
„Autoritärer Neoliberalismus“ ist eines der neuen Schlagworte aus dem Wortschatz derjenigen, die sich mit den Entwicklungen politischer Rahmenbedingungen befassen.
So bezeichnet ein ecuadorianischer Kolumnist die Regierungsform des jungen Präsidenten Daniel Noboa, der seit November 2023 im Andenstaat bestimmt und voraussichtlich bis 2029 im Amt bleiben wird. Er orientiert sich an einem Modell, welches Wirtschaft und Regierung zu einem Machtblock vereint. Ein Modell, welches nicht nur in Ecuador Leitlinien setzt, sondern gerade im westlichen System Richtlinien neu festlegt und soziale oder kulturelle Aufgaben des Staates außer Kraft setzt.
Im Mikrokosmos Ecuadors lassen sich die gleichen Verfahrensweisen erkennen, die auch auf der internationalen Ebene friedliche Lösungen blockieren.
Armes reiches Land
Das Land befindet sich in einer tiefen Krise. Das Gesundheitssystem ist zwar darauf ausgelegt, die ganze Bevölkerung kostenlos zu versorgen, doch die öffentlichen Spitäler wurden seit Jahren vernachlässigt. Es fehlt an Personal, Medikamenten, modernen Geräten und Betten. Arzttermine können monatelang, ohne besondere Berücksichtigung der Schwere der Krankheiten, auf sich warten lassen. Das öffentliche Bildungssystem ist gleichermaßen bankrott: Schulhäuser in desolatem Zustand, Lehrer sind Mangelware und verdienen miserabel. Privatschulen und Privatkliniken sind in großer Zahl vorhanden. Für die meisten Familien unerschwinglich. Die Arbeitslosenquote ist mit 4,5 % nicht wirklich erschütternd. Jedoch verdienen die Beschäftigten, Arbeiter und Angestellte, größtenteils nur den Mindestlohn. Zurzeit sind das 470 US-Dollar pro Monat. Doch nicht nur in den Städten sind die Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Der Lebenskostenindex liegt zwischen 800 und 1.200 US-Dollar pro Person. Damit kauft man sich aber kein Auto und geht nicht in die Ferien. Ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze.
Ein funktionierender Mittelstand existiert kaum mehr. Gerade kleinere Betriebe mussten angesichts der konstant steigenden Preise aufgeben. Ihre Produkte wurden zu teuer. Eine kleine, schwerreiche Oberschicht lebt abgeschottet in eigenen, gut gesicherten Wohnanlagen. Sie sind nur in den Städten anzutreffen und profitieren von den Erträgen des Landes, vom Erdöl, von Einkünften aus dem Bergbau, von der Fischereiflotte der Pazifikküste oder von den Produkten einer industrialisierten Agrarwirtschaft. Ecuador ist ein reiches, fruchtbares und attraktives Land.
Von 2007 bis 2017 regierte Präsident Correa mit seiner Partei, der „Bürgerlichen Revolution“. In dieser Zeit erhielt das Land eine der modernsten Verfassungen Südamerikas. Bildungs- und Rentenpläne wurden aufgebaut, große Infrastrukturprojekte verwirklicht und das feudalistische gesellschaftliche Konstrukt, das seine Wurzeln noch in der Conquista durch die Spanier hatte, wurde von Grund auf reformiert. Sehr zum Ärger der Oberklasse, die plötzlich Steuern bezahlen sollte. Correas Regierung war nicht frei von Fehlschlägen, immerhin veränderte sich das internationale Renommee des Andenstaates. Progressive Ecuadorianer machten sich Hoffnungen. Als Correa 2017 abtreten musste, wurde er in kürzester Zeit von den neu aufgeflammten Kräften einer neoliberalen Flutwelle weggeschwemmt, allerhand Verbrechen angeklagt, und musste das Land verlassen. Heute lebt er, offiziell, der leibhaftige Teufel und ein verurteilter Straftäter, im belgischen Exil. Seine ehemalige Partei gewinnt zwar seither regelmäßig lokale Wahlen und stellt Präsidentschaftskandidaten, aber verpasst jeweils den Wahlsieg nur um wenige Prozentpunkte.
Ausländische Touristen sind selten geworden
Gleichzeitig erschüttern Bandenkriege um die Kontrolle der Drogenrouten das Land. Instrumentalsiert werden diese Gruppen von mächtigen, internationalen Gruppen des organisierten Verbrechens. Ecuador steht aktuell in den weltweiten Statistiken gewalttätiger Tötungen an oberster Stelle. Der größte Hafen des Südpazifiks gilt als Knotenpunkt des Kokainhandels nach USA und Europa. Trotz zahlreicher Gesetze, die sich gegen Geldwäschegeschäfte richten, manifestiert sich diese illegale Geldschwemme in riesigen Überbauungen und endlosen Einkaufszentren in den Aglomerationen der Städte. Kleinunternehmen dagegen kämpfen ums Überleben oder verschwinden. Ausländische Touristen sind selten geworden.
Was passiert? Politiker werden durch bestimmte neoliberale Kräfte korrumpiert. Dahinter stehen die skrupellosen Großunternehmen, die den wirtschaftlichen Ton angeben. Sie stellen, ganz klassisch in der Person Daniel Noboas, den Präsidenten. So ergibt sich eine klientelistische Politik, die im engen Kreis, frei von demokratischen Störungen, regiert. Ohne Mittelsmänner, direkt durch Vertreter der Oligarchie und mit ihnen verbundenen Lobbyisten. Parteien und Meinungsbildung werden kontrolliert. Neuausrichtungen aus undurchsichtigen Entscheidungskammern vorgegeben. So wird der Staatsapparat privatisiert. Er soll wie ein Unternehmen geführt werden. Korruption und Kleptokratie verwachsen ineinander.
Vermeintliche Planlosigkeit ist ein äußeres Merkmal dieser Regierung. Parlamentssitze sind durch Wirtschaftsmagnaten besetzt. Doch Unberechenbarkeit, Narzissmus, Willkür, Argumentationsverweigerung und Irrationalität der Administration sind gewollt. Der Bürger ist überfordert. Einfachste Abläufe, etwa das Umschreiben eines Fahrzeuges auf einen neuen Besitzer, sind hinter digitalen Hürden plötzlich unverständlich kompliziert. Das erzeugt bei der Bevölkerung Angst. Die Unwissenheit verunsichert. Das Regieren besteht aus Handlungen ohne aufwendige und hinderliche demokratische Transparenz. Der Staat, primär die Exekutive, wird ausgebaut. Private Dienste übernehmen vormals staatliche Aufgaben im Sicherheitsbereich und in der Verwaltung. Die Post wird abgeschafft. Experimentiert wird mit der Müllabfuhr, der Trinkwasser- und Energieversorgung, bis solche Leistungen vollständig privatisiert sind.
Noboa: ein Autokrat
Vergleichbar ist diese Entwicklung mit der radikalen Erweiterung, die aus dem Kapitalismus den Raubtierkapitalismus geschaffen hat. Der neoliberale Populist, der noch vor wenigen Jahren den Staat bis zur Wirkungslosigkeit verschlanken wollte, ist einen Schritt weiter. Der Staat wird jetzt autokratisch ausgebaut, der Gesellschaft entfremdet und zur Absicherung der eigenen Interessen genutzt
Daniel Noboa will die ecuadorianische Verfassung reformieren. Dazu gehören die Beschneidungen von verfassungsmäßigen Rechten. Lizenzierungen von Spielcasinos, sprich Geldwaschanlagen, Veränderungen des Arbeitsrechtes zuungunsten der Arbeiter, neue Kompetenzen für das Militär, neue Anti-Terror-Gesetze, steuerliche Umgruppierungen und Förderungen von Großunternehmen. Ein Sondergerichtssystem für Verbrechen gegen den Staat soll aus der Taufe gehoben werden und die gubernialen Papageien quaken aus allen Schnäbeln. „Privatisierung, Privatisierung, Privatisierung!“
Nein, Noboa ist kein Neoliberaler. Geschickt verwebt und verstrickt er alle Fäden, welche dem „freien“ Unternehmertum dienstleisten. Den daraus entstehenden ecuadorianischen Poncho kann er sich dann über die autokratischen Schultern werfen.
Widerstand? Da sind die indigenen Verbände Confinaie und Conaie, die Gewerkschaften und die Umweltschützer. Die drei genannten Gruppen leiden alle unter chronischem Geldmangel und sind dank der oben beschriebenen Machenschaften untereinander zerstritten.
Teilen, herrschen, Brot und Spiele
Mitte September hat Noboa per Dekret die Dieselpreise von 1,80 US-Dollar auf 2,80 US-Dollar pro Gallone erhöht. Das bedeutet, dass ALLES wieder massiv teurer werden wird. Da er weiß, dass diese Entscheidung massive Unruhen heraufbeschwört, ist er mit seiner Regierung kurzerhand in eine andere Stadt umgezogen, von Quito nach Latacunga. Dort, beschützt durch eine große Militärgarnison, kann er abwarten, was passiert. Das Militär ist auf seiner Seite. Vorsichtshalber hat er bereits vor Monaten die gesamte Armeespitze ausgewechselt. Da sitzen nun seine Günstlinge am Abzug. Offenbar ist man bereit, es „darauf ankommen“ zu lassen. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass die politische Opposition nicht mehr in der Lage ist, einen organisierten Widerstand zu organisieren.
Die durchstrukturierte und von mächtigen Spin-Doktoren geplante Spaltung der Gesellschaft ist offenbar erfolgreich. Ganz nach dem alten Grundsatz: „Teile und herrsche“. Man hetze die Parteien, die Ethnien, die Geschlechter gegeneinander auf, bis sie in ihren eigenen Feindschaften verstrickt handlungsunfähig werden. Geschickte Drahtzieher verbreiten Gerüchte und Unwahrheiten. Sie stricken Intrigen und fördern Rassismus. So kommt man vorwärts.
Der zweite Grundsatz: „Brot und Spiele“. Dank der hirnfressenden digitalen Gespensterwelt ist es mittlerweile einfach geworden für die Architekten der Dystopie, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wahlweise mit Aufrufen zu immer dümmlicher werdenden Idealen mit Lippenformen und Turnschuhen oder einfach mit erfundenen Szenarien, die Angst und Schrecken verbreiten. Erfunden? Echtes Blut fließt kübelweise. Das gehört zum „Framing“. Die Hintermänner und ‑frauen dieses Machtspieles nehmen Bandenkriege, Mord und Totschlag billigend in Kauf. Wo gehobelt wird …
Um genauer zu sein, ist die Partei Correas nicht abgewählt worden, vielmehr gewann sein Nachloger Moreno die Wahl, der zum Vornamen auch noch Lenin heißt. Das aber war ein falscher Fuffziger, er hat diese Neoliberalisierung in Gang gesetzt. Womit das Ansehen der Partei natürlich ramponiert wurde. Jetzt gewinnen Rechte wie Noboa.
Warum eigentlich explodiert immer da, wo Neoliberale regieren, der Drogenhandel? Man kann das ja durchaus so sehen, dass die Drogenbanden aus den anderen Ländern fliehen, denn dort sind Linksregierungen. Dasselbe derzeit in Argentinien. Vorsichtig formuliert, ist es eben eine Marktfreigabe. Drogen gehören im Neoliberalismus dazu. Aber sicher gibt es da noch mehr Aspekte.
ja, ja dieser Lenin hat auch Julian Assange für einen Kredit an die CIA „verkauft“
Tja, dass die besitzende und damit herrschende Klasse, egal wo auf der Welt, abgrundtief schlechte Menschen sind, ist nichts Neues.
Und so lange die Menschen das mehrheitlich nicht endlich mal begreifen und sich immer wieder erneut in der hier beschriebenen Weise manipulieren, lenken und sich gegeneinander ausspielen lassen, wird sich auch nichts ändern.
Ich möchte mal „ketzerisch“ sein: Dummheit wird grundsätzlich immer bestraft, und das auch zu Recht! – Wissen ist eine Holschuld!
So neu ist das doch gar nicht?
Chile war unter Pinochet doch schon ein Experimentierfeld der Hayek- und Friedman-Jünger namens „Chicago Boys“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Chicago_Boys
Deren „Erfolge“ in Chile prägten dann ganz wesentlich die „Reagonimics“ und den „Thatcherismus“. Also den Siegeszug der Neoliberalen in der „westlichen“ Wirtschaftswelt.
Welche Machtpositionen werden von den mächtigen Staaen präsentiert?
Im ideoglogischen Sinne, verkörpern alle das Kapital, egal welche ideologische Struktur diese verfolgen.
Was ein Staat oder der andere tut, in ihrem ideologischen Sinn betreibt ist Nihilismus.
Da wir am dem Glauben festhalten, das Kapital die Probleme der Menschheit löst. Tut sie aber nicht, da dieses System auf Verlagerung basiert und die Probleme selbst innerhalb der geschundenen Menschen vorantreibt.
Das ist der Hamster im Rad, hat nichts mit dem System „Kapital“ am Hut, da „SIE“ wissen, das jede Gesellschaft dazu benutzt wird, um ihre Interessen zu vervollständigen.
Das kommt davon, wenn man einen Bananenplantagenbesitzer zum Präsidenten macht.
Genau, ein 🍌-Staat. 😉
Der Staat war immer gesteuert vom Kapital, oder Unternehmen. Es hat sich am der Struktur im menschlichen Dasein niemals etwas verändert, außer,wer die Kontrolle über den Staat verübt.
Ist das Aufklärung oder ….?
Das ist eine Simulation für simulierte Situationen in der Simulation, veranstaltet durch Simulanten.
@ PRO1
„Das ist eine Simulation für simulierte Situationen in der Simulation, veranstaltet durch Simulanten.“
Eher eine Stufe Deutschlands auf dem Treppengang nach unten. Oder nenn es den Blick in den Spiegel in nicht allzuferner Zukunft.
Wie solche Privatstaaten aussehen kann man besten in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Katar mit dem Kalifa-System erleben. Da haben die in Südamerika noch Demokratisch, die Möglichkeit ihre Regierungsreformen abzuwählen.
Es gibt einen etablierten Namen für dieses ‚Modell‘ – eben der Faschismus, der laut Mussolini auch Corporatismus heißen könnte. Neoliberalismus ist Faschismus ohne Folklore.