Kurz und sein früherer Kabinettschef Bernhard Bonelli wurden am Freitag vor dem Landesgericht für Strafsachen in Wien der Falschaussage für schuldig befunden.
Der Richter Michael Radasztics entschied auf eine achtmonatige Strafe auf Bewährung sowie eine Geldstrafe für Sebastian Kurz, der das Urteil gefasst aufnahm. Eine Verurteilung hatte sich bereits abgezeichnet, weil die staatsanwaltliche Argumentation wesentlich greifbarer war.
Das Gerichtsverfahren wurde allerdings von Seiten der Verteidigung auf allerhöchstem philosophischen Niveau geführt. So bemängelten die Verteidiger von Kurz und Bonelli, dass nicht die Aussagen von Sebastian Kurz, sondern die Interpretationen der Aussagen von Kurz bewertet worden wären.
An dieser Stelle darf gerne nach Beispielen aus dem Alltag gesucht werden, in denen eine Aussage und nicht die Interpretation einer Aussage bewertet wird. Es dürfte schwerfallen, denn schließlich muss jede menschliche Aussage zunächst interpretiert werden, es sei denn man hat das Glück ein „unendliches Wesen“ (aka Gott) zu sein, das keinen Interpretationsschranken unterliegt, sondern die „Dinge an sich“ betrachten kann.
Unendliche Wesen waren im Wiener Gerichtssaal nicht anwesend, folglich musste fleißig interpretiert werden. Bei Sebastian Kurz erzeugte dies wiederum ein Gefühl der „Ohnmacht“, weil er sehen musste, wie andere Menschen seine Aussagen interpretierten und ihm Inhalte vorwarfen, die er ja nie so gemeint haben wollte.
Hat Kurz vor dem Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt?
Es wurde wirklich sehr an der Basis argumentiert, denn es trifft wohl auf jeden Gerichtsprozess seit Menschengedenken zu, dass die Aussagen von Angeklagten ausgelegt werden und damit Schlüsse gezogen werden, die den Angeklagten nicht passen.
Im Kern ging es darum, ob Sebastian Kurz vor dem sogenannten „Ibiza-Untersuchungsausschuss“ die Unwahrheit gesagt hat. Der Richter war in seiner sehr ausführlichen Urteilsbegründung bemüht das hohe philosophische Niveau zu halten und erklärte: „Wenn Person A mit Person B und Person C essen geht und dann sagt, sie sei mit Person B essen gewesen, dann ist dies eine Falschaussage, weil Person C weggelassen wurde.“
Sebastian Kurz sei ein junger und gesunder Mensch. Es sei unverständlich, warum er entscheidende Sachverhalte beim Untersuchungsausschuss nicht mehr erinnern konnte. Es sei – Achtung Interpretation! – wohl davon auszugehen, dass er sie sehr wohl gewusst habe, sie aber wegließ, um „besser dazustehen“.
Das ist, weil vor einem Untersuchungsausschuss Wahrheitspflicht herrscht, eine Falschaussage und die wird mit zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet. „Entlastende Faktoren“ bewirkten eine vergleichsweise moderate Strafe von acht Monaten für Kurz und sechs für Bonelli.
Neuer Stil vor Gericht
Kurz war einst angetreten einen „neuen Stil“ in die Politik zu bringen. Es solle einfach weniger gestritten werden (damit meinte er die damalige „große“ Koalition zwischen ÖVP und SPÖ in der Kurz manchen Streit vom Zaun gebrochen hatte). Es sollte ein harmonischer Stil zum Besten der österreichischen Bevölkerung herrschen und da passte es so gar nicht ins Bild, dass Kurz hinter den Kulissen möglicherweise Postenschacher betrieben hat.
So will es Kurz‘ ehemals enger Vertrauter Thomas Schmid zumindest belegen können. Sebastian Kurz will von den angeblichen Absprachen nichts gewusst haben, sondern sei einzig über die getroffenen Ergebnisse informiert worden.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hält dies, angesichts des Durchgriffsrechts, das sich Kurz bei Übernahme des Parteivorsitzes ausbedungen hatte, für äußerst unglaubwürdig.
Der Führungsstil von Sebastian Kurz bestand aus der Einrichtung eines handverlesenen und durchaus klug ausgewählten Kreises an Getreuen. In diesem “Neuen Stil“ musste es keinen rufschädigenden, öffentlichen Streit mehr geben, weil eben alles im Hinterzimmer ausgehandelt wurde. Den Rest besorgte eine sorgfältige „Messagecontrol“.
Die Öffentlichkeit erfuhr somit nur, was ihr gut bekam. So konnte Kanzler Kurz seinerzeit im Untersuchungsausschuss schlicht nicht zugeben, dass er sehr wohl Einfluss auf Postenbesetzungen genommen hatte. Folglich mussten seine dortigen Aussagen falsch gewesen sein, weil Kurz seine Einflussnahme heruntergespielt hatte.
Abwegige Gegenargumente
Die Gegenargumentation der Verteidigung war auch an dieser Stelle ganz außergewöhnlich subtil. Wenn der Sachverhalt so klar und eindeutig sei, warum habe dann die Staatsanwaltschaft 26 Monate gebraucht, um eine hundertseitige Anklageschrift zu verfassen?
Eine Argumentation, die beim Richter nicht verfing und die sich die Verteidigung wohl selbst hätte beantworten können: Die Staatsanwaltschaft brauchte lange bei der Prozessvorbereitung, weil es viele Belege für Kurz‘ Falschaussagen gibt, die sorgfältig aufgearbeitet werden müssen, schließlich geht es bei dem Prozess auch um viel.
Ein ehemaliger Kanzler und ein ganzer Regierungsstil steht vor Gericht. Außerdem ist dieser Prozess nur einer in einer ganzen Reihe ähnlich gelagerter Prozesse, die klären sollen, wie Sebastian Kurz und seine zur „Türkisen Bewegung“ stromlinienförmig gemachte ÖVP Einfluss auf die Republik Österreich genommen haben.
Neben dem Postenschacher müssen beispielsweise noch manipulierte Umfragen vor Gericht verhandelt werden. Kurz hat einen Staatsumbau nach seiner Façon versucht und ist damit politisch schon längst gescheitert. Nun müssen Gerichte ausarbeiten, inwieweit dies auch strafrechtlich relevant ist.
Entscheiden wird dabei der Belastungszeuge Thomas Schmid sein, der unter Kurz zum Vorstand der Österreichischen Beteiligungs AG gemacht worden war. Dem beschied das Wiener Gericht große Glaubwürdigkeit, den Entlastungszeugen der Verteidigung hingegen weniger.
Auftritt der zwei Russen
Die Verteidigung hatte zwei Geschäftsleute aus Moskau teilweise per Zoom zugeschaltet, die gehört haben wollten, dass der Zeuge Thomas Schmid von der Staatsanwaltschaft unter Druck gesetzt worden sei.
Schmid verneinte dies, denn er selbst habe die Staatsanwaltschaft angetrieben, ihm die Möglichkeit zu geben “reinen Tisch“ zu machen. Der Richter hält dies für glaubwürdig, da Schmid nichts beschönige. Die beiden Russen hielt er für eine „plumpe Falle“.
Die Folgen des Urteils
Das Urteil ist erstinstanzlich. Die Verteidigung hat Berufungen eingelegt. Der Fall Kurz wird die österreichische Öffentlichkeit und Gerichte noch länger beschäftigen. Sollte Thomas Schmid auch vor anderen Gerichten als glaubwürdig gelten, dann kann dies unangenehme Folgen für Kurz und die ÖVP haben.
Offenkundig war es die Verteidigungsstrategie von Kurz, mit sehr spitzfindigen Argumenten die Glaubwürdigkeit von Schmid zu untergraben. Wenn dessen Aussage nun auch in anderen Verfahren gegen Kurz bzw. Personen aus dem „System Kurz“ in ähnlicher Weise gewürdigt werden, dann könnten weitere Verurteilungen folgen.
Thomas Schmid will per Kornzeugenregelung selbst straffrei bleiben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass er die Vorgänge in der ÖVP unter Kurz anderes darstellt, als Parteifunktionäre, die möglicherweise noch immer loyal gegenüber Sebastian Kurz sind.
Für den Nationalratswahlkampf 2024 ist das ganze ein Mühlstein am Hals der österreichischen Volkspartei. Jahrelang hat die Partei mantraartig betont, die „Grenze sei das Strafrecht“. Wenn ehemalige Spitzenpolitiker zu verurteilten Straftätern werden, dann kann der Satz in die Mottenkiste.
Ja mei wasn Schmankerl…
Die lieben Österreicher praktizieren neben der Philosophie auch noch ein wenig Demokratie in einem nicht mehr vorhandenen neutralen Land.
Das angeziehlte Strafmaß ist die Bestätigung dafür, wie Demokratie umgesetzt wird.
Als hätte der Bursche nichts anderes getan.
Wie war das mit der ehemaligen Aussenministerin aus Österreich? Wurde die wegen ‘Putin’ nähe, als Person bin grata deklariert?
Hier ist die Frau Kneissl gemeint!
Also Philosophie im Gericht ist wahrlich eine Bereicherung und Scheiss einfach aufs Recht, denn das ist die neue ‘Freiheit’, solange es philosophische Ansätze gibt.
Ja mei, aufi gamma Puntigamma….
Österreich war mal neutral?! Wann soll das der Fall gewesen sein? 1813, kurz vor der Völkerschlacht? Sorry, aber Österreich war den ganzen Kalten Krieg hindurch unter dem Nuklearschild der NATO gestanden und mit dem Westen eng verzahnt. Für die Weltöffentlichkeit hat man natürlich gern die Operette vom kleinen, unschuldigen, neutralen Land mit Mozartkugeln, Kultur und heiler Alpenwelt gespielt. Standort der Diplomatie, Brückenbauer! Und man war ja auch “Hitlers erstes Opfer”, hatte daraus aber so viel gelernt (zu verdrängen). Nein, jeder wusste, dass das Bundesheer im Ernstfall dazu da war die Armeen des Warschauer Pakts auszubremsen. Des Letzteren Kriegsplanungen aus dem Jahr 1965 sahen demgemäß auch den Abwurf zweier Nuklearbomben auf Wien zu Beginn einer bewaffneten Konfrontation mit der NATO vor, denn „Austria’s neutrality (…) was not even considered, it being assumed that Nato would violate her territory at the first opportunity“.
Frau Kneissl ist ein interessanter Fall. Der wurde durchaus übel mitgespielt, inklusive Verleumdungskampagnen, Morddrohungen und einer achselzuckenden Polizei, die ihr sagte “Hom Sie si seibsd eingbroggt, dass de Haberer sie nimma gern hom”. Bei den Gerüchten war alles dabei von “Die hat ihren Boxer [Hund] vergiftet” bis hin zu “Die ist gar nicht von ihrem Mann geschlagen worden”. Wie war das doch gleich mit “Glaubt den Opfern!”? Naja, jetzt lebt sie in St. Petersburg und ist die Chefin der Tochter einer Bekannten…
Davon abgesehen ist Österreich natürlich seit Äonen für schräge Typen und mehr oder weniger gemütliche Korruption bekannt. Und auf Kurz kann man die halbe Sammlung Falco LPs loslassen – von “Egoist” über “Er war ein Superstar, er war so populär / Er war zu exaltiert, genau das war sein Flair”, endend mit “Sebi, quit livin’ on dreams / Sebi, life is not what it seems / You’re lost in the night…”. In diesem Sinne : “Out of the dark! Hörst du Peter Thiels Stimme, die dir sagt: „Into the light!“?”
Altlandrebell nette und korrekte Ergänzung.
Den Peter Thiel kenne ich nicht, aber das höre ich mir mal an.
Gruss an den …rebell
Ö-Schmäh über den dortigen Lauf der Dinge: Oppositionsbank -> Regierungsbank -> Anklagebank
(s. z.B. auch https://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Heinz_Grasser )
Das ist der moderne Hexenprozess. Wenn man einer Person keine Straftat nachweisen kann, veranstaltet man Untersuchungsausschüsse und prozessiert gegen sie, bis sie versehentlich oder aufgrund falscher Erinnerungen einen Fehler macht, oder sogar absichtlich was falsches sagt, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Klappt auch das nicht, dann genügt es sogar, dass der Richter glaubt, das Opfer habe die Unwahrheit gesagt. Es gilt die Schuldvermutung. Ob Kurz, Johnson oder Trump, Populisten werden in westlichen Demokraturen durch Intrigen, oder wegen Strafzetteln, oder durch Wahlfälschung gestürzt und dann bis ans Lebensende verfolgt.
Da sagen Sie was! Schlimm, wie die Populisten unter der Demokratur leiden müssen! Aber es geht noch ärger:
Denken Sie an den Haider Jörg – der fuhr seine Kalesche dermaßen zu Klump, dass der Gendarm ihm den Strafzettel wegen Glatteis gar nicht mehr hinter den Scheibenwischer stecken konnte – ein glatter Fall von Fahrerflucht!
Oder nehmen Sie diesen von-, zu- und hastenichtgesehen Guttenberg: Der stürzte nicht über eine Wahlfälschung, sondern über die nichtsahnende Fälschung seiner Doktorarbeit. Den wahren Verfasser kennt man bis heute nicht. Skandal!
Bei „Bubi“ Kurz kann man nur auf die Einsicht des Richters und kurzen (Hexen-)Prozess hoffen – es gab schon mal einen Österreicher, der hinter Gittern einen Bestseller geschrieben hat, der ihn dann bis ans Lebensende (Bunker, Berlin) nicht mehr losließ. Echt gruselig!
Da fällt mir ein: wie geht’s eigentlich dem spanischen König i.R., diesem Juan Carlos? Wissen Sie Näheres? Seit er sich bei Nacht und Nebel ausser Landes geschlichen hat, herrscht bei dem „begeisterten Funkamateur“ (Wikipedia) komplette Funkstille. Ist er nun einer Intrige oder einem Strafzettel zum Opfer gefallen? Wahlfälschung war’s jedenfalls nicht – da steht ein Monarch drüber.
“Da fällt mir ein: wie geht’s eigentlich dem spanischen König i.R., diesem Juan Carlos? Wissen Sie Näheres?”
Ich glaube, der hat ganz doll Aua, seit er sich aus Versehen auf seine Krone gesetzt hat!
Tragisch, fürwahr. Vorher hat er sich ja schon die Fingerchen beim Hantieren mit seiner Geldwaschmaschine verklemmt …
Offensichtlich sind Sie für breit aufgestellte Lynchjustiz im im Kampf gegen “rechts”, von Haider über Guttenberg und Juan Carlos bis Kurz, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Klingt alles ein bisschen paranoid. Aber geben Sie die Hoffnung nicht auf. Nicht unwahrscheinlich, dass es noch so kommt, wie Sie es sich vorstellen. Bei Haider ist es ja nicht mal ganz ausgeschlossen, dass es funktioniert hat.
Es macht keinen Spaß, Ironie erklären zu müssen, aber bitteschön: Sie beschreiben, mit welch gemeinen Mitteln (Strafzettel, Untersuchungsausschüsse) demokratische Diktaturen eine Hexenjagd auf mehr oder minder beliebte Politiker veranstalten.
Es gibt solche Hexenjagden, z.B. auf Christian Wulff, aber die von Ihnen aufgezählten Politfiguren (und viele andere) sind wahrlich keine Unschuldslämmer. Also habe ich mich über Ihr seltsam verrutschtes Gerechtigkeitsgefühl am Beispiel einiger dieser Nasen lustig gemacht. Ersparen Sie mir, die Anspielungen im Detail zu buchstabieren.
Dass der schöne Jörg bis auf Weiteres von der Mitwirkung ausgeschlossen ist, ist für manche Zeitgenossen offenbar der Schock ihres Lebens!
https://www.bernerzeitung.ch/oesterreich-schweigt-ueber-haiders-schwule-seite-226453034143
Warum steckt den keiner in den Knast. wo er und śeinesgleichen hingehört..
Warum????
weil ihn seine rechtspopulistischen Freunde nicht hängen lassen.
Die Deutschen müssten sich erstmal an die eigene Nase fassen, im eigenen Land gäbe es genug Möglichkeiten Politiker vor Gericht zu stellen. Aber hier in DE wird es so etwas nie geben.
Da haben uns die Ösis etwas voraus.
In Deutschland scheitert das schon daran, das selbst ehemalige Bundespolitiker keinerlei juristische Konsequenzen befürchten müssen. Da kennt jede:r jede:n und anders ist der unermessliche Reichtum innerhalb dieser Kreise auch nicht zu erklären. Dennoch ist es noch eine ganz andere Nummer, wenn ein weiterer Hitler Zugriff auf diese Ressourcen erhält.
Unermesslicher Reichtum? ROTFL. Das bisschen Korruptionsgeld und Köfferchen und Redenhonorare sind doch nur Brotkrümel vom Tisch der Reichen und Mächtigen mit denen die Gefolgschaft gekauft wird.
Dem passiert schon nichts, denn in Österreich wie auch in Deutschland wird niemand ohne politische Beihilfe Richter. Daher sind es auch die schwächeren Jus StudentInnen, die geistig moderaten und arrogant-gehoften jene die in der Regel Justizia vertreten. Da ist heute noch das Saufen mit alten Herren oder das Beine breit machen, ohne ausreichendem Vitamin B, quasi ein Krönungsritual.
Da haben in Österreich Politiker Posten geschachert, pfui deubel! Sowas machen natürlich nie nicht die Sozialdemokraten, sowas machen nur Rechte. Und bei uns? Wenn man die Postenbesetzungen sieht, ein einziges Geschacher. Aber das wird nie verfolgt, wetten? Außerdem, ich erinnere nur an von der Leyen. In der EU der gleiche Mist. Und die wird das noch ein zweites Mal. Die müssen allesamt ihre Balken erst einmal von den Augen nehmen, bevor die sich über Postenschacherein in Österreich erregen.
Wichtige Richersprüche werden beim gemeinsamen Grillen im Garten gefällt.