kolumnist, plädiert seit fast einem Jahrzehnt für eine ähnliche wirtschaftliche Säuberung von Colleges und Universitäten, die nicht hinlänglich rechtsorientiert sind. Dies gilt auch für William Simon, Finanzminister von 1973 bis 1977. Simons Beiträge veranschaulichen, wenn auch etwas überspitzt, die Werte und das Ausmaß der eher intellektuellen Komponente der Kampagne zur Neugestaltung der politischen Programmatik, die zur Dominanz der neokonservativen Bewegung führte.

Die vermeintliche Angst vor dem Wirtschaftspolizeistaat

1978 veröffentlichte Simon einen Bestseller mit dem Titel A Time for Truth – vermutlich mit ein wenig Schützenhilfe seiner neokonservativen Freunde und sicherlich unter dem Beifall der Nobelpreisträger Friedman und Hayek, die beide ein Vorwort beisteuerten. Allein von der gebundenen Ausgabe wurden 180 000 Exem­plare verkauft. Das für ein breites Publikum geschriebene Buch konzentriert sich darauf, Angst und ein Gefühl der Krise hervorzurufen: Angst davor, dass alles, was den Amerikanern lieb und teuer ist, unmittelbar von subversiven Intellektuellen bedroht ist, die die angeblich gefährlichen Ziele von Roosevelts New Deal weiterführen wollen. Auf 240 Seiten wird die eine zentrale verlogene Behauptung unablässig wiederholt: »Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Freiheit … ist real und unverbrüchlich … wer das eine verliert, verliert das andere … Eine Nation, die ihre wirtschaftliche Freiheit einschränkt, wird auch politisch weniger frei sein.« Folglich, so die Argumentation, werde die amerikanische Demokratie in Kürze unter einer sozialistischen Diktatur zusammenbrechen, wenn die regulierenden Eingriffe der Regierung in die Unternehmen nicht gestoppt und zurückgenommen werden. Simon lobt einen »brillanten« Film zu diesem Thema, The Incredible Bread Machine (zu dem sowohl er als auch Milton Friedman Kommentare beisteuerten). Mit Genugtuung stellt er fest, dass fünfzehn Millionen Menschen in den USA den Film gesehen haben und dass nach wie vor 1 200 Kopien des Films im Lande in Umlauf sind. Eine Taschenbuchausgabe von Simons Buch wurde 1979 in Australien von McGraw-Hill veröffentlicht. Es wurde von Peter Samuel mit vorhersehbarem Überschwang rezensiert, der behauptete, es habe einen großen Einfluss auf die Parlamentsabgeordneten.

Simon bietet eine Analyse der wirtschaftspolitischen Probleme des Jahres 1978 und Lösungsvorschläge. Die Carter-Administration »steuert mit beängstigender Geschwindigkeit auf den Kollektivismus zu«, so seine Behauptung. Und die Aufsichtsbehörden eines »Wirtschaftspolizeistaates« verbreiteten »Terror« unter den Unternehmen. Simon, der ausdrücklich Irving Kristol folgt, führt diese Krise der amerikanischen Demokratie auf den allgegenwärtigen Einfluss unamerikanischer Intellektueller zurück. Er fragt: »Was können wir also tun?«, und antwortet, dass »von der Wirtschaft generierte Mittel in Millionenhöhe« zur Rettung herangezogen werden müssen. Einige große Stiftungen (er nennt die Ford Foundation) seien »übernommen« worden. Von wem? Von den »philosophischen Feinden« des Kapitalismus, von Menschen mit egalitären Ansichten. Die einzig mögliche Lösung sei die Gründung neuer Stiftungen, die »ausdrücklich als intellektuelle Zufluchtsorte für die nicht-egalitären Gelehrten und Schriftsteller in unserer Gesellschaft dienen … Sie müssen Fördergelder, Fördergelder und noch mehr Fördergelder im Austausch gegen Bücher, Bücher und noch mehr Bücher erhalten«.

Konservative Begleitforschung

Ferner schlug Simon vor, dass die Unterstützung seitens der Wirtschaft (unter anderem) den »großen amerikanischen Universitäten, die heute Legionen von jungen Kollektivisten hervorbringen«, entzogen werden müsse. Die Unterstützung vonseiten der Wirtschaft müsse hingegen »reichlich« an Lehr- und Forschungszentren fließen, die die wahre Doktrin vermitteln. Ebenso müssten Medien, die mit konservativen Wirtschaftsansichten sympathisieren, unterstützt werden. Aber »wenn eine Zeitung oder Zeitschrift oder ein Sender als … Agentur für diejenigen fungieren will, die das kapitalistische System angreifen, sollte es ihnen völlig freistehen, dies zu tun. Ohne kapitalistisches Geld« – womit Simon meint, ohne Werbung.

Im selben Jahr (1978) wurde Simon Präsident der Olin Foundation, die vom ehemaligen Vorsitzenden der eine Milliarde Dollar schweren Olin Corporation gegründet worden war. Die Stiftung konzentriert sich auf die Förderung von »Wissenschaft im Rahmen der Philosophie einer freien Gesellschaft und eines freien Marktes«. Wie die New York Times berichtete,

»bedeutet dies … Zuschüsse für Institutionen wie das American Enterprise Institute, die Hoover Institution, Unterstützung für die Fernsehprogramme von Friedman und Wattenberg sowie die Finanzierung von Zentren für das Studium der freien Marktwirtschaft. Insgesamt geben die Stiftung und Herr Olin … etwa 3 Millionen Dollar pro Jahr für solche Projekte aus.«

1978 arbeiteten Olin und Simon an der Gründung einer weiteren Stiftung, die »auf einen Vorschlag von Irving Kristol« zurückgehen sollte. Ihre besondere Aufgabe sollte darin bestehen, »Unternehmen, die sich noch nicht an der Förderung des Systems der freien Marktwirtschaft beteiligen, zu ermutigen, ihre Kassen zu öffnen«.

Die neue Organisation, das Institute of Economic Affairs, sollte »von Wissenschaftlern, Unternehmern und Stiftungsmitgliedern« gemeinsam verwaltet werden und als Beratungsorgan für »Unternehmen, die konservative Begleitforschung finanzieren wollen«, fungieren.

Der Verwaltungsrat des IEA setzt sich fast ausschließlich aus Vertretern von Großunternehmen zusammen. An ihrer Spitze steht der stellvertretende Vorsitzende der Mobil Corporation, die 1975 bereits 5 Millionen Dollar pro Jahr für Werbung ausgab. Das Budget des IEA wuchs von weniger als 1 Million Dollar im Jahr 1970 auf über 7 Millionen Dollar im Jahr 1978; die Zahl der Mitarbeiter von 24 auf 125 zuzüglich 100 »Hilfswissenschaftler«, die an vom IEA finanzierten Studien arbeiten.

Die IEA-Forschungsstelle

Im Jahr darauf (1979) war Irving Kristol Co-Vorsitzender einer neuen IEA-Initiative zur Beschaffung von 60 Millionen Dollar an Spendengeldern. Seit 1983 steht auch der australische Premierminister Malcolm Fraser auf der Liste der vom IEA geförderten Wissenschaftler. Das IEA ist nur eines, wenn auch eines der größten, von vielen privat finanzierten Zentren für Politikforschung in den USA.

Das Jahr 1977 verbrachte ich in den USA und konnte nicht umhin festzustellen, dass die meisten Universitätsbibliotheken, die ich benutzte, etwa einen halben Meter an Karteikarten mit Veröffentlichungen der IEA enthielten. Als ich nach Australien zurückkehrte, hatte ich das Gefühl, mit den Aktivitäten des IEA einigermaßen vertraut zu sein, lange bevor sich sein Einfluss bis nach Australien erstreckte. Als ich die Bibliothek meiner Heimatuniversität (der University of New South Wales) betrat, stellte ich zu meinem großen Erstaunen fest, dass ein ganzes Foyer mit einer Auslage ausgewählter Bücher aus 250 Titeln belegt war, die der Bibliothek vom IEA gespendet worden waren. Durch diese Spenden wurde die Bibliothek der University of New South Wales zu einer IEA-Forschungsstelle für öffentliche Politik. Vier Jahre später war die Zahl der gespendeten Titel auf 400 gestiegen.

Bevor wir uns wieder dem australischen Kontext zuwenden, muss kurz auf eine andere bedeutende – und sicherlich symbolträchtige – Entwicklung in der amerikanischen Hochschullandschaft eingegangen werden. Seit Anfang der 1960er-Jahre begannen amerikanische Unternehmen, Lehrstühle für freies Unternehmertum zu finanzieren, deren ausdrücklicher Zweck es ist, das System der freien Marktwirtschaft zu fördern und zu verteidigen. Beispiele für diese »Propaganda-Lehrstühle« sind die Good­year-Lehrstühle für Free Enterprise an der Kent State University und der University of Akron, der W.-H.-Davies-Lehrstuhl für das American Free Enterprise System an der Ohio State University und der Irwin-Maier-Lehrstuhl für American Enterprise an der University of Wisconsin. Der erste Lehrstuhl dieser Art wurde 1963 an der Georgia State University eingerichtet; der nächste wurde erst 1974 geschaffen. Bis 1978 gab es zwanzig, 1981 waren es bereits mehr als vierzig. In Australien kam der erste Vorschlag für einen Lehrstuhl für freie Marktwirtschaft 1981 von der ländlichen National Party in Queensland, mit »erheblicher finanzieller Unterstützung«, die von wohlwollenden Geschäftsleuten zugesagt wurde. Bis heute [1976] sind die Verhandlungen mit der University of Queensland und dem Queensland Institute of Technology in dieser Angelegenheit erfolglos geblieben.

Alex Carey

Alex Carey (1922 – 1987) war ein australischer Schriftsteller und Sozialpsychologe und lehrte an der University of South Wales. Seine Forschung zu Unternehmenspropaganda („corporate propaganda“) gilt als Pionierarbeit. Nicht zuletzt deswegen widmeten ihm Noam Chomsky und Edward S. Herman ihr Magnum Opus Manufacturing Consent. Careys Buch Taking the risk out of democracy, das posthum erschien, zählt heute zu den bedeutendsten Titeln in seinem Feld.
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15 Kommentare

  1. Analoges gilt für Europa: Stichwort Lissabon, Stichwort Bologna.

    https://www.fzs.de/2006/03/26/eckpunkte-zum-lissabon-prozess/

    https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/204075/bologna-die-ungeliebte-reform-und-ihre-folgen/ .

    Freibier für alle, 1er-Abitur für alle: Alle können Abitur! Das ist doch großartig!

    8 x 64 im Kopf zu berechnen, wird zum Fiasko.

    Rechtschreiben wird zum Drama.

    Handschrift: oh, oh, oh!

    Ja, und mit KI werden viele restlos mental degenerieren. Dafür haben die dann Kompetenz.

    Schulmathematik: Vergleich Indien-NRW, Prof. Dr. Bernhard Krötz: https://www.youtube.com/watch?v=GhmEYB3Kq-o .

    Was will / kann man von einer ‚Kultur‘ erwarten, in welcher TypInnen wie Baerbock höchste Ämter erreichen, Plagiieren zum guten Ton gehört und Bildung nichts mehr gilt.

    Worum es geht: Um die Heranzüchtung von willigen Jasagern und AbarbeiterInnen. Ja, gut dass wir Gendererinnen und Genderer haben.

    Wie haben wir es doch so herrlich weit gebracht! Hurra, es lebe die Infantilisierung!

    1. sag ich doch auch:)) Herr Weinert gut beobachtet..die allgemeine Dummheit regiert unangefochten besonders heutzutage! Leider ist es unmöglich den Dummen zu erklären das sie dumm sind! Dann mal zu beim fröhlichen Weiterleben von Dummheit umzingelt!

    2. Bei den Einen verfaulen die Früchte am Baum und bei Anderen die Kinder in der Schule.
      So erwehrt man sich der Konkurrenz, wenn die Nachfrage lahmt.

    3. Keine Ahnung, aber viele Ressentiments.
      Solcherlei Posts nehmen einfach Überhand.
      Ich weiß nicht, warum die Dummen am lautesten schreien.

      Zum einen ist das Bildungssystem ganz und garnicht auf Abitur und auch nicht auf 1er Abiture ausgelegt.
      Mach Dich mal schlau, wie viele die Schule abbrechen, und wie wenig dagegen getan wird,
      Oder wie sehr das DE-Schulsystem die soziale Herkunft reflektiert.

      Das Bologna-System hat im Grunde die richtige Idee. In Europa einheitliche vergleichbare Studiengänge.
      Die deutsche Umsetzung ist jedoch eine Katastrophe, da jede Uni eben etwas Eigenes haben wollte und nix mehr vergleichbar ist.
      Der wirkliche Haken an Bologna ist die Ausrichtung auf eine Verschulung, damit die meisten Studenten zügig mit einer weniger teuren Halbbildung in die Unternehmen kommen sollen.

  2. als ob das etwas neues wäre…abartig aber meiner Erfahrung (75 Jahre) Leben in der kapitalistischen „Werkgemeinschaft“ war und ist die Bildung schon immer auf Wirtschaftsbedürfnisse ausgerichtet…Bildung um Bildungswillen gibt es nur für sehr wenige, nämlich für Leute die es sich leisten können, denen es Spaß macht, kurzum diejenigen welche von Wirtschaftsbedürfnissen unabhängig sind. Das sind dann meistens Leute welche vom System als Querdenker, Verschwörungstheoretiker, Ketzer, etc. verunglimpft werden, da sie ja häufig das hundert Prozent wirtschaftsorientierte System untergraben, wenn ihr unabhängig gefundenes Wissen auch einen Großteil der breiten Masse erreichen sollte. Kurzum, Bildung ist immer kommerziell, es hat noch nie freie und kostenlose Bildung gegeben, ist ja auch nicht im Interesse der gesellschaftlichen Machthaber mit einer frei gebildeten Gesellschaft auszukommen. Mehr fällt mir dazu nicht ein, nur mein Wort zum Sonntag sozusagen:)) doch noch dazu, ich habe nirgendwo anders so viele Idioten kennengelernt und bin umgeben gewesen als während meiner Studienzeiten an diversen Universitäten, sprich Thema Fachidioten:))

  3. Nun haben die Wills, Powells und Simons ja gewonnen. Genau diese Inhalte werden heute gelehrt und wenn der Student etwas anderes lesen will, muss er in alten Büchern außerhalb des Campus suchen. Kann man da nicht mal Bilanz ziehen und mit dem schwerstens diffamierten Jimmy Carter vergleichen?
    Nehmen wir mal die Zahl der Gefängnisinsassen: damals 400.000, jetzt 2,3 Millionen. Oder die soziale Schichtung, bei der Carter ausgleichend unterwegs war. Nicht die irren Verschuldungsorgien wie später dann bei Reagan. Ein brauchbares staatliches Bildungssystem. Gewerkschaftliche Rechte gesichert.
    Das ist die Bilanz: die Amerikaner haben Dutzende von Gründen, sich die USA unter Carter zurückzuwünschen. Aber keinen einzigen in dire Gegenrichtung.

    1. Ja schon möglich daß es unter Carter besser war, aber die Propaganda des Kapitals ist eben stärker und füttert die Einen mit Regenbogenscheiße und die Anderen mit Freiheitsscheiße. Aber eigentlich pissen sie den Leuten ins Gesicht und reden ihnen ein es regne. Die Pisse wird je nach dem blau und rot eingefärbt.

  4. „Bildung“ ist die Manipulation per se.
    Schulzwang richtet die ideologische Ausrichtung der Staaten indem die Bewohner leben.
    Geistige Freiheit benötigt alter, um die Freiheit im geistigen Sinn zu erreichen.
    Von daher hat die „politische Kaste“ den Vorteil, die geistige Freiheit von vornehm immer zu bestimmen.
    Das ist geistige Monopoliesierung durch den „Staat“ für die Interessen von Satan.

      1. Das ist in Ordnung. So gibt es eine Möglichkeit, den durchschnittlichen IQ in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu steigern – in der Ukraine sieht man, wie man es macht.

  5. Und Staaten mit einer dummen Bevoelkerung lassen sich auch das gefallen:
    Die G7 haben sich darauf geeinigt, die grossen US-Konzerne
    von der Koerperschaftssteuer im Ausland auszunehmen….das heisst?
    Die US-Konzerne versteuern nur noch in den USA und…..EUropa geht leer aus!
    Die Konzerne werden jubeln, sie brauchen nicht mehr mit einzelnen EU-Staaten ueber Mindessteuern zu verhandeln und koennen ganz legal in den EU-Staaten ihren Geschaeften nachgehen ohne Steuern zu zahlen, denn die werden ja in den USA bezahlt!
    Wurde darueber in Tagesschau, ZDF oder sonst wo in den deutschen Medien berichtet ?

    https://www.msn.com/en-gb/money/other/us-multinationals-on-track-for-minimum-tax-reprieve-after-g7-deal/ar-AA1HBccU

    https://lostineu.eu/hat-merz-das-abgenickt-us-konzerne-von-steuern-befreit/

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